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Urmas Alender ist vermutlich kein besonders bekannter Name unter deutschen PlattensammlerInnen, und vermutlich auch nicht der Name der Band, bei der er sang: Ruja, die Könige des estnischen Progrocks. Ruja wurde 1971 gegründet und waren die ersten, die Rockmusik mit estnischen Texten verbanden und damit auch trotz Drangsalierung durch den KGB auftraten. Die Band hatte über all die Jahre immer wieder wechselnde Besetzungen, was sie jedoch nicht von häufigen Auftritten und auch Studioaufnahmen abhielt. Die Musik war virtuos, legte Vergleiche zu Yes, den Rolling Stones, Genesis, und Pink Floyd nahe und die Texte waren zumeist von klassischen Gedichten adaptiert. Das klingt verdammt nach der liedhaften Rockmusik der DDR wie sie von Elektra, Karat und so weiter verbrochen wurde. 1980 - bis dahin waren ihre Lieder nur im Radio zu hören - erschien die erste EP von Ruja, doch im gleichen Jahr löste sich die Band zum ersten Mal auf. Die Musiker zerstreuten sich in alle Richtungen und Alender gründete zusammen mit dem Bassisten Priit Kuulberg und Schlagzeuger Andrus Vaht die Punkband Propeller. Aus dieser Zeit stammt die Progrock-Oper "Johnny", an dem auch die Mitglieder von Ruja beteiligt waren, doch die Aufführung wurde wegen zu freiheitlichem Gedankengut nach 3 Vorstellungen verboten. Auch Propeller wurden von den Behörden zwangsweise aufgelöst und so reformierte sich Ruja zum Jahresende mit teilweise neuen Musikern und einem Repertoire, dass neben den alten Progrock-Hymen Rock'n'Roll, Balladen, Folk, Punk und Rockabilly präsentierte. 1982 erschien endlich ihre erste LP, doch schon im folgenden Jahr trennte man sich erneut. 1985 gab es die zweite Reunion, die sich wieder mehr dem Progrock, wenn auch modernisiert, verschrieb, und Alender übernahm neben dem Gesang nun auch das Texten, musste dann aber wegen Stimmproblemen aussetzen, kehrte nach seiner Genesung aber wieder zurück. 1987 erschien die zweite LP "Kivi veereb" und die Band trat auch viel außerhalb von Estland auf. Die Band fing sich einen Manager ein, der die Produktion einer LP in russischer Sprache vorschlug, was tiefe Gräben in der Band aufriss. Auf Tournee in Sibirien kam es zum Bruch und der Gitarrist Jaanus Nõgisto stieg aus. Sein Nachfolger allerdings betrachtete Ruja nur als Backingband für seine Gitarrenwixereien a la Yngwie Malmsteen. Die Band war wieder mal am Ende und nach einem desaströsen Auftritt 1988 beim Tartu Rock Festival, wo Urmas Alender besoffen auf der Bühne torkelte, war das endgültige Ende da. Alender versuchte eine Solokarriere, ging aber 1989 - im gleichen Jahr erschien auch endlich die russisch-sprachige LP "Pust budet vsyo" - nach immer heftigerer Verfolgung durch den KGB wie so viele andere estnische Musiker ins Exil nach Schweden. Was er in den Folgejahren machte weiß ich nicht, aber am 28. September 1994 war er an Bord der Fähre Estonia, die 851 Menschen mit sich in die Tiefe der Ostsee riss. Auch Urmas Alender gehört zu den Opfern dieser Katastrophe und mit ihm verlor die estnische Rockszene eines ihrer größen Idole. Die Originalveröffentlichungen von Ruja dürften heute wohl kaum zu finden sein, aber 1999 erschien eine 5-CD-Box zusammen mit einem Video, die fast die gesamte Geschichte dieser Band von Anfang bis zum Ende erzählt. |
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© 28-10-2003 by Martin Fuchs / Mehr Tote? / Zurück zu den Lebenden?