Alles, was Sie schon immer über Punk wissen wollten
(BUT WERE AFRAID TO ASK)
VON KLAUS ABELMANN
Die Party
Votze schmeißt 'ne Destruktiv-Party. Im Elternhaus. Und man ist
zu diesem einmaligen subkulturellen Ereignis geladen. Niemand läßt
sich die Show entgehen: Die vulgär-Avantgardisten von JULIA und ROSA
werden kommen, die Politicos, die Sympathicos und natürlich die '77er
Hardcore Kids.
Votzes Parties sind legendär, Votze selber ist legendär. Wohlgemerkt:
Votze ist ein ER, nebenberuflich Bassist der hannoverschen Punk-Gruppe
KONDENSATORS. Angeblich gibt es diesmal sogar einen konkreten Anlaß
für die Festivität, Votzes Freundin "das Schwein",
wohlgemerkt nicht etwa "die Sau", ist mal wieder älter
geworden. Aber das kümmert keinen, wie "die aussieht".
Konrad, so der Taufname unseres charmanten Gastgebers, ist beileibe kein
gewöhnlicher Sterblicher. Sein Familienname wird in linken Kreisen
mit Ehrfurcht geraunt: KITTNER! Genau, der Salon-Bolschewist!
Und dorthin will mich LSD, seines Zeichens Underground-Poet, ROSA-Gitarrist
und Hannovers größter Lou Reed Verehrer, führen.
Als ich am Hauptbahnhof eintreffe, ist er gerade dabei, nach kleinen Punx
der 3. Generation zu treten, die versuchen, neben ihm stehen zu dürfen.
LSD ist wirklich großartig, denn er glaubt an sich und sein Genie.
Und er kann aussehen: Groß, schlank, seine schwarzen Haare fallen
ihm ins Gesicht. In seinen besten Momenten umgibt ihn diese Aura von Verderben
und Perversität, dann ist er, in New York, in einem dieser schmuddeligen
Hotelzimmer, das Neonlicht flackert draußen an der Fassade, eine
Frau liegt weinend zu seinen Füßen; er sagt zu ihr: Ich bin
nicht deine Samenpumpe und liest weiter in seiner De Sade-Gesamtausgabe.
Im Augenblick geht ihm jedoch diese Coolness etwas verloren, der Alkohol
hat seine Wirkung getan.
Wir steigen in die Straßenbahn, LSD liebt das Straßenbahnfahren.
Denn dort findet er ein Publikum für seine ONE MAN SHOWS, das seinen
Attacken wehrlos ausgeliefert ist. Seine provokanten Ausführungen
über die Endlösung der Gastarbeiterfrage, das Problem der deutschen
Teilung und über neuen/alten Faschismus (wer hat schon jemals über
die 2. Weltkriegslüge nachgedacht?) stoßen bei den Fahrgästen
auf ungeteiltes Interesse; so viel Fensterscheiben gibt es gar nicht,
um pikiert hinauszustarren, meine Herrschaften. Man denkt mit Wehmut an
den Rockerterror in den Städten anderer Länder, als LSD endlich
die Bahn verläßt.
LSD ist noch lange nicht fertig mit der Welt, nach dem kleinen Vorgeplänkel
ist er erst richtig in Fahrt gekommen. Ein ausgedehnter Schluck aus der
Apfelkornflasche, dann bringt er die Sportpalast-Rede von Goebbels in
Originalton zu Gehör und nur mit Mühe kann er davon abgehalten
werden, Vater Kittner, der uns die Tür öffnet, mit "Heil
Kittner" zu begrüßen. Im Flur des Hauses liegen Bierflaschen
und ihre Besitzer, die Garderobe sieht aus wie ein Stand auf der Offenbacher
Lederwarenmesse, nachdem die Maler da waren.
Wir bahnen uns den Weg ins obere Stockwerk, an den Wänden großformatige
Arbeiten engagierter Künstler, alle unter Glas, einige jedenfalls
noch. (Im Laufe des Abends fiel dann leider ein Werk, mit dem bezeichnenden
Titel "die Revolution" von der Wand, was Herrn Kittner derart
erboste, daß er einige grundsätzliche Überlegungen zu
Fragen des persönlichen Eigentums, der antiautoritären Erziehung
und des daraus resultierenden asozialen Verhaltens anstellte.)
Im ehemaligen Kinderzimmer tobt das Chaos, inszeniert von einer Schar
begabter, junger Laienschauspieler. Es tritt auf der geniale Face, wie
immer, wenn ich ihn sehe, in seinem abgetragenen Wintermantel. Angeblich
schafft er, einen halben Kasten Bier in den riesen Taschen unterzubringen,
die andere Hälfte scheint er schon intus zu haben.
Angewidert steht er vor einer weißen Wand, eine kurze Überlegung,
denn plaziert er eine Portion Pommes Frites mit Ketchup in die obere Ecke
des jungfräulichen Weiß. Ein prüfender Blick, ein befriedigtes
Kopfnicken, er wendet sich ab. Es gibt noch viel zu tun heute abend und
dem Gastgeber ist sowieso schon wieder alles egal.
Im Badezimmer lerne ich den Sänger der KONDENSATORS kennen, sein
unmenschliches Grinsen und seine etwas unartikulierte Aussprache haben
ihm den Namen WERWOLF eingetragen. Neben ihm in der Badewanne liegt sein
Weibchen.
Keine Schönheit zwar, aber wohl doch willig. Die zarte Idylle wird
allerdings vom Blitzkrieg Gitarristen (WIXER, der Zahnlose) entschieden
gestört, der eine Mischung aus Pernod-Cola und Geflügelinhalt
loswerden muß und sich mit samt Mageninhalt kopfüber zu dem
Liebespärchen gesellt.
Überhaupt ist dieser heilige Ort der Familienhygiene schon zur Genüge
entweiht, Vergleiche zu gewissen Laurel& Hardy-Szenen drängen
sich dem Betrachter unwillkürlich auf.
Der Kriegsberichterstatter begibt sich nun ins nächste Zimmer, wo
bereits die übliche Schlacht zwischen den Avantgardisten und den,
diesen neuen Tönen nicht so aufgeschlossenen Sex Pistols-Fans tobt.
Leidtragender, wie so oft, der Plattenspieler und die zugehörigen
Tonträger. Notgedrungen einigt man sich bei einer Flasche W/odka
auf den schrammelnden Cassetten-Recorder.
Nun gut, die Orgie hat Klasse, m e h r jedenfalls als die eines Mick Jaggers
(der alte Furz). Leider ist es Herrn Kittner nicht möglich, in solchen
Kategorien zu denken. Und so wird Junior wieder einmal das nächste
halbe Jahr allabendlich an der Garderobe stehen und all die Parkas und
Cordjackets der TAB (Theater an der Bult)-Besucher auf Bügel hängen.
So ein Badezimmer kostet schließlich etwas ("Achte das Eigentum,
mein Sohn") und vergessen wir nicht die demolierte "Revolution".
Der Punk
Carsten ist wieder durch. Er lehnt an einer Mauer, die Hände in seiner
lädierten Lederjacke vergraben. Das Geschehen auf dem Flohmarkt interessiert
ihn nicht. Nur die Frühlingssonne stört ihn, bald wird es zu
heiß sein, um noch die Lederjacke tragen zu können.
Auf der Szene ist man sich einig, daß Carsten der schönste
Punk Hannovers ist. Blonde, kurze Haare, hochgestrubbelt, hinten länger,
seine Klamotten sind sein Markenzeichen: zerschlissene T-Shirts, im Winter
drei übereinander, spitze Lederstiefel, enge, schwarze Hosen. Absolut
unnahbar, cool.
Einfache Kids, junge Mitläufer, würden niemals wagen, ihn anzusprechen.
Carsten steht ganz oben in der Szenen-Hierachie, er war von Anfang an
dabei.
Das typische Punk-Pöbel-Verhallen hat er nie nötig gehabt, um
beachtet zu werden, er ist im Gegenteil ruhig und freundlich, wenn man
mit ihm spricht, ausfallend wird er nie.
Carsten hat wirklich Stil, die Pose ist echt, er hat sich nicht daran
orientiert, was man macht, trägt, hört.
Vor einem halben Jahr hatte er einen Auftritt mit ROSA, leider kippte
er schon beim ersten Stück vom Schlagzeughocker. aber nicht einmal
das wirkte peinlich.
Es wird Zeit, sich Geld für einen halben Lindener zusammenzupumpen.
"Haste nicht mal paar Groschen übrig?" Das junge Mädchen
kramt verlegen in ihrer Umhängetasche, gibt ihm aber anstandslos
ein Markstück. Carsten grinst sie nur an, zuckt entschuldigend mit
den Achseln und wendet sich ab in Richtung Trinkhalle.
Das muß eben sein, der Lindener am Morgen.
Die letzte Nacht hat er zum ersten Mal seit einer Woche wieder in den
eigener vier Wänden geschlafen. Freunde haben ihn dorthin getragen.
Denn allein schafft er den weiten Weg meistens nicht, zuviel Drogen, egal,
schlafen kann man überall und die Wohnung ist sowieso ein Schlachtfeld.
Irgendwer hat eine Fete bei ihm gemacht. Wenigstens hats das Meerschweinchen
überlebt. Der Boden der Wohnung ist übersät mit Zeitschriften,
Büchern, kaputten Flaschen und den Einzelheiten eines altdeutschen
Schranks, aber der hat sowieso dem Vermieter gehört.
Strom und Gas sind schon wieder abgestellt, die fälligen Rechnungen
hat er nur die Wintermonate über gezahlt. Genauso wie die Miete.
Wer nichts besitzt, dem kann man auch nichts fänden, schon gar nicht
irgendein festes Einkommen. Nur ab und zu schicken die mitleidigen Eltern
einen Scheck.
Der Tag hat 24 Stunden. Ansonsten Egal!
Das Konzert
Ein echtes Punk-Konzert gliedert sich immer in ein Ganz-Vorher, ein Vorher,
ein Nachher und ein böses Ende.
Ich hatte von Wixer erfahren, daß es BLITZKRIEG wieder einmal gelungen
war, einen Auftritt in den Stadtgrenzen von Hannover zu organisieren.
Und zwar in einer kleinen Hinterhof-Galerie, irgendwo zwischen Christus-
und Lutherkirche. Als Vorgruppe war DEUTSCHLAND eingeplant.
Das Ganz-Vorher besteht im Üben. Zu diesem Zweck muß man sich
als Gruppe notgedrungen zusammenfinden. Das klingt auf den ersten Blick
banal, aber schwierig wird's, wenn man sich gar nicht mehr so leiden kann,
zumal Bärbel, der Schlagzeuger (jetzt im Rock'a'Billy-Look, obwohl
ihm an einer richtigen Tolle, doch schon ein wenig die Haare fehlen) die
Bandkasse bis auf 12 DM versoffen hat, was natürlich bei weitem nicht
ausreicht, die lang ersehnte Platte pressen zu lassen, Bassist und Gitarrist
schwerwiegende musikalische Differenzen haben (nämlich, wer wessen
Stücke spielt), und der Sängerin die ganze Scheiße egal
ist, weil sie jetzt nen Rocker zum Freund hat.
Das andere Problem ist die leidige Technik, die guten, alten Röhrenverstärker
sind auch nicht mehr das, was sie nie waren.
Das Vorher ist dann Sache der Fans, wer's nötig hat, wirft sich in
Schale oder ändert schnell noch die Haarfarbe. Als ich mich dem Veranstaltungsort
nähere, hab ich sofort das Gefühl, daß sich in diesem
Stadtteil die Bevölkerungsstruktur entscheidend geändert hat,
denn wo sind die Studenten, Müslis und Alternativen, die sonst die
Straßen bevölkern?
Stattdessen Punx, genauso malerisch wie auf den Photos in den Illustrierten.
Eine ganze Traube von ihnen umlagert den Kiosk, dessen Besitzerin sich
bereits in einem stark erregten Zustand befindet da die leeren Pfandflaschen
nicht zurückgegeben werden, sondern irgendwo auf der Straße
zerschellen. Hier treffe ich auch Hutflash, den Gitarristen von DEUTSCHLAND,
allerdings will der kein Bier, sondern Eismoritze, Nougatwürtel und
ähnliche Leckereien, denn die Deutschländer verabscheuen Alkohol.
(Trotzdem wissen sie mehr über Drogenmißbrauch als so mancher
Freak.)
Die Gruppe kokettiert überhaupt so ein bißchen mit ihrem Law&Order-Appeal
(man beachte auch die kleinen Deutschlandfähnchen an ihren Revers).
Hutflash erzählt mir, als ich ihn darauf anspreche, wie sie zu einer
Anti-Faschisten-Demonstration in Hildesheim wollten, per Anhalter, und
prompt ein Wagen hielt, besetzt mit zwei jungen Nationaldemokraten in
Uniform und wie gut sie sich auf der Fahrt verstanden hätten, so
politisch; so gut, daß sie eine Einladung zum Landesparteitag erhalten
hätten. In Hildesheim sind sie natürlich nicht bis zum Demonstrationsort
gekommen, sondern in der nächstgelegenen Spielhalle hängengeblieben,
und sie haben Zigarren geraucht und Zimtkaugummi gegessen bis es dunkel
wurde. Sie sagen selbst, daß sie verrückt sind und das Verrücktsein
ist ihre Antwort auf den Vulgär-Anarchismus vieler Punx.
Vom Mittendrin bis zum Nachher: Punk-Konzerte einheimischer Combos sind
selbst für Punks einigermaßen langweilig geworden, daß
soll nicht heißen, die Gruppen wären schlechter geworden, im
Gegenteil: Blitzkrieg ist besser denn je, bloß ... irgendwie ist
die Luft raus. Die wenigsten wollen sich noch aufraffen, Pogo zu tanzen,
außerdem macht skanten sowieso mehr Spaß. Also hat man neue
Spiele erfunden. Natürlich zunächst einmal das alte Sehen-Und-Gesehen-Spiel.
Wichtiger aber ist das Sich-Treffen-Und-Zusammenrumstehen-Spiel. Saufen,
rauchen, reden, ne Menge Punx sein und eventuell ein bißchen Krawall
machen. Anders ist es wohl kaum zu erklären, daß selbst Berliner,
Braunschweiger, Bremer den langen Weg nach Hannover angetreten haben,
nur um Blitzkrieg zu hören, um dann den Heimweg anzutreten. Aber
jeder kennt üben jeden, dieses "wir sind alle eine große
Familie" Gefühl existiert immer noch.
Die veranstaltenden Galeristen haben damit natürlich nicht gerechnet
und sind herbe enttäuscht bis schließlich völlig entnervt,
daß draußen mehr Leute rumstehen und mehr Spaß haben
als drinnen.
Denn die Späße der Punx sind ihnen, bei allem Verständnis,
doch etwas rüde, auf Häuserdächern rumklettern und die
besondere Vorliebe für Berge von Glasscherben, nicht zu vergessen
die vielen, mehr oder weniger intelligenten Sprüche auf allen erreichbaren
Flächen, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, daß man
etwas erkennen kann.
Der krönende Abschluß eines 1980er Punk-Konzerts ist das gewohnt
böse Ende mit Polizeigroßeinsatz, Personalienfeststellung,
Anzeige.
Jemand hatte einen Blumentopf in die gute Stube einer hannoverschen Durchschnittsfamilie
geworfen. "Das ist Punk, Alter!" wie die Hamburger Kids sagen.
Langeweile und so
Wo trifft man denn nun die Symbolfiguren des hannoverschen New/No Wave,
des Nicht-Punks?
Das hab ich mich auch gefragt, bis ich eines Tages, besser eines Nachts
in dieses scheußliche Cafe Tabac geriet und dort auf einen Haufen
betrunkener Durchschnittstwens stieß, allerdings auf den zweiten
Blick hatten sie doch etwas Besonderes an sich, denn sie randalierten
und pöbelten mit einem Selbstverständnis, daß nur wahren
Genies gut ansteht.
Die anwesenden
Langweiler mit ihren Zweierkisten-Capucchino-Gesprächen bildeten
genau die richtige Kulisse, für eine echte 39 Clocks-Performance,
irgendwer will schließlich immer geschockt sein.
Die CLOCKS haben eine lange Nicht-Karriere hinter sich, sie reicht von
diversen Versuchen als Prä-bis-Post-Punk Bands, immer unter wechselnden
Namen, bis zur derzeitigen Formation als Psycho-Beat Duo.
Ihre Auftritte sind unter Eingeweihten Legende. Bei der DOCUMENTA wies
ihnen Joseph Beuys persönlich die Tür, nachdem ihre Musik seine
schöne Abschiedsrede bereits im Ansatz erstickt hatte.
Oder ein Auftritt in einem hannoverschen Folk-Lokal, wo sie als Country
& Western Gruppe firmierten, und schon nach den ersten Takten vor
einer Horde Freizeitcowboys, natürlich in voller Kriegsbemalung,
einschließlich Patronengurt und Stetson, fliehen mußten.
Andere Auftritte sind nicht weniger sagenumwittert, immer wieder Krawall
und Chaos.
Die 39 CLOCKS lieben es, sich photographieren zu lassen, mit Vorliebe
vor den Errungenschaften unserer Zivilisation, Glas und Beton, schwarz-weiß
in großartigen Posen. Man muß sich diese Aufnahmen zu ihrer
Musik ansehen, dann weiß man, daß Rotzkotz Rock'n'Roll Greise
sind.
Ob die CLOCKS was auszusagen haben, ...?
Es sind starke Photos, die sie gemacht haben.
Moderne Menschen
Die Fred Banana Combo hat ihren letzten Set im Leinedomicil beendet, Ziggy
XY geht zur Theke, beugt sich über den Thresen, sagt etwas zu dem
Zapfer. Der hat's in dem Lärm nicht richtig verstanden, nur soviel,
daß es keine Bestellung war und andere Sachen interessieren ihn
im Augenblick nicht sonderlich. Ziggy versucht es nochmal, diesmal lauter:
"Kannst Du mal nachsehen, wieviel Platten ihr von uns verkauft habt?"
Der Zapfer
reagiert sichtlich ungehalten, nimmt irgendwo aus einem Fach vier Platten,
sagt.,,Keine." Ziggy glaubt, nicht richtig zu hören, denn wenn
man fünf Platten abliefert, keine verkauft, können nicht ohne
weiteres vier übrigbleiben. Man sollte annehmen, daß dieser
Argumentation eine gewisse Logik zugrunde liegt. Also steht Ziggy in seinem
Uralt-Jacket da, sieht den hemdsärmeligen Fettsack hinter der Theke
durch seine Krankenkassenbrille ruhig und freundlich an, während
der ihm im Brustton der Überzeugung erklärt, daß er sich
genau daran erinnern kann, keine Platte von der MODERNE MAN verkauft zu
haben. Andererseits ist es ihm auch nicht möglich, Auskunft über
den Verbleib der fünften Platte zu geben, aber eigentlich ist ihm
das auch herzlich egal, das ist sein Laden und in diesem Laden interessiert
sich keiner besonders für eine Single des MODERNEN MANS.
Ziggy wendet sich kopfschüttelnd ab, er hat's wirklich nicht nötig,
jedem Bierschwemmenbesitzer in den Arsch zu kriechen.
Und wenn die Plattenverkäufe nicht gleich in die Tausende gehen,
dann lasse man sich eben zur Kult-Band erklären. Lasse dir huldigen,
huldige vor allem Dir selbst.
Denn Du hast es geschafft, von denen anerkannt zu werden, auf die es ankommt.
Du hast die Sachen gemacht, auf die es ankommt. Eine Platte in Selbstproduktion
aufnehmen, sie selbst vertreiben und dafür auch noch genügend
Käufer finden. Der MODERNE MAN ist im Ausland aufgetreten, Ziggy
XY ist im Land berühmt für seine exaltierte Bühnenshow
und davon träumt doch jede Schülerband in ihrem Übungskeller.
Vor ein paar Jahren wäre das alles nicht möglich gewesen, aber
jetzt im Zeichen der Neuen Deutschen Welle, wo eine Platte (und sei es
auch in noch so kleinen Auflagen) schon fast unerläßliches
Statussymbol ist, wo andererseits aber auch ein ganz neues Musikerselbstverständnis
entstanden ist, kann es sich Ziggy XY leisten, solche Sachen zu sagen,
wie: Soloprojekte verwirklichen und so etwas, ohne lächerlich zu
wirken. Alles ist hier und jetzt möglich, wenn man nur fest an sich
glaubt.
Affenhaus
Die Mutter nimmt ihre Tochter fester an die Hand, man hat ja schon davon
gehört, daß es "die" geben soll, doch ausgerechnet
hier und dann noch am Samstagnachmittag, wo Papi zum krönenden Abschluß
des Familienspaziergangs den Kindern gerade ein Waldmeistereis kauft.
Der Typ im Schlafanzug unter der Lederjacke flankt über den Zaun,
der Student im Kassenhäuschen tut so, als hätte er nichts gesehen,
denn der im Pyjama ist nicht allein.
Punks im Zoo. Da gehören sie auch hin, hinter Gittern, zu den Affen
am besten. In der Ecke der Zoogaststätte steht einer von denen, die
im Zoo das Sagen haben und rauft sich die übriggebliebenen Haare.
"Nein, das hab' ich nicht gewollt!" Denn statt der erwarteten
Reggae-Gruppe, die das Publikum mit heiteren karibischen Rhythmen unterhalten
sollte, macht sich gerade die hannoversche Punk-Rock Gruppe P 38 daran,
ihren Hammerhit "Hey, ihr Müsliwichser" zu intonieren.
Und vor dem Lkw, auf dem die Gruppe spielt, stehen Punks, Teds, Mods friedlich
vereint, trinken Unmengen von Büchsenbier und können es auch
nicht recht fassen, wie sie hierhergeraten sind.
Die Tiere tragen es mit Fassung, die Kids sind begeistert und als dann
auch noch die englische Band The NAMES auftritt, hat die Stimmung ihren
wohlverdienten Höhepunkt erreicht. Leider spielt das Wetter nicht
mit, ein fürchterliches Gewitter beginnt, alles rettet sich in die
schützende Gaststätte, voran die Mods, die ihre Anzüge
in Sicherheit bringen.
Drinnen ist
es trocken und es steht noch soviel auf den Tischen, was man gut noch
essen könnte: Ne halbe Frikadelle mit einer Andeutung von Mischgemüse
als Beilage, matschige Pommes frites, wahlweise mit Mayo oder Ketchup.
Der Ober hat auch keinen Ärger mit Bestellungen, Bier haben sie alle
selber mitgebracht. Und so lecken die Punks die Teller ab, während
die Teds jedem versichern, der es hören will, daß sie absolut
nichts gegen Punks gehabt hätten, im Gegenteil.
Nur für eine junge Dame im weißen Glockenmantel und hochrotem
Kopf ist die Welt nicht mehr in Ordnung, hat doch irgendwer die Damen/Herren-Schildchen
vertauscht und so sah sie sich plötzlich unverhofft mit einem offenen
Hosenschlitz konfrontiert, aber sonst ist alles klar.
Und am nächsten Samstag im Zoo wird ein Streichquartett beliebte
Melodien zum Vortrag bringen.
(Quelle: Neon 6, 7/80, Hannover - auch veröffentlicht in Paul
Ott/Hollow Skai (Hg.) Wir waren Helden für einen Tag. Aus deutschsprachigen
Punk-Fanzines 1977-1981, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Januar 1983)
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