Die neue Welle in der BRD

1. Teil Wie es anfing

Von Kurt Thielen

Fehlfarben, DAF und Abwärts sind in aller Munde, keine ernstzunehmende Musikzeitung in der BRD kann an diesen Bands vorbeigehen. Die neue deutsche Musik wird eingehend im englischen NME gewürdigt und von John Peel gespielt. Der Durchbruch für new wave-Musik mit deutschen Texten ist geschafft, auch kommerziell. Gruppen wie Fehlfarben, KFC oder Ideal verkaufen zwischen 10.000 und 30.000 ihrer LP's, Stückzahlen, die auch die großen Plattenfirmen aufhorchen lassen. Dabei ist das Phänomen der neuen deutschen Welle eigentlich noch sehr jung. Als in England die Pistols, Darnried, Clash & Co Furore machten, regierten hierzulande die Genesis und Jethro Tull-Epigonen. Rock in Deutsch war gleichzusetzen mit Lindenberg, dessen ständig wiederholte Phrasen sich spätestens 1975 abgenutzt hatten. Bands wie Big Balls and the Biq White Idiot imitierten den anglo-amerikanischen Punk und sangen in Englisch. Erst 1979 erschienen die ersten Singles von Gruppen, die sich der neuen Klänge bedienten und sich in ihrer Heimatsprache mit konkret deutschen Problmen auseinandersetzten. Sie bezogen ihre Anregungen aus Großbritannien und den USA, doch führten sie dem Importieren etwas spezifisch Eigenes, Neues hinzu. Inhalte wie Terroristenfahndung hatten einen Bezug zur aktuellen politischen Lage in diesem Land. Ein frischer Windhauch in der deutschen Rockmusik war zu verspüren.

Die Vorreiter

Singles bzw. EP's der Gelsenkirchner Materialschlacht und Salinos sowie der Düsseldorfer Mittagspause und Plan waren die ersten greifbaren Ergebnisse dieser Synthese aus neuem Rock und deutscher Sprache. Als besonders wichtig erwies sich hierbei die Doppel-EP der Mipau, die Stücke enthielt, die später durch DAF und Fehlfarben populär wurden. Diese ersten Platten waren durchweg Eigenproduktionen und unterschieden sich schon von daher von den Big Balls, die bei einem großen Label unter Vertrag standen. Die Aufnahmebedinqungen waren zumeist schwierig und die Tonqualität entsprechend schwach. Die Industrie zeigte kein Interesse an diesen Gruppen; Punk und New Wave waren ein Insiderthema und wurden von vielen abgelehnt. Die Szene war vielfältig und inkoherent, doch zumindest die Macher und Fans in NRW hatten ihre Treffpunkte wie den Ratinger Hof oder das Grün-In in Gevelsberg, wo Kommunikation zwischen Bands wie Mipau, Plan, DAF und S.Y.P.H. stattfand.

"künstlerpack" gegen "Prolopunks"

Schon früh fallen in der neuen Bewegung die Gegensätze zwischen "Künstlern" und "hardcore-Punks", zwischen Avantgarde und Pogo auf. Die Konflikte finden ihren deutlichen Ausdruck bei den drei Punknächten in der Poqo-Hauptstadt Hamburg, dokumentiert auf den Samplern "Into the future", "In die Zukunft" und "Geräusche für die 80er." Intoleranz und Hochmut waren auf beiden Seiten groß und äußerten sich bei diesen ersten großen, überregionalen Aufeinander treffen in "Aufhören"-Rufen und gegenseitiger Verachtung. Grund hierfür ist wohl, daß beide Gruppierungen nur in einem Negativ ihre Gemeinsamkeit finden Nämlich in der Ablehnung der konventionellen, überkommenen Rockstruktur, im Gefühl, daß der etablierte Rock formal und inhaltlich entleert und aussaqelos geworden ist. Doch die daraus gezogenen Konsequenzen sind völlig unterschiedlich. Der Plan? DAF, S.Y.P. u.a. suchen nach neuen Ausrucksformen n Musik und Sprache, während viele Pogogruppen sich weiterhin am Pistols-Schema orientierten und ihre parolenhaften Texte, der größeren Eingängigkeit wegen, in Englisch hinausbrülten. Die musikalische Vergangenheit der deutschen "Wellenreiter" reicht von ehemaligen free-Jazz-Anhägern über Leute, die die Rockgeschichte durchlebt haben, bis hin zu ehemaligen Kiss- oder Queen-Fans. Kein Wunder, daß hier kaum ein Konsens herbeiqeführt werden kann.

Vom Musikrnachen zum Plattenvertrieb

Da die Industrie den Bestrebungen der frühen Gruppen "no commercial potential" bescheinigte, mußten andere Wege zum Produzieren und Vertreiben der Platten gefunden werden. Und hier konnte man einiges vom Konzept der "small labels' und "independent distributors" lernen. Der Zensor aus Berlin und Rip-Off in Hamburg profilierten sich als erste Bezugsquellen für heimische Singles und LP's.

Der ehemalige Mittagspause-Gitarrist Franz Bielmeier stellte mit Rondo in D'dorf das erste kleine Label auf die Beine. Er veröffentlicht, was ihm gefällt1 und legt besonderen Wert auf den regionalen
Aspekt. Auch spätere Initiativen wie Zick Zack, No Fun oder Monogam dienten vorrangig der Förderung der lokalen Szene.

Verbreiterung der Basis

Die Linke in der BRD stand dem Treiben von Punks und New Wavern zunächst skeptisch gegenüber, noch immer geschockt vom vereinzelten Nazigebaren im englischen Frühpunk; und wohl auch fassungslos angesichts der ihren alten Idolen und Ideologien entgegengebrachten Verachtung. Doch Platten wie die erste LP der Hannoveraner Hans-A-Plast, über deren Qualität man sicherlich streiten kann, trugen dazu bei, der neuen Welle Zuhörer aus dem linken Alternativlager zu gewinnen. Die textlichen Anklänge an deutschen Politrock a la Ton Steine Scherben ließen viele aufhorchen, die bisher die Szene abwartend beobachtet hatten.

Einen hohen Stellenwert für die Kommunikation unter den Zuhörern der neuen Musik muß den Fanzines zugesprochen werden. Die aus England übernommene Idee der subjektiven Mini-Zeitung läßt ebenso Raum für Plattenkritiken wie für politische Orientierung; sie stellen Kontakte zu anderen Städten her und verbreiten schnell lokale Neuigkeiten.
Ein Problem ist den jungen Bands bis heute treu geblieben. Es mangelt an Auftrittsmöglichkeiten. Die ohnehin rar gesäten Kneipen und Clubs öffnen sich nur zögernd dem Punk, teils aus Ablehnung der Musik, teils aus Angst vor Ausschreitungen. Umso wichtiger sind Eigeninitiativen wie der eine Zeitlang aktive Pop-Club in D'dorf, der ebenso als Veranstalter auftrat wie der Duisburger Fanzine-Herausqeber Willi Wucher bei seinen Ungewollt-Festivals.

Nach diesem Rückblick auf zwei Jahre Neue Deutsche Welle, der es ermöglichen soll, bestimmte gegenwärtige Trends und Probleme einzuordnen, sollen im nächsten MMN Schlaglichter auf die aktuelle Lage der neuen Musik geworfen werden, insbesondere auf Aspekte wie Kommerzialisierung und Präsentation in den Medien.

 

Teil II

Peter Hein verläßt die Fehlfarben. Im Ratinger Hof laufen keine Konzerte mehr. Zwei Schlagzeilen, die in der Szene In den letzten Wochen die Runde machten. Zufällige Ereignisse, normale Erscheinungen oder Nachrichten, die eine tiefere Bedeutung für die neue Weile haben? Die Frage ist rhetorisch, letzteres ist meines Erachtens zutreffend. Symptome für die Auseinandersetzung mit Kommerz, für persönliche und strukturelle Schwierigkeiten im Umgang mit der neuen Welle.

RATINGER HOF ADE

Der Ratinger Hof war der Szenentreffpunkt Nr. 1, manches fast legendäre Konzert fand hier statt. Doch schont seit langem paßten der Eigentümerin die Punks nicht, viele hatten Hausverbot. Kürzlich, vorm Auftritt der Hordcore-Truppe "Charge" kam es zum EkIat, als allen Lederjacken und Kurzhaarigen der Zutritt in den Hof verwehrt werden sollte. Handgreiflichkeiten mit den zu Recht entrüsteten Punks waren die Folge. Dies veranlaßte die Besitzerin, die schon durch ihre peinliche Selbstgefälligkeit in Bio's Bahnhof und im Stern auffiel, keine weiteren Gigs zuzulassen. Hieraus entstehen große Schwierigkeiten für Wellen-Konzertveranstalter wie Ambrosia, die große Mühe haben dürften, einen annähernd gleichwertigen Veranstaltungsplatz‚ zu finden. Außerdem zeigt dies deutlich, wie schwierig es ist, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die keine Beziehung zu den neuen Trends haben und nur darauf aus sind, ihren Anteil an der kommerziellen Ausschlachtung abzubekommen.

PALAIS SCHAUMBURG, KORPUS KRISTI und VORGRUPPE - 1983 im WDR?

Doch glaube ich, daß selbst Leute, die in der Sache engagiert sind, zuviel Einfluß besitzen. Alfred Hilsberg, Xao Seffcheque und andere Sounds-Leute entscheiden praktisch darüber, ob unabhängige Produkte ihre Auflagen verkaufen oder nicht. In der Sounds positiv erwähnt zu werden, bedeutet für eine Gruppe schon fast 1.000 LP's oder Singles verkaufen zu können. Dies kann natürlich kein Vorwurf an A.H. sein, sondern führt logisch zur Klage darüber, daß die neue deutsche Welle in Funk und Fernsehen kaum repräsentiert ist. Das Radio, eigentlich das ideale Medium für unbekanntere Musik, stellt sich taub für die neuen Töne. Bezeichnend, daß in keiner Sendung mehr deutsche Platten vorgestellt werden, als in John Peel's Music, einem Programm im englischen Soldatensender BFBS. Im WDR hingegen soll Bernd Gockel in seiner 14-tägigen Ausgabe der Pop-Session das Feld der deutsch- wie englischsprachigen New Wave abdecken, ein nicht zu leistendes Unterfangen. In anderen Sendungen wie bei K. Lippegaus oder W. Trenkler sind nur Zufallstreffer zu verzeichnen. Während gängigere neue englische Bande im WDR mehr und mehr im laufenden Programm gespielt werden, müssen die Anhänger deutscher Strömungen sich wohl noch geraume Zeit gedulden, bis sie auf ihre Kosten kommen werden. Um Airplay zu bekommen, von Außenseitersendungen abgesehen, muß Musik kommerziell, im Sinne von eingängig, verkäuflich sein. Womit wir bei einem anderen Punkt sind - und bei Peter Hein und den Fehlfarben.

INDUSTRIE oder SMALL-LABELS - (K)eine Alternative?

Die Fehlfarben sind eine der bestverkauftesten neuen deutschen Gruppen, stehen bei der EMI unter Vertrag und sind damit den Zwängen der Plattenindustrie unterworfen. Wenn eine Gruppe bei einer großen Firma eine LP produziert, erwartet diese eine Promotiontour, die im Falle der Fehlfarben 40 Auftritte umfassen sollte. Das Interesse gilt dabei ausschließlich den Verkaufszahlen, unabhängig davon, ob einzelne Musiker oder die ganze Band sich in der Lage fühlen, den Tourstreß standzuhalten. Hieraus hat Peter Hein die Konsequenzen gezogen.
Die Industrie verlangt von ihren Acts auch regelmäßige Veröffentlichungen, egal, ob genug gutes Material für ein neues Album vorhanden ist. Es gibt in der Rockmusik und in der New Wave genug Beispiele dafür, daß auf Druck von Firmen hin, schwächere bzw. unfertige Platten veröffentlicht wurden. Dies ist im Idealfall der Vorteil der Unabhängigkeit: freie Verfügung über die eigenen Produkte, Auftritte, wenn man selber sie will, stärkerer Einsatz auch für nicht leicht verkäufliche Musik. Sinn eines großen Labels ist der Absatz möglichst vieler Tonträger, also liegt es nahe, für die gewinnträchtigsten Formationen euch das meiste zu tun.

INITIATIVEN

Die Vielfalt der neuen deutschen Welle kann nur durch kleine Labels und unabhängige Vertriebe gewahrt bleiben. Sie garantieren, daß die jungen Gruppen ihre Vorstellungen eigenständig realisieren und ihre Ergebnisse unter die Leute bringen konnten. Glücklicherweise gibt es hierfür auch in letzter Zeit genug Beispiele. Lothar Rieger von der Schallmauer in Neuß hat zwar seinen Plattenladen aufgegeben, konzentriert sich jetzt aber auf das Schallmauer-Label. In Bochum hat Karola Radau H'art-Vertrieb eröffnet, mit der Zielsetzung, Ruhrgebietsbands. zu fördern und ihnen in Zukunft mit einem Label die Möglichkeit der Plattenherausgabe zu bieten. In solchen Aktivitäten liegt die Zukunft der neuen Welle, zumindest für die breite Basis. Spitzengruppen werden weiterhin zur Industrie wechseln, sie sprengen wohl, auch den Rahmen der Kleinfirmen. Doch nur solche "Mini-Unternehmen" können den Reiz der deutschen Szene erhalten und vergrößern. Hierzu muß man vielleicht anmerken, daß man zuweilen den Eindruck gewinnen kann, daß mehr Masse als Klasse veröffentlicht wird. (Mir persönlich geht es bei Zick Zack aus HH so.) Jedoch ist gerade dieses breite Angebot, aus dem jeder für sich auswählen kann und muß, von größter Bedeutung für die Lebensfähigkeit der neuen Musik. Sie bildet den großen Kontrast zum kommerziellen Musikgeschäft, das insbesondere in der Zeit der Umsatzrückgänge übergroße Vorsicht in seiner Veröffentlichungspolitik walten läßt.

(Quelle: Musiker Music News 7/81, Musiker Music News 9/81)


Fresse / Information Overload