Dirk S. schleimt sich an Hamburgs Härteste

SLIME
DER STAATSANWALT ALS WERBETRÄGER

"lt was on the good ship Venus,
by Christ, you should have seen us,
the figurehead was a whore in bed
and the mast a rampant penis!"
("Friggin' in the Riggin'"
The Sex Pistols)

Kurz darauf verließen die Ratten das sinkende Schiff, das sie "Punk" genannt hatten. Sie paddelten nach oben und waren auch keine Ratten mehr, sondern erklärten der Öffentlichkeit ihre subversiven Konzepte. Und im Streit um Konzepte, Moden, Posen und Revivals wurde dann auch die Frage uninteressant, ob Punk nun tot ist oder nicht; wo doch nicht mal jemand weiß, warum er je geboren wurde. War es eine von vielen Leuten gleichzeitig als notwendig empfundene Sache oder das Produkt cleverer Marktlückenfinder? Und während sich Musiker, Manager, Medien und Mitläufer darüber in den Haaren liegen, wer denn nun den modernsten, wichtigsten, intellektuellsten und verkaufsträchtigsten Denkansatz zu bieten hat, ist man sich ziemlich einig darüber, daß die verbliebenen Punks die Dummen ihrer Sorte sind, die Langsamen, die Konservativen, die es irgendwie nicht geschafft haben, sich der Entwicklung anzupassen. Geht spielen, Kinder, und macht eure Dummheiten alleine!
Insofern ist es schon einigermaßen erstaunlich, daß sich Slime aus Hamburg so ganz ohne die Unterstützung der Medien und die helfende Kraft von Anzeigen, sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit, zur beliebtesten und erfolgreichsten Hardcore-Gruppe in Deutschland entwickelt hat. Wobei "beliebt" bedeutet, daß ihr Name überdurchschnittlich oft auf die Lederjacken der Punks gemalt ist, und "erfolgreich", daß von ihrer ersten LP nach ihren Angaben bisher immerhin etwa 1000 Exemplare verkauft worden sind; von daher dürften sie einige der momentan als "wichtig" empfundenen Bands in den Schatten stellen. Eine recht entscheidende Rolle dürfte dabei die Tatsache spielen, daß Slime so authentisch englisch klingen, wie das für eine deutsche Gruppe überhaupt möglich ist. Als ich sie Anfang April bei einer Probe erlebte, spielten sie denn auch ganz nach dem Motto "Gelobt sei, was hart ist": lärmend, schnell und enorm lautstark. Die Umgebung war der Musik angemessen; der Proberaum lag in einem fensterlosen Hamburger Hochbunker, einem Überbleibsel aus dem letzten Krieg. Die zur Schalldämmung an die Wände gehängten alten Teppiche waren mit diversen Sprüchen. Zeichnungen und Autogrammen versehen, und zwischen Mengen an leeren Bierdosen hockten ein paar Punks.
"Die erste Pflicht der Musensöhne
ist, daß man sich an's Bier gewöhne!"
Plötzlich deckten sich hier Klischee und Wirklichkeit; die Wirkung war beeindruckend, wenn auch nicht auf die fröhlichste Art und Weise.

BESCHLAGNAHME
Bei der anschließenden Unterhaltung mit dem Sänger Dirk, den beiden Gitarristen Sven und Christian und dem Bassisten Michael - Schlagzeuger Stephan fehlte - ging es etwas heiterer zu. Außer, wenn sich das Gespräch auf politischem Gebiet bewegte; vor allem Dirk bemühte sich mit verbissener Ernsthaftigkeit, mir seine linksradikale Weitsicht deutlich zu machen; wenn nötig, mit dem Holzhammer. Auf das ich nur ja keine seiner Äußerungen oder Texte "irgendwie liberal" interpretierte! Außerdem sollte ich nicht den Eindruck bekommen, es gäbe für Slime außer Musik nichts Wichtiges auf der Welt.
"Es ist wichtig, sich zu wehren", sagt er "Gegen Lehrer, Bullen, Meister, U-Bahn-Kontrolleure, Faschisten, die Bundeswehr..." gegen Ausbeutung und Unterdrückung", ergänzt Sven. "Das sind große Worte, aber... wir haben zum Beispiel mal im Knast gespielt, um den Leuten da zu helfen. In der Turnhalle im Jugendknast Neuengamme." Na schön, politischer Anspruch hin oder her, aber ich wurde das Gefühl nicht los, daß sich vor allem Dirk gern zum heroischen Kämpfer an allen Fronten stilisieren wollte. Sven sah die Sache etwas gelassener: "Ich glaub', was wir machen, ist zu mindestens fünfzig Prozent Idiotenrock. Das hören sich die größten Dörfler an, die nur hauen und saufen. Aber es reicht schon, wenn das nur ein oder zwei Leute hören und über irgendwas nachdenken, was wir da blubbern. Ich meine, die Texte sind pauschal oder sonstwas, aber das muß ja mal gesagt werden. Das ist eben das, was wir meinen und viele fühlen..." Dirk scheint hier schon wieder eine zu deutliche Mäßigung zu sehen und unterbricht:
"Wieso pauschal? Das Stück "Legal-lllegal-Scheißegal" zum Beispiel... also, höchstens alle drei Jahre les ich mal in der TAZ, weshalb Gewalt in absolut bedingungslos jeder Form gerechtfertigt ist, sonst nie... und das ist irgendwie der Text bei "Legal-Illegal-Scheißegal", daß du mit Flugblättern nicht die Bombenklappen von den B-52 zukleben kannst, und daß du mit Blumen höchstwahrscheinlich die Amis nicht davon abhältst, in El Salvador einzumarschieren, sondern daß du da ganz konkret mit Gewalt vorgehen mußt, in welcher Form auch immer."
Ein recht gefährlicher, weil gesetzeswidriger Standpunkt. Ich erkundigte mich auch noch mal, ob ich das so zitieren solle, aber für Dirk schien ein Skandal um Slime den Verkaufszahlen ihrer Schallplatten höchst förderlich zu sein. "Du kannst ja drunterschreiben: Slime bedanken sich bei der Staatsanwaltschaft im Voraus für die Beschlagnahme der Platten, weil das 'ne gute Werbung ist."
Das war geradezu prophetisch. Vor einigen Tagen erschien im Hamburger Schallplattenladen und -vertrieb "Rip Off" ein Vertreter eben dieser Staatsanwaltschaft samt Durchsuchungsbefehl und mehreren Polizeibeamten. In dem Durchsuchungsbefehl gegen den "Rip Off"-Inhaber heißt es unter anderem:
"Der Beschuldigte ist aufgrund der bisherigen Ermittlungen verdächtig, (...), eine Volksverhetzung und eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten (...) begangen zu haben, indem er seit Oktober 1981 als Gesellschafter der Fa. "laute Liebe" bzw. "Rip Off" eine Schallplatte hergestellt und vertrieben hat, deren Text u.a. lautet: - es folgen Auszüge aus Slime-Texten vom Kaliber wie "Dies ist ein Aufruf zur Revolte, dies ist ein Aufruf zur Gewalt..." usw., ziemlich viele Zitate übrigens, auch wenn das eine oder andere beim Hören der Platte wohl akustisch nicht recht verstanden worden ist - und weiter "(...) Der Verdacht der Volksverhetzung ergibt sich daraus, weil gegen einen Teil der Bevölkerung, nämlich die Polizei, zum Haß aufgestachelt, zu Gewalttaten gegen sie aufgefordert und sie böswillig verächtlich gemacht und verleumdet und dadurch der öffentliche Frieden in einer die Menschenwürde der Angehörigen des Berufsstandes der Polizei angreifenden Weise gestört wird.
Zugleich wird durch Verbreitung der Schallplatte eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten begangen, da in den verbreiteten Platten zu einer rechtswidrigen Tat (gefährl. Körperverletzung, Brandstiftung) aufgerufen wird."
Man stellte bei "Rip Off" ganze drei LP's sicher; übrigens ist es schon vor einem halben Jahr in Trier zu einer Beschlagnahme gekommen. Zwar ging der Staatsanwalt fehl in der Annahme, "Rip Off" sei zuständig für die Herstellung der Platte, aber Slime haben, wenn auch mit fast einjähriger Verspätung ein Ziel erreicht: ernstgenommen zu werden. Auch Sven rechnete, als ich ihn am Telefon sprach, mit einer Anklage und meinte, sie würden sich in diesem Falle auf "künstlerische Freiheit" berufen. Fast sicher aber ist, egal wie die Sache ausgeht, daß die Platte ein Sammelobjekt wird. Und, wie um den Werbewert noch zu erhöhen, erfolgte die Beschlagnahme der ersten fast gleichzeitig mit dem Erscheinen der zweiten Slime-LP in diesen Tagen.

DIENSTWAFFE
Inzwischen kommt es auch auf anderer Ebene zu politischen Auseinandersetzungen. Anfang März kam es in der Hamburger Kneipe "Schlaflose Nächte" zu einer Schlägerei. Das "Schlaflose Nächte" ist eine Art letztes Reservat für die Punks, die überall sonst Hausverbot haben. Dort trafen sich auch diejenigen unter den Punks und Skinheads, die sich - vor allem wohl beeinflußt durch das Verhalten britischer Vorbilder - als Neonazis ansehen oder zumindest mit einem faschistischen Image kokettieren. Natürlich wollten die Linken gern diese Leute aus ihrer Kneipe entfernen, und als die nicht freiwillig gingen, gab es eine Prügelei. Die Polizei griff ein, und als der Staub sich legte, lag ein großer Teil des Mobiliars in Trümmern. Die Streitenden hatten blutige Nasen zu beklagen und die Polizei den Verlust diverser Utensilien; unter anderem soll eine Dienstpistole abhanden gekommen sein. Obwohl sie in den nächsten Tagen im "Schlaflose Nächte" zwei Razzien veranstaltete, blieb die Waffe verschollen; natürlich behauptet jede der beiden Parteien von der anderen, sie hätte das Ding. Das "Schlaflose Nächte" heißt jetzt "Traumlose Tage" und hat nur noch bis 20 Uhr geöffnet; Wirt Clemens befürchtet Vergeltungsaktionen der vertriebenen Rechtspunks.
Den harten Kern unter ihnen soll eine Art Verein namens "Savage Army" bilden. Abgekürzt SA. Während man auf Häuserwänden, beispielsweise im Karolinenviertel, immer wieder Sprüche wie "Savage Army siegt" stoßen kann, behaupten deren Sympathisanten dagegen, diese Gruppe gäbe es eigentlich gar nicht. "Die gab's früher mal" erzählt mir ausgerechnet einer mit kunstvoller "Savage Army' Tätowierung auf dem Oberarm. Das sollte er besser den beiden Punks erklären, die noch am Vortage von ein paar Skins, die sich als Angehörige der sagenumwobenen Gruppierung ausgaben, auf die Toilette einer Kneipe überfallen und um 65 Mark beraubt worden waren. Wie dem auch sei, "Wir sind harmlose Bürger", behauptet Hans, ein Skinhead. "Die Roten hacken immer auf uns rum, dabei ist das Einzige, daß wir halt ein bißchen härter gegen die Ausländer sind." Umso interessanter erscheint die Tatsache, daß Heiner, eine der dominierenden Figuren, ein Farbiger ist. "Aber der fühlt sich als Deutscher!" Der darf das also. Weil er nach Hans' Einschätzung "der Stärkste, oder einer der Stärksten" ist. "Ich persönlich würde mich lieber nicht prügeln", meint Hans, "aber es gibt sicherlich genug Leute unter uns, die sich lieber prügeln." Übrigens trägt er ein Hakenkreuz an einer Kette um den Hals, und Sieg-Heil-Schreiereien sind auch angesagt. "Kann man ja nicht abstreiten, was soll's. Ich meine - Skinheads und so, kommt ja aus England. Ob wir das jetzt ernst meinen, oder nicht, oder um irgendeine Kraft auszudrücken, Opposition, ist 'ne andere Sache."
Richtig klar äußerte sich nur Michael. "Ich bin Nazi", sagte er, und so sah er auch aus, schwarz gekleidet und mit Seitenscheitel.

ARBEITSLAGER
Michael beklagt das Fehlen einer "wirklich rechtsradikalen Partei in Deutschland" und behauptet - klarer kann es kaum sein - was das Land brauche, sei Adolf Hitler. Die anderen versuchen mir zu versichern, daß Michael da nicht ernstzunehmen sei. Vorsichtshalber nehme ich ihn trotzdem ernst.
Schließlich wird ein anderer Michael demnächst aus der Haft entlassen: Michael Kühnen, ehemals Boß der Hamburger Neonazis und zur Zeit noch wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung im Gefängnis. Und nach seiner Entlassung könnte durchaus die Möglichkeit bestehen, daß er dieses bisher noch etwas unklare Feld aus Kopien englischen Skin-Gebahrens, eher unpolitischen Schlägern und wirklichen festen Vertretern faschistischer Ideologie ordnet und für seine Zwecke benutzt. Davon abgesehen, scheint es den Rechten ja mittlerweile erstmals gelungen zu sein, einen Fuß in die Tür zur Popmusik und dazugehörigen Jugendkulten zu setzen. Was allerdings vor lauter wichtigen Künstlern und Konzepten niemanden groß zu interessieren scheint.
Für Slime interessiert sich wenigstens die Polizei. Formal stehen sie dadurch eigentlich genau dort, wo sie sich und ihre Form von politischer Musik selbst einordnen: in der Tradition von in Ehren ergrauten Polit-Rockern wie Ton Steine Scherben. Für die hatte es auch Zeiten gegeben, da ihre Platten wegen der aufrührerischen Qualitäten beschlagnahmt wurden. Heute spielen sie allerdings im Rockpalast für's Fernsehen.
Immerhin haben Slime das TSS-Stück "Ich will nicht werden, was mein Alter ist" im Repertoire. Es wird sich noch herausstellen, ob sie werden, was die Alten sind.
Dirk Scheuring
Fotos: Gerhard Backhaus

(Quelle: SPEX Mai '82)


Fresse / Information Overload