| 
  
![]()  | 
        
|  
             Brigitte Stefan und Meridian haben eine Silbermedaille 
              des Ministers für Kultur 
           | 
        
DDR-Rock - wie langweilig. Die Puhdys, Karat oder Elektra 
        haben sich mit ihrer Oma-und-Opa-Muzak im Westen nicht gerade mit Ruhm 
        bekleckert. Längst verblichene Kunst-Rock-Klischees und Verse aus 
        Kaisers Zeiten können nicht mehr beeindrucken. Das hat man auch im 
        Osten begriffen. Die schlappen Altvorderen verlieren allmählich den 
        Fan- und Presseboden unter den Füßen. Höchste Zeit für 
        eine neue Musikergeneration, wie sie die Gruppen Keks, Brigitte Stephan 
        & Meridian und vor allem Pankow repräsentieren. Es ist also nicht 
        nur im Untergrund der DDR etwas in Bewegung gekommen, auch auf der etablierten 
        Musikszene machen sich Veränderungen bemerkbar. Die Gruppen, die 
        an die Oberfläche gelangt sind, haben schon Institutionen wie die 
        Einstufung und die Musikhochschule erfolgreich durchlaufen und Förderung 
        durch eine Radiostation genossen. Im Gegensatz zu den Untergrund-Musikern 
        sind die neuen etablierten Bands keine Dilettanten und weniger wagemutig, 
        haben einiges an jugendlicher Frische verloren, können dafür 
        aber mit Erfahrung und Ausbildung aufwarten.
        Was ist an den "Neutönern" genannten Bands anders als an 
        den alten DDR-Rockern? Pankow verstehen ihr Konzept immerhin als "bewußten 
        Gegenpol zum überwiegend lyrischen Rockverständnis anderer Formationen". 
        Kern des Pankow-Konzepts ist die operettenhaft aufgebaute Alltagsshow 
        "Paule Panke". "Ein Tag aus dem Leben eines Lehrlings" 
        ist der Untertitel, und dieser Tag, ein Freitag, wird dem Publikum in 
        neun Songs vorgeführt, vom Aufstehen des Paule Panke um 5.03 bis 
        zum Schlafengehen um 24.01 (also genau dann, wenn hierzulande das Nachtleben 
        erst richtig anfängt). Diese Art von theatralischer Polit-Rock-Show 
        ist im Westen wahrhaftig nicht der letzte Schrei, in der DDR ist das noch 
        brandneu.
        Die fünf bieder aussehenden Rockmusiker mischen alle mit beim eintönigen 
        Tagesablauf des Paule Panke, allen voran Sänger Andre Herzberg, der 
        den Paule auf der Bühne verkörpert. Die optische Umsetzung von 
        Musik und Text wird durch einige wenige Requisiten unterstützt.
        Paule Panke hat Probleme. Die ganz ungewöhnlichen und alltäglichen 
        Probleme, die man als Jugendlicher, egal ob in Ost oder West, hat, und 
        ein paar ganz spezielle dazu, die man nur in der DDR haben kann. Paule 
        steht nicht gerne morgens früh um 5.00 auf, um ab 6.00 in der lärmigen 
        und hektischen Werkstatt zu schaffen. Recht hat er, das ist ja auch viel 
        zu früh, kein Wunder, daß die DDR oft so verschlafen ist.
        Schon zu Beginn des Programms wird deutlich, daß Pankow die Musik 
        in erster Linie dazu benutzt, die Texte zu unterstützen. "Wenn 
        Paule in die Werkstatt kommt/knallt der Lärm an seine Omme" 
        singt Andre Herzberger, und prompt setzt auch Maschinenlärm vom Band 
        und eine Stahlpercussion (auch eine totale Neuheit in der DDR) ein. Wie 
        das nun mal im real-sozialistischen Alltagsleben so ist, folgt am Feierabend, 
        nach einem harten Arbeitstag, noch eine Versammlung. "Zum Feierabend 
        gibt's noch ein Bonbon/Mann, es ist Freitag, Kollege Chef/du weißt 
        doch, da essen wir zeitig!/Da vorne spricht einer von Kampfauftrag/Maschinenauslastung 
        und Schicht/Paule schlafen die Füße ein/Da ist kein Ende in 
        Sicht!" Paule mag die Betriebsversammlungen nicht. Pankow ist 
        da mit ihm einer Meinung (und darf das von offizieller Seite auch ganz 
        offensichtlich sein), denn sie prangern nicht Paules ablehnende Haltung, 
        sondern seine Feigheit an. Paule, der seiner Wut über den von der 
        Partei vorgeplanten Feierabend gerne Luft lassen würde, traut sich 
        nicht vor den mächtigen Genossen, die da vorne große Reden 
        schwingen. Die emanzipierte Freundin von Paul, Mathilde ("Der 
        tägliche Produktionskampf kennt keinen Unterschied zwischen Mann 
        und Frau"-Propagandaplakat) ist da mutiger, sie erkämpft 
        den Arbeitskollegen den wohlverdienten Feierabend. Es geht dann musikalisch 
        getragen und zerfahren weiter, denn als Paule nun endlich um 19.30 (er 
        war also 13 1/2 Stunden an seinem Arbeitsplatz, und wenn Pankow mit dieser 
        Arbeitszeit nicht übertrieben hat, dann ist der freie deutsche Gewerkschaftsbund 
        wohl einer der schlechtesten der Welt. [Der Sozialismus kennt keinen 
        Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit. Daß seine Durchführung 
        in der DDR zu wünschen übrig läßt, berechtigt nicht, 
        seine Institutionen mit kapitalistischer Freizeitideologie zu kritisieren. 
        - ZK der Red.]) auf dem Heimweg ist, ist er mit sich keineswegs zufrieden. 
        Von der langen schweren Arbeit physisch und von seinem Versagen auf der 
        Versammlung psychisch belastet, wird Paule depressiv. "Da draußen 
        weht naß kalt der Wind/mein Lebensplan ist auch noch blind/wer bin 
        ich schon, was kann ich denn/ein Kaspar und ein Allesfan/mal will ich 
        das und mal von dem/und hoch die Wissensfetzen wehn/mal Rock mal Jazz 
        mal Blasmusik/mal Deutsch mal Sport mal Politik/dann kotzt die Welt mich 
        an/und hinterher ich sie". War es früher noch gang und gäbe, 
        daß von DDR-Bands ein Blatt vor den Mund genommen und nur schöne 
        Gefühle, Kitschiges oder Politisches (aber Linientreues) gesungen 
        wurde, so schildern heute die "Neutöner" nicht nur die 
        rosarote, reingeschleckte Welt des Sozialismus, sondern auch Depressionen 
        und Fehler im System (aber offensichtlich mit der gleichen Pennälerlyrik 
        ["Hoch die Wissensfetzen wehn"] wie früher - Red.). 
        Zur Freude des Zuhörers mobilisiert Paule jedoch noch einmal seine 
        Kräfte und geht abends in die Disco. Musikalisch ist das wohl, zumindest 
        für westliche Ohren, der Höhepunkt des Panke Opus'. Der sonst 
        störende, weil oft schlechte harte Soli spielende Gitarrist Jürgen 
        Ehle spielt plötzlich, wenn auch noch etwas zaghaft, eine Disco-Gitarre, 
        der Bassist, der auch schon vorher kurze funky Passagen in einige Stücke 
        eingebaut hatte, legt jetzt erst richtig los, und der sehr impulsive Schlagzeuger, 
        er soll der beste der DDR sein, wird durch eine schüchtern tuckernde 
        Rhythmusmaschine unterstützt. Ja, so stellt man sich Ost-Disco vor! 
        Schade nur, daß der Gesang so schlecht ist. "Disco, Disco", 
        ist das einzige, das die Band in regelmäßigen Abständen 
        von sich gibt. Das klingt natürlich reichlich blöde (man stelle 
        sich mal eine Punkband vor, die andauernd nur "Punk, Punk" 
        brüllt). Plötzlich greift eine Jahrmarktsorgel ein, läßt 
        Erinnerungen an Godeke Ilse wach werden (ist der etwa in die DDR emigriert?) 
        und verwandelt den ganzen Song in einen 50er-Jahre-Schlager (auch nicht 
        schlecht), der im Gegensatz zum Disco-Part wenigstens einen wichtigen 
        Text hat. "Abends geht Paul in die Disco/- will Mathilde wiederseh'n/Da 
        sieht er schon von weitem/Wahnsinnsmassenschlangen steh'n (aha, nicht 
        nur vor der Fleischerei, auch vor der Disco muß man Schlange stehen 
        - wo bleibt da denn die Lebensqualität?). Viel Düsternis, viel 
        Kritik, doch am Ende des Tages ist ein breiter Lichtstreifen am deutschen 
        demokratischen Himmel zu sehen. Der-trotz-alledem-es-geht-voran-Appell 
        von Pankow heißt: "Komm endlich aus der Knete/denn jammern 
        macht dümmer/jammern macht's schlimmer/als es in Wirklichkeit ist/Komm 
        aus'm Arsch!"
![]()  | 
        
|  
             Mitglied von Gaukler - DDR-Fool-Punks 
           | 
        
Pankow, das ist nicht nur dieses in sich geschlossene 
        Rockspektakel, das sind auch Hits wie "Inge Pawelczyk" und "Egal". 
        Wenn man die Musik betrachtet, sind wohl auch diese beiden Stücke, 
        obwohl mit Details wie der bereits erwähnten Orgelspielweise, einem 
        sehr engagiert gespielten Schlagzeug und einem selten auftauchenden Funky-Bass 
        versehen, nicht sehr interessant. Trotzdem sollte man sich die beiden 
        Songs, die im September dieses Jahres parallel bei der Amiga und der RCA 
        (für die BRD) erscheinen werden, ruhig einmal anhören, denn 
        auch hinter ihnen steht ein für die DDR sehr interessantes, weil 
        für dortige Verhältnisse revolutionäres Konzept. Wie auch 
        bei Millionen anderer Songs geht es hier um Liebe, jedoch nicht schön 
        umschrieben, sondern sehr direkt. "Egal" beschreibt die ersten 
        Liebeserlebnisse eines Jungen, "Inge Pawelczyk" propagiert eine 
        oft kritisierte Sexualmoral.
        Natürlich kamen die Musiker der Neutöner-Bands nicht aus dem 
        Nichts. Fast jeder DDR-Musiker muß viele Stationen durchlaufen, 
        bei einer Menge Bands mitspielen, bevor er bekannt wird, daher ist das 
        Durchschnittsalter von Pankow, 25-26 Jahre, für dortige Verhältnisse 
        auch relativ gering. Die Bandmitglieder von Pankow spielten früher 
        bei Prinzip, 4 PS (zwei eher biederen Bands) und bei den Gauklern, bevor 
        sie erst zur Gruppe von Veronica Fischer und dann zu der heutigen (Begleit)Band 
        wurden. Die Gaukler galten als die erste "New Wave" Band der 
        DDR. Im Programm der 1979 gegründeten Gruppe waren Songs von Madness, 
        Ian Dury und der "Superboy" von Nina Hagen, für den die 
        Band dann auch prompt Aufführungsverbot bekam. Auch Keks spielten 
        von West Bands nach. "My Way" von den Sex Pistols, "Sex 
        & Drugs & Rock'n'Roll" von Ian Dury, Lieder von Police, sowie 
        ein Stück von Freddy Quinn in einer Pogo-Version haben sie in ihrem 
        Programm. Keks, die die bei den DDR-Punks beliebteste Band zu sein scheinen, 
        bieten auch die härteste Bühnenshow. "Keks spielen hauptsächlich 
        vor Schülern, kein Wunder, denn die Band ist ja selbst nicht aus 
        dem Schülerstadium herausgekommen", heißt es in kompetenten 
        Kreisen in der DDR zu deren Losgeh-Rock Im Gegensatz zu Keks wirkt Pankow 
        eher schulmeisterlich. Die Musik ist zwar relativ einfach, aber auch sauber 
        und korrekt arrangiert. Die Funktion der Musik liegt bei Pankow in erster 
        Linie darin, die Texte, das wichtigste und wohl für die DDR in ihrer 
        Direktheit fortschrittlichste Element des Programms, zu untermalen. Hier 
        wird nicht fröhlich bis dümmlich, wie bei Keks, drauflosgerockt, 
        sondern überlegt Musik gemacht. Auch Brigitte Stefan und Meridian 
        machen überlegt Musik, doch bei dieser Gruppe scheint das Überlegen 
        in erster Linie darin zu bestehen, wie man am besten Ideal und die Neonbabies 
        nachahmt. Der absolute musikalische Höhepunkt der DDR war sicher 
        die Single "Ich bin da gar nicht pingelig" von Nina Hagen (die 
        beste Platte, die sie wohl jemals gemacht hat), schön arrangierter 
        Schlagerpop. Die DDR hätte sie nie aus ihrer Umzäunung herauslassen 
        sollen, wer weiß, was dann aus ihr geworden wäre... (es geht 
        übrigens das Gerücht um, daß Alfred Hilsberg bereit wäre, 
        gegen diese Single sein Zick-Zack-Label einzutauschen).
Pankow hatte mit "Egal" und "Inge Pawelczyk" 
        Hits, lange bevor diese auf Platte erschienen. Das ist kein kurioser Ausnahmefall, 
        sondern durchaus so üblich, denn um das Vinyl herzustellen, aus dem 
        man die Platten preßt, braucht man Rohstoffe, in erster Linie Erdöl, 
        dieses muß man aber mit harten Devisen bezahlen. Die Amiga, das 
        für Pop, Rock, Jazz und Schlagermusik zuständige Label der einzigen 
        Schallplattenfirma der Republik, der VEB Deutsche Schallplatte, bekommt 
        aber für alle Schallplatten, die sie verkauft, nur den EVP (Einheitlichen 
        Verkaufs-Preis) von 16,10 der auf dem internationalen Markt fast wertlosen 
        DDR-Mark. Die Folge ist klar, jede Schallplatte, egal, wie oft sie sich 
        verkauft, ist für die Amiga ein Verlustgeschäft. Deshalb veröffentlicht 
        die Amiga ausgesprochen wenig Platten (im Schnitt zwei im Monat) und die 
        auch nur in viel zu geringen Auflagen. Durch diese fast totale Handlungsunfähigkeit 
        der Amiga ist das Radio gezwungen, neue Gruppen zu entdecken und Aufnahmen 
        von bereits bestehenden zu publizieren. Wenn dem DDR-Rundfünk eine 
        Band interessant erscheint, wird er von dieser erstmal einen Live-Mitschnitt 
        machen und senden. Aufgrund von Zuschauerresonanz oder starkem Interesse 
        von Redakteuren wird vom Radio später dann eine Studioaufnahme produziert, 
        diese muß dann einem Gremium gefallen, um für die Hitparade 
        vorgeschlagen zu werden. Erst wenn der Song dann in den Charts auf einen 
        der ganz vorderen Plätze gelangt ist, tritt die Amiga auf die Gruppe 
        zu. Daran liegt es auch, daß die Gaukler in ihrem zweijährigen 
        Bestehen nur einen Song (und den auch nur auf einem Sampler) veröffentlichen 
        konnte. Keks, die sogar schon eine längst vergriffene Single publiziert 
        haben, müssen auf das Erscheinen ihrer lange geplanten LP wohl mindestens 
        genauso lange warten wie Pankow auf die Veröffentlichung ihres Panke-Werkes. 
        Allzu großen finanziellen Erfolg kann eine DDR-Band mit einer Platte 
        auch nicht erwarten. Jeder Mitspieler bekommt pro aufgenommenes Stück 
        nur eine Pauschale von 400 Mark, egal wie oft die Platte nun verkauft 
        wird. Die Gebühren für die Aufführung im Radio stecken, 
        wie im Westen, natürlich nur die Komponisten ein. Hungern müssen 
        erfolgreiche DDR-Musiker trotzdem nicht, sie leben von der wesentlich 
        besser als in der BRD ausgebauten staatlichen Förderung.
        Es ist wirklich nicht leicht, in der DDR Rockstar zu werden, es ist aber 
        auch nicht leicht, sich für neue DDR-Musik zu interessieren. Platten, 
        so weit es die überhaupt gibt, sind im Nu vergriffen. Was bleibt, 
        ist DDR-Radio zu hören oder DDR Fernsehen zu gucken (es soll im Fernsehen 
        bald eine Sendung über neue DDR-Musik starten). Bei DDR-Besuchen 
        sollte man die Ohren offenhalten, denn von Konzerten hört man meist 
        nur über Mundpropaganda. Doch um in die DDR zu reisen, sollte man 
        gute Nerven und eine gewisse Unbefangenheit haben. Die Unbefangenheit 
        braucht man, um mit allem, was man dort erleben wird, überhaupt etwas 
        anfangen zu können, denn die DDR und die BRD sind wohl weiter voneinander 
        entfernt, als Liechtenstein und Angola, und Nerven braucht man halt in 
        einem Land, dessen treffendste Charakterisierung das von Chris Lunch kreierte 
        "Disneyland der Paranoia "ist.
(Quelle: Sounds 9/82)