 
      Alles, was Sie schon immer über Punk wissen wollten
      (BUT WERE AFRAID TO ASK)  
        VON KLAUS ABELMANN 
      Die Party 
        Votze schmeißt 'ne Destruktiv-Party. Im Elternhaus. Und man ist 
        zu diesem einmaligen subkulturellen Ereignis geladen. Niemand läßt 
        sich die Show entgehen: Die vulgär-Avantgardisten von JULIA und ROSA 
        werden kommen, die Politicos, die Sympathicos und natürlich die '77er 
        Hardcore Kids. 
        Votzes Parties sind legendär, Votze selber ist legendär. Wohlgemerkt: 
        Votze ist ein ER, nebenberuflich Bassist der hannoverschen Punk-Gruppe 
        KONDENSATORS. Angeblich gibt es diesmal sogar einen konkreten Anlaß 
        für die Festivität, Votzes Freundin "das Schwein", 
        wohlgemerkt nicht etwa "die Sau", ist mal wieder älter 
        geworden. Aber das kümmert keinen, wie "die aussieht". 
        Konrad, so der Taufname unseres charmanten Gastgebers, ist beileibe kein 
        gewöhnlicher Sterblicher. Sein Familienname wird in linken Kreisen 
        mit Ehrfurcht geraunt: KITTNER! Genau, der Salon-Bolschewist! 
        Und dorthin will mich LSD, seines Zeichens Underground-Poet, ROSA-Gitarrist 
        und Hannovers größter Lou Reed Verehrer, führen. 
        Als ich am Hauptbahnhof eintreffe, ist er gerade dabei, nach kleinen Punx 
        der 3. Generation zu treten, die versuchen, neben ihm stehen zu dürfen. 
        LSD ist wirklich großartig, denn er glaubt an sich und sein Genie. 
        Und er kann aussehen: Groß, schlank, seine schwarzen Haare fallen 
        ihm ins Gesicht. In seinen besten Momenten umgibt ihn diese Aura von Verderben 
        und Perversität, dann ist er, in New York, in einem dieser schmuddeligen 
        Hotelzimmer, das Neonlicht flackert draußen an der Fassade, eine 
        Frau liegt weinend zu seinen Füßen; er sagt zu ihr: Ich bin 
        nicht deine Samenpumpe und liest weiter in seiner De Sade-Gesamtausgabe. 
        Im Augenblick geht ihm jedoch diese Coolness etwas verloren, der Alkohol 
        hat seine Wirkung getan. 
        Wir steigen in die Straßenbahn, LSD liebt das Straßenbahnfahren. 
        Denn dort findet er ein Publikum für seine ONE MAN SHOWS, das seinen 
        Attacken wehrlos ausgeliefert ist. Seine provokanten Ausführungen 
        über die Endlösung der Gastarbeiterfrage, das Problem der deutschen 
        Teilung und über neuen/alten Faschismus (wer hat schon jemals über 
        die 2. Weltkriegslüge nachgedacht?) stoßen bei den Fahrgästen 
        auf ungeteiltes Interesse; so viel Fensterscheiben gibt es gar nicht, 
        um pikiert hinauszustarren, meine Herrschaften. Man denkt mit Wehmut an 
        den Rockerterror in den Städten anderer Länder, als LSD endlich 
        die Bahn verläßt. 
        LSD ist noch lange nicht fertig mit der Welt, nach dem kleinen Vorgeplänkel 
        ist er erst richtig in Fahrt gekommen. Ein ausgedehnter Schluck aus der 
        Apfelkornflasche, dann bringt er die Sportpalast-Rede von Goebbels in 
        Originalton zu Gehör und nur mit Mühe kann er davon abgehalten 
        werden, Vater Kittner, der uns die Tür öffnet, mit "Heil 
        Kittner" zu begrüßen. Im Flur des Hauses liegen Bierflaschen 
        und ihre Besitzer, die Garderobe sieht aus wie ein Stand auf der Offenbacher 
        Lederwarenmesse, nachdem die Maler da waren. 
        Wir bahnen uns den Weg ins obere Stockwerk, an den Wänden großformatige 
        Arbeiten engagierter Künstler, alle unter Glas, einige jedenfalls 
        noch. (Im Laufe des Abends fiel dann leider ein Werk, mit dem bezeichnenden 
        Titel "die Revolution" von der Wand, was Herrn Kittner derart 
        erboste, daß er einige grundsätzliche Überlegungen zu 
        Fragen des persönlichen Eigentums, der antiautoritären Erziehung 
        und des daraus resultierenden asozialen Verhaltens anstellte.) 
        Im ehemaligen Kinderzimmer tobt das Chaos, inszeniert von einer Schar 
        begabter, junger Laienschauspieler. Es tritt auf der geniale Face, wie 
        immer, wenn ich ihn sehe, in seinem abgetragenen Wintermantel. Angeblich 
        schafft er, einen halben Kasten Bier in den riesen Taschen unterzubringen, 
        die andere Hälfte scheint er schon intus zu haben. 
        Angewidert steht er vor einer weißen Wand, eine kurze Überlegung, 
        denn plaziert er eine Portion Pommes Frites mit Ketchup in die obere Ecke 
        des jungfräulichen Weiß. Ein prüfender Blick, ein befriedigtes 
        Kopfnicken, er wendet sich ab. Es gibt noch viel zu tun heute abend und 
        dem Gastgeber ist sowieso schon wieder alles egal. 
        Im Badezimmer lerne ich den Sänger der KONDENSATORS kennen, sein 
        unmenschliches Grinsen und seine etwas unartikulierte Aussprache haben 
        ihm den Namen WERWOLF eingetragen. Neben ihm in der Badewanne liegt sein 
        Weibchen. 
        Keine Schönheit zwar, aber wohl doch willig. Die zarte Idylle wird 
        allerdings vom Blitzkrieg Gitarristen (WIXER, der Zahnlose) entschieden 
        gestört, der eine Mischung aus Pernod-Cola und Geflügelinhalt 
        loswerden muß und sich mit samt Mageninhalt kopfüber zu dem 
        Liebespärchen gesellt. 
        Überhaupt ist dieser heilige Ort der Familienhygiene schon zur Genüge 
        entweiht, Vergleiche zu gewissen Laurel& Hardy-Szenen drängen 
        sich dem Betrachter unwillkürlich auf. 
        Der Kriegsberichterstatter begibt sich nun ins nächste Zimmer, wo 
        bereits die übliche Schlacht zwischen den Avantgardisten und den, 
        diesen neuen Tönen nicht so aufgeschlossenen Sex Pistols-Fans tobt. 
        Leidtragender, wie so oft, der Plattenspieler und die zugehörigen 
        Tonträger. Notgedrungen einigt man sich bei einer Flasche W/odka 
        auf den schrammelnden Cassetten-Recorder. 
        Nun gut, die Orgie hat Klasse, m e h r jedenfalls als die eines Mick Jaggers 
        (der alte Furz). Leider ist es Herrn Kittner nicht möglich, in solchen 
        Kategorien zu denken. Und so wird Junior wieder einmal das nächste 
        halbe Jahr allabendlich an der Garderobe stehen und all die Parkas und 
        Cordjackets der TAB (Theater an der Bult)-Besucher auf Bügel hängen. 
        So ein Badezimmer kostet schließlich etwas ("Achte das Eigentum, 
        mein Sohn") und vergessen wir nicht die demolierte "Revolution". 
      Der Punk 
        Carsten ist wieder durch. Er lehnt an einer Mauer, die Hände in seiner 
        lädierten Lederjacke vergraben. Das Geschehen auf dem Flohmarkt interessiert 
        ihn nicht. Nur die Frühlingssonne stört ihn, bald wird es zu 
        heiß sein, um noch die Lederjacke tragen zu können. 
        Auf der Szene ist man sich einig, daß Carsten der schönste 
        Punk Hannovers ist. Blonde, kurze Haare, hochgestrubbelt, hinten länger, 
        seine Klamotten sind sein Markenzeichen: zerschlissene T-Shirts, im Winter 
        drei übereinander, spitze Lederstiefel, enge, schwarze Hosen. Absolut 
        unnahbar, cool. 
        Einfache Kids, junge Mitläufer, würden niemals wagen, ihn anzusprechen. 
        Carsten steht ganz oben in der Szenen-Hierachie, er war von Anfang an 
        dabei. 
        Das typische Punk-Pöbel-Verhallen hat er nie nötig gehabt, um 
        beachtet zu werden, er ist im Gegenteil ruhig und freundlich, wenn man 
        mit ihm spricht, ausfallend wird er nie. 
        Carsten hat wirklich Stil, die Pose ist echt, er hat sich nicht daran 
        orientiert, was man macht, trägt, hört. 
        Vor einem halben Jahr hatte er einen Auftritt mit ROSA, leider kippte 
        er schon beim ersten Stück vom Schlagzeughocker. aber nicht einmal 
        das wirkte peinlich. 
        Es wird Zeit, sich Geld für einen halben Lindener zusammenzupumpen. 
        "Haste nicht mal paar Groschen übrig?" Das junge Mädchen 
        kramt verlegen in ihrer Umhängetasche, gibt ihm aber anstandslos 
        ein Markstück. Carsten grinst sie nur an, zuckt entschuldigend mit 
        den Achseln und wendet sich ab in Richtung Trinkhalle. 
        Das muß eben sein, der Lindener am Morgen. 
        Die letzte Nacht hat er zum ersten Mal seit einer Woche wieder in den 
        eigener vier Wänden geschlafen. Freunde haben ihn dorthin getragen. 
        Denn allein schafft er den weiten Weg meistens nicht, zuviel Drogen, egal, 
        schlafen kann man überall und die Wohnung ist sowieso ein Schlachtfeld. 
        Irgendwer hat eine Fete bei ihm gemacht. Wenigstens hats das Meerschweinchen 
        überlebt. Der Boden der Wohnung ist übersät mit Zeitschriften, 
        Büchern, kaputten Flaschen und den Einzelheiten eines altdeutschen 
        Schranks, aber der hat sowieso dem Vermieter gehört. 
        Strom und Gas sind schon wieder abgestellt, die fälligen Rechnungen 
        hat er nur die Wintermonate über gezahlt. Genauso wie die Miete. 
        Wer nichts besitzt, dem kann man auch nichts fänden, schon gar nicht 
        irgendein festes Einkommen. Nur ab und zu schicken die mitleidigen Eltern 
        einen Scheck. 
        Der Tag hat 24 Stunden. Ansonsten Egal! 
      Das Konzert 
        Ein echtes Punk-Konzert gliedert sich immer in ein Ganz-Vorher, ein Vorher, 
        ein Nachher und ein böses Ende. 
        Ich hatte von Wixer erfahren, daß es BLITZKRIEG wieder einmal gelungen 
        war, einen Auftritt in den Stadtgrenzen von Hannover zu organisieren. 
        Und zwar in einer kleinen Hinterhof-Galerie, irgendwo zwischen Christus- 
        und Lutherkirche. Als Vorgruppe war DEUTSCHLAND eingeplant. 
          
        Das Ganz-Vorher besteht im Üben. Zu diesem Zweck muß man sich 
        als Gruppe notgedrungen zusammenfinden. Das klingt auf den ersten Blick 
        banal, aber schwierig wird's, wenn man sich gar nicht mehr so leiden kann, 
        zumal Bärbel, der Schlagzeuger (jetzt im Rock'a'Billy-Look, obwohl 
        ihm an einer richtigen Tolle, doch schon ein wenig die Haare fehlen) die 
        Bandkasse bis auf 12 DM versoffen hat, was natürlich bei weitem nicht 
        ausreicht, die lang ersehnte Platte pressen zu lassen, Bassist und Gitarrist 
        schwerwiegende musikalische Differenzen haben (nämlich, wer wessen 
        Stücke spielt), und der Sängerin die ganze Scheiße egal 
        ist, weil sie jetzt nen Rocker zum Freund hat. 
        Das andere Problem ist die leidige Technik, die guten, alten Röhrenverstärker 
        sind auch nicht mehr das, was sie nie waren. 
        Das Vorher ist dann Sache der Fans, wer's nötig hat, wirft sich in 
        Schale oder ändert schnell noch die Haarfarbe. Als ich mich dem Veranstaltungsort 
        nähere, hab ich sofort das Gefühl, daß sich in diesem 
        Stadtteil die Bevölkerungsstruktur entscheidend geändert hat, 
        denn wo sind die Studenten, Müslis und Alternativen, die sonst die 
        Straßen bevölkern? 
        Stattdessen Punx, genauso malerisch wie auf den Photos in den Illustrierten. 
        Eine ganze Traube von ihnen umlagert den Kiosk, dessen Besitzerin sich 
        bereits in einem stark erregten Zustand befindet da die leeren Pfandflaschen 
        nicht zurückgegeben werden, sondern irgendwo auf der Straße 
        zerschellen. Hier treffe ich auch Hutflash, den Gitarristen von DEUTSCHLAND, 
        allerdings will der kein Bier, sondern Eismoritze, Nougatwürtel und 
        ähnliche Leckereien, denn die Deutschländer verabscheuen Alkohol. 
        (Trotzdem wissen sie mehr über Drogenmißbrauch als so mancher 
        Freak.) 
        Die Gruppe kokettiert überhaupt so ein bißchen mit ihrem Law&Order-Appeal 
        (man beachte auch die kleinen Deutschlandfähnchen an ihren Revers). 
        Hutflash erzählt mir, als ich ihn darauf anspreche, wie sie zu einer 
        Anti-Faschisten-Demonstration in Hildesheim wollten, per Anhalter, und 
        prompt ein Wagen hielt, besetzt mit zwei jungen Nationaldemokraten in 
        Uniform und wie gut sie sich auf der Fahrt verstanden hätten, so 
        politisch; so gut, daß sie eine Einladung zum Landesparteitag erhalten 
        hätten. In Hildesheim sind sie natürlich nicht bis zum Demonstrationsort 
        gekommen, sondern in der nächstgelegenen Spielhalle hängengeblieben, 
        und sie haben Zigarren geraucht und Zimtkaugummi gegessen bis es dunkel 
        wurde. Sie sagen selbst, daß sie verrückt sind und das Verrücktsein 
        ist ihre Antwort auf den Vulgär-Anarchismus vieler Punx. 
        Vom Mittendrin bis zum Nachher: Punk-Konzerte einheimischer Combos sind 
        selbst für Punks einigermaßen langweilig geworden, daß 
        soll nicht heißen, die Gruppen wären schlechter geworden, im 
        Gegenteil: Blitzkrieg ist besser denn je, bloß ... irgendwie ist 
        die Luft raus. Die wenigsten wollen sich noch aufraffen, Pogo zu tanzen, 
        außerdem macht skanten sowieso mehr Spaß. Also hat man neue 
        Spiele erfunden. Natürlich zunächst einmal das alte Sehen-Und-Gesehen-Spiel. 
          
        Wichtiger aber ist das Sich-Treffen-Und-Zusammenrumstehen-Spiel. Saufen, 
        rauchen, reden, ne Menge Punx sein und eventuell ein bißchen Krawall 
        machen. Anders ist es wohl kaum zu erklären, daß selbst Berliner, 
        Braunschweiger, Bremer den langen Weg nach Hannover angetreten haben, 
        nur um Blitzkrieg zu hören, um dann den Heimweg anzutreten. Aber 
        jeder kennt üben jeden, dieses "wir sind alle eine große 
        Familie" Gefühl existiert immer noch. 
        Die veranstaltenden Galeristen haben damit natürlich nicht gerechnet 
        und sind herbe enttäuscht bis schließlich völlig entnervt, 
        daß draußen mehr Leute rumstehen und mehr Spaß haben 
        als drinnen. 
        Denn die Späße der Punx sind ihnen, bei allem Verständnis, 
        doch etwas rüde, auf Häuserdächern rumklettern und die 
        besondere Vorliebe für Berge von Glasscherben, nicht zu vergessen 
        die vielen, mehr oder weniger intelligenten Sprüche auf allen erreichbaren 
        Flächen, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, daß man 
        etwas erkennen kann. 
        Der krönende Abschluß eines 1980er Punk-Konzerts ist das gewohnt 
        böse Ende mit Polizeigroßeinsatz, Personalienfeststellung, 
        Anzeige. 
        Jemand hatte einen Blumentopf in die gute Stube einer hannoverschen Durchschnittsfamilie 
        geworfen. "Das ist Punk, Alter!" wie die Hamburger Kids sagen. 
      Langeweile und so 
        Wo trifft man denn nun die Symbolfiguren des hannoverschen New/No Wave, 
        des Nicht-Punks? 
        Das hab ich mich auch gefragt, bis ich eines Tages, besser eines Nachts 
        in dieses scheußliche Cafe Tabac geriet und dort auf einen Haufen 
        betrunkener Durchschnittstwens stieß, allerdings auf den zweiten 
        Blick hatten sie doch etwas Besonderes an sich, denn sie randalierten 
        und pöbelten mit einem Selbstverständnis, daß nur wahren 
        Genies gut ansteht. 
         Die anwesenden 
        Langweiler mit ihren Zweierkisten-Capucchino-Gesprächen bildeten 
        genau die richtige Kulisse, für eine echte 39 Clocks-Performance, 
        irgendwer will schließlich immer geschockt sein. 
        Die CLOCKS haben eine lange Nicht-Karriere hinter sich, sie reicht von 
        diversen Versuchen als Prä-bis-Post-Punk Bands, immer unter wechselnden 
        Namen, bis zur derzeitigen Formation als Psycho-Beat Duo. 
        Ihre Auftritte sind unter Eingeweihten Legende. Bei der DOCUMENTA wies 
        ihnen Joseph Beuys persönlich die Tür, nachdem ihre Musik seine 
        schöne Abschiedsrede bereits im Ansatz erstickt hatte. 
        Oder ein Auftritt in einem hannoverschen Folk-Lokal, wo sie als Country 
        & Western Gruppe firmierten, und schon nach den ersten Takten vor 
        einer Horde Freizeitcowboys, natürlich in voller Kriegsbemalung, 
        einschließlich Patronengurt und Stetson, fliehen mußten. 
        Andere Auftritte sind nicht weniger sagenumwittert, immer wieder Krawall 
        und Chaos. 
        Die 39 CLOCKS lieben es, sich photographieren zu lassen, mit Vorliebe 
        vor den Errungenschaften unserer Zivilisation, Glas und Beton, schwarz-weiß 
        in großartigen Posen. Man muß sich diese Aufnahmen zu ihrer 
        Musik ansehen, dann weiß man, daß Rotzkotz Rock'n'Roll Greise 
        sind. 
        Ob die CLOCKS was auszusagen haben, ...? 
        Es sind starke Photos, die sie gemacht haben. 
      Moderne Menschen 
        Die Fred Banana Combo hat ihren letzten Set im Leinedomicil beendet, Ziggy 
        XY geht zur Theke, beugt sich über den Thresen, sagt etwas zu dem 
        Zapfer. Der hat's in dem Lärm nicht richtig verstanden, nur soviel, 
        daß es keine Bestellung war und andere Sachen interessieren ihn 
        im Augenblick nicht sonderlich. Ziggy versucht es nochmal, diesmal lauter: 
        "Kannst Du mal nachsehen, wieviel Platten ihr von uns verkauft habt?" 
         Der Zapfer 
        reagiert sichtlich ungehalten, nimmt irgendwo aus einem Fach vier Platten, 
        sagt.,,Keine." Ziggy glaubt, nicht richtig zu hören, denn wenn 
        man fünf Platten abliefert, keine verkauft, können nicht ohne 
        weiteres vier übrigbleiben. Man sollte annehmen, daß dieser 
        Argumentation eine gewisse Logik zugrunde liegt. Also steht Ziggy in seinem 
        Uralt-Jacket da, sieht den hemdsärmeligen Fettsack hinter der Theke 
        durch seine Krankenkassenbrille ruhig und freundlich an, während 
        der ihm im Brustton der Überzeugung erklärt, daß er sich 
        genau daran erinnern kann, keine Platte von der MODERNE MAN verkauft zu 
        haben. Andererseits ist es ihm auch nicht möglich, Auskunft über 
        den Verbleib der fünften Platte zu geben, aber eigentlich ist ihm 
        das auch herzlich egal, das ist sein Laden und in diesem Laden interessiert 
        sich keiner besonders für eine Single des MODERNEN MANS. 
        Ziggy wendet sich kopfschüttelnd ab, er hat's wirklich nicht nötig, 
        jedem Bierschwemmenbesitzer in den Arsch zu kriechen. 
        Und wenn die Plattenverkäufe nicht gleich in die Tausende gehen, 
        dann lasse man sich eben zur Kult-Band erklären. Lasse dir huldigen, 
        huldige vor allem Dir selbst. 
        Denn Du hast es geschafft, von denen anerkannt zu werden, auf die es ankommt. 
        Du hast die Sachen gemacht, auf die es ankommt. Eine Platte in Selbstproduktion 
        aufnehmen, sie selbst vertreiben und dafür auch noch genügend 
        Käufer finden. Der MODERNE MAN ist im Ausland aufgetreten, Ziggy 
        XY ist im Land berühmt für seine exaltierte Bühnenshow 
        und davon träumt doch jede Schülerband in ihrem Übungskeller. 
        Vor ein paar Jahren wäre das alles nicht möglich gewesen, aber 
        jetzt im Zeichen der Neuen Deutschen Welle, wo eine Platte (und sei es 
        auch in noch so kleinen Auflagen) schon fast unerläßliches 
        Statussymbol ist, wo andererseits aber auch ein ganz neues Musikerselbstverständnis 
        entstanden ist, kann es sich Ziggy XY leisten, solche Sachen zu sagen, 
        wie: Soloprojekte verwirklichen und so etwas, ohne lächerlich zu 
        wirken. Alles ist hier und jetzt möglich, wenn man nur fest an sich 
        glaubt. 
      Affenhaus 
        Die Mutter nimmt ihre Tochter fester an die Hand, man hat ja schon davon 
        gehört, daß es "die" geben soll, doch ausgerechnet 
        hier und dann noch am Samstagnachmittag, wo Papi zum krönenden Abschluß 
        des Familienspaziergangs den Kindern gerade ein Waldmeistereis kauft. 
        Der Typ im Schlafanzug unter der Lederjacke flankt über den Zaun, 
        der Student im Kassenhäuschen tut so, als hätte er nichts gesehen, 
        denn der im Pyjama ist nicht allein. 
        Punks im Zoo. Da gehören sie auch hin, hinter Gittern, zu den Affen 
        am besten. In der Ecke der Zoogaststätte steht einer von denen, die 
        im Zoo das Sagen haben und rauft sich die übriggebliebenen Haare. 
        "Nein, das hab' ich nicht gewollt!" Denn statt der erwarteten 
        Reggae-Gruppe, die das Publikum mit heiteren karibischen Rhythmen unterhalten 
        sollte, macht sich gerade die hannoversche Punk-Rock Gruppe P 38 daran, 
        ihren Hammerhit "Hey, ihr Müsliwichser" zu intonieren. 
        Und vor dem Lkw, auf dem die Gruppe spielt, stehen Punks, Teds, Mods friedlich 
        vereint, trinken Unmengen von Büchsenbier und können es auch 
        nicht recht fassen, wie sie hierhergeraten sind. 
        Die Tiere tragen es mit Fassung, die Kids sind begeistert und als dann 
        auch noch die englische Band The NAMES auftritt, hat die Stimmung ihren 
        wohlverdienten Höhepunkt erreicht. Leider spielt das Wetter nicht 
        mit, ein fürchterliches Gewitter beginnt, alles rettet sich in die 
        schützende Gaststätte, voran die Mods, die ihre Anzüge 
        in Sicherheit bringen. 
         Drinnen ist 
        es trocken und es steht noch soviel auf den Tischen, was man gut noch 
        essen könnte: Ne halbe Frikadelle mit einer Andeutung von Mischgemüse 
        als Beilage, matschige Pommes frites, wahlweise mit Mayo oder Ketchup. 
        Der Ober hat auch keinen Ärger mit Bestellungen, Bier haben sie alle 
        selber mitgebracht. Und so lecken die Punks die Teller ab, während 
        die Teds jedem versichern, der es hören will, daß sie absolut 
        nichts gegen Punks gehabt hätten, im Gegenteil. 
        Nur für eine junge Dame im weißen Glockenmantel und hochrotem 
        Kopf ist die Welt nicht mehr in Ordnung, hat doch irgendwer die Damen/Herren-Schildchen 
        vertauscht und so sah sie sich plötzlich unverhofft mit einem offenen 
        Hosenschlitz konfrontiert, aber sonst ist alles klar. 
        Und am nächsten Samstag im Zoo wird ein Streichquartett beliebte 
        Melodien zum Vortrag bringen. 
      (Quelle: Neon 6, 7/80, Hannover - auch veröffentlicht in Paul 
        Ott/Hollow Skai (Hg.) Wir waren Helden für einen Tag. Aus deutschsprachigen 
        Punk-Fanzines 1977-1981, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Januar 1983) 
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