S.Y.P.H.
Alfred Hilsberg
Ein ausführliches, intensives Interview mit Harry Rag.

Das Solinger Gefühl
Harry Rag / S.Y.P.H.

Eines der Prinzipien des Marxismus lautet sinngemäß, daß Geschichte nicht von Einzelnen gemacht werde. Solingen, die Klingenstadt genannt, liegt im beschaulichen Bergischen. Düsseldorf ist nahe. Hätte ich vor fünfzehn Jahren "ja" gesagt, wäre ich heute dort Messerfabrikant.

Von Alfred Hilsberg

Braatz steht an der Tür der düsteren Villa in der Solinger Gutenbergstraße. Peter B., Sohn des Malermeisters und Vorsitzenden des lokalen Radsportvereins, hat mich vom Bahnhof Ohligs abgeholt. Endstation der S-Bahn.
Das Zimmer im obersten Stockwerk ist karg eingerichtet. Bett, davor eine braune Couch, zwei Sessel, Schrank, Waschgelegenheit, Bücherbord, Plattenregal, Eisschrank, Gitarre, Schreibtisch, Teac-Vierspurgerät, Tonbänder, ein paar Plakate der Gruppe S.Y.P.H. Hier ist Peter Braatz Harry Rag und Harry Rag Peter Braatz. Ich bin gern hier, sagt Harry, und Peter sieht aus dem Fenster. Auch Interviews brauchen Anwärmzeit. Die neue Musik bei uns lebt von Außenseitern, Einzelgängern, Machern, Amateuren, Dilletanten, Nachdenklichen Wehrpflichtigen, Harry Braatz.

INTERVIEW

Alfred: Dein Auftritt mit Ralf Dörper in Berlin unter dem SYPH-Namen stieß ja überwiegend nicht auf wohlwollendes Interesse. War es in erster Linie das ungewöhnlich hohe Honorar oder war es nach dem Auseinanderfallen eurer Band eine Art Test für dich selbst?
"Vielleicht ist Crass ein Produkt der CBS, wer weiß..." (Foto: Carmen Knoebel)
Harry: Das sollte erstmal für mich ein Zeichen sei, daß ich weitermachen kann, egal was passiert. Dann hat es mich gereizt, ein Konzert von vierzig Minuten zu gestalten, ohne vorher zu wissen was passiert. Wir hatten erst vor, vier Stücke a zehn Minuten oder so zu machen, aber das war uns alles zu herkömmlich. Ein Hauptband lief über 40 Minuten ab. Da waren verschiedene Volksmusiken drauf, die wir bei der Aufnahme stark mit Echo verhallt hatten. Das war eigentlich nur der K1angteppich. Außerdem lief eine Endloskassette mit Bahnhofsgeräuschen, das dritte war eine Märchenkassette, "Der Teufel mit den drei goldenen Haaren". Aber das alles ist leider untergegangen. Eigentlich hatte ich es darauf abgesehen, daß die Leute sich durch die 40 Minuten durchhören und am Ende was davon haben, weil sie diesen ganzen Prozeß miterleben. Sie konnten Einfluß ausüben, so wie der, der mir Bier über den Kopf geschüttet hat, oder das singende Mädchen, der tanzende Typ. Damit haben wir nicht gerechnet. Weil das Band teilweise durch technische Fehler ausfiel, wurde es nicht das, was
geplant war.
Die Art der Präsentation, von der Verteilung einer Art Reiseführer durch die 40 Minuten, erinnerte mich an bekannte Formen wie Performances.
Wenn du das überlegst, ob eine Sache schön mal da war, ob sie in oder out ist, solltest du lieber gar nichts machen.
War also Berlin kein Bruch in der Entwicklung von S.Y.P.H.?
Ich habe S.Y.P.H schon immer als "Punk"-Band gesehen. weil Punk für mich von Anfang an nicht einzuordnen war, die sehr viel Ausdrucksmöglichkeiten beinhaltet hat. Die Leute. die an S.Y.P.H. was rumzumeckern haben, die haben eine bestimmte Vorstellung davon, was Punk angeblich ist. Klar, daß der KFC keine Schwierigkeiten hat, als reine Punkband anerkannt zu werden. Aber imgrunde ist ihre Musik sehr angepaßt an das Schema Punk-Musik. Wenn die Band dann vor 500 Leuten das spielt, was diese 500 denken und erwarten, dann ist da kein Punk mehr dran. Das möchte' ich nicht. Da kannste ganz leicht eingeordnet werden Manchmal lege ich mir auch den KFC auf, vom Schallmauer-Sampler, oder die Sex Pistols, und dann bekomme ich manchmal Lust, auch wieder so etwas zu machen. "Zurück zum Beton" ist für mich ein Punk-Stück in diesem Sinn. Aber auch "Kein Ziel" ist für mich Punk, obwohl es kein Drei-Minuten-Song ist und keinen Refrain zum Mitbrüllen hat.
Ich verstehe nicht so ganz, warum du so auf dem Punk-Begriff beharrst.
Ich war eben fasziniert davon, es war etwas Neues. Aber wie von den Pistols war ich auch von Cabaret Voltaire und Throbbing Gristle begeistert. Klar, ich definiere Punk eben anders, und von daher hab' ich Schwierigkeiten.
Du lebst ja hier, wie soll ich sagen, in geordneten Verhältnissen, bei deinen Eltern...
Ich hab' mich damals so richtig als Punk gefühlt. Ich wollte raus, abhauen von zu Hause. Das war die Zeit der vielen Badges und Platten und wo ich viel auf Konzerten rumgelaufen bin. Das war eine ganz andere Zeit. Wer weiß, was heute schon alles von oben, von den großen Firmen gesteuert wird. Vielleicht ist ja Crass ein Produkt der CBS, wer weiß... Punk sein heute ist doch nur auf Konzerten rumstehen, sich vollsaufen, Leute anpöbeln, die einem nichts tun. Den Leuten, die einem was tun, dagegen tut man nichts. Und das versuche ich. Mit S.Y.P.H., mit dem Pure Freude-Label. Wir machen von vorn bis hinten alles selber. Wir spielen auch keine fremden Stücke. Jetzt ist es soweit, daß wir die Sachen im gleichen Zimmer auf eigener Maschine aufnehmen können. Ich finde, daß das eine wirkliche Alternative ist, da kann mir keiner mehr reinreden.
Alternativ, das ist wieder so Wort...
Das is'n Scheißwort
Wie bist da denn nach all dem Punk zu einer anderen Musik gekommen? Ich weiß, daß du die Can schon lange kennst.
"Ich habe mich aus der Szene zurückgezogen" (Foto: Carmen Knoebel)
Ja, das ist immer schlecht, sich nach Vorbildern zu richten. In der Düsseldorfer Szene ging das los: die Male haben Clash bis ins Detail kopiert, auch die anderen Bands, die Leute, das hat mich alles so angekotzt, da war zu wenig Eigenes drin. Und ich habe gedacht: die sind ja so unehrlich, das sind ja nur Hülsen. Das siehste heute besonders bei Fehlfarben. Die leben ständig auf dem Grat, was in oder out ist. Ich kann der Fehlfarben-Musik nichts Ehrliches abgewinnen.
Selbst die Texte sind nicht ehrlich?
Nee. Ich hab' jetzt selbst n' Text gemacht, da gehe ich den Fehlfarben an den Kragen. Der Janie hat früher ganz selten das Wort ‚Ich' gebraucht... Auch den "Kebab-Träumen" kann ich nichts abgewinnen Das ist so ein typisches Gabi Delgado-Ding. Ich kann den nicht als Freund gewinnen. Du lernst sie nie als Menschen kennen, immer nur als Leute, die bestimmte Typen verkörpern wollen. Cool, kaputt... Ich habe mich aus dieser Szene zurückgezogen.
Fühlst du dich als Außenseiter?
Nee, ich finde das ganze Gehabe einfach unehrlich. Wirklich bei der ersten S.Y.P.H.-LP hab ich fast aus Protest immer nur "ich, ich, ich" drin. Wenn einer ähnliche Gefühle hat, dann bringt ihm das auch was.
Als was siehst du dich denn? Nicht mehr als Teil dieser neuen Szene?
Tja... zum gewissen Teil bin ich da drin. Wenn du die ganzen neuen Platten nimmst, dann haben die S.Y.P.H.-Platten etwas Einmaliges. Da gibt es keinen Zweifel: das ist S.Y.P.H.. Unsere beste Zeit hatten wir vor so vor einem Jahr. da waren wir schon eine richtige Band.
Wolltest du eigentlich auch Erfolg haben?
Erfolg... ich finde es toll, wenn mir Leine nach einer Platte schreiben, die Platte schön finden, die Gefühle teilen, mehr so intime Sachen. Was ich als Erfolg fürchterlich finde, ist bei 'ner großen Plattenfirma zu sein, 'ne Tournee zu machen. S.Y.P.H. würden nie eine Tournee machen. Und Pure Freude würden nie kommerzielle Werbung in Zeitungen machen, das würde derselbe Weg wie bei der Industrie sein, Bei Rip Off ist das was anderes.
Eine populäre Band schien mir S.Y.P.H. nie zu sein...

Ich glaube, es ist ganz gut, wenn 'ne Sache ganz lange im Untergrund keimt, das kann auch ruhig noch fünf Jahre weiterkeimen. Wir haben doch wohl nie ein Gruppenfoto in irgendeiner Zeitung gehabt. Wenn du dir Mania D. ansiehst: die kommen aus dem Nichts, und der John Peel will mit ihnen eine Session machen. Aber ich möchte nie mit denen tauschen, Ich arbeite den ganzen Tag, mir macht die Arbeit Spaß, und ein-, zweimal die Woche nehm' ich was auf. Das soll nie mein Beruf werden. Im Beruf wirste routiniert, flachst ab. Einem Hobby widmest du dich intensiver.
Was arbeitest du denn?
Bei meinem Vater, als Maler. Da will ich die Meisterprüfung machen. Darin vielleicht studieren. Das habe ich bis jetzt nicht gemacht, wegen der Theorie, die da angeboten wird. Musik studieren könnte ich auch nicht, da sind die Aufnahmebedingungen ja irre schwer. Außerdem sind gute Handwerker meist schlechte Künstler.
Das siehst du so absolut?
Nee, nicht so, da könnte man ja aufhören, Musik zu machen. Ich möchte nur mit jedem Stück etwas Neues machen, für mich Neues versuchen. Die neue Throbbing Gristle habe ich gerade gehört, das hat mich unheimlich geeindruckt, auch wie der mit der Stimme arbeitet, ich habe die bisher als Künstlerkacke unterbewertet. Die versuchen auch bei jedem Stück etwas anderes zu machen. Die geben sich schon ein gutes Image, aber die sind wirklich noch besser als ihr Image;
Du willst ja wohl auf ein Image nicht festgelegt sein. Wie würdest du dich beschreiben?
Hmm... welchen Teil denn? Musiker, den Sportler, den Maler, den Mann?
Hast du Schwierigkeiten, diese verschiedenen Identitäten unter einen Hut zu bringen?
(gießt sich noch einen Schnaps ein) Musik sollte eigentlich immer ein Abbild aus dem täglichen Leben sein, ein Gefühl widerspiegeln. Als Handwerker bist du in extremen Situationen, auf einem fünfzehn Meter hohen Gerüst, im Keller beim Spinnen-Verscheuchen, im Gespräch mit einer alten Frau, wie ihre Zimmerdecke gestrichen werden soll, oder wenn du einen Parkplatz malen mußt. Ein toller Reiz, du machst jeden Tag was anderes. Wenn ich mich hier abends hinsetze, zehre ich davon. Wenn ich dagegen in der Szene hin, darin sagen mir diese Bands überhaupt nix. Ich bin ja zu allem Überfluß noch im Handballverein.. weisse, ich hab mehr so von Leuten. mit denen man so Kumpel is, weisse? In der Düsseldorfer Szene sind sie alle Stars. Deshalb ist die ganze Gruppe S.Y.P.H. da rausgegangen. So ein paar Leute, naja... der Albert Oehlen (Nachdenkliche Wehrpflichtige - d. Verf.) und der Frieder Butzmann, die stehen da ein bißchen drüber.
Was mir an der zweiten LP besonders aufgefallen ist, daß Natur in verschiedenen Songs vorkommt.
Mir ist das erst nachträglich aufgefallen. wie oft die Beziehung Mensch - Tier dort vorkommt. Ich habe die Texte da quasi mit geschlossenen Augen geschrieben. Die sind rausgeflossen wie dem Uwe die Solis, ich konnte eigentlich in dem Moment wenig damit anfangen, das heißt, ich konnte sie keinem erklären. Erst im Entstehungsprozeß haben die Sachen Form angenommen. Einige Sachen sind so falsch, so disharmonisch, so schief gesungen... aber gerade das hat mich dazu gebracht, das immer wieder zu hören. Gerade diese Disharmonie. das Unlogische, macht die Platte für mich so reizvoll.
Aber die Bezüge zu anderen, vorhanden Musikrichtungen, wie Can, sind doch unüberhörbar.
Ja gut, aber Can kann man nicht kopieren. Wir sind vermutlich aus demselben Grund an die Sache rangegangen wie Can, daher kommt der Einfluß. Aber es ist keine Kopie. Und klar kommt das, wenn du im Can-Studio aufnimmst und der Holger Czukay mitspielt.
Diese musikalische Reflektion macht die PST irgendwie zeitlos.
Ja, dat is gut, das du das sagst. Man wird in fünf Jahren nicht sagen können: das ist ne typische Platte aus der Zeit. Das kommt auch, weil wir uns rausgezogen haben.
Damit widerspricht S.Y.P.H. doch der vorherrschenden Struktur von Rock-Musik als einer Musik der Jugendlichen.
Harry Rag lässt nicht nur an SOUNDS kein gutes Haar (Foto: Carmen Knoebel)
Traditionell in der Rock-Musik ist die immer gleiche Struktur der Rock-Stücke. Vom Rock'n'Roll an, vielleicht die Psychedelia etwas ausgeklammert, hatten alle Songstrukturen und werden die in zehn Jahren noch haben. Auch bei der nächsten, dann noch härteren Welle wird es wieder die Song-Strukturen geben, weil nur das vom Publikum nachvollzogen wird. Dieses dumme Übernehmen von Phrasen, von Refrains... da habe ich mir gedacht, wär' doch toll, wenn die statt "London brennt!" oder "Nieder mit den Bullenschweinen!" plötzlich eine mathematische Formel brüllen, eine, die sie überhaupt nicht verstehen. "Delta x durch b gleich C, der reziproke Wert ist E"... wenn hundert Leute das brüllen...
Ist ja eine sehr intellektuelle Intention, ne?
Ja, aber das Stück ist total rau, die Fehlfarben sind ja richtig glatt dagegen. Is live eingespielt.
Glaubst du denn, daß sich solche eigenständigen Versuche einer neuen Musik hier durchsetzen lassen?
Die neue Musik, das wird immer was für Sammler, die Archäologen, die Forscher sein. Wenn die erste Seite von unserer ersten LP gut produziert worden wär', von Giorgio Moroder oder so, dann hätte fast jedes Stück einen Hit-Status erlangen können. Und dann im entscheidenden Moment die radikalen Platten rausbringen, etwa wie's die Beatles gemacht haben, mit "Revolution". Dadurch könnte ich vielleicht was andern.
Was ich meine, ist nicht in erster Linie eine Änderung der Konsumgewohnheiten, sondern das Verhältnis zum Konsum muß sich ändern. Und das war im Ansatz mit dem Punk gegeben.
Du sagst es: aber wenn die Bands weiterhin den traditionellen Weg gehen, hin zu den großen Plattenfirmen, unterstützen sie das Bestehende.
Du kommst aber leicht in eine Art Insel-Existenz. Eure 2. LP läßt den Zuhörer nach meiner Ansicht sich mehr mit der Musik-Form beschäftigen.
Das ist der springende Punkt. Das soll mir mal einer beweisen, das DAF oder erst recht Plan etwas Neueres als wir gemacht haben. Bei dem "Ampel"-Song sind die Strukturen wie bei Peter Alexander, wie bei jedem Hit, nur die Instrumente sind andere. Lediglich weil unsere Instrumente konventionell sind, denkt man, unsere Musik sei konventionell. Worum es bei S.Y.P.H. geht: Da soll ein Gefühl rüberkommen. Da ist kein Affe, der euch was vorgaukeln will. Da ist ein Mensch, der mit dir ganz persönlich sprechen will. Am Besten wirkt die Platte, wenn man betrunken ist, denn dann ist der Geist nicht so verklemmt. Die neuen Musik-Normen, besonders James White, das ist total verkrampft. Ich hoffe, daß das ein paar Leute mitkriegen, die zwar irgendwie totale Punks, aber innen drin noch Mensch sind. Punks sind ja im Grunde ängstlich. Und in einem bestimmten Moment geht es "klick" und sie denken: Oh, is dat schön! Das ist ja richtig kindlich - naiv - lieb, was die da machen. Also es würde mich freuen, wenn es noch eine andere Band hier geben würde, die freundlich und humorvoll sein würde.
Vielleicht und die Zeiten für solche Gruppen nicht die richtigen..
"Wenn man betrunken ist, dann ist der Geist nicht so verklemmt" (Foto: Carmen Knoebel)
Ja, deswegen ist unsere Platte zeitlos. Die ist nicht modern, Was heute modern ist, ist morgen alt. Es gibt schon ein paar Bands auf der Welt, die das machen. was ich mit S.Y.P.H. ausdrücken will. Die Swell Maps. die sind genial. Aber die werden kaum beachtet, aber irgendwo ist das richtig. Die wenigen aber sind eingeschworen, So was ist mir lieber als einmal ganz oben zu sein und dann runterzufallen. Du kannst sowas durchhalten, wenn du ein David Bowie bist. Aber nicht wie Fehlfarben. Dann bleib ich lieber ganz. unten, da kann dir nix passieren. Aber S.Y.P.H. soll immer ein Problem bleiben. Man muß schon persönlich was davon haben, sich in einem ruhigen Stunde darüber kaputtlachen oder weinen. Aber Star zu werden, das macht die Sache kaputt.
Liegst du manchmal auf dem Bett rum und denkst über solche Dinge nach?
Ich weiß nicht, das ist meine Grundeinstellung. Wenn du daran konstruierst dann bastelst du wieder ein Image. Du, wir haben jetzt die nächste Boss & Beusi-Platte. Das wird ein Hammer! Nur so lockere Songs, total schräch, aggressiv auf ihre Weise, aber auch lieblich auf die andere Weise. Ich spiel die dir mal vor aber nur, wenn nicht im Januar was im "neusten deutschland" steht (versprochen - d. Verf.). Das soll eine Doppel-Single werden, in weißem Vinyl, tolles Cover, Die erste war ja fast etwas zu albern...
Und während Harry ein Bier öffnet, ich einen Schnaps trinke, Harry über die politische Bedeutung der Kinks meditiert und ich mir Gedanken über Harrys ldeale mache, kommen aus dem Kopfhörer die Boss & Beusi-Klänge. (Boss und Beusi sind Harry und Freundin Stefanie.).
Das macht so richtig Spaß, echt. - Irgendwann werde ich auch wieder eine Band zusammen haben.
Willst du vielleicht mal neue Verbreitungsformen ausprobieren.?
Hm, Kassette, Video..., Video wird machbar sein, die anderen Sachen sind zu kostspielig. Wieso Platten? Du machst doch auch keine Platte nach der anderen! So, willste mal hören? Volle Suppe ich kann's kaum erwarten, daß das rauskommt (recht hat er - Alfred).
Dann reden und lästern wir über SOUNDS, an der Harry nicht viel Gutes findet aber doch bemerkt:
Hier, Lydia Lunch. mit der kannste sicher nicht ins Kino gehen. ohne daß sie dich verrückt macht. Hier dat is gut. Albert Oehlen... Hier O.R. Kröher, wer is dat denn? Der hat einen totalen S.Y.P.H.-Verriß gemacht! Das find ich wirklich gemein! Und dem ist ein Ding passiert mit dieser Verwechslung da mit Croox und Not Mean Themselves. ZK, die werden ja auch von dir gelobt . Ja das ist schon eine Band, die arbeitet wie wir im Untergrund. Die konnte man total kaputt machen, wenn man die jetzt vermarktet. Und das haben sie verstanden... Dat is schon voil witziger, deutsche Platten zu kaufen als englische. Hier, kuck dir mal diese Zigarettenreklame an... Diese Leute haben mich immer so angekotzt. Lachleute und Nettmenschen, das sollten sie sein... Hier, das Buch, Pasolini, solltest du mal lesen, das geht gegen diesen ganzen Medienfaschismus. Willste noch wat trinken?"
Einige Zeit später kommen wir auf die S.Y.P.H. -Rezeption, auf die Schwierigkeiten, Harrys Texte zu verstehen.
Ich hab' die noch nie öffentlich interpretiert. Ich lege da mehr rein, als man da vermutet. Gabi Meierding (Musikexpress) fand die total bescheuert... Das hat mich total flach gemacht. Ich hab mich ganz schlecht gefühlt... Ich beschäftige mich mit vielen Problemen um mich herum. Dazu gehört, dass bestimmte Leute aus der Szene bestimmte Images vertreiben. Beispielsweise Andre Heller. Der hat ein Image, das paßt auf Wien. Ich find den zum Kotzen, und das wollt ich mit ‚Einsam in Wien" zum Ausdruck bringen. Ich wollte ähnlich wie Heller pseudointellektuelle Texte intonieren. Das Ganze aber total verkrampft. Diese Sätze sind Phrasen, die jeder für sich was aussagen könnten, aber im Grunde totaler Schwachsinn sind. Wenn du genau hinhörst, wirst du auch Parallelen zwischen Janies "Paul ist tot" und "Einsam in Wien" feststellen. Wie ich mich einsam fühle... Dieser Andre Heller, der wird von so vielen gehört. "Einsam" ist auch ein Hinweis, wie einsam man sich in einer Szene wie dieser mit guten Texten vorkommt. Der ganze Tag ist vollgepackt mit Verarschung. Die waghalsigste Interpretation habe ich bei "Lametta" im nachhinein gefunden. Das hängt nämlich mit meinem Geburtstag zusammen, wie ich da zurückgerechnet habe, kam ich drauf, was meine Eltern an Weihnachten für einen Spaß hatten. Da haben natürlich andere Leute überhaupt nichts von... Aber diese Stimmung vom 26. Dezember 1959, die ist darin ausgedrückt! Der Stamm klebt..."
S.Y.P.H. sind im Sommer 80 auseinandergegangen. Boss & Beusi war auch eine Trotzreaktion, "gegen die Perfektion der New Wave". Holger Czukay war der "fünfte Musiker" bei S.Y.P.H. Das Stück "Do The Fleischwurst" besteht unter anderem aus etwa 1000 Tonband-Schnitten. Pure Freude bringt im nächsten Jahr die Live-LP FINGER FÜR DEUTSCHLAND und eine Platte der Vielleichtors raus. Beusi liegt mit Erkältung im Bett. Wir brechen auf. Ich werde in Düsseldorf erwartet. Kommiss Keller hat wieder einen Mädchenmord auf dem Gewissen. Schneller als 40 dürfen wir nicht fahren. "Aus dem Weg!" Niemand hört auf Harry. Totalschaden. Geschichte wird gemacht, es geht voran. Die Liebe ist schon ein seltsames Spiel.

(Quelle: Sounds 1/81)


SEELE

Besonders erwähnenswert beim Harry Rag-Interview: alles selber machen, vor allem eigene Maschine (Studio im Wohnzimmer sozusagen), man kann spontaner arbeiten, unmittelbarer - die Zeit für den Weg in ein "richtiges Studio" und das Studio selbst filtert immer was raus, (und zwar nicht nur das rauschen), das liegt schon an der Atmosphäre und der extremen Situation im Studio; es ist nie so unmittelbar wie ... du sitzt vorm Fernseher, tankst 'n Bier, hast 'ne Idee, und ... nimmst sie auf, aus der Stimmung und Atmosphäre heraus, so wie du dich gerade fühlst Das ist dann auch so nicht zu wiederholen und du kannst daran arbeiten, wann und solange du willst - auch um 4.00 Uhr morgens (kopfhörer!) Studios essen Seele auf.

Andy Giorbino
2 Hamburg 20

(Leserbrief Sounds 2/81)


Kommerz

Nach genauerem Überlegen kommt man darauf, daß euer Magazin in der ganzen Punkbewegung nur schaden kann. Ihr seid es nämlich (einschließlich Rundfunk, Fernsehn, Presse), die alles verkommerziert.
Harry Rag hatte da schon recht.

A. Nonym
6200 Wiesbaden

Zuerst haben wir ja nur anasiert, dann ein bißchen progiert und jetzt wollen wir geheime Kommerzienräte werden! - Red.

(Leserbrief Sounds 3/81)


Fresse / Information Overload