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Betonte Hässlichkeit, Mummenschanz und Kostümierung:
unter harter Fassade ein weicher Kern
Fotos: Action Press, M. Schweitzer, Trans World |
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Punks in London: Sie verstecken ihre Schwäche
hinter Ihrem Äußeren. Wenn andere geschockt sind,
fühlen sie sich stark |
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Angriff auf die Königin: Ein Text der
Sex Pistols' schmückt dieses T-Shirt (Gott
schütze die Queen - sie ist kein menschliches Wesen') |
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Erkennungssymbole: Hundehalsbänder und
Lederriemen, Sicherheitsnadeln in Wangen, Ohren oder Nase, knallrot
oder grün gefärbte Haare, Augenränder, dick geschminkt
wie Balken |
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PUNK ist Mode
PUNK ist Musik
PUNK ist kaputt
Macht Punk kaputt?
Keine Angst vorm bösen PUNK
Eine neue Protestwelle überschwemmt England. Jetzt schwappt
sie auch herüber
Am Anfang heult eine Sirene. Zum Schluß klingelt
ein Wecker. Dazwischen wird die Show manchmal unterbrochen. "Schmeißt
nicht mit Bierdosen, und schlagt euch nicht zusammen", brüllt
Sänger Joe Strummer. Ort: eine Kaschemme in London. Es spielt die
Rockgruppe Clash'.
Clash heißt Zusammenstoß. Und der Name steht für ein
Programm. Der Erfolg der Gruppe ist erst neu. Aber Fans hat sie schon
lange: Punks.
Punks? Im 16. Jahrhundert nannte man so die Prostituierten in England.
In den 30er Jahren taucht das Wort Punk' in englischen Gangsterfilmen
auf (zu deutsch: Miststück, Versager). 1950 übernehmen es die
Schwarzen in Amerika als bösen Fluch. Und 1977 hört man es in
London wieder. Erst vereinzelt, dann spricht alles über Punk: Die
Punk-Rock-Welle ist da.
Punk-Geschäfte werden eröffnet wie die Boutiquen Boy'
und Seditionaries' (die Aufrührer) in Londons King's Road.
Dort werden Punk-Moden teuer verkauft. Zuerst kamen sie aus dem Abfalleimer.
Jetzt werden sie extra angefertigt. Die Polizei hat sich auch schon eingeschaltet.
Wegen der Schaufensterdekoration. Da lagen ein zerquetschter Plastik-Finger,
ein brennender Fuß in einem Stiefel und ein abgehacktes Ohr.
"Verboten", meinte die Polizei. Das Wort haben nun die Richter,
was einen echten Punk ganz cool läßt. Punks lachen nicht, Punks
scheinen Gelee im Gesicht zu haben. Wer sind diese Punks?
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Vater des Punk': Der Amerikaner lggy Pop, ein 'Guru der
Rock-Musik', hat sich mit seiner Band in Berlin niedergelassen |
Es sind junge Leute zwischen 14 und 21 Jahren, die sich als Gangster oder
Gauner kleiden, die aber eigentlich Angst vor allem haben, besonders vor
dem Leben.
Sie kommen aus dem Arbeiter- oder Kleinbürgermilieu, und viele haben
die Stempelkarte vom Arbeitsamt in der Tasche. Besonderes Kennzeichen: Sie
sind Großstadtkinder. Gitarrist Mick Jones von den Clash': "Ich
hasse das Land. Wenn ich eine Kuh sehe, könnte ich kotzen."
Punks sehen aus, als seien sie dem Kabinett des Dr. Caligari entsprungen:
Sicherheitsnadeln in Wangen und Nase, Hakenkreuze auf der Haut, Augenränder
wie dicke Balken geschminkt, Haare kurz und löchrig geschoren und knallrot
oder grün gefärbt, viel Leder, Ketten und Hundehalsbänder,
zerrissene Jeans, T-Shirts mit künstlichem Blut befleckt.
"Wir sind alle nicht so hübsch wie die Mädchen in den Zeitschriften",
sagt eine Punk. "Deshalb verstümmeln wir uns sozusagen zusätzlich."
Und der bekannte Fotograf Barry Kay stellt fest: "Sie sind schwach
und wollen ihre Schwäche durch ihr Äußeres verdecken."
Wenn andere geschockt sind, fühlen sie sich groß.
Punk ist eine Explosion ziellosen Zorns von Mitgliedern einer Generation,
die keine Ideale finden kann, für die es Opfer zu bringen lohnt', schreibt
das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek'. Deshalb sind Punks
gegen alles Etablierte. Gegen jede Autorität, gegen Heuchelei und Langeweile.
Sie fordern das eigene Engagement, Ehrlichkeit, Auftrumpfen, Provokation,
Kreativität. So wie sie sind ihre Musikgruppen.
Die langhaarigen Stars der sechziger Jahre mit ihrem gefälligen Sound
haben den Punk-Teenagern nichts mehr zu sagen. Sie werden verachtet als
satt gewordene Steuerflüchtlinge mit Luxusvillen in Beverly Hills,
Rolls-Royce-Limousinen und Brillanten in den Schneidezähnen, wie angeblich
Mick Jagger. Ein 17jähriger Punk-Fan: "Die sind doch alle gleich.
Sie betrachten uns nur noch als Geldautomaten."
Rock ist wieder die Musik der Straße, ein Protestgeschrei. Aber auch
eine Flucht aus der so deutlich als mies empfundenen Realität. Was
nicht ins Gesicht des Chefs zu explodieren wagt, explodiert hier durch den
Musikverstärker.
Rock ist aber auch die Musik zum Selbermachen. "Jeder kann es",
sagt Paul Simenon, der Bassist der Gruppe Clash'. "Man muß
nur rangehen und es machen."
Sie wollen ihr Publikum aufrütteln wie einst die Rock-Stars
der goldenen Fünfziger
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Wortführer der leeren Generation': Protest-Sänger
Johnny Rotten von den Sex Pistols' |
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Das Publikum: Punks lachen nicht, Punks scheinen Gelee im Gesicht
zu haben. Sie fürchten sich besonders vor dem Leben |
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Nachahmung in Deutschland: Die Hamburger Punk-Rock-Gruppe Big
Balls and The Great White Idiot' erhitzt die Gemüter
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Die Bands geben ihren Anhängern das Gefühl, einer der Ihren zu
sein. Die Gruppe The Damned' (Die Verdammten) rühmt sich in einer
Anzeigenkampagne, daß sie inzwischen drei (!) Akkorde beherrscht.
Schaut her, will das heißen, wir sind nicht besser als ihr.
In ihren Liedern taucht das Wort Liebe' nicht auf. Hoffnung gibt es
nicht. Ihre Songs handeln beispielsweise von der Häßlichkeit
der Städte, von der eigenen Machtlosigkeit, vom Kampf ums Überleben.
Zu den Wortführern 'der leeren Generation' gehört Johnny Rotten,
21, Sänger der 'Sex Pistols' (Sexpistolen). In seinen Songs greift
er sogar die englische Königin an.
"Wir wollen das Chaos", sagt der ehemalige Kanalarbeiter, der
mit bürgerlichem Namen Lyndon heißt und den Künstler-Namen
Rotten - zu deutsch: verfault - dem Zustand seiner Zähne verdankt.
"Bevor das Leben besser werden kann", meint Rotten, dessen erster
Plattenerfolg 'Anarchy in the U.K.' (Großbritannien) hieß, "muß
es erst noch schlimmer werden."
Seit der Punk-Rock um sich greift, horcht das Musik-Establishment auf. Aber
Konzerthallen werden kaum zur Verfügung gestellt, seit im Londoner
Rainbow-Theater 170 Sitze zertrümmert wurden. Und seit die Sex Pistols
Obszönitäten über den Bildschirm verbreiteten, ist auch dieses
Medium feindliches Territorium.
Die Punk-Rock-Welle - scheint's - ist nicht zu stoppen. Sie schwappt schon
über auf den Kontinent. Denn auch hier gibt es eine unzufriedene Jugend
mit Schulstreß, Arbeitslosigkeit und mageren Berufsaussichten. In
Berlin hat sich der amerikanische 'Punk-Rock-Papst' Iggy Pop mit seiner
Band niedergelassen. Er gilt als der 'Punk-Messias der Teenager-Einöde'.
Legendär sind Iggy Pops - bürgerlicher Name: James Osterberg -
frühere Bühnenauftritte. Er zerschlug auf seinem Körper Flaschen
und Biergläser, goß heißes Wachs auf seine Hose und rieb
sich Dreck in die Wunden. Er stürzte sich während der Auftritte
ins Publikum, beschimpfte es und riß Mädchen an den Haaren.
Rock-Star David Bowie, der sich für seine Horror-RockShows von dem
Kubrick-Film 'Uhrwerk Orange' anregen ließ, über Iggy Pop: "Er
ist beeindruckend, weil man von seinem Gesicht ablesen kann, was in ihm
vorgeht, was ihn gerade beschäftigt, verletzt. Jeder möchte die
Verletzungen des anderen sehen, niemand will einen lachenden, glücklichen
Star. Wahrscheinlich auch deshalb, weil es so wenige dieser Künstler
gibt."
Die Lust am Gräßlichen trifft sich mit einem entsprechenden Trend
im Film: Horror und Hoffnungslosigkeit - King Kong und Punk, diese Kombination
steigert eine Modewelle zur Springflut.
Kein Wunder, daß sich die Industrie beeilt, dieses Phänomen auszuschlachten.
Kunst und Kommerz stehen sich selten im Weg. Kürzlich stellte Englands
Modezarin Zandra Rhodes eine Punk-Kollektion zu saftigen Preisen vor - um
die 2500 Mark Der Rockkritiker Barry Graves: "Bei der heutigen Sensationslust
wird auch das Morbideste noch vermarktet."
Und NDR-Pop-Experte Lutz Ackermann sagt: "Punk-Rock ist der Versuch,
die totgeglaubten Urgefühle des Rock wiederzubeleben. Ich bezweifle
aber, ob das noch einmal die Aufregung hervorruft wie zu Chuck Berrys oder
Elvis Presleys Zeiten."
Mag Punk auch ein Modetrend sein, der ebenso wieder in der Versenkung verschwindet,
wie er daraus aufgetaucht ist - etwas steckt doch dahinter: die seelische
Situation einer Jugend ohne Ideale.
HÖRZU befragte dazu den Psychologen Prof. Dr. Reinhard Tausch: "Wir
selber sind ein bißchen mit schuld an dieser Bewegung. Denn manche
Erwachsenen machen es Jugendlichen besonders schwer, zu Idealen und einem
erfüllten Leben zu gelangen. Sicherlich ist es für viele erschreckend,
Haß, Lieblosigkeit und Gewalt bei Jugendlichen zu sehen. Dennoch:
Wir müssen dauernd das Gespräch mit Jugendlichen suchen und ihnen
helfen, sinnvolle Ideale und Werte zu finden."
Liz Hiller / Wolfram Tauscher
(Quelle: HörZu 46/77, 12.-18.11.1977)
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