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Die algerischen Musikszene hat einen hohen Blutzoll zahlen müssen, wie auch die Kulturszene in Algerien insgesamt. Mehrere bekannte Stars wurden in dem jahrelangen Bürgerkrieg in Algerien ermordet, wobei unklar ist, ob die Täter bei den islamistischen Terroristen oder bei den staatlichen Mörderkommandos zu suchen sind. Beide Seiten hatten Interesse an der Liquidierung von Künstlern und Journalisten, die ihnen in Quere kamen. ![]() Der Mord am 25.6.1998 an Matoub Lounès, dem kabylischen Chansonnier und politisch engagierten Liedermacher aus der gebirgigen Berberregion, ein erklärter Feind des Islamismus und Verfechter der Sache der Berber, die fast ein Drittel der Bevölkerung Algeriens stellen, und das fast zeitgleiche Inkrafttreten des Arabisierungsgesetzes haben zu einer Radikalisierung bei den vor allem in der gebirgigen Kabylei konzentrierten Berbern beigetragen. Die Unruhen, die unmittelbar nach Matoubs Ermordung am 25. Juni begonnen hatten, waren dadurch gekennzeichnet, daß sie sich durchaus nicht nur gegen die Islamisten, vor allem jene der terroristischen GIA-Gruppen, richteten, sondern ebenso gegen das herrschende Regime, das ihre Anliegen verachtend ignoriert und ihnen den Gebrauch ihrer Sprache verbieten will, und seine Symbole. Matoub Lounes war ein besonders populärer Repräsentant der demokratischen und das heißt notwendigerweise weltlichen Kräfte in Algerien. In den 70er Jahren kämpfte er zusammen mit Idir, dem militant aktiven "Marquisard de la chanson" Ferhat und Aït Menguellet für eine neue Identität der Imazighen. Wie viele andere war Matoub nach der Unabhängigkeit Algeriens 1962 vom Präsidenten Ben Bella enttäuscht worden, der den Berbern den großen Einsatz, den sie innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung immer gespielt hatten, nicht dankte: "Wir sind alle Araber", verkündete der Präsident, führte algerisch als offizielle Sprache ein, verbannte das Tamazight aus dem öffentlichen Leben und schloss die Berberregionen weitgehend von der wirtschaftlichen Entwicklung aus. ![]() Die Auswirkungen dieser Diskriminierungen auf Musiker und Musik bleibt nicht aus: Die neue kabylische Musikergeneration sucht kämpferisch nach einer eigenen Identität und nimmt sich Protestsänger wie Bob Dylan, Joan Baez, Victor Jara und Sylvio Rodriguez zum Vorbild - die Zusammenarbeit zwischen arabischen und berberischen Algeriern wird schwieriger, auch wenn hier nicht verallgemeinert werden soll. Institutionen wie das Mouvement Culturel Amazigh, das für die Rechte der Imazighen kämpft, schießen aus dem Boden. Idir, der 1976 nach Paris kommt, macht seinem Publikum klar, dass die Berber-Kultur ein wichtiger Bestandteil Algeriens ist. Ihre Musik klingt für Europäer durchaus bekannt, weil sie keine Vierteltöne wie die übrige arabische Musik kennt. Sie ist sehr melodisch mit keltischen Einflüssen und erinnert z.T. an irische Volksmusik mit schwarzafrikanischem Gesang, mit komplizierten Rhythmen und vielen Breaks. Die Berber haben eigene Sprachen, die eher an europäische Sprachmelodien erinnern. Idir und andere kabylische Musiker produzieren sich nun als unterdrücktes Volk und beginnen einen Kampf um Anerkennung. Die Musik verändert sich stark. Die großen Orchester verschwinden, arabische Instrumente werden zurückgestuft und kleinere Gruppen entstehen. Die Einflüsse westlicher Musikstrukturen werden noch ausgeprägter und Schlagzeug, Piano, Gitarre, Elektroorgel treten in den Vordergrund - die neuen Songs allerdings sind zunächst wenig erfolgreich, zuwenig haben sie mit den traditionellen Tanzrhythmen der Kabylei gemein. Auch die Texte wandeln sich: Sie handeln nicht mehr allein von Nostalgie und Exilerfahrung, sondern von der Diskriminierung des kabylischen Volkes. "Berbermusik ist immer politisch", sagt Idir in einem Interview: "Es gibt Algerier, die den 1994 ermordeten Cheb Hasni hören und FIS wählen, während das für Anhänger des 1998 ermordeten Berbersänger Matoub Lounès undenkbar ist." Mataoub ist der erste Sänger, der sich als politisch-militant versteht. In seiner Liedern greift er die verschiedenen Regime in Algier offen an. Seinen ersten erfolg hatte er mit "Assendouk Attadamoun" (Der Solidaritätsfond) über den ersten algerischen Präsidenten Ben Bella von 1963, der die Frauen aufrief, ihren Schmuck für den neuen Staat zu spenden. Zehntausende von Frauen folgten dem Aufruf, doch niemand weiß, wofür der Schmuck genutzt wurde. Viele Glauben, Ben Bella habe ihn selbst behalten. Während der Herrschaft von Boumediene schrieb Matoub viele Lieder, die ihm Ärger einbrachten. So beschreibt es in "Stummes Algerien" die Unterdrückung, Verfolgung und den Totalitarismus des Boumediene-Regimes. Während der dunklen Jahre des Chadli-Regimes wurde die Musil von Matoub im besser und er entlarvte Korruption, Missbrauch, das Fehlen der Menschenrechte und die Unterdrückung der Tamazight-Sprache. Während der Unruhen 1988 verteilte er Flugblätter, die zu Ruhe und Besonnenheit aufrifen. Dabei wurde er von einem Gendarme (einem paramilitärischen Polizeioffizier) angeschossen. Hieraus entstand der bekannte Song "Ajadarmi Laar" (Der Gendarme der Schande). In dem nachfolgenden Mehrparteiensystem schwankte Matoub zwischen der RCD (Bewegung für Demokratie und Kultur) und der FFS (Sozialisten) hin und her, ohne sich entscheiden zu können, welcher Partei er folgen solle. Wie jeder Künstler war er lieber politisch und kulturell unabhängig. ![]() ![]() ![]() Am 25.September 1994 wird Matoub Lounes von radikalen Islamisten entführt. 2 Wochen später wird er in Benni Yenni, 110 km östlich von Algier freigelassen, nachdem mehr als 50.000 Demonstranten im benachbarten Tizi-Ouzou für seine Freiheit und mit der Drohung von Vergeltung, falls er getötet werden sollte, auf die Straße gegangen waren. Matoub berichtete später, daß ihn die Guerillas der GIA nach seiner Entführung zum Tode verurteilt hätten: ''Ich sagte mir: es ist alles vorbei. Ich erwartete, dass man mir die Kehle durchschneidet oder erschießt weil sie mich vor ein islamisches Tribunal stellten. Sie wollten mich zum Tode verurteilen sowohl wegen meiner Lieder als auch wegen meiner Erklärungen gegenüber der nationalen und internationalen Presse.'' Als Bedingung seiner Freilassung verlangte die GIA, daß er ihren Aufruf an die Berber, sich zum gemeinsamen Kampf gegen Armee und Regierung der GIA anzuschließen, verliest. Wiederholt war es in der Vergangenheit zu Kämpfen zwischen Berbern und islamischen Fundamentalisten in der gebirgigen Region von Kabylie gekommen, nachdem die GIA dort versuchte, ihre Waffenarsenale mit den Gewahren der Berber aufzufüllen. Seine Schwester Malika Lounes berichtet, ihr Bruder sei während der 2 Wochen weder geschlagen noch mißhandelt worden. Seine Freilassung führte zu Freudenausbrüchen seiner Anhänger. Am 20. und 21. April 1995 tritt Matoub Lounes vor tausenden von Fans in Tizi Wezzu und Bgayet auf, nach 6 Monaten Exil in Paris und gegen den Willen der GIA, ihm das Singen verboten hatte. Matoub kam extra für dies Auftritte nach Algerien, um an sden Feiern zum 15. Jahrestags von Tafsut n Imazighen, dem Amazigh-Frühling, teilzunehmen. Vermutlich mehr als 200.000 Menschen gingen für die Forderung, Tamazight, die Sprache der Berber, als offizielle Sprache in Algerien anzuerkennen, auf die Straße. Am 25. Juni 1998 wird Matoub im Alter von 42 Jahren ermordet, als er in Begleitung seiner Frau und zwei Schwägerinnen vom Mittagessen in Tizi Ouzou zurückkehrt. Um 1.30 Uhr lauern ihm ein Dutzend bewaffneter Männer 6 Kilometer außerhalb der Stadt auf. Mataoub kann zwar noch mit seiner Pistole zurückschießen, aber nicht dem Hinterhalt entkommen. Die Frauen überleben verletzt. Weitere Informationen: http://matoub.kabylie.free.fr/
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© 03-01-2001 by Martin Fuchs / Mehr Tote? / Zurück zu den Lebenden?