Frauen machen Musik
Zwei und zwei sind nicht mehr vier - alle Mauern stürzen ein

Jill Vaudeville
Was ist denn nun eigentlich das Neue an der sog. "Neuen Welle" fragen andauernd Leute, die auf das Waschmittelattribut der Plattenfirmen noch immer reinfallen. Was alles "neu" an der jetzigen Musik ist, weiß so genau niemand zu sagen, sicher ist jedoch, daß die Frauen eine neue Rolle in der neuen Musik haben: sie stehen nicht mehr im Schatten von phallokratischen Gitarrentätschlern und machistischen Mikroständer-Stieren, auch haben sie ihr Image als Arsch- und Titten-Lockvögel gründlichst abgelegt.
Jill überprüft zunächst ihr eigenes Verhältnis zur Geschichte der Frauen in der (Rock)-Musik und gerät bei ihren Recherchen über die heutige Situation unweigerlich nach Hannover, dort zu Hans-a-plast und Unterrock.
(Foto: Ilse Ruppert)
Frauen machen Musik Hannovers Frauen auf dem Vormarsch. V.l.n.r.: Bettina (Hans-a-Plast), Anette Grobkasten (TBC), Angelika Blankoscheck (Unterrock), Angelika Locke, Anette Benjamin (Hans-a-Plast), Renate Baumgart (Hans-a-Plast) (Foto: Ilse Ruppert)

Zwei und zwei sind nicht mehr vier - alle Mauern stürzen ein

Von Jill Vaudeville

Dieser Artikel soll eine Erscheinung behandeln, die erfreulich, aber verwirrend ist. Der unaufhaltsame Vormarsch der Frauen in die Rockmusik. Er soll vergleichen, polemisieren, analysieren. Er soll auch an den Hörgewohnheiten der Frauenbewegung kratzen. Darum - für Karin, Ulla, Anne, Pieke, Gudula und Elske:
"The Girls want to be with the girls and I say what do you mean"


Erste Etappe: Wie die Chronistin in ihrer eigenen Geschichte sucht und findet

Ich war Teenager (also weder Backfisch noch Kid) in Mönchengladbach - ein Nest ohne Konturen aber mit vielen Beatband-Aufbauorganisationen. Die Jungens spielten so gut es ging (also nicht besonders) Spencer Davis, Stones und Hohes nach. Ich war in einen verknallt und schleimte mich als Sängerin an, um an ihn ranzukommen. Das scheint mir symptomatisch. Die Jungens machten, initiierten; die Mädchen machten mit, reproduzierten. Instrumente spielen war Männersache, die Frauen gaben - in Ausnahmefällen - ein nettes Bild als Sängerin ab. Oder schwangen Rasseln oder Tamburins. Eben wie Babies. Die Jungens mochten noch so unbegabt sein, oder Pickel haben oder kein Englisch können, sie stellten sich hin und lärmten los. Die Mädchen diskutierten die Hitparade oder stritten sich über die wirklich wahre Bedeutung von Dylans Poesie. Die Jungens entblödeten sich nicht, Hendrix' Mund-zu-Mund-Beatmung mit der Gitarre nachzumachen, die Mädchen sangen mit reiner, dünner Stimme "Puppet On A String". Ich zum Beispiel. Meine Freundinnen hörten am liebsten Walker Brothers, weil die Typen so scharf aussahen. Und ich am liebsten Fugs und Mothers, weil mein Freund mich missionierte. Das hört sich heute alles rührend an.

Zweite Etappe: Wie sich die Chronistin in Theorie und Geschichte umtummelt

Die herrschende Kultur ist die Kultur der Herrschenden. Das stimmt noch immer und läßt sich bis in die Rockmusik hineinverlängern. Ganz deutlich wird die Verniemandung der Frau beim Lesen von Rock-Lexika. Diese personality-Postillen spiegeln die Wirklichkeit so wieder, wie sie ist: Frauen kommen in ihr kaum vor. Oder werden übersehen, wie z.B. Carla Bley und Irene Schweizer, während natürlich Chick Corea und Al DiMeola nicht "vergessen" werden.
So gibt es eine Parallele zwischen stinkbürgerlichem Kulturbetrieb und der sich subversiv gebärdenden Gegenkultur bis in die späten Siebziger hinein: Die Akteure sind Mannsbilder, Frauen spielen (Gast-)Rollen. Männer komponieren, produzieren, teilen den Markt und das Geld unter sich auf und haben die Schaltstellen der Rockindustrie fest in ihrer Hand. Männer schreiben Texte‚ in denen ein reduziertes Frauenbild - ihr Frauenbild - propagiert wird. Männer provozieren die Welt durch ein neues Verständnis von Sexualität. Es ist aber ihre Sexualität, die sich da lärmend befreit.
Angelika Blankoscheck und Viktoria von Rex von Unterrock (Foto: Ilse Ruppert)
Dem Ausschluß der Frauen aus der Kultur entspricht die Abwesenheit der Frauen aus Geschichte und Gesellschaft überhaupt. Warum sollen Frauen auf der Bühne kreischen und stöhnen, wenn ihre Mädchenerziehung ihnen nahelegt, möglichst unauffällig zu bleiben? Wie sollen sie sich als Solistinnen profilieren, wenn sie doch gelernt haben, sich unterzuordnen, in der Familie (=Band) aufzugehen? Woher sollen sie das Geld für eine Anlage nehmen, bekommen sie doch - wenn überhaupt - immer die schlecht-bezahlten Jobs. Auf welche Musiktraditionen sollen sich Frauen berufen, wenn nicht auf männliche?
Frauen finden sich in der Rockmusik nicht wieder und identifizieren sich dann mit anderen Minderheitsbewegungen: Frauen fahren auf Soul und Protestsongs ab. Und sie entdecken da...andere Frauen. Je nach Temperament sammeln sie Platten von den Klampfen-Ladies wie Joan Baez und Joni Mitchell und Carole King. Oder von Tina Turner, Aretha Franklin, den Supremes. Die schwarzen Girls mit dem Shalala haben ihren weißen Schwestern unbedingt etwas im Voraus: sie sind sinnlich, body and soul. Sozusagen die ersten Sexualsubjekte in der Musikgeschichte.

Dritte Etappe: Zwei und zwei sind nicht mehr vier - alle Mauern stürzen ein, befindet die Chronistin

Dann kam die Frauenbewegung. Wir setzten unsere Autonomieansprüche nicht nur in der politischen Arbeit durch, sondern auch im Privaten. Vieles wurde ohne Männer möglich und auch toll, z.B. die Feten. Aber wenn wir Lust hatten zu tanzen, hatten wir Last mit der Musik: Zack, da war wieder die Mackerwelt und gröhlte aus den Lautsprechern. Wir feuerten James Brown, Led Zep, Stones und andere Cock-Rock-Figuren in die Ecke, weil sie offensichtlich Frauenverarschung betrieben. Aber was dann? Janis Joplin und Grace Slick konnten das Vakuum nicht ausfüllen. Und so griffen wir mißmutig zu Soft Rock oder zu als "geschlechtsneutral" empfundenen Instrumentalstücken.
Und später applaudierten wir solidarisch aber nicht so ganz überzeugt den diversen Rock-Ladies oder noch später den diversen Frauenrockgruppen. Die einen hatten es nicht mit der Frauenbewegung gecheckt und die anderen nicht mit dem Rock. Puh, aber der Aufstand der Laien stand vor der Tür. Und die Frauen stiegen endlich nicht mehr aus oder um - sondern ein in den Rock.

Vierte Etappe: Wie die Chronistin findet, dass sich alles verändert hat und wie sie das freut

Über den Einbruch von Punk und New Wave in die herrschende Langeweile ist genug und auch Überflüssiges -geschrieben worden. Darum verzichten wir großmütig und aufatmend auf Musiksoziologie und halten fest: hinter den verwirrend vielfältigen und oft skurilen Masken verbirgt sich einheitlich etwas Sinnvolles: anti-autoritäre, sinnliche und anti-elitäre Musik. Und antörnend, weil ich nach dem Hören guter Platten sofort selber loslegen möchte und manchmal auch tue. Die Punkbewegung hat für uns Frauen ungeheuer viel gebracht. Zunächst einmal: Ohne Frauen geht es nicht. Es gibt immer mehr gemischte Gruppen oder sogar reine Frauenbands. Frauen nicht nur als Sängerinnen, sondern als Schlagzeugerinnen, Gitarristinnen, Frauen an Synthis und Saxos: Siouxsie and the Banshees, Lora Logic von Essential Logic, Lydia Lunch bei Teenage Jesus, Adele Bertei und Pat Place bei den Contortions, Tina Weymouth bei den Talking Heads, Vi Subversa bei Poison Girls, Gaye bei den Adverts, Judy Nylon bei Snatch, Poly Styrene bei X-Ray-Spex. Dann Raincoats, Slits, Mo-dettes. Dann DIN A Testbild, Hans-a-plast, Liebesgier, Ätztussis, Unterrock. Eine Geschichte ohne Ende - immer in Bewegung.

Von Kultur, Kategorien und anderen Kurzschlüssen

Gibt es eine weibliche Rockmusik oder eine feministische? Solche Kategorien sind zunächst einmal griffig, weil sie Andersartigkeit signalisieren. Weil sie Parteilichkeit bedeuten. Und weil sie mehr aussagen als ,,...das ist 'ne echte geile Gruppe, irgendwie...". Aber was nützlich ist, kann sich dennoch als brüchig erweisen. Nehmen wir an, eine Kategorie "feministische Rockmusik" hätte eine politische, eine soziale und eine ästhetische Komponente. Dann könnte eine Definition lauten: Wenn Frauen individuell oder im Kollektiv Texte im Zusammenhang mit Frauenbefreiung elektrisch verstärkt intonieren, liegt feministische Rockmusik vor. Denkste. Dann liegen brave Stadt/Land/Fluß-Musikanten wie die Schneewittels vor - aber nicht Rock. Das hängt mit der ästhetischen Komponente zusammen. Mit so wichtigen Fragen wie nach der Genuität einer musikalischen Form, Und ob sich Aggressivität, Sinnlichkeit und Aktualität Gehör und Gestalt verschaffen können. Gute Inhalte schreien geradezu nach guten Formen, und phantasievoller Rock/Punk/New Wave scheint mir allemal der beste Motor für emanzipatorische und realitätsbezogene Texte zu sein.

Viele Frauen wenden ein (besonders die aus der Bewegung), daß sie harten Rock oder Punk als Mackermusik empfinden, als frauendiskriminierend und unterdrückerisch. Wohl gemerkt nicht nur Text, sondern auch Form. Diese Frauen schlagen die Entwicklung von alternativen Musikformen vor oder gar eine Gegenkultur von Frauen. Sie berufen sich dabei auf Frauenarbeitslieder aus vergangenen Jahrhunderten oder suchen die Musikgeschichte nach vergessenen Komponistinnen und Musikerinnen ab. Das mag sogar theoretisch sinnvoll sein, führt aber musikalisch nicht weiter, sondern geradewegs in die Langeweile. Die Traditionslosigkeit weiblicher Kultur wird nicht dadurch zum Verschwinden gebracht, indem frau die Rockmusik in die Hände der Männer läßt und die Flücht nach rückwärts antritt. Klampfe, Blockflöte und Küchenmädchenterzen sind kein politisches Programm, sondern Stilmittel neben vielen anderen. Jede Reduzierung von Frauenmusik auf eine alleinseligmachende Form lässt die Vorurteile über das, was sich für Frauen ziemt, munter weiterleben.
PS.: Die meines Wissens beste Arbeit über Frauen, Sexualität und Rock steht in "Rock-Session Nr.3‚ Außenseiter". Pieke Biermann und Guy St. Louis: "Frauen im Rock sind Frauen". Unbedingt empfehlenswert.

Was im Geräusch der Kommentare vieler männlicher Kritikerkollegen untergeht, wenn sie die Gruppen be-sprechen und be-schreiben, ist die Verwischung der Geschlechtsgrenzen. Nirgendwo finde ich so viel unspezifische Erotik wie bei den Punk und New-Wave-Frauen. Die alten sexy-girl-Kamellen hauen nicht mehr hin. Und ebensowenig handelt es sich um saubere Mädels ohne Unterleib. Da setzt das Nachdenken ein, und da kommt das Fazit: hier passiert etwas, das uns alle weiterbringt - das Zerbröseln der Rollen.. Und eben weil sie nicht als "Nur-Frauen" mißverstanden werden können, steigen so viele Frauen in diese Musik ein. Und weil diese Musik Fantasie und Gefühle mehr gebrauchen kann als Phallokraten-Perfektion, steigen so viele Frauen ein. Das greift alles ganz befriedigend ineinander.

Der Vormarsch der Frauen hat aber nicht nur mit der neuen Welle zu tun, sondern auch mit alten Strömungen. Der radikale Versuch der Frauenbewegung, sich in allen gesellschaftlichen Bereichen - und auch in den kulturellen Ritzen und Nischen - breitzumachen, weist Erfolge auf. Die ungeheure Flut von Frauenliteratur, Frauenfilmen, Frauenprojekten und natürlich Frauenmusikgruppen beweist das. Deswegen meine ich, Musikfrauen und Bewegungsfrauen haben eine Menge miteinander zu tun, auch wenn sie mißtrauisch und kontaktarm miteinander umgehen. Interessant sind die Gruppen, die solche Berührungsängste nicht kennen oder ganz deutlich Musik und Politik miteinander verknüpfen. Indem sie witzige und realistische Texte zu Mackerverhalten machen wie Kleenex und Hans-a-Plast. Indem sie für Rock-Against-Sexism-Gigs auftreten wie Raincoats oder Poison Girls. Indem sie action gegen Unterdrückung machen wie Unterrock für Lesben und Ätztussis für Frauen im Knast. Das soll mal näher geschildert werden, deswegen wird es Zeit für einen

Seitensprung: Wie die Chronistin ins Gespräch kommt und Hannover erträglich findet dabei

Hans-a-Plast sind locker. Sind drei Frauen & zwei Männer aus Hannover. Sie jobben, sind arbeitslos und studieren. Sie ziehen sich das Etikett Polit-Punk nicht an, gehören aber in diesen Zusammenhang. Wieso? Annette singt, Bettina spielt Schlagzeug, Renate Gitarre - drei Frauen, die nicht zu übersehen sind. Und Jens und Micha leiden nicht unter Macker-Profilierungszwang. Vielleicht eine typische Gruppe der neuen Zeit.
Die Texte entstehen kollektiv. "Jeder eine Zeile, das ist oft echt lustig. Und später kriegen wir erzählt, das ist Literatur..." Ich versuche mir vorzustellen, wie das so ist, als Frau vor den Kids zu stehen, sich einschätzen zu lassen. Aber ich tappe daneben, wenn ich denke, daß da etwas "Besonderes" oder "Anderes" abläuft. Wichtiger ist, was von der Band insgesamt zum Publikum rüberkommt und umgekehrt. Der Ärger verläuft geschlechtsneutral... "z.B. "Hau ab du stinkst". Da gibt es Typen, die das hassen, und andere, die da Pogo drauf tanzen. Oder Frauen, die uns dabei den Stecker rausziehen". (Annette) "Klar, es sind nicht mehr Friedefreudeeierkuchenkonzerte wie früher so mit Schlafsack und 'ner Flasche Lambrusco. Da ist einfach mehr Teilnahme... die Leute müssen irgendwohin mit ihrer Energie" (Micha). "Du baust dich natürlich auch richtig auf der Bühne auf, du mußt immer aufpassen. Ich habe natürlich kein Bock, da nur bedröppelt zu stehen, wenn was passiert. Ich will die dann auch erwischen, mir nichts gefallen lassen". (Bettina). Die Hans-a-Plast-Frauen kritisieren auch die Musikerinnen, die ausschließlich nur vor Frauen auftreten. Annette wertet das als Realitätsflucht. Renate spricht von einem Bonus, der in die Irre führt: "Klar haben die Frauen Schiß wegen ihrer Fähigkeiten auf den Instrumenten. Es gibt ja auch noch nicht viele Frauen die das mit der Technik draufhaben. Aber dann wird ja nur ein Vorurteil bestätigt, wenn die Frauen nur vor Frauen auftreten und dort gesagt bekommen, es ist auf jeden Fall gut und etwas Besonderes, nur weil es von Frauen ist". Annette nerven nicht nur solche falschen Schonräume sie lehnt auch überhaupt Klischees ab: "Wenn Feministin sein heißt: sich eine lila Latzhose und dieses Zeichen anzuziehen, dann find' ich das echt blöde. Ich kann so Uniformen nicht ab. Genauso wie ich diese Lederjacken-Sicherheitsnadelnsachen bei den Punks nicht abkann". Die Distanz der Hansaplastfrauen zu Alternativnormen ermöglicht ihnen, mit ihrer Frauenrolle ganz nüchtern und selbstbewußt umzugehen. Ohne sich zu verleugnen. Sie erzählen grinsend, wie sie drei ganze Tage lang es geschafft haben, einen öden Technikkurs zu besuchen und es drangegeben haben.
Bettina findet ihre jüngst entwickelten Oberarmmuskeln komisch. Und sie sehen seit der Punkbewegung eine dicke Chance für Frauen, in die Musik einzusteigen. "Es hat sich was an der Zeit verändert. Immer mehr Frauen trauen sich, und dadurch kommen andere auch auf die Idee. Das bedingt sich gegenseitig. In der Punkbewegung haben die Frauen ja auch nicht mehr so ein eindeutiges Image. Punk ist erstmal Rausschreien. Deswegen können die Frauen das so gut. Jetzt trauen sie sich auf die Bühne. Das sind ganz andere Maßstäbe!"

Noch einen Seitensprung: Wie die Chronistin auch andere Standpunkte hört - wieder in Hannover

Unterrock aus Hannover ist die erste deutsche feministische lesbische Rock- und-Punk-Gruppe. Ich traf Rosi, Nicki, Vicki, Karin (Angela fehlte) nach einem Auftritt in Kiel. Wie die meisten Gruppen kriegen die Unterrock-Frauen viel zu wenig Geld für den Streß, den sie auf sich nehmen. Leben können sie nicht von der Musik. Dazu kommt, daß die Gruppe am liebsten nur vor Frauen spielt. Auf Feten, Veranstaltungen, Kongressen, die keinen kommerziellen Charakter haben. Darum ist allerdings auch keine Kohle da, die großzügig verteilt werden könnte. Frauenbewegungsfrauen machen es umsonst und traurig? Zumindest "Abmagerungskur hoch Streß" (Rosi). Aber die Unterrock-Frauen stehen zur Bewegung und nicht darüber und finden es deswegen okay ‚ Zeit und Energie dafür einzusetzen. Und sie benutzen ihre Musik, um andere Frauen anzumachen: "Wir sind nicht ausgeflippte Frauen, die nicht wissen, was sie machen. Wir wollen anderen Frauen z.B. klarmachen, daß Frauenbewegung nicht nur Kaffeeklatsch und leise Stimmchen bedeutet. Wir sprechen auch Frauen an, die nichts mit der Bewegung am Hut haben. Die denken dann, durfte, stark, die haben auch Power". Ganz wichtig ist, daß Unterrock lesbisch sind - und zwar offensiv. Sie schreiben Texte über sich und ihre Situation und nicht über chaotische Heteros.

Hans-a-plast: "Hau ab du stinkst"
Ich gehe durch die Straßen
und mir wird so warm
von all den geilen Typen
die ich so sehe
hey Kleiner zeig doch mal, was du so hast
...komm mit zu mir
ich bin dann auch sehr nett zu dir
doch dann geht das Licht an
und vor mit steht ein fetter Kerl
mit Pomade im Haar
und Selbstgefälligkeit im Blick
Hau ab du stinkst
sieh lieber zu
daß du es bei deiner Alten bringst

"Für 'ne Frau"
Du bis so gut im Kinderkriegen
du bis so gut im Tütenschleppen
du bist so gut im Hinternwackeln
du kannst auf hohen Schuhen gehen
Wie hast du das geschafft?
...Für ne Frau gut

Unterrock: "Tigerhose"
Ich kauf mir eine Tigerhose
aus Plastik und Synthetik
ich scheiße in die Kaffeedose
benutz das zur Kosmetik
...färb mir mein Haar im Straßengulli
steck mir ein Kleeblatt in die Kimme
und wenn du mich dann noch lieb hast
find ich das irre schrill
come on baby darauf trinken wir
ein Gläschen Trill mit 4711 Körnchen
...lesbisch sein ist verboten
das steht schon in der Bibel
dann nehm ich meine Lokusbürste
und putz denen die Gehirne
da fließt nur Scheiße drin
das geht mir auf die Birne

Musik, Texte und Aussehen (ich finde sie ja alle wahnsinnig schön, mmm!) verschrecken schon mal das liebe Frauenpublikum. Provokationslust wird mit Beschimpfungen quittiert: Mick-Jagger-Verschnitt, Nina-Hagen-Imitation und dergleichen. Aber die Frauen wehren sich massiv gegen die Schubladenvorstellungen der "neuen Weiblichkeit".... wir fragen dann zurück, was die Frauen für Vorstellungen und Klischees im Kopf haben, wenn die uns vorwerfen, daß wir wie Jungens aussehen. Wir stellen uns dar, wir sind wir. Und jede von uns ist anders". Andrerseits werden die Unter-rock-Frauen oft genug auch von anderen angesprochen, die hier endlich etwas verwirklicht sehen, wozu sie heimlich selbst schon immer Lust hatten. Und oft genug legen nach einem Gig Frauen aus dem Publikum selbst los. Das finden Unterrock positiv: "Das beste am Punk ist, daß viele Frauen eine Chance kriegen. Wenn die Frauen entdecken, daß das ganz leicht ist, dann machen auch viel mehr Frauen Musik. Und nicht nur im stillen Kämmerlein!" Die Gruppe fing auf einer Schrabbelsanlage an mit einem Repertoire von drei Liedern. Wir diskutieren die Männerwelt. "Ich frage mich, was wollen die Typen hier überhaupt! Die Lieder sind doch aus meinen Gefühlen zu Frauen entstanden, da können Typen doch überhaupt nichts mit anfangen... Oder sie warten darauf, daß sie uns mit Mackergruppen vergleichen können, aber dafür bin ich mir doch zu schade!" (Nicki) Deswegen lieber Auftritte vor Frauen. Denen wiederum Pogo und Reggae verdächtig nach Männermusik klingt. Aber Unterrock reagieren ganz nüchtern auf solche Schmalspurkritik: "Was heißt schon, Frauenmusik machen, was "eigenes" machen? Da werden die seichten leisen Sachen als Frauenmusik hingestellt. Aber wozu das Rad nochmal erfinden? Wenn ich einen Text mache und die anderen die Musik, dann ist das - verdammt nochmal - Frauenmusik".

Zielgerade: Mit schweißnassen Lenden verbündet sich die Chronistin mit der geneigten Leserschaft und legt ein paar Scheiben auf

Wie gesagt, es gibt genug Leute, die Blaustrümpfe, Lysistrara, Ina Deter, Flying Lesbians, Schneewittchen u.ä. für die einzig mögliche Frauenmusik halten, und vielleicht sind sie durch Wortgeklingel nicht zu überzeugen. Dann mögen sie sich mal "ApuApi (Help me)" von Chi Pig aus Akron anhören (zwei Frauen, ein Typ). Oder "Oh Bondage, Up Yours" von X-Ray-Spex. Oder "Caucasian Guilt" von Noh Mercy. Oder sie sollen mal Schneewittchen mit Poison Girls vergleichen. Beide Gruppen haben etwas über Hexen gemacht, Schneewittchen haben allerdings zuviel gedichtet und zuwenig gedacht: "Was zittern sie denn und was fürchten sie/die Mächtigen dieser Welt/es ist das Erwachen der Frauen/das ihre Träume quält/man hat uns zulange geschunden/da muß man ja Angst vor uns haben". Das Ganze ist kreuzbrav mit folkloristischem Hui garniert. Poison Girls dagegen: "Remember the Holocaust/Holocaust in Bremen/In the name of the fatherland/In the name of the Fatherlord/In nomine patri/For the sake of his property/Napalm napalm/fire fire witches burn/Woman is heretic" Es werden Parallelen zwischen Judenverfolgung und Hexenverbrennung gezogen, und das Ganze wird in ungeheuer packenden Ton-Collagen übersetzt. Ein zweiter Vergleich: Lysistrara haben ein seichtes Coming-Out-Stück für Lesben gemacht. Schwerfällig, traurig, öd und leer: "...die Angst/daß du mich nicht versteht/und alles gegen mich kehrst." und der Schlußoptimismus ist fürchterlich dezent: "...dann spür ich dieses Glück/und will nicht mehr zurück". Wer hätte das gedacht? Dagegen die Unterrock-Frauen: "Wir sind keine Kellerasseln/wir sind lesbisch/...ich will in keinem Ghetto leben/für mich soll es auch ein Draußen geben/Ich-Sein nur bei rotem Licht/nein Frauen, kann ich nicht..." Genau!

IchverkneifemirdiegesonderteOdeanTinaWeymouthdieaufderBühnesokonzentriertundfaszinierendBaßspieltunddie
AugendabeiaufreißtalsobsieaufpassenwürdedaßderHerrDavidsichnichtvorlauterNeuroseverflüchtigtundhöresofortauf

(Quelle: Sounds 5/80)


Frauen machen Wirbel

Zur Mai-Ausgabe: Die Titelseite hat mich ja echt aus dem Fernsehsessel gerissen. Nicht wegen der drei süßen Girls, sondern wegen den deutschen Musikern von der ach so umstrittenen neuen Welle. Die Fotos zur Story auf Seite 24 und so sahen ja auch vielversprechend aus. Aber die Titelstory selbst? ... (Ich setz' mich wieder hin...) Was soll das??? Dieser aufgespielte Emanzenwichs.
Jill bewegt sich in eine völlig falsche Richtung, wenn sie die Frauen separat als "Frauen" präsentiert, und nicht als Musiker einer Gruppe. Außerdem ist es falsch zu meinen, die Frauen hätten sich den Weg auf die Bühne in mühevoller Arbeit erkämpft.
Das alles ist ein Bestandteil der neuen Sturmwelle. Ein Sturm, wo alle bisher unterdrückten Minderheiten zu Wort kommen: Behinderte (Ian Dury), Transvestiten (Wayne County), Schwule (Tom Robinson), Toilettenwärter (Captain Sensible) usw. In dieser Reihe stellen die Frauen lediglich die bei weitem größte Gruppe dar. Die jetzige Welle akzeptiert und liebt eben diese Gruppen. Jeder meldet sich zu Wort.
Und trotz allem sind die Rockfrauen noch nicht gänzlich durchgebrochen. Die meisten hängen immer noch an den Männern. Die meisten Rockgirls haben nämlich ihren Lover mit in der Gruppe: Betty & Micha (Hans-A-Plast), Siouxsie & Severin, Debbie Harry & Chris Stein, etc. Und nicht zuletzt ist es auch diesen Männern zu verdanken, daß die Frauen soweit ins Rockgeschäft vorgedrungen sind. Sie haben ihre Freundinnen mit in die Gruppe genommen oder andere Frauen ermutigt, Musik zu machen (Siouxsie z.B. wurde damals von Johnny Rotten ermuntert, selbst ihre Sache zu machen, anstatt bloß den Pistols zuzujubeln). Wenn Jill sich nun die Frauen bei Hans-A-Plast rauspickt und diese separat als Frauen vorstellt, so ist das Unsinn. Hans-A-Plast ist eine Gruppe!!!, wo die drei Girls lediglich ein Bestandteil von sind.
Es wäre interessanter gewesen, er/sie/ihr hättet über die ganze Gruppe berichtet. Schließlich handelt es sich bei Hans-A-Plast doch um eine neue deutsche Erfolgscombo. Aber da müssen die fünf wohl erst bei "Big Man" unterzeichnen, welche euch dann Promofotos und Biografien zusenden und euch zu einem Interview und Gig einladen. In solchen Fällen wird ja über den letzten Wichs berichtet (Zeltinger/Nighthawks).

F.K. Kahrs
2802 Ottersberg 3

Frauen sind hierzulande zwar unterdrückt, aber keine Minderheit; sie stellen die Mehrheit der Bevölkerung im Gegensatz zu Toilettenwärtern u.ä. Wer sagt außerdem, daß nicht umgekehrt Bettina Micha in ihre Gruppe geholt hat? Und wie sieht's bei Unterrock aus, oder damals bei Kleenex, oder bei den Modettes? Nachdenken tut not! - Red.

Eure Story zu den Punkfrauen von Jill Vaudeville war einfach irre gut. Frau wünscht sich, sowas viel öfter zu lesen, die Jill soll schreiben viel und mehr und mehr und mehr.

G. Lorenz
1000 Berlin 30

Hab' gerade mit Begeisterung den Titel-Artikel von Jill Vaudeville gelesen! Und ich halte mich auch gar nicht für "befangen" von wegen: die nette Widmung undsofort. Aber auf einen winzigen Fehler möchte ich doch hinweisen: der von Jill so hervorgehobene Artikel von mir und Guy St. Louis heißt vollständig "Frauen im Rock sind Frauen in Hosen" - die Hosen fehlen im Druck. Könnt Ihr das irgendwie zur Kenntnis geben? Mit äußerst wohlgesonnenen Grüßen!!!

Pieke Biermann, Berlin

(Leserbriefe Sounds 6/80)


Fresse / Information Overload