Krautpunk
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| Mehl? - Male! |  
             Die dicken Eier (unten), (oben r.) DIN A 4 
          Fotos: Anja Bredenauer (1), Alfred Hilsberg  | 
        
Von der Hamburger Punk-Szene wird bei den Girls trotz der Big Balls & 
        The Great White Idiot geschwärmt: "Echt was los da oben. A very 
        special Hello to the Hamburg-Scene!" schreibt Janie J. Jones in der 
        "Ostrich"-Beilage "Total Control" in Erinnerung an 
        seinen Besuch des Clash-Konzerts im "Winterhuder Fährhaus". 
        Die bekanntesten englischen und amerikanischen Punk- und New Wave-Bands, 
        von den Vibrators, Damned und Jam bis zu Mink DeVille, Earthquake und 
        Blondie, waren bereits im kühlen, steifen Norden zu Gast. Anders 
        als im Ruhrpott hat sich in Hamburg seit Jahren eine immer noch weitgehend 
        Folk-beherrschte Club-Szene entwickelt, in der auf Standesunterschiede 
        fein geachtet wird: die Schickeria trifft sich bei Mink DeVille im "Onkel 
        Pö", Teddies und die Rocker haben das "Fährhaus" 
        als Hochburg, und die Punks machen zunehmend Randale in der "Markthalle". 
        So lindenbergisch, wie Außenstehenden die Hamburger Musik-Szene 
        vorkommen mag, so stimulierend wirkt sie auf viele Fans und die Musiker 
        selbst. Seit "Starclub"-Zeiten, Anfang der 60er Jahre, haben 
        sich hier Rock-Bands gebildet, die zum Teil sogar den Sprung über 
        den großen Teich gewagt haben. Ein halbes Dutzend Punk-Bands hat 
        sich hier zusammengefunden, ist teilweise wieder auseinander und formiert 
        sich neu. Waren beim ersten Konzert der Vibrators im Februar 77 nur ein 
        paar zugereiste Punks zugegen, so füllten sich im Sommer die Spalten 
        der Zeitungen mit Artikeln über die Punk-Mode. Und zum ersten Konzert 
        der Big Balls kamen 500 Leute in den abenteuerlichsten Kostümierungen 
        zum Pogo-Tanz: vom Strumpf über'm bemalten Schädel bis zur Klopapier-Rolle 
        auf dem Lederjacken-Rücken.
        Peter, Alfred und Atlo - die "Grund-Brothers" - bilden den Kern 
        der Big Balls, zusammen mit Wolle und der früher bei Johnny Moped 
        gastierenden Frenchie aus London. Sie löste Baron Adolf Kaiser ab, 
        der jetzt mit einigen Rock-Freaks die Gruppe V 8 - Turbo Trust aufzieht. 
        Sie wollen ihre Stücke so perfekt einüben, daß sie "gleich 
        im Logo' auftreten können". Ein ähnlicher Break wie 
        den Big Balls dürfte ihnen schwer fallen; noch vor ihrem ersten Gig 
        hatten diese ihren Plattenvertrag. Rudi Holzhauer von der alteingesessenen 
        Schacht-Musikproduktion war auf sie aufmerksam geworden: "Da kam 
        mal jemand zu mir, der wollte eine Kung-Fu-Schau machen, der kannte die 
        Balls. Und da bin ich in den Bunker gegangen, wo die üben."
        Vom Verkaufserfolg der in einer Woche produzierten LP, war die Plattengesellschaft 
        Teldec mehr als überrascht. Selbst Auslandsverträge u.a. mit 
        Italien kamen zustande. Aber der das Teldec Rock-Label "Nova" 
        betreuende Uwe Tessnow ist vorsichtig: "Ob sich das halten wird, 
        muß man abwarten. Wir haben hier andere Verhältnisse als England 
        mit seinem Ballungsgebiet London, wo die kleinen Labels keinen so großen 
        Vertriebsaufwand haben. Hier fehlen auch Initiativen von Leuten." 
        Beispiel: Die Big Balls fanden keinen Produzenten für ihre Platten, 
        und so machten das der Rudi und der Uwe selbst.
        Die Big Balls hatten durch diesen Push ihr Image als Punk-Formation der 
        ersten Stunde weg. Sie zehren allerdings mehr von Einnahmen aus Konzerten 
        als vom Plattenverkauf. Denn die 7000er-Auflage bringt ihnen bisher "nur" 
        die Möglichkeit, auf einer besseren Anlage zu spielen und sich mit 
        der Produktion der zweiten LP im März zu beschäftigen. Dem Status 
        "Berufsmusiker" werden sie auch dann noch kaum einen Schritt 
        nähergekommen sein.
        Was die Balls können, können wir schon lange. Und vielleicht 
        sogar besser, sagten sich viele Hamburger Kids. Zuerst waren es Cocksucker 
        und Shave, nun kommen Punkenstein, Razors und Mundgeruch. Letztere besteht 
        ausnahmsweise überwiegend aus Arbeitslosen, die im Punk eine bessere 
        Chance sehen als im Arbeiten oder Stempeln. Aber keine der Hamburger Gruppen 
        wagt es, ihren Rhythmen deutsche Texte zu verpassen. Mundgeruch-Jan: "Übersetz 
        doch mal unseren Titel .No Horizon' in Kein Horizont', das 
        geht irgendwie nicht."
Andy Rademacher von den Jackets, einer sich New Wave nennenden Formation, 
        die durch Ex-Atlantis Karl Heinz Schott beeinflußt ist, sieht ähnliche 
        Probleme mit deutschen Texten. Aber auch Schott will kein Nachahmer des 
        spezifisch englischen Punk sein: "Dafür fehlt hier einfach der 
        soziale Hintergrund. Und ich kann auch nicht singen I'm cruising down 
        the highway, wenn ich die Rothenbaumchaussee runterfahre. Also versuche 
        ich, mir gemäße Ausdrucksformen in Musik und Texten zu finden."
        "She Got No Brain"
        1 know a girl who's really intellectual/ She likes discussions without 
        a solution/ She calls me so superficial Cause sometimes simple life I 
        prefer/ Uhh uhh she got no brain/ Uuh uhh she got no brain/
        Die Jackets brauchten lange, bis sie zu einem Klangbild kamen, das sowohl 
        ihren musikalischen Bedürfnissen wie ihren Erfahrungen überhaupt 
        entsprach. Bisher sind sie eine Art "Geheimtip" in Hamburg geblieben. 
        Punks verirren sich höchstens mal zu einem ihrer Gigs. Und zur großen 
        ersten Punk-Battle am 8. Februar im "Grünspan" waren die 
        Jackets nicht eingeladen. Organisator Klaus Schulz, der mit Unterstützung 
        von Schacht-Musik eine Konzertagentur betreibt, bekennt auch: "Die 
        haben mit Punk nichts zu tun. Das ist ein Konzert der Big Balls, bei dem 
        die anderen Gruppen deren Anlage benutzen können." Entsprechend 
        selbstbewußt reisten die Balls nach Westberlin, ins dortige Punk-Mekka 
        Kant-Kino.
        Ungefragt wurde die lokale Punk-Band PVC als Vorgruppe angekündigt, 
        die erst nicht wollten, aber doch wohl wußten, was dann eintrat: 
        die Balls bekamen keinen Stich gegen PVC. Wenn sie das Lied "Eva 
        Braun Is Back In Town" anstimmen, grüßen einige Fans mit 
        erhobenem Arm. Die Ironie im Text bekommt live niemand mit, und deshalb 
        muß PVC-Knut schon eine Badge anstecken: "Nazis are 
        no fun". Auch Gerritt beteuert, mit einer Neuauflage des Hitlerfaschismus 
        nichts zu tun haben zu wollen, und fürchtet eher einen "Plastikfaschismus". 
        Im Gegensatz zu den meisten Kölner oder Hamburger Bands, ist PVC 
        schon aufgrund des Alters seiner Mitglieder von verschiedenen Rock-Strömungen 
        beeinflußt. Am 24. Februar fielen die Vibrators in Westberlin ein: 
        "Das war so ein Katalysator für uns." Diese in ihrer Heimatstadt 
        London umstrittene Gruppe schlug für einige Zeit ihr Domizil in Berlin 
        auf, half PVC, machte mit ihnen Demo-Tapes und Gigs und hinterließ 
        bei einigen Frauen in der ehemaligen Reichshauptstadt so nachhaltige Eindrücke. 
        daß diese beschlossen, eine Frauenband zu gründen.
        Ohne Instrumente zu haben oder spielen zu können, bekam die Mädchenriege 
        Din A 4 ("unpolitischer geht's ja nicht") Auftrittsangebote. 
        Pepi, Eva, Virdyda Plastik und Coca Cola haben sich fast krankgelacht: 
        "Aber jetzt sind wir drauf. Wir wollen deutsche Texte machen, und 
        wir wollen auch nicht wie PVC den Leuten ins Gesicht schreien: Hebt 
        eure Ärsche hoch!' Wenn es auf der Bühne klappt, geht das auch 
        bei den Leuten los!"
        Westberlin lebt mit Weg-mit-der-Mauer-Parolen und horrenden Subventionen, 
        mit Arbeitskräften aus Westdeutschland, mit Türken und Weltstadt-Flair. 
        Die Erfahrung und Ahnung eines möglichen Todes dieses Gebildes haben 
        eine Subkultur entstehen lassen, die vergleichbar mit London oder New 
        York ist. Diese in sich widersprüchliche, von links bis rechts reichende 
        Struktur kann es sich leisten, den Punk so schnell wie nirgendwo in eine 
        Kunstform zu pressen und ihn zur Hausmusik der Trendsetter zu machen.
        Dennoch blickt man voll des Neides nach Hamburg mit seiner Clubszene, 
        mit seinen Plattenfirmen und seinem Zeitungsmarkt. Im "Tagesspiegel" 
        vermutete Barry Graves in den Balls ein Produkt der Hamburger "Medien-Mafia". 
        Jackie Eldorado, Alt-Punk, dagegen: "In Hamburg ist eine andere Szene. 
        Das ist viel spannender, da sind ja auch Rocker drin. Hier laufen die 
        Leute zu "sun-records" im Kudamm-Karree, um sich brüsten 
        zu können: Kennste die schon?"'
"Sun" ist der bisher einzige Plattenladen, der sich nicht nur 
        auf eine Punk-Abteilung beschränkt, sondern gezielt Importe aus England 
        und USA holt: "Aber die Punks kaufen ja alles, so wie die Farbigen 
        Soul-Mist kaufen." Und da dank "Popfoto" und "Bravo" 
        die Sex Pistols eine große PR bekommen haben, Iggy Pop und Bowie 
        in der Stadt wohnen und Rias und SPD Live-Sendungen mit PVC und Vibrators 
        bringen, stehen die Hits bei "sun" fest.
        Ein Modegeschäft wittern auch schon einige in Hamburg. Die ersten 
        waren Wolli und David mit dem "shave"-Laden in Eppendorf. Nach 
        dessen Pleite versucht es jetzt eine Fiorucci-Boutique neben der Markthalle 
        mit Platten und Klamotten, Posters und Badges. Sogar ein Fanzine 
        wird dem getreuen Punk serviert: "Punk-News" für 50 Pfennig. 
        Mit PR-Infos von Plattenfirmen, die z.B. bei den Vibrators noch das Line-Up 
        vom Sommer 77 aufzählen, aber ohne direkten Hinweis, wer mit dem 
        schmuck-gemachten Blättchen die Punks verarschen will. Vielleicht 
        sollten da mal die Jungs vom Rhein kommen und nach dem Rechten sehen.
        Das abgeschriebene Sammelsurium des "Spiegel" nützt allenfalls 
        den Old Farts, sich in ihrer gestörten Mode-Welt besser zurechtzufinden. 
        Die auch von diesem Nachrichten-Magazin, aber vielmehr noch von Elternhaus, 
        Schule, rheinischem Karneval und weltlichen und geistlichen Würdenträgern 
        vorgemachte und einzuübende Republik-Treue kann offensichtlich nur 
        zur Erfahrung von "Politik" als etwas "von oben" führen, 
        das es abzulehnen gilt.
        Ehe nun der altgediente Durchblicker auf eine Bewegung hofft, die einlöst, 
        was 1954 oder 1964 nicht realisiert wurde, sollt er sich die spezifischen 
        Bedingungen der Rock.Musik in Westdeutschland vor Augen halten. Die Voraussetzungen 
        für eine von den Bands und Fans selbst-organisierte Bewegung fehlen: 
        es gibt keine eigene Rock-Geschichte und entsprechend kein historisches 
        Bewußtsein. Es gibt einen Pop-Imperialismus; der allenfalls bei 
        Polit-Rock-Gruppen in geringen Ansätzen überwunden scheint. 
        Die Entwicklung einer gesellschaftlich selbstbestimmten musikalischen 
        Artikulationsform brauchte zur Voraussetzung, daß sich zunächst 
        die Produktions- und Distributionsverhältnisse der Gruppen ändern. 
        Malermeister Herbert Egoldt aus Brühl bei Köln, der nebenher 
        einen kleinen Rock'n'Roll-Versand betreibt, sieht für die Realisierung 
        eines eigenen Labels, wie es die ihm bekannten Ruhrpott-Bands gern hätten, 
        vorläufig nur Absatzchancen in England.
        Und so wird sich wohl eher die Teldec durchsetzen. Für Costello-, 
        Lowe-und Dury-Fans formuliert sie im voraus, was die Fans durch deren 
        Musik an Gefühlen und Kicks bekommen könnten: "Mein Plattenspieler 
        spielt nur die Rubinoos" heißt es z.B. auf einem der Badges, 
        mit denen "Nova" seine Stiff- und Beserkley-Pakete feilbietet. 
        Uwe Tessnow: "Die deutschen Gruppen müssen sich weiterentwickeln. 
        Im Moment ist das mehr eine Abreaktion der Musiker und der Fans auf die 
        perfektionierten Rockgruppen wie Genesis oder Yes. Auf jeden Fall wird 
        die ganze Rockszene langfristig vom Punk beeinflußt." Die Male: 
        "Wir wollen was gegen diese Discoscheiße a la Boney M. machen. 
        Es wird Zeit für Rock'n'Roll!" Das ist doch schon etwas. Und 
        mir ist es lieber als ein "Türke" wie "Deutschlands 
        erste New Wave-Größe: die Straßenjungs" (CBS-Text), 
        denen die Glitter-Band Tiger B. Smith aus allen Knopflöchern schielt.
        Die Branchendevise "Absahnen, so lange es geht" nehmen bisher 
        nur wenige German punks in Anspruch. Für Azzurra P., Mitbegründer 
        der kurzlebigen Avantgarde-Zeitschrift "Nachtexpress", war der 
        Punk auch zunächst etwas Artifizielles, "aus dem sich vielleicht 
        eine den 70er Jahren adäquate Ausdrucksform, eine alle Medien einschließende 
        eigene Kunstform, hätte entwickeln lassen." Daß sich die 
        Vibrators ihm als zeitweiligem deutschen Manager blindlings unterordneten, 
        zerstörte schnell seine idealistischen Träume: "Statt sich 
        als Teil einer neuen kulturellen Bewegung zu begreifen und die herrschenden 
        Verhältnisse im Kulturbetrieb, also auch im Musikgeschäft, im 
        Sinne ihrer Lebensform, ihrer Lieder, ihrer Ausdrucksformen selbst zu 
        ändern, wird der Manager von Punk-Gruppen extremer noch als in der 
        bisherigen Rock-Geschichte funktionalisiert mit einem Ziel: möglichst 
        schnell in die Charts zu kommen."
        Preisfrage: Welche deutsche Punk-Gruppe wird es schaffen, ihre Interessen 
        selbst wahrzunehmen?
(Quelle: SoundS 3/78)
Richtigstellung?!In einer Ihrer letzten Ausgaben brachten Sie unter anderem einen Bericht 
        über Punk. Es waren einige Abbildungen aus dem Berliner "Punkhaus" 
        darin, auf denen ich unverkennbar teilweise abgebildet bin, Weiter enthält 
        eine Erklärung dazu Deutungen, die Mißverständnisse hervorrufen. 
        Diese kann ich nicht dulden! Ich möchte Sie hiermit auffordern, die 
        Sachlage richtig zu stellen und in ferner Zukunft solche Arten von Liickenfüllerei 
        zu unterlassen. Ich sehe mich sonst gezwungen, anders gegen Sie vorzugehen. 
        Ich hoffe, das wir uns verstehen!
        Midzael Meutsch, Berlin
(Leserbrief aus SoundS 9/78)