PUNX IN DER DDR

Paletten mit Dosenbier aus den lntershops sind für sie das Größte, Platten von der Gruppe "Slime" schon fast ein Heiligtum. Ihre Lieblingsgruppe heißt "Wutanfall" und kommt aus Erfurt. Wenn sie feiern, dann zwischen Mülltonnen und irgendwelchen dunklen Hinterhöfen. ihre Klo- und Wandspruche halten nie länger als 24 Stunden - dann werden sie von den Vopos übergemalt. Punks In der DDR - MUSIKER MUSIC NEWS hat einige in Ost-Berlin aufgespürt. Aus der Hauptstadt der Republik berichten Dietmar Hegemann (Text) und Armin Haase (Fotos).

"Obstsonntag" in Ost-Berlin! Das ist wie ein Feiertag! An einigen Ecken der Hauptstadt sind Stände aufgebaut mit frischen Erdbeeren oder Kirschen. Davor endlose Schlangen von Hausfrauen, die schon seit Stunden geduldig darauf warten, einen Korb Frischobst zu ergattern.
"Das ist hier ganz normal.", klären mich Peter und Ricky auf, zwei echte Ost-Berliner Punks. Wir sitzen gegenüber einem dieser Stände im Eiscafe. Die beiden wollen mich durch die Punk-Szene der DDR führen.
Ich erfahre, daß es nichts Besonderes sei, wenn ein DDR-Punk für einige Zeit in den "staatlichen Gewahrsam" verschwindet.
Ihr Freund Tom zum Beispiel ist im Heim gelandet. Der 17-jährige war ein paar Tage nicht zur Schule gegangen.
Will, dessen Rückkehr aus der U-Haft abends gefeiert werden soll. wurde am 13. August letzten Jahres dabei erwischt, als er dem 30jährigen Mauerjubiläum mit seinem Spruch gedachte: "30 Jahre Mauer - wir werden langsam sauer". - 4 Monate Haft und 14 Monate auf Bewährung!
Ricky freut sich schon tierisch auf die Fete. Er würde bestimmt in jedem (west)deutschen Punk-Schuppen durchgehen. Kurzgeschorene, blond getönte Haare, im Ohr vier selbstgefertigte Ohrstecker. Sein ganzer Stolz ist seine uralte Motorradjacke. "Die hab' ich gegen 'ne alte Paradeuniform von meinem Großvater eingetauscht."
Ricky's großer Traum: "Einmal bei einem Punk-Konzert im "SO 36" dabei zu sein." Dann fragt er mich über den Berliner Musik Laden aus.

Nadja: Wegen Ihrem Ausreiseantrag trennten sich Ihre Eltern von Ihr.

Die blonde Nadja stößt zu unserer Runde. Sie zeigt mir einen Weihnachtsgruß ihrer Eltern. "Das war das letzte, was ich von ihnen gehört habe."
Vor einem Jahr hatte sie ihren Ausreiseantrag nach England gestellt. Ihre Eltern trennten sich darauf von ihr. Sie hätten sonst Schwierigkeiten bekommen. Sie redeten vom "verhexten Antrag.', beten sie, "unterlaß dies bitte in Zukunft". Ihr Ersuch ist längst abgelehnt worden, gleichzeitig wurden ihr auch keine Ungarn-Visa mehr ausgestellt. Nadja aber gibt nicht auf. Sie will weitem Anträge auf Ausreiseerlaubnis stellen. Zum Abschied hat sie ein kleines Geschenk für mich parat: Einen russischen Kindersynthesizer, Marke "Gamma". Ihr Vater hatte ihn vor Jahren aus Moskau mitgebracht.

Bei Stefan im Übungsraum

Zwei Tage später treffe ich Stefan. Er holt mich vom Grenzübergang Bornholmer Straße ab. Eine gute Stunde dauert die Kontrolle. Mitgebrachte Geschenke - sprich 1 Punk-Scheiben - mußten am Kontrollpunkt bleiben. Es konnte nicht festgestellt werden, "ob die Platten den kulturpolitischen Richtlinien" entsprächen.
Stefan führt mich zum Übungsraum seiner namenlosen Band. Unterwegs erzählt er mir vom letzten Wochenende:
"Wir waren alle nach Erfurt getrampt. "Wutanfall", die zur Zeit beliebteste Punkband hat dort auf einem Werkstatt-Treffen der Kirche gespielt."
Wir erreichen den versteckt liegenden Übungsraum. Höchst seltsame Geräte stechen mir sofort ins Auge. "Das ist ein Gesangsverstärker... und das hier 'n selbstgebauter Bassverstärker", werde ich aufgeklärt. "Die waren reichlich teuer und verdammt schwer zu bekommen."
Instrumente gibt es kaum in der DDR. Auswahl ist nicht vorhanden. Manchmal kommen auf Umwegen Westprodukte in den Umlauf.
"Aber die kann sich kaum einer leisten und werden sowieso meist von den etablierten Bands weggeschnappt."
Das gleiche gilt auch für die wenigen Auftrittsmöglichkeiten in der DDR.

Im nächsten MMN:
2000 Punks und kaum Konzerte, Stefan's Traum vom Acht-Kanal-Studio, Leon der Plattensammler, Annette das Mannequin des VEB Handelsbetrieb, mit dem Trabi auf der Piste und plötzlich mitten in 'ner Razzia.

(Quelle: Musiker Music News 15/82)

 

PUNKS IN DER DDR TEIL 2

Sieben Tage lang sind Dietmar Hegemann (Text) und Armin Haase (Fotos) täglich via Grenzübergang Bornholmer Straße nach Ostberlin gepilgert auf der Suche nach "Punxs in der DDR". In der ersten Folge haben sie sechs von ihnen vorgestellt.
Diesmal geht's um die Probleme mit Auftrittsmöglichkeiten für Punk-Bands, um Leon, den Plattensammler, Annette, das Mannequin des VEB Handelsbetrieb und um die Träume des Punk-Rockers Stefan.

Wir sind immer noch in Stefan's Übungsraum. Ab und zu fällt einer der Eierkartons von der Wand. Sie dienen als Schallisolierung. Stefan sagt, daß es sechs Punkbands in Ostberlin gibt. Zur Punkgemeinde zählen ungefähr 2000 Leute. Daß er von "Gemeinde" spricht, kommt nicht von ungefähr. Denn meistens sind es die Kirchengemeinden in der DDR, die den Punkgruppen Auftritte auf jungen Kirchen-Festen verschaffen. Geld fällt dabei natürlich nur spärlich ab. Vom Punk kann im Osten keiner leben. Es gibt ganze zwei Studios, die überhaupt in der Lage sind, Schallplattenaufnahmen zu machen. Das eine ist für den klassischen Bereich da, das andere für Pop, Rock und sonstige Unterhaltung. Dazu kommt, daß die "VEB Amiga", das ist die staatseigene Plattenfirma, nur zwei Scheiben im Monat veröffentlicht. Kein Wunder, daß mir Stefan immer wieder von seinen Träumen erzählt: "Einmal eine selbstproduzierte Platte aufnehmen, einmal ein eigenes Acht-Kanal-Mischpult haben und bedienen."

2000 träumen von PIL, Clash und Slime - VEB hat gerade die Stones entdeckt

Ob eine Band in der DDR staatlich unterstützt öffentlich auftreten darf, entscheidet die "Einstufungskommission". Die prüft, ob "kulturpolitisch wichtige Arbeit geleistet wird". Punkbands wurden da bisher immer abgelehnt. So kann man auch verstehen, daß, wenn die Kirche irgendwo irgendeine Punkgruppe auftreten läßt, die halbe DDR-Punkszene dorthin pilgert.
"Die leben hier alle hinterm Mond", weiß Plattensammler Leon zu berichten. Ich treffe ihn im "Kulturpark der fröhlichen deutschen Jugend." am Erfrischungsstand. Für Leon ist heute ein wichtiger Tag. "VEB Amiga" veröffentlicht offiziell eine Rolling Stones-LP mit Songs aus den Jahren 65/66. Dabei: "l can't get no satisfaction". Und das zwei Tage, nachdem die Stones auf der anderen Seite der Mauer live losfetzten. Zur Veröffentlichung gab's dann auch in "Melodie & Rhythmus", dem einzigen regelmäßig erscheinenden Popblatt, einen Bericht über die Stones mit Uralt-Fotos von Keith Richards.
Übrigens: Leon's ganzer Stolz ist sein "The Wall"-Album von Pink Floyd - die größte Plattenrarität in der DDR.
Leon fährt mit mir ins Cafe "lhr Stil". Der Trabit gehört seinem Bruder. Man sagt, daß seit dem Leon vom "VEB Taxi" den Führerschein bekommen hat, niemand mehr auf den Straßen Ostberlins sich seiner sicher sein kann. Ich kann's bestätigen.
Im "lhr Stil" entdecke ich den ersten Klo-Spruch "Made In DDR": "Der letzte, der dieses Land verläßt, möchte bitte das Licht ausschalten".
Der Kosakencafe für 2,45 Ostmark schmeckt übrigens köstlich.
Es geht zurück zum Trabi - weiter in Richtung Pankow. Leon fragt: "Woran man bei uns einen Trabant Sportwagen?" Ich zucke mit den Schultern.
"An den Turnschuhen hinten auf der Ablage...."
Plötzlich hält Leon an. An der U-Bahn-Station Dimitroffstraße erkennt er seine Freundin Erika. Sie steht bei Max Konnopkes Schnellimbißhalle und würgt sich zwei Currywürste herunter. Konnopke hat fast überall in der Hauptstadt seine Würstchenstände. So 'ne Art Ost-McDonald.
Erika wird eingeladen und dann geht's im Trabi weiter durch die Stadt. Am Collosseum-Kino vorbei klappern wir unser Ziel an.

Drei Punks ziehen durch den Stadtteil Brenzlauer Berg zum Treffen bei Annette.

Annette: Die schönste Frau der DDR

Annette von Weiden lädt zum Kaffee. Für mich ist sie die schönste Frau in der DDR. Mit einer Freundin lebt sie zusammen. Die Begrüßung ist herzlich, richtig punk-untypisch. Man umarmt sich, schüttelt die Hände - Freude über seltenen Besuch. An ihrer selbstgebastelten Pin-Wand gibt ein Zettel Aufschluß über Annettes Job:
"Zur Lösung volkswirtschaftlicher wichtiger Versorgungsaufgaben ist Frau Annette von Weiden für den volkseigenen Handelsbetrieb Mode als freiberufliches Mannequin tätig."

Die ganze Ostberliner Punk-Szene scheint sich an diesem Tag bei Annette zu treffen. Bekannte Gesichter der Vortage tauchen auf. Dazu Robert. Er hat trotz seiner verwegenen Punk-Frisur seine Prüfung als Werkzeugmacher mit "gut" bestanden. Jetzt wartet die nationale Volksarmee auf ihn. Er hat schon an Verweigern wegen dem Berlin-Status gedacht, doch er weiß auch: Das bedeutet Knast. Dazu kommen dann die vielen "eigenartigen" Pannen in seinem weiteren Leben.
Leon und ich holen Achim, den Fotografen, um halb neun am Checkpoint Charlie ab. Seit dem 1.Juli gibt's für alle Westberliner eine neue Parole: "Bis zwei - dabei". Man darf zwei Stunden länger bleiben.
Das wollten wir natürlich ausnutzen und uns ins Ostberliner Nachtleben stürzen.
Doch in die Discotheken läßt man uns wegen der Turnschuhe erst gar nicht rein.

"Wie sieht's eigentlich mit Drogen bei euch aus?", frage ich Leon. "Da läuft gar nichts. Wir ham' eben keene - tote Hose.
Nur ein einziges Mal in seinem Leben war Leon stoned:
"Das war total hart, Mann! 'N Freund ausm Westen hatte aus Versehen vergessen, sein Gras aus der Tasche zu nehmen, bevor er über die Grenze ging. Zwei Züge habe ich genommen. Plötzlich wurde ich tierisch müde, hatte reichlich Kopfschmerzen und irgendwann bin ich dann eingeschlafen.
Ab und zu trinken wir ganz gerne einen. Das hält sich aber in Grenzen. Nicht so wie die abgefuckten Jeans-Hippies. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr die uns nerven. Überall liegen sie rum, völlig daneben, den Hals bis zum Kopf voll mit billigem Rotwein. Weißt du, die hängen da rum, an allem was läuft haben sie überhaupt kein Interesse. Sie trauern nur den längst verflossenen Zeiten nach."

Blockparties - Der Tanz zwischen Mülltonnen

Was der VEB Kosmetik nur für Frauen gedachte - ein Renner bei den Punks: Schwarzes Haarfärbemittel

Wir fahren zurück zu Annettes Feier. Doch bis dahin kommen wir erst gar nicht. Denn drei Ecken weiter steigt eine tierische Blockparty auf einem Hinterhof. Blockparties sind die liebste Abend und Nachtbeschäftigung der Ostberliner Punks. Abwechselnd auf verschiedenen Hinterhöfen treffen sich die Leute um bei eingeschmuggelten Cassetten mit Westpunk zu feiern und zu tanzen.

Bier in Arzneigläsern

Der kleine Hinterhof ist total überfüllt. Ca. 60 Punks sind da. Ständig läuft einer 'rum und sammelt Geld, damit sich die Biervorräte nicht erschöpfen. Neues Bier muß gerade ran. Das gibt's in der Kneipe um die Ecke. Ich gehe mit. Ich kann's kaum fassen. Der Mann hinter dem Tresen füllt das Bier in große Fünf-Liter-Arzneigläser ab. Bierkrügeweise schüttet er das Glas bis zum Rand voll.

Im nächsten MMN:

Wie reagiert die Umwelt auf die DDR-Punks?
Was sagt die Staatsführung dazu?
Stiff und sein Judenstern!
Tom muß für ein Jahr ins Heim!
Die Vopos kommen!
Razzia am letzten Abend!

(Quelle: Musiker Music News 16/82)

 

PUNKS IN DER DDR
TEIL 3 FÄLLT LEIDER AUS!

Punks in der DDR - dem Staat ein Dorn im Auge

Die Behörden der Deutschen Demokratischen Republik verweigerten am 20. September unserem Mitarbeiter Dietmar Hegemann die Einreise, als er sich in Ost-Berlin mit den Punks treffen wollte. Begründung: Er sei in der DDR nicht mehr erwünscht.

PS 1: So leid es uns auch tut, den dritten Teil zur Zeit nicht drucken zu können, fühlen wir uns doch geehrt, daß die DDR-Staatsführung die "MUSIC NEWS" liest (wie wär's mit 'nem Abo, Jungs?). Außerdem ist es der Beweis, daß es diese Bewegung in der DDR wirklich gibt, und daß die Staatsorgane allmählich Probleme mit den Punks bekommen.

PS 2: Wir hoffen aufrichtig, daß die in den letzten beiden Teilen erschienenen Personen durch unsere Veröffentlichung keinen Schaden davontragen werden.

PS 3: Den dritten Teil werden wir sehr bald nachziehen, denn wir lassen uns unsere Arbeit nicht verbieten. Ein (diesmal namenloser) Mitarbeiter ist schon auf dem Weg nach Ost-Berlin.

(Quelle: Musiker Music News 17/82)

Punks in der DDR

Hallo MUSIC NEWS!
Erstmal mochte ich sagen, daß ich es ganz toll fand, daß ihr über die Punks in der DDR berichtet habt. Ich hatte es vorher nicht geglaubt, daß es dort auch Punks gibt, obwohl mir schon ein paar Leute davon erzählt hatten.
Obwohl ich seit meiner Geburt in (West)-Berlin lebe, finde ich es echt blöd von mir, daß ich noch nie in (Ost)-Berlin gewesen bin! Da ich aber nun weiß, daß es dort Punks gibt, finde ich es ganz interessant, mal rüber zu fahren.
Da ich aber keine Verwandten und auch keine anderen Leute dort kenne, wollte ich fragen, ob ihr mir nicht ein paar Kontaktadressen geben könntet.
Dank im Voraus!!!
Tschüß
Martina Leonhard, 1 Berlin 26

Zerfetzte T-Shirts, wilder Haarschnitt: Chaos, Sänger der Leipziger Band "Wutanfall" könnte auch aus einer westdeutschen Stadt kommen.

Wutanfall aus Leipzig!!!

Hallo Music News,
es ist gut, daß ihr über Punks in der DDR berichtet. Ich war letzten Sommer dort auf Urlaub und habe einige Punks kennengelernt, auch die Jungs von der Gruppe WUTANFALL. über die ihr geschrieben habt. Nur, die kommen nicht aus Erfurt, sondern aus Leipzig. Ihr letzter Titel heißt übrigens "Leipzig's burning". Ihr Sänger ist der 17jährige Chaos, ein wirklich sympathischer Typ, der schon mal, bloß weil er ein Punk ist, von der Polizei zusammengeschlagen wurde. Ich leg euch ein Foto bei, dass ich bei der Probe von Wutanfall gemacht habe.
Es grüßt
Michael Holländer, Herstraat 23, NL-Horst.

(Quelle: Musiker Music News 18/82)


Fresse / Information Overload