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Frauen machen Musik Zwei und zwei sind nicht mehr vier - alle Mauern stürzen ein Jill Vaudeville Was ist denn nun eigentlich das Neue an der sog. "Neuen Welle" fragen andauernd Leute, die auf das Waschmittelattribut der Plattenfirmen noch immer reinfallen. Was alles "neu" an der jetzigen Musik ist, weiß so genau niemand zu sagen, sicher ist jedoch, daß die Frauen eine neue Rolle in der neuen Musik haben: sie stehen nicht mehr im Schatten von phallokratischen Gitarrentätschlern und machistischen Mikroständer-Stieren, auch haben sie ihr Image als Arsch- und Titten-Lockvögel gründlichst abgelegt. Jill überprüft zunächst ihr eigenes Verhältnis zur Geschichte der Frauen in der (Rock)-Musik und gerät bei ihren Recherchen über die heutige Situation unweigerlich nach Hannover, dort zu Hans-a-plast und Unterrock.
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Ich war Teenager (also weder Backfisch noch Kid) in Mönchengladbach - ein Nest ohne Konturen aber mit vielen Beatband-Aufbauorganisationen. Die Jungens spielten so gut es ging (also nicht besonders) Spencer Davis, Stones und Hohes nach. Ich war in einen verknallt und schleimte mich als Sängerin an, um an ihn ranzukommen. Das scheint mir symptomatisch. Die Jungens machten, initiierten; die Mädchen machten mit, reproduzierten. Instrumente spielen war Männersache, die Frauen gaben - in Ausnahmefällen - ein nettes Bild als Sängerin ab. Oder schwangen Rasseln oder Tamburins. Eben wie Babies. Die Jungens mochten noch so unbegabt sein, oder Pickel haben oder kein Englisch können, sie stellten sich hin und lärmten los. Die Mädchen diskutierten die Hitparade oder stritten sich über die wirklich wahre Bedeutung von Dylans Poesie. Die Jungens entblödeten sich nicht, Hendrix' Mund-zu-Mund-Beatmung mit der Gitarre nachzumachen, die Mädchen sangen mit reiner, dünner Stimme "Puppet On A String". Ich zum Beispiel. Meine Freundinnen hörten am liebsten Walker Brothers, weil die Typen so scharf aussahen. Und ich am liebsten Fugs und Mothers, weil mein Freund mich missionierte. Das hört sich heute alles rührend an.
Die herrschende Kultur ist die Kultur der Herrschenden.
Das stimmt noch immer und läßt sich bis in die Rockmusik hineinverlängern.
Ganz deutlich wird die Verniemandung der Frau beim Lesen von Rock-Lexika.
Diese personality-Postillen spiegeln die Wirklichkeit so wieder, wie sie
ist: Frauen kommen in ihr kaum vor. Oder werden übersehen, wie z.B.
Carla Bley und Irene Schweizer, während natürlich Chick Corea
und Al DiMeola nicht "vergessen" werden.
Frauen finden sich in der Rockmusik nicht wieder und identifizieren sich dann mit anderen Minderheitsbewegungen: Frauen fahren auf Soul und Protestsongs ab. Und sie entdecken da...andere Frauen. Je nach Temperament sammeln sie Platten von den Klampfen-Ladies wie Joan Baez und Joni Mitchell und Carole King. Oder von Tina Turner, Aretha Franklin, den Supremes. Die schwarzen Girls mit dem Shalala haben ihren weißen Schwestern unbedingt etwas im Voraus: sie sind sinnlich, body and soul. Sozusagen die ersten Sexualsubjekte in der Musikgeschichte.
Dann kam die Frauenbewegung. Wir setzten unsere Autonomieansprüche
nicht nur in der politischen Arbeit durch, sondern auch im Privaten. Vieles
wurde ohne Männer möglich und auch toll, z.B. die Feten. Aber
wenn wir Lust hatten zu tanzen, hatten wir Last mit der Musik: Zack, da
war wieder die Mackerwelt und gröhlte aus den Lautsprechern. Wir
feuerten James Brown, Led Zep, Stones und andere Cock-Rock-Figuren in
die Ecke, weil sie offensichtlich Frauenverarschung betrieben. Aber was
dann? Janis Joplin und Grace Slick konnten das Vakuum nicht ausfüllen.
Und so griffen wir mißmutig zu Soft Rock oder zu als "geschlechtsneutral"
empfundenen Instrumentalstücken.
Über den Einbruch von Punk und New Wave in die herrschende Langeweile ist genug und auch Überflüssiges -geschrieben worden. Darum verzichten wir großmütig und aufatmend auf Musiksoziologie und halten fest: hinter den verwirrend vielfältigen und oft skurilen Masken verbirgt sich einheitlich etwas Sinnvolles: anti-autoritäre, sinnliche und anti-elitäre Musik. Und antörnend, weil ich nach dem Hören guter Platten sofort selber loslegen möchte und manchmal auch tue. Die Punkbewegung hat für uns Frauen ungeheuer viel gebracht. Zunächst einmal: Ohne Frauen geht es nicht. Es gibt immer mehr gemischte Gruppen oder sogar reine Frauenbands. Frauen nicht nur als Sängerinnen, sondern als Schlagzeugerinnen, Gitarristinnen, Frauen an Synthis und Saxos: Siouxsie and the Banshees, Lora Logic von Essential Logic, Lydia Lunch bei Teenage Jesus, Adele Bertei und Pat Place bei den Contortions, Tina Weymouth bei den Talking Heads, Vi Subversa bei Poison Girls, Gaye bei den Adverts, Judy Nylon bei Snatch, Poly Styrene bei X-Ray-Spex. Dann Raincoats, Slits, Mo-dettes. Dann DIN A Testbild, Hans-a-plast, Liebesgier, Ätztussis, Unterrock. Eine Geschichte ohne Ende - immer in Bewegung.
Was im Geräusch der Kommentare vieler männlicher Kritikerkollegen untergeht, wenn sie die Gruppen be-sprechen und be-schreiben, ist die Verwischung der Geschlechtsgrenzen. Nirgendwo finde ich so viel unspezifische Erotik wie bei den Punk und New-Wave-Frauen. Die alten sexy-girl-Kamellen hauen nicht mehr hin. Und ebensowenig handelt es sich um saubere Mädels ohne Unterleib. Da setzt das Nachdenken ein, und da kommt das Fazit: hier passiert etwas, das uns alle weiterbringt - das Zerbröseln der Rollen.. Und eben weil sie nicht als "Nur-Frauen" mißverstanden werden können, steigen so viele Frauen in diese Musik ein. Und weil diese Musik Fantasie und Gefühle mehr gebrauchen kann als Phallokraten-Perfektion, steigen so viele Frauen ein. Das greift alles ganz befriedigend ineinander. Der Vormarsch der Frauen hat aber nicht nur mit der neuen Welle zu tun, sondern auch mit alten Strömungen. Der radikale Versuch der Frauenbewegung, sich in allen gesellschaftlichen Bereichen - und auch in den kulturellen Ritzen und Nischen - breitzumachen, weist Erfolge auf. Die ungeheure Flut von Frauenliteratur, Frauenfilmen, Frauenprojekten und natürlich Frauenmusikgruppen beweist das. Deswegen meine ich, Musikfrauen und Bewegungsfrauen haben eine Menge miteinander zu tun, auch wenn sie mißtrauisch und kontaktarm miteinander umgehen. Interessant sind die Gruppen, die solche Berührungsängste nicht kennen oder ganz deutlich Musik und Politik miteinander verknüpfen. Indem sie witzige und realistische Texte zu Mackerverhalten machen wie Kleenex und Hans-a-Plast. Indem sie für Rock-Against-Sexism-Gigs auftreten wie Raincoats oder Poison Girls. Indem sie action gegen Unterdrückung machen wie Unterrock für Lesben und Ätztussis für Frauen im Knast. Das soll mal näher geschildert werden, deswegen wird es Zeit für einen
Hans-a-Plast sind locker. Sind drei Frauen & zwei
Männer aus Hannover. Sie jobben, sind arbeitslos und studieren. Sie
ziehen sich das Etikett Polit-Punk nicht an, gehören aber in diesen
Zusammenhang. Wieso? Annette singt, Bettina spielt Schlagzeug, Renate
Gitarre - drei Frauen, die nicht zu übersehen sind. Und Jens und
Micha leiden nicht unter Macker-Profilierungszwang. Vielleicht eine typische
Gruppe der neuen Zeit.
Unterrock aus Hannover ist die erste deutsche feministische
lesbische Rock- und-Punk-Gruppe. Ich traf Rosi, Nicki, Vicki, Karin (Angela
fehlte) nach einem Auftritt in Kiel. Wie die meisten Gruppen kriegen die
Unterrock-Frauen viel zu wenig Geld für den Streß, den sie
auf sich nehmen. Leben können sie nicht von der Musik. Dazu kommt,
daß die Gruppe am liebsten nur vor Frauen spielt. Auf Feten, Veranstaltungen,
Kongressen, die keinen kommerziellen Charakter haben. Darum ist allerdings
auch keine Kohle da, die großzügig verteilt werden könnte.
Frauenbewegungsfrauen machen es umsonst und traurig? Zumindest "Abmagerungskur
hoch Streß" (Rosi). Aber die Unterrock-Frauen stehen zur Bewegung
und nicht darüber und finden es deswegen okay Zeit und Energie
dafür einzusetzen. Und sie benutzen ihre Musik, um andere Frauen
anzumachen: "Wir sind nicht ausgeflippte Frauen, die nicht wissen,
was sie machen. Wir wollen anderen Frauen z.B. klarmachen, daß Frauenbewegung
nicht nur Kaffeeklatsch und leise Stimmchen bedeutet. Wir sprechen auch
Frauen an, die nichts mit der Bewegung am Hut haben. Die denken dann,
durfte, stark, die haben auch Power". Ganz wichtig ist, daß
Unterrock lesbisch sind - und zwar offensiv. Sie schreiben Texte über
sich und ihre Situation und nicht über chaotische Heteros.
Wie gesagt, es gibt genug Leute, die Blaustrümpfe, Lysistrara, Ina Deter, Flying Lesbians, Schneewittchen u.ä. für die einzig mögliche Frauenmusik halten, und vielleicht sind sie durch Wortgeklingel nicht zu überzeugen. Dann mögen sie sich mal "ApuApi (Help me)" von Chi Pig aus Akron anhören (zwei Frauen, ein Typ). Oder "Oh Bondage, Up Yours" von X-Ray-Spex. Oder "Caucasian Guilt" von Noh Mercy. Oder sie sollen mal Schneewittchen mit Poison Girls vergleichen. Beide Gruppen haben etwas über Hexen gemacht, Schneewittchen haben allerdings zuviel gedichtet und zuwenig gedacht: "Was zittern sie denn und was fürchten sie/die Mächtigen dieser Welt/es ist das Erwachen der Frauen/das ihre Träume quält/man hat uns zulange geschunden/da muß man ja Angst vor uns haben". Das Ganze ist kreuzbrav mit folkloristischem Hui garniert. Poison Girls dagegen: "Remember the Holocaust/Holocaust in Bremen/In the name of the fatherland/In the name of the Fatherlord/In nomine patri/For the sake of his property/Napalm napalm/fire fire witches burn/Woman is heretic" Es werden Parallelen zwischen Judenverfolgung und Hexenverbrennung gezogen, und das Ganze wird in ungeheuer packenden Ton-Collagen übersetzt. Ein zweiter Vergleich: Lysistrara haben ein seichtes Coming-Out-Stück für Lesben gemacht. Schwerfällig, traurig, öd und leer: "...die Angst/daß du mich nicht versteht/und alles gegen mich kehrst." und der Schlußoptimismus ist fürchterlich dezent: "...dann spür ich dieses Glück/und will nicht mehr zurück". Wer hätte das gedacht? Dagegen die Unterrock-Frauen: "Wir sind keine Kellerasseln/wir sind lesbisch/...ich will in keinem Ghetto leben/für mich soll es auch ein Draußen geben/Ich-Sein nur bei rotem Licht/nein Frauen, kann ich nicht..." Genau! IchverkneifemirdiegesonderteOdeanTinaWeymouthdieaufderBühnesokonzentriertundfaszinierendBaßspieltunddie (Quelle: Sounds 5/80) Frauen machen WirbelZur Mai-Ausgabe: Die Titelseite hat mich ja echt aus
dem Fernsehsessel gerissen. Nicht wegen der drei süßen Girls,
sondern wegen den deutschen Musikern von der ach so umstrittenen neuen
Welle. Die Fotos zur Story auf Seite 24 und so sahen ja auch vielversprechend
aus. Aber die Titelstory selbst? ... (Ich setz' mich wieder hin...) Was
soll das??? Dieser aufgespielte Emanzenwichs. F.K. Kahrs Frauen sind hierzulande zwar unterdrückt, aber keine Minderheit; sie stellen die Mehrheit der Bevölkerung im Gegensatz zu Toilettenwärtern u.ä. Wer sagt außerdem, daß nicht umgekehrt Bettina Micha in ihre Gruppe geholt hat? Und wie sieht's bei Unterrock aus, oder damals bei Kleenex, oder bei den Modettes? Nachdenken tut not! - Red. Eure Story zu den Punkfrauen von Jill Vaudeville war einfach irre gut. Frau wünscht sich, sowas viel öfter zu lesen, die Jill soll schreiben viel und mehr und mehr und mehr. G. Lorenz Hab' gerade mit Begeisterung den Titel-Artikel von Jill Vaudeville gelesen! Und ich halte mich auch gar nicht für "befangen" von wegen: die nette Widmung undsofort. Aber auf einen winzigen Fehler möchte ich doch hinweisen: der von Jill so hervorgehobene Artikel von mir und Guy St. Louis heißt vollständig "Frauen im Rock sind Frauen in Hosen" - die Hosen fehlen im Druck. Könnt Ihr das irgendwie zur Kenntnis geben? Mit äußerst wohlgesonnenen Grüßen!!! Pieke Biermann, Berlin (Leserbriefe Sounds 6/80) |
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Fresse / Information Overload |