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       Knut Hamsun sagte: "Die Schweizer, dieses Scheißvolk! Hätte 
        ihnen Schiller nicht den Wilhelm Tell geschrieben, hätten sie nicht 
        mal ein eignes Märchen!" Ob Märchen oder selbst Märchen 
        sei mal dahingestellt - auf alle Fälle schlägt in der Schweiz 
        mehr als nur der Vierwaldstätter See Wellen und was die Schweizer 
        an Neuem und Eigenständigem in der Musik haben, wird hier dokumentiert. 
      
         
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             Warten auf Sperma. Rechte Seite, von oben nach 
              unten: TNT, Urs Steiger, Kids, Kraft durch Freude 
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      Swiss Wave - Die Eidgenossen rüsten auf
      Von Martin Byland und Rene Matti 
      Wenn die Rede auf die Schweiz kommt werden noch immer die meisten 
        - analytisch und blitzgescheit, wie immer - etwas von Kühen, Sauberkeit, 
        Uhren, Banken und Käse murmeln und das Land hinter den sieben Bergen 
        - halb belächelnd, halb bewundernd - als "ewiggestrig" 
        abtun! Aber Obacht! Es ändert sich was! 
      In den "wilden 60er Jahren" gab es - wie überall in der 
        Pop-Welt - auch in der Schweiz jede Menge "Beat"-Bands. Die 
        besseren brachten es zu einzelnen Singles und die allerbesten sogar zu 
        einer LP. 
        Außer ein paar wenigen Berner Mundart-Rock-Bands, die's aber auch 
        nicht viel weiter als bis zu notorischer Lokal-Berühmtheit gebracht 
        haben, gab es niemanden, der mit Erfolg einen eigenständigen Sound 
        zu kreieren versuchte. 
        Auch die damalige Jazz-Rock-Szene hat im Rückblick keine Bedeutung, 
        außer es wäre jemand stolz darauf, daß wir hier den drittbesten 
        Zappa und den fünftbesten Mahavishnu hervorgebracht haben. 
      Käse/Schokolade/Uhren 
      Im Gegensatz zur Käse/Schokolade/Uhren-Produktion 
        hat das schweizerische Musik-Entertainment keine Traditionen, was sich 
        logischerweise sowohl auf die Musiker wie auf das Rock-Publikum auswirkt. 
        Dieses biedere und provinzielle Publikum - weder von den Unannehmlichkeiten 
        einer Großstadt noch von Geldsorgen gepeinigt - ist deshalb auch 
        nicht unbedingt gewohnt, Musik-Veranstaltungen zu besuchen. Da die hier 
        meistgehörte Musik englische Texte hat, ist man sich vielfach nicht 
        darüber im Klaren, daß auch eine Message dahinter stecken kann. 
        Musik hat praktisch reine Unterhaltungs- und Ablenkungsfunktion. 
        Dem Schweizer geht es ja im allgemeinen recht gut (was wir ja auch zu 
        schätzen wissen). Die Arbeitslosenzahlen halten sich in Grenzen. 
        Somit läßt sich auch das englische Rezept ("wie macht 
        man aus einem Arbeitslosen einen Pop-Star") nicht auf die Schweiz 
        übertragen. Unter diesem Aspekt leidet natürlich etwas die Disziplin 
        und die Ernsthaftigkeit unserer Rock-Musiker. Dazu kommt der Umstand, 
        daß es um Auftrittsmöglichkeiten in der Schweiz katastrophal 
        bestellt ist. Es gibt wohl Hallen, in denen die üblichen großen, 
        pervertierten Rock-Acts über die Bühne gehen, hingegen muß 
        für jedes kleine Konzert praktisch unter schwierigsten Bedingungen 
        (vor allem Probleme mit den Behörden) eine neue Räumlichkeit 
        gefunden werden. Wenige Live-Clubs bilden die spärlichen Ausnahmen. 
        Trotzdem waren die Zürcher Clubs "Hey" und "Entertainer" 
        und das Genfer "New Morning" die Stützen der ersten Punk-Stunde. 
      Lebendig begraben: Live-Clubs 
      
      Diese Clubs begannen schon 1976, englischen Punk regelmäßig 
        in ihr Programm aufzunehmen; zu den Gästen des "Hey" zählten 
        Koryphäen wie Jimmy Pursey, Ian Dury, die Boomtown Rats und andere. 
        Die Aera dieser Live-Clubs ist allerdings längst gestorben und abgeschlossen, 
        da bei den Konzerten schon mal etwas in die Brüche ging und diverse 
        Omas rund um die Clubs nicht mehr ruhig schlafen konnten. 
        Vereinzelte London-Besucher brachten neue Anregungen aus der Punk-Metropole 
        zurück. Auch die frühen Konzerte - damals noch vor halbleeren 
        Räumen - von Patti Smith und den Ramones brachten neuen Wind in das 
        lahme Schweizer Rock-Environment. Nach und nach entstand so wieder ein 
        Bedürfnis nach guter und harter Rock-Musik (auch wenn anfangs die 
        Schickeria den Ton angab und die Mode machte). 
        Zu jener Zeit kam auch in England die Punk-Bewegung mehr und mehr ins 
        Rollen, was wiederum einigen Leuten hier einen weiteren Kick gab. Logischerweise 
        - oder nicht? - nahmen die damals gegründeten Gruppen die Bezeichnung 
        "Punk" für ihr Image und ihre Musik in Anspruch. Eine der 
        ersten Bands (1977) waren die Züricher "Nasal Boys". Rudolph 
        Dietrich, der heutige Kraft durch Freude-Gitarrist, sagt über die 
        Anfänge der Band: "Sie wurde eigentlich auf Grund von Frustrationen 
        gegründet. Es gab sicher schon ein paar Punk-Singles in England, 
        aber es war nicht so, daß wir nun sagten, wir machen jetzt 
        auch Punk'. Wir taten das wirklich aus unserem Bedürfnis heraus. 
        Wir nahmen anfänglich auch nicht an, daß diese Musik Punk' 
        heißt, diesen Ausdruck haben wir einfach übernommen." 
        Trotz englischem Outfit der Protagonisten gibt es einen großen Unterschied 
        zwischen der hiesigen und der englischen Punk-Bewegung vor der ersten 
        Stunde: im Gegensatz zu London entstand der Schweizer Punk eher aus Frustration 
        und Langeweile als aus sozialem oder politischem Engagement. Die ersten 
        Bands, wie die Nasal Boys, die Troppo und die legendären Dogboys 
        wurden angespornt durch die Tatsache, daß es - ähnlich wie 
        in den frühen "Beat"-Tagen - wieder möglich war, Musik 
        zu machen, die die Leute liebten und nachvollziehen konnten. Niemand mußte 
        ein Supervirtuose oder im Besitz einer Anlage im Wert von hunderttausend 
        Franken sein. 
        In jenen Tagen spielten die Clash vor sage und schreibe 1000 Leuten als 
        erste englische Punk-Gruppe in der Schweiz. Dieser Gig bewies, daß 
        Punk nicht nur Musik, sondern auch Styling bedeutet. Hunderte extrem gestylte, 
        kurzhaarige schweizer Punks zeigten den erstaunten, ebenfalls anwesenden 
        Durchschnitts-Rock-Fans, daß ein Punk-Konzert weitaus mehr Action 
        und Fun in Form von Pogo bietet als ein gewöhnliches Rock-Konzert 
        mit seinen sich selbst überlassenen Zuschauern, die höchstens 
        mal zwischendurch in ihre imaginären Gitarren greifen, damit sie 
        bei den obligatorisch endlos langen Soli nicht einschlafen. 
      Zeichen der Zeit: No Fun 
      Die Bewegung zog weitere Kreise. Daran hatten vor allem 
        Urs Steiger, Peter Preissle und Iggie Wiederkehr großen Anteil. 
        Sie gründeten um diese Zeit mit "No Fun" das erste, beste, 
        wichtigste und noch heute erscheinende Schweizer Punk-Fanzine. Dieses 
        monatlich erscheinende Magazin hatte eine enorme Wirkung sowohl auf sein 
        .Zielpublikum als auch auf die Medien, weil es die Zeichen der Zeit erkannt 
        hatte. Und diese Zeichen standen auf Punk... 
        Innert kürzester Zeit wurden neue Fanzines unter die Leute gebracht. 
        Vom "kleinsten Fanzine der Welt" bis zu einem 80 Seiten starken 
        Wälzer erschienen unter Namen wie "Schwindel", "Klo", 
        "Shit", "Punk Rules", "Pin U"  "Wake 
        Up", "Fuck", "Jamming" und "Rofä" 
        die teils merkwürdigsten Surrogate. So war trotz allgemeinen Zeitungssterbens 
        (und von der breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet) die 
        schweizer Presselandschaft um ein Vielfaches farbiger geworden. Die Bewegung 
        hatte ihre eigenen Sprachrohre. Unterdessen gab es auch zahlreiche Bands 
        und von ihnen sogar schon die ersten Live-Kassetten. Was noch fehlte, 
        waren Platten. 
      Vinyl-Gequietsche 
      Die Nasal Boys brachten Anfang '78 ihre erste Single 
        auf den Markt, und ein weiterer "Mann der ersten Stunde", den 
        man dem Punk-Umkreis zurechnen kann, der Techno-Rocker Dieter Meier, zog 
        mit einer avantgardistischen Single nach. Schließlich wurde in jenen 
        Tagen, als absolutes Novum für die Schweizer Rock-Szene, eine All-Girls-Band, 
        Kleenex, gegründet. Ihre erste EP wurde vom englischen Star-BBC-Disc-Jockey 
        John Peel furios gepusht und die vier quietschenden Girls machten auf 
        der Insel und auch in Deutschland (beim ersten "Into the Future"-Festival 
        in der Hamburger Markthalle) mit ihrem naiv-intellektuellen Sound Furore. 
        Kleenex schafften es, daß England überhaupt eine schweizer 
        Rock-Produktion zur Kenntnis nahm. 
        Hier in der Schweiz schielte man jetzt weniger nach London, sondern besann 
        sich lieber auf die eigene Kreativität. Das fiel umso leichter, weil 
        die erste Band, die sich bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag 
        nehmen ließ, bös' auf die Nase gefallen ist: die Nasal Boys 
        hatten nach der in eigener Regie produzierten, knallharten Single "Hot 
        Love", nach einigen TV und Rundfunk-Auftritten, Interviews und lokalen 
        Auftritts-Erfolgen einen Vertrag mit der CBS unterschrieben. Nach einem, 
        von der Firma diktierten Namenswechsel, produzierten sie unter dem nichtssagenden 
        Namen Expo eine unter aufwendigsten Bedingungen in London eingespielte 
        LP mit dem Sex Pistol-Produzenten Dave Goodman. 
      Das Album ist ein äußerst hörenswertes Produkt, hat aber 
      nicht viel mit dem harten Konzept der Nasal Boys gemein. Deshalb waren die 
      meisten bitter enttäuscht von ihrem merkwürdigen "Intellektuello-Punk", 
      wie er genannt wurde. Dies und eine Reihe persönlicher Gründe 
      brachte den Expo-Gitarristen Rudolph Dietrich dazu, die Band zu verlassen 
      und damit auch die Company, an die er rechtlich noch gebunden war. (Auch 
      Expo haben sich nach einer weiteren Flop-Singel unterdessen von dem Schallplatten-Konzern 
      im Streit gelöst, und die Band hat sich entnervt aufgelöst). Nach 
      langwierigen Streitereien um die Vertragsauflösung brachte Rudolph 
      eine Single in eigener Regie auf den Markt. Um diese Platte überhaupt 
      in eigener Regie herausbringen zu können, war die Gründung einer 
      unabhängigen Plattenfirma notwending. So entstand das Label Off Course 
      Records. Die erste Singel war Dietrichs Abrechnung mit seiner musikalischen 
      Vergangenheit und den unsensiblen Machenschaften des großen Musik-Business: 
      "No Claim With Bluff And Swindle".  
      "No Claim With Bluff And Swindle" 
      
      Gleichzeitig mit der Dietrich-Schallplatte erschien - 
        ebenfalls auf Off Course Records - der Singel-Erstling der Lachener Gruppe 
        Mother's Ruin. Die Mother's-Songs haben einen eigenständigen, originellen 
        Sound. Der "Danny Hot Dog"-Song ("He's in love with hot 
        dogs/he gets hot from hot dogs") gehört zum Absurd-Witzigsten, 
        was die hiesige Szene zu bieten hat. 
        Urs Steigers neu gegründetes Label Another Swiss Label veröffentlichte 
        zur gleichen Zeit die Hymne "Züri Punx" ("Zyt vom 
        Flower-Power isch verbii/Woodstock isch scheisse gsii...") der Gruppe 
        Sperma. Diese Single drückt mit ihrer musikalischen Direktheit und 
        ihren parolenartigen Texten ("Sie träumed vo Punk und Anarchie") 
        sehr schön die wilde Entschlossenheit der ersten Runde aus. 
        Schließlich zogen die Glue Ams (auf eigenem Label) aus Bern mit 
        einer Single nach. Die Sozz aus Büren, von vielen als die "bestaussehende 
        Band" bezeichnet, brachten auf Farmer Records eine Single auf den 
        Markt, die man als "zweitbeste Clash-Platte" bezeichnen könnte. 
        Die TNT verkündeten auf ihrem Erstling - vielleicht eine Spur zu 
        optimistisch - "Züri brännt". Allerdings trifft der 
        Song "Subwayscene" genau den Kern der Sache. TNT gehören 
        zu den härtesten und schnellsten Pogo-Bands der Schweiz. 
        Nie zuvor hatte die Schweiz eine derart aktive Musik-Szene, in der praktisch 
        jeden Tag Neues passierte. Eine schnelle Zeit, mit harter, schneller Musik. 
        Dies dokumentieren auch die beiden ersten 12-Inch-Maxi-Singles. Auf der 
        einen waren mit je zwei rasanten, urigen, echten Fegern die Sick aus Uster 
        und die Chaos aus Feldkirch (Österreich) zu hören. Beide Bands 
        haben nichts mit Schöngeistigem im Sinn. Da gibt es kein langes Gefackel, 
        sondern man kommt sogleich knallhart zur Sache. 
        Dann die Sperma mit einer weiteren EP. Dieser 12-Incher enthält eine 
        höhnische Abrechnung der Spermien mit der CH-Rundfunk-Sendung "Sounds", 
        von der sich die Gruppe zensiert fühlte, einen bitterbösen Song 
        über die Polizei ("Ich hasse so die Scheiss-Schmier") und 
        einen Abgesang auf das Love & Peace-Feeling der 60er Jahre ("No 
        more love and no more peace in 78"). 
      Peinliche Entdeckungen 
      In der ersten Hälfte von '79 war die erste Generation 
        an Schweizer New Wave- und Punk-Platten erschienen. Diverse Bands hatten 
        die Gelegenheit genutzt, ihre musikalischen Ideen im Studio zu überprüfen. 
        Dies führte bei einigen Musikern zu teilweise peinlichen Entdeckungen, 
        hatten sie ihren eigenen Sound doch bisher nur über schlechte bis 
        mittelmäßige Anlagen gehört. Auf dem Seziertisch (Mischpult) 
        des Studios lernten die Bands also ihre eigene musikalische Anatomie kennen. 
        Diese Erfahrung half den Bands, besser und professioneller zu werden. 
        Auch die Produzenten waren jetzt in der Lage, die Platten gezielter zu 
        konzipieren und nicht mehr völlig von den Studio-Ingenieuren abhängig 
        zu sein, die ja zum Teil (logischerweise?) eine völlig andere Ansicht 
        über Produktionsweisen haben als die jungen Punk-Produzenten. Die 
        Erfahrungen mit den ersten Produktionen brachte ein erweitertes Wissen 
        um die ganzen Studio-Mechanismen und -Abläufe mit sich, was sich 
        schon bei der zweiten Generation an "Swiss Wave"-Platten deutlich 
        bemerkbar macht. Als erstes wäre die Genfer Gruppe Jack & The 
        Rippers erwähnenswert, die mit einer modsigen Pop-/Punk-Scheibe überraschte. 
        Nach dem Anhören von "No Desire" bleibt wirklich kein Wunsch 
        mehr offen. 
        Die erste Maxi-Single von Rudolph Dietrichs Kraft durch Freude ("Wir 
        bleiben Kameraden") und die zweite Produktion der Mother's Ruin ("Godzilla") 
        gehören sicher zum Stärksten, was in der Schweiz je in schwarze 
        Rillen gepreßt wurde. Auch die Glue Ams, die Yodler Killers und 
        die Genfer Technycolor mit ihrem "sehr persönlichen expressiven, 
        mechanisch-elektronischen, narrativen integralen Sound" (Zitat Presseinfo) 
        konnten mit hörenswerten Singles aufwarten. In den letzten Monaten 
        sind weitere Platten von den Sozz, TNT und Kraft durch Freude erschienen. 
        An diesem Punkt ist es wichtig zu erwähnen, daß Swiss Wave 
        sich mehr und mehr von seinen englischen Vorbildern gelöst hat. Der 
        beste Beweis dafür ist die 12-inch-EP "Godzilla" der Mother's 
        Ruin. Der heute bereits legendäre erste Auftritt der Band, bei dem 
        sie Kleenex beinahe an die Wand spielten, fand im Heimatort der Mother's 
        statt: in einem Landgasthof organisierten sie ihr Debut, bei dem ein Großteil 
        der Landbevölkerung zum ersten Mal erschreckt-erstaunt festgestellt 
        hat, daß Langhaarige nicht mehr die am verwegensten aussehenden 
        jungen Leute sind. Der Umstand, daß Schweizer New Wave und Punk 
        auch in absolut provinziellen Verhältnissen entstehen kann, dürfte 
        gänzlich ungewohnt sein. In der Schweiz gibt es nicht nur Punks in 
        den Großstädten Zürich, Basel, Bern und Genf, sondern 
        auch in konservativen und ländlichen Gegenden. So fand das erste 
        Schweizerische Punk-Festival 1979 in Emmen bei Luzern statt, einer erzkatholischen 
        Gegend, in der sogar die als Saalordner eingesetzten Rocker als Zeichen 
        ein schwarzes Kreuz auf dem Rücken trugen... Hingegen sind die Songtexte 
        der meisten Schweizer Punks alles andere als konservativ. 
        Die Sick besingen zynisch und höhnisch und mit kotzähnlichen 
        Geräuschen das Schweizer Money-Business. Gesellschaftskritische Töne 
        (ohne allerdings wieder auf die botschaftsschwangeren Heilslehren der 
        frühen 70er Jahre zurückzufallen) werden vielfach auch von den 
        Sozz ("Patrol Car"), den Sperma ("Bombs"), den Glue 
        Ams ("SS", ein Anti-Nazi-Song), Kraft durch Freude ("If 
        The Woman Rules The World I Kill Myself", "Berlin-Wall", 
        "68' Zombies") angeschlagen. Rudolph Dietrich kam dank seines 
        Band-Namens, des Maxi-Single-Titels und auch wegen seines anfangs schockierenden 
        Kokettierens mit Nazi-Emblemen mehr und mehr in den Ruf eines Neo-Nazis 
        und damit ins Kreuzfeuer einer verzweifelt nach Feindbildern suchenden 
        Kritik, die es nicht so ohne weiteres hinnahm, daß Rudolph sie als 
        "lebende Tote aus der 69er-Bewegung" verspottet. Zu den Angriffen 
        selbst nimmt Rudolph Dietrich Stellung: "Egal an welche Zeit der 
        Name Kraft durch Freude' erinnern mag, sein Inhalt trifft haarscharf 
        die Sache, die wir wollen. Es gibt (in der Schweiz) auch Leute, die beim 
        Anblick eines jeden Deutschen an die Nazi-Zeit erinnert werden. Bei alten 
        Leuten finde ich es verständlich, bei Jungen doof. Ich könnte 
        genausogut sagen, Pistols' erinnere an die Indianer-Ausrottung, 
        was soll das?' 
        Weitaus unverfänglicher dagegen die Texte der Kleenex ("Sie 
        sind so nett, die kleinen schwarzen Pudel, oh, so naiv im Rudel"), 
        in "Nice" oder "ü, ü". Harmlos, wie vieles 
        in einer teils sehr modisch geprägten New Wave-Punk-Szenerie? 
        Zürich war schon 1976 bekannt für seine ausgesprochen schicke 
        und elitäre Musikergarde, die im Verlauf der Punk-Entwicklung durchzuhalten 
        vermochte. Der Maler, Bildhauer und Drehbuchautor Dieter Meier gehört 
        zu den expressivsten Sängern der Schweiz. Begründet durch seine 
        Experimentierfreudigkeit trat er mit immer neuen Bands unterschiedlicher 
        stilistischer Herkunft auf und veröffentlichte drei einprägsame, 
        differenzierte Singles. Als Meier bereits 1976 eine LP aufnahm, glaubte 
        niemand an eine Veröffentlichung und auch nicht daran, daß 
        aus dem Material ganze zwei Jahre später Singles ausgekoppelt würden. 
        Dann kam Yello: mit dieser elektronischen Band nahm Meier eine 12-Inch-Single 
        auf, um seine schnarrende Stimme in völlig neuem Klangumfeld zu präsentieren. 
        Ausgefallen und irritierend die erste Platte des aus dem frühen Meier-Umfeld 
        stammenden Röbi Vogel. Die in Mundart mehr gesprochenen als gesungenen 
        Titel sind teilweise sehr melodiöse Toncollagen, die zu Stockhausens 
        beliebtesten Schlagern zählen könnten. Ebenfalls mit dem Meier 
        aufgewachsen sind die Aarauer Fresh Color, die nach zwei eigenen Singles 
        auf Stiks Records kürzlich eine hervorragend produzierte EP herausbrachten. 
        Die neue Sängerin Liza Wue bringt die fünf New Wave-Songs mit 
        professioneller Kühlheit. 
      Humor ist, wenn man "ü, ü" macht... 
      
      Wichtiger Aspekt in der Entwicklung ist der für 
        viele Schweizer Punks typische Humor und eine gute Portion Selbstironie. 
        Treffendes Beispiel dazu sind die Mother's Ruin mit ihrem tragisch-komischen 
        japanischen Liebeslied über das Monster "Godzilla": "Love 
        makes her feel like a horny youngster/Makes her forget that she's a monster". 
        Und nachdem sie ihren angebeteten Beachboy mit einem Flammenkuß 
        beglückt hatte: "She drives back to ocean crying brokenhearted/The 
        fun was over before it really started". 
        Überhaupt sind die Mother's Ruin eine der originellsten Bands der 
        hiesigen Szene. In ihrer ländlichen Abgeschiedenheil waren sie zwar 
        spitz darauf, Punk zu machen, weil sie gehört hatten, daß dies 
        der letzte Kick sei, aber sie kannten in ihrer Anfangszeit praktisch nur 
        die Velvet Underground. Ihr Sound, der sich so völlig eigenständig 
        und von England weitgehend unbeeinflußt entwickeln konnte, ist melodiös, 
        ganz im Gegensatz zu den TNT, die das schnellste und härteste Repertoire 
        spielen und als eine der "echtesten" Punk-Bands gelten. Ihre 
        erste erfolgreiche Single "Subwayscene" und auch die zweite, 
        "Remember The 
        TNT-Fight", befassen sich mit Zeiterscheinungen wie Aggressionen 
        (etwa den z.T. gewalttätigen Auseinandersetzungen der Punks mit den 
        Teds, Rockern und Discos in Zürich). 
        Eine der frühesten und aggressivsten CH-Punk-Bands, die für 
        eine weitere Befruchtung der Schweizer Rock-Szene ejakuliert, ist Sperma, 
        die um einen Saxofonisten verstärkt in die nächste Runde geht. 
      Im Vollrausch 
      Es brodelt in der Schweizer Szene. Seit den legendären Tagen des 
        Schweizer "Beat", der immerhin so erstaunliche Gruppen wie Les 
        Sauterelles (damals auch als Swiss-Beatles bezeichnet), The Dynamites, 
        Sevens (weil sie zu viert Krach wie sieben machten...), The Slaves hervorbrachte, 
        ertönt wieder Musik und Lärm, der den Namen Rock'n'Roll verdient. 
        Wie sich auf Dauer zeigt, sind die Schweizer Punks ausgesprochene Aktivisten. 
        Das würde man ihnen nicht unbedingt zutrauen, wenn man sie bunt und 
        lärmig - in Bier getränkt, das sie über alles lieben - 
        auf der Gasse herumhängen sieht. Der harte Schweizer Punk ist entweder 
        Verleger und Redakteur eines der vielen Fanzines oder Organisator eines 
        der Punk-Konzerte oder Musiker oder gar alles zusammen. Praktisch jeden 
        Tag entstehen neue Bands, von denen einige wahrscheinlich nie über 
        ein paar Gigs hinauskommen werden. Andere werden einem eingefleischten 
        Liebhaber-Publikum vorbehalten bleiben. Bands jedoch wie die vorhin erwähnten 
        werden heute schon von einem Publikum beachtet, das bei den ersten Auftritten 
        der CH-Punks noch schreiend davonlief. Weitere Gruppen, die in letzter 
        Zeit von sich reden machten, sind Mystery Action, Kiars, Rebels, Shit-X, 
        V-Sex, Hexan-5, Bastards, Volcan, Crazy, Zero Hero's. Alle diese jungen 
        Bands verfügen über ihre kleine Fan-Gemeinde. Eine Schweizer 
        Eigenheit ist auch, daß die Punks ihren Bands überall hin nachreisen. 
        Das hat zur Folge, daß zwischen dem Vorarlbergischen Feldkirch und 
        Genf beinahe jeder Punk den anderen kennt. Nach herkömmlichen Klischees 
        müßte man annehmen, daß diese Inzestsituation die Gefahr 
        einer allmählichen Degeneration mit sich bringt. Aber ein zunehmender 
        Bekanntheitsgrad der Punks und ihrer Produktionen sollte das verhindern. 
        Auch der "interne Wettbewerb" der Punkbands einerseits verhindert 
        ein Abflachen der musikalischen Intensität. Und andererseits dokumentieren 
        die bisher erschienenen Platten die beachtliche Entwicklung der Szene. 
        Mit ihren Initiativen und ihrer Promotion tragen die Labels und die langsam 
        über die Sensationslust hinausgehenden Medien zu einer Erweiterung 
        des Spektrums der Swiss-Wave-Szene bei. 
      Noch viel zu tun 
      Noch gibt es hier keine echten Profis. Noch erscheinen die Platten nur 
        in einer beschränkten Auflage. Noch klappt nicht alles optimal. Noch 
        sind die Schwierigkeiten allerorten enorm. Noch ist die finanzielle Lage 
        äußerst knapp. Trotzdem, es ist ein Anfang gemacht. 
        Die nächsten Schritte werden erste Alben sein. Weiter ist eine schweizer 
        Vertriebsfirma (Swiss Wave Distribution) im Aufbau. Ein Grundstein ist 
        gelegt, auf dem sich durchaus Größeres aufbauen läßt. 
        In diesem Sinne: Heute die Schweiz, morgen die Welt, und übermorgen 
        das Sonnensystem... Swiss Wave Rules! 
        P.S. Kleenex sind alive und weil! Allerdings nicht mehr unter dem Konzern-Namen, 
        der ihnen ja bekanntermaßen untersagt worden ist. Ursprünglich 
        wollten sie sich Wig-Wam nennen und nun, lies und staune, Liliput. Neu 
        bei Liliput sind Angie Barrack (Saxofon) und Chrigel Freund (Vocals). 
        Ende Mai erschien auf Rough Trade die erste Liliput-Single mit zwei neuen 
        Titeln: "Split" und "Matrosen". Und im Juni steigt 
        die erste Tour der neuen Formation in der BRD. 
      (Quelle: Sounds 6/80) 
       
      Historisches Bla-Bla
      CH-Käse-Bericht: Euer Menü Zürcher Gekotztes mit Risi-Pissi 
        war wahrlich zum Pissen vortrefflich geeignet. Euer Köche-Team Byland/Matti 
        hatte mir ganz schön die Laune versalzt. 
        War hier vor allem die Rede von der Inzucht-Szene Zürich, so hat 
        man die Genfer, Berner bloß gestreift und die Luzerner, Basler, 
        St. Galler (Vorarlberger) gar links liegen lassen. 
        Mir scheint, daß Byland (seines Zeichens "Off Course "-Gründer) 
        mit diesem Artikel seine Bands (KdF, Mother's Ruin, Sick, TNT) in der 
        BRD schmackhaft machen wollte. Die neue gegründete Vertriebsfirma 
        "Swiss Wave-Distribution" (Byland/Steiger) agiert mit 
        den restlichen Bands (Sperma, Jack and the Rippers, Technycolor etc.). 
        Ja, so einfach ist das. Und wenn du nicht dabei bist, bist du selber schuld. 
        Die harten Punk-Bands wie Rebels, Liars, IV-Sex (IV!), Technos (CH.Rarität) 
        wie Grauzone, Mädels wie Retro, schließlich New Punk von Crazy 
        haben es besonders schwer mit Gigs und Platten. Denn sie sind die wirklichen 
        Frisch-Wind-Macher neben TNT und Liliput. Das SOUNDS ist ein wirklich 
        modernes Fanzine mit sehr interessanten Artikeln. Danke! Aber solch historisches 
        Bla-Bla-Zeugs von Annodazumal und so kann es für die CH-Rock-History 
        aufbewahren. 
        E so chömmer 1984 grad vergässe. 
      Alwin Luschin, 
        CH-6014 Littau 
      (Leserbrief Sounds 7/80) 
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