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Gemütlich dahinwurstelnde Karriere - Chuzpe
(Foto: Clarisse Grumbach-Palme) |
Das Schöne an diesem Lande ist, daß man immer
wieder wegfahren kann (Qualtinger). Noch schöner ist, dass man von
jedem beliebigen Punkt des Landes selten mehr als zwei Stunden dafür
aufwenden muß. Das ergibt sich aus der kartografischen Lage des
Landes und seiner Form, die einem Wienerschnitzel mit dünn ausgeklopftem
Fett-Schwanz ähnelt. Der Homo Austriacus alpiniensis gleicht diesem
Meta-Schnitzel wiederum zum Verwechseln. Mit der winzigen Einschränkung,
daß die Proportionen von Schnitzelfleck und Fett-Schwanz sehr zugunsten
des Schnitzels verschoben sind. Soweit zu den handelnden Personen.
Die Musik-Kultur hatte in dem seinerzeitigen Vielvölkerstaat Austria
schon immer Tradition und Traditionen. Mozart, Haydn, Brahms, die diversen
Sträuße, Schönberg, ich.
Im Anschluß an die schröckliche Metternich-Ära Mitte des
vorigen Jahrhunderts gab sich das Volk stilvollen Vergnügungen hin,
zu welchen vor allem das Tanzen im Walzerschritt zu zählen war. Johann
Strauß im Besonderen kreierte Arrangements, deren Subtilität
und gleichzeitige Wucht sich heutzutage in den schönen Liedern von
ABC mit etwas Geduld und feinem Ohr wiederfinden lassen: jubilierende
Geigen, schmetternde Fanfaren, knatternde Trompeten, tutende Waldhörner,
zwingende Rhythmen, Männer mögen die Texte, Frauen lieben die
Melodien. Der Reigen der untergangsseligen Vergnügungssucht schließt
sich einmal mehr - die letzten Tage von Pompeji oder London calling, gebürstetes
Haar und feine Beinkleider.
Fragt sich der Leser nun, was das mit der versprochenen Wahrheit über
Wien zu tun hat, kann man ruhig sagen: Viel. Zumindest, was die Interessen
der SOUNDS-Klientel betrifft.
Neugewellte Heinis - Karl Gott (Foto: Konrad
Schnabel)
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Mit Ausnahme von Leider keine Millionäre,
ein in den Ideen witziges Projekt des wienerischen Bill Wyman der Rundfunkszene,
Wolfgang Kos, erschien auf Schallter nichts Nennenswertes, will sagen:
Nur NDW-Kopien- und Verschnitte, Plan-Epigonen, alter Hippie-Dreck, pseudomystischer
Kram sowie keine akzeptable Schlagermusik. Wie zur Zeit der großen
Koalition ist das Bild der Schallter-Szene vom Proporz geprägt, verfilzt
wie ein alter Kalabreser-Hut, Mitteleuropas aussichtsloseste Pop-Musik-Aspiranten.
Besser schlägt sich hier die ebenfalls aus Wien stammende Gruppe
Blümchen Blau, die mit "Flieger" eine hübsche
Single rausbrachte und deren gerade fertige LP von Kurt Dahlke alias Pyrolator
aus Düsseldorf abgemischt wurde. Mehr dazu in Kürze auf den
LP-Kritik-Seiten.
Schwierigkeiten mit ihrem Image seit der Joy Division-Coverversion hatte
die Gruppe Chuzpe, ihren eigenen Angaben nach Österreichs
erste und einzige Punk-Band, zumindest was das schöpferische und
soziale Selbstverständnis betrifft; ihre erste LP hat einige kreative
High-Lights und größtenteils ausgezeichnete Texte, mutet allerdings
musikalisch im großen und ganzen doch etwas anachronistisch an,
vom gesamteuropäischen Standpunkt wenigstens. Des weiteren erwähnenswert:
Monoton, eine mit Elektronik etc. experimentierende, vom allgemeinen
Szenengeschehen eher isolierte Formation und Nivea, eines der süßesten
Mädchen der inzestierenden Wiener Szene, das zusätzlich zu seinem
natürlichen Charme, seinen Entertainer-Qualitäten und seinem
Talent nur mehr das passende Management benötigen würde.
Spinning Wheel, vorn hockend - Falco
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Österreich ist im Verhältnis zur Welt vielleicht so etwas wie Berlin im Vergleich zu Deutschland: alles verzehrender Wasserkopf, tödlich isoliert, inzüchtig, kaputt und dabei trotzdem malerisch schön. In Osterreich bist du der letzte Dreck, ganz gleich, was du machst, wenn es außerhalb der szenarisch gesetzten Grenzen passiert, es sei denn, du machst es in Deutschland, was gleichbedeutend mit England, Amerika oder dem Mars ist. Das aber haben bisher mit Ausnahme des früheren Bassisten der Chaos-Rocktruppe Drahdiwaberl, Herrn Falco, nur die Liedermacher Ambros, Danzer, Hirsch, Cornelius, Fendrich und Waterloo geschafft, jene Schwachsinns-Mafia, die die Körnerfresser-Masse kontrolliert. Der Rest der Musiker lebt von Papas milden Gaben, vom Sozialamt oder von einträglichen Nebenjobs und findet seine Unterstützung in Form eines durchgehenden Hurra-Journalismus einheimischer Reporter und Rundfunkredakteure, die dem staunenden Besucher des Landes den Eindruck vermitteln, als hätte Wien in seiner Funktion als Metropole der zeitgenössischen Musikunterhaltung das mittlerweile tote L.A. und das langsam fade London längst überflügelt.
Allgemein überschätzte Hip-Kult-Band
- Blümchenblau
(Foto: Helmut Utri) |
Hervorzuheben wären hiebei das miserable "Bravo"-Plagiat
"Rennbahn-Express", das sich wie die Selbsthilfe-Zeitung einer
mittelberüchtigten Nervenheilanstalt liest, dabei das meistverkaufte
Jugendmagazin darstellt!, und die TV-Jugendsendung "Okay", moderiert
von einer gewissen Vera Rußwurm, die übrigens exakt so aussieht,
wie sie heißt, und hauptsächlich schlechte Industrie-Videos
von ganz miesen Truppen bringt. Mitjubeln darf auch ein Herr Peter Paul
Hopfinger, der regelmäßig versucht, auch den größten
Kack österreichischer Provenienz in einem augenscheinlichen Anfall
überdrehten Patriotismus' den Lesern des Magazins "Top"
schmackhaft zu machen. Leider bilden auch gutgemeinte Szene-Gazetten wie
die vom Renommier-New-Wave-Club-Chef Peter Schaberl verlegte "Musiklandesrundschau"
keine Ausnahme: Gut ist, wer in der Woche drauf im Club "U 4"
gastiert, schlecht ist dann regelmäßig die Truppe, die in der
Vorwoche aufgetreten ist, aber immerhin ist die in 10.000er Auflage erscheinende
"Spex"-Nachempfindung ein positiver Ansatz, dem man durchaus
Chancen zur inhaltlichen und hoffentlich auch wirtschaftlichen Konsolidierung
geben darf, zumal das Blatt das einzige gedruckte Forum für den diversen
Nachwuchs darstellt.
Fazit: "Unablässig wäscht eine Hand die andere, nur:
man weiß nicht, wozu!" wie die teilweise hervorragend gestylte
Programm-Zeitung "Wiener" gehässig kommentiert, die im
pausenlosen Zusammenwirken jener typischen Cliquenteile Journaille, Plattenfirmen,
Musiker-"Stars", TV- und Rundfunkfritzen und Veranstalter eine
"Versumpfung der journalistischen Sitten" bemerkt. "Es
kann jeder New-Comer mit einer freundlichen P.R.-Story rechnen, nicht
aber mit aufrichtiger Kritik. Die Hurra-Berichte, die alles gleich gut
finden, treiben die Musiker in tumben Größenwahn und desensibilisieren
den Geschmacksnerv des Publikums. Wenn alles super ist, schmeckt bald
gar nichts mehr!" Anhand einer sehr ähnlichen Entwicklung
zeichnete sich schon vor einem Jahr das Ende der damals eben erblühten
NDW hierzulande ab. Osterreich hing schon immer etwas nach ...
"In Wahrheit verdienen nur ganz wenige. Doch eine Handvoll Journalisten
tut pausenlos so, als wären wir eine Rock-Supermacht. Und wir lassen
uns gern belügen." ("Wiener", Michael Hopp) Unnötiger
Nationalstolz und dumpfer Patriotismus sind und waren schon immer unsere
Stärke, hüben wie drüben, hier wie auch dort. Zudem ist
leicht über Osterreich schimpfen, wenn hier dieselben Fehler begangen
wurden und noch immer begangen werden. Seien wir uns ehrlich: Die NDW
und ihre Ableger in Österreich und der Schweiz haben mit Ausnahme
der Mittagspause-Produkte, des zweiten DAF-Albums, der Fehlfarben-Peter
Hein-LP, der 1. Plan-LP, der 1. Palais-Schaumburg-LP und der ersten beiden
Malaria-12"s nichts, absolut nichts Wesentliches hervorgebracht.
Wobei weniger Kacke dabei war, als man auf den ersten Blick vermuten könnte:
Vielmehr egalisierten sich die meisten Produkte gegenseitig durch tödliches
Mittelmaß, gähnende Langeweile und grassierenden vorsätzlichen
Schwachsinn.
Zukunftsträchtig und hübsch? - Blizzfrizz
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Einer der wenigen Wiener, die das erkannt haben, ist
der Moderator der wohl besten Rundfunk-Sendung "Ö-3-Musikbox",
Alfred Hütter, der schon den internationalen Anschluß geschafft
hatte, als sich noch ganz Wien von Frank Zappas "Joe's Garage"
zum Tanz aufgefordert fühlte: Wer in Osterreich gute Pop-Musik, heimischer
und internationaler Prägung, hören will, muß sich seine
Sendungen zu Gemüte führen. Oder mit den Machern der Krisenproduktion
reden: Gottfried Distl und Andrea Dee, die unter dem Pseudonym "Rassemenschen
helfen armen Menschen" zwei interessante Single-Produktionen veröffentlichten
und sich zudem mit Videos und Filmen beschäftigen. Selbstdarstellung:
"Mein Ahnherr ist Allen Ginsberg. Aber seine Prophetie erfüllte
sich in den sechziger Jahren. Bis zum Woodstock-Festival hat die Beat-Generation
recht gehabt. Aber heute ist alles ganz anders!"
Falco ist ein typischer Retortenstar, früher Bassist bei der Tanz-Kapelle
Spinning Wheel und bei Drahdiwaberl, heute Hit-Interpret
(1 Stück) von des Jazzers Robert Pongers Gnaden. Er ist unwichtig
und schon heute redet niemand mehr von ihm. Wilfried ist ein retrovaginaler
Chamäleon-Rocker ohne Schneid und Substanz, der vom Jodeln bis zum
New Wave schon alles versucht hat, Franz Morak ein normaler Burgschauspieler
mit Lindenberg-Ambitionen, die Cosmetics Osterreichs Möchte-Gerne-Ideal.
Zukunftsträchtig und hübsch (bescheiden) sind Blizzfrizz
mit einem potentiellen Hit, "Farb-TV", gesungen von Reinhard
Weixler aus Graz, der außerdem vorführt, wie vorbildliche Eigenproduktionen
zu klingen haben. Von ihm wird man auch hier noch hören!
Der Tee-Nager ("LopSang-Su-Chong") Gerhard Pakesch, ebenfalls aus Graz, entpuppt sich als vielversprechender Nachwuchs-Avantgardist und bekommt für den Namen seiner Zwei-Mann-Gruppe "schön ist anders" einen Orden, "No New York" findet in der steirischen Mädchengruppe "Rosi lebt" ein alpines Pendant, für Sid Vicious Erben treten Diverser Nachwuchs ein, im übrigen wird die Stadt von Herrn Lugus regiert. So, das war's für mich. Eigentlich wollte ich ja detailliert auf die wesentlichen Städte des "neuen" Geschehens - Wien, Graz, Linz, Wiener Neustadt - und ihre Exponenten eingehen, ich möchte dies jedoch anstandshalber unterlassen, weil mir die Kritik anläßlich des deutlich zu erkennenden Substanz- und Ideen-Mangels innerhalb der österreichischen Musikszene im besonderen und der mitteleuropäischen im allgemeinen vielleicht doch zu hart geriete. Trotzdem oder deshalb muß ich sagen, daß alle hier Erwähnten allen Nichterwähnten um Längen voraus und überlegen sind, denn die wenigen, die sich trotz einer Atmosphäre rot-weiß-roter Behäbigkeit links und rechts der Donau, abseits musikalischer Trampelpfade bewegen, gelten, wenn überhaupt bekannt, in der großen Öffentlichkeit nach wie vor als seltsame Exoten, mindestens aber als totale Vollidioten, denen man - noch 1000 mal schlimmer als in Deutschland - ständig mit grenzenlosem Unverständnis oder offenem Haß gegenübertritt.
Von Konrad Schnabel
Wer kann Wien noch retten? "Es fehlen Frontmänner,
die die Szene beflügeln könnten", sagt der oben schon erwähnte
Peter Schaberl, Er will's (und kann's nicht werden, obwohl Neider ihn
den Alfred Hilsberg Wien's nennen. Beiden ist allerdings nur der (verzweifelte)
Hang zu jungen Mädchen gemein. Und auch Dum-Dum-Chef Wolfgang Strobl
bleibt momentan nur die Samariter-Arbeit, Musikern ohne Plattenvertrag
(große Ausnahme in Wien - ohne Vertrag sind meist nur diejenigen,
die ihre Instrumente geliehen haben - Instrumenteneigner sind allesamt
bei der Ariola) eine Veröffentlichungschance auf seinen Cassettensamplern
MAY I HAVE A RECORD CONTRACT zu bieten. Sein Plattenladen (von der Größe
eines mittleren Badezimmers) ist derzeit der wichtigste Treffpunkt aller
Musikinteressierten. Hier trifft man auch bereits etablierte Musikusse,
wie Christian Brandl, Bassist von Chuzpe und der erste Eigentümer
von Ramones- und Clash-LPs in Wien. Als professioneller Arbeitsloser bleibt
ihm auch viel Zeit für journalistische Tätigkeiten, wie z.B.
die Übersetzung des Burchill/Parsons-Buches "The Boy Looked
At Johnny" oder die monatlichen Rezensionen im Musikteil des "Wiener".
Zudem ist er auch am Ruhm der allgemein überschätzten hip/Kult-Band
Blümchen Blau maßgeblich beteiligt. BB sind die heiligen
Kühe in der Wiener Szene, und das, obwohl sie gerade mal eine gute
Single gemacht haben, wovon sie knapp 4.000 Exemplare verkaufen konnten.
Bei Live-Auftritten und im Umgang mit den Medien bewegen sie sich professionell
hochnäsig, und kleinste Wehwehchen oder Identitätsprobleme innerhalb
der Band werden breit in der Offentlichkeit diskutiert!
Zurückhaltender ist da schon Christian Uhl, seines Zeichens
Frontmann der Formation Standart Oil, dessen aktuelle LP (natürlich
auf Ariola) NAGASAKI zwar keine innovatorischen Züge aufweisen kann,
jedoch mit japanischer Sängerin und gezielten Bläsersätzen
eine erfrischende Abwechslung innerhalb der übrigen hilflosen Wegwerfprodukte
Wien's bringt.
Sollte das schon alles gewesen sein? Tatsächlich,
läßt man den Entwicklungslandbonus weg und sucht nach Klasse
statt Masse, bleiben fürwahr nur noch ideenlose Dünnbrettbohrer
und halbgare Avantgardeprodukte übrig. Die experimentellen Gruppen
vom Schlage Molto Brutto/Duallein/Wirrh/Dumpf und Rosachrom
sind die übelsten Kretins europäischer Vinylproduktionen! Ideenlos,
langweilig, verkrampft, wäßrig und blutleer werden Klänge
und Minimalmelodien bis zum Erbrechen ausgewalzt. Das Fatale daran ist
die von Xao bereits erwähnte Hurra-Berichterstattung in der Presse.
Die tust-du-mir-nichts-tu-ich-dir-nichts-Ideologie der Schreiberlinge
verleitet zum Größenwahn, verhindert eine kritische Auseinandersetzung
und ergibt solch unreflektierte und nichtssagende Platten wie den Panza-Sampler
HEIMAT BIST DU GROSSER SÖHNE (eine Textzeile aus der österr.
Nationalhymne - übrigens die einzig originelle Idee der Platte),
auf der aber auch jeder Furz eines neugewellten Heinis (wie Karl Gott,
Dämmerattacke, die wilden Pinguine.. .) erfaßt ist. Und das
beste Beispiel dieser Hofberichterstattung ist das gerade veröffentlichte
Szenen-Überblick-Buch "Die guten Kräfte" in dem es
von Selbstbeweihräucherung nur so stinkt und kracht. (Alles wie
hier - oder? O.R.A.V.-Anmerkung)
Warum noch viele Worte verlieren, vom Hausfrauenrocklabel Schallter bis
zu den unheilsschwangeren Friedhofswärtern der Wiener Neustadt, die
Donaumusiker stecken weiterhin in einer kulturellen Gehemmtheit. Der eigene
Markt deckt noch nicht einmal die Unkosten der Produktion ab, und der
dauernd schielende Blick ins benachbarte Deutschland läßt sie
zu bemitleidenswerten Epigonen werden, die nichts aus der eigenen kulturellen
Tradition gelernt und verstanden haben und schon von vornherein zum Scheitern
verurteilt sind: Tragische Figuren. Erfolgszwang von hoffnungsvolleren
Gruppen wie Blümchen Blau, der Druck von Medien und Fans, bringt
schließlich auch noch die guten Bands zur Strecke. Denn "nur
wer mit sich selbst identisch ist, braucht keine Angst vor der Angst mehr
zu haben" (R.W. Fassbinder).
(Quelle: Sounds 11/82)