Neue Deutsche Welle
|
Oben v.l.: Monroe von Mipau / Irokesenschnitt. Mitte v.l.: Kids / Auswurf / DAF. Unten v.l.: Wwwiauuu! / Katapult / S.Y.P.H. |
Frank Fenstermacher, so heißt er wirklich, macht
bei Plan mit, die sich schon mal Weltaufstandsplan nannten und jetzt in
Düsseldorf arbeiten. Zu viert. Frank: "Wir haben schon den Anspruch,
was anders als Produkte und Live-Auftritte zu machen für nur wenig
Leute, nur für Eingeweihte. Wir wollen das für alle machen im
Grunde - auch mit dem Risiko, daß wir auf Unverständnis stoßen
und rausgeschmissen werden. Das haben wir ja in Hamburg schon beim Auftritt
in der Markthalle praktisch erfahren."
"Als erstes tritt der Weltaufstandsplan in kraft (oder besser
gesagt in krampf). Das warn zwei leute: stimme/synthesizer und gitarre/stimme.
Einer war der mann von art attack... wer davon schon gehört hat,
weiß, was von der bühne kam: keine musik!!! Geräusche,
lärm texte: abstrakte gedicht aufsagen: kurz - der gegensatz von
rock'n'roll, totale mittelstandskultur, oder anders: nich mein fall..."
(Aus: Preiserhöhung, Fanzine aus Bächen bei Hamburg)
Frank: "Damit will ich Leuten nicht für immer und. ewig gegenübertreten
Ich möchte auch gern Rock'n'Roll-Gitarre spielen können. Aber
so wie es jetzt ist, entspricht das meinen Fähigkeiten.!
Chris, er macht den Synthisizer auch bei der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft:
"Da findet ein Austausch statt zwischen Leuten. Das schafft mit der
Zeit die Möglichkeiten, mit verschiedenen Leuten was zu machen, nach
eigenen Dingen zu suchen,"
Thomas von der Düsseldorfer Gruppe Mittagspause: Wir zählen
einszweidreivier, aber haben keine Lederjacken an. Vielleicht liegt's
daran, daß wir für eine Kunst-Rockgruppe gehalten werden, Also
ich kann es mir nicht erklären. Vielleicht liegt es an diesem Diktafon
und dem Quietschen vom Xerox-Band auf der Platte von uns." Peter,
ihr Sänger: "Die Düsseldorfer tanzen dazu." Thomas:
"Die kennen uns. In Hamburg war auch ein schlechtes Konzert, Vielleicht
ändert sich durch die Platte da was." Peter: "Wenn man
die Texte kennt, dann kann man anders reagieren als beim ersten Erleben,
Das geht ja auch bei englischen Bands so."
Thomas: "Die Musik von Mittagspause hat sich vor allem durch Markus
und den Monroe (alias Franz Bielmeister) entwickelt. Der Markus mit seinem
humtata-Schlag, und der Monroe mit seinem etwas abgehackten Gitarren-Rhythmus.
Da das durchgehend ist, entsteht ein Konzepteindruck. Es ist einfach ein
eigener Stil, das Zusammengehen verschiedener Spielarten an den Instrumenten."
Peter: "Ich weiß nicht, wie so was geht. Der Monroe schreibt
das nicht, der fängt das einfach an..."
Din A Testbild in Westberlin arbeitet in wechselnden Besetzungen seit
fast zwei Jahren, ganz früher als Din A 4. Gitarrist Jürgen:
"Unser Konzept hängt von der jeweiligen Umgebung und der eigenen
Stimmung ab. Es ist nicht festgelegt, was gemacht wird. Wir streiten uns
auch sehr viel vorher. Einer will in die, der in die andere Richtung.
Wir haben schon immer sowas wie jetzt gemacht, vorwiegend improvisiert.
Die Selbsterfahrung ist vorgegeben. Wer den meisten Druck gibt, fängt
auf der Bühne praktisch an. Jeder steigt auf jeden ein."
"...Mittagspause. Mittagsschlaf würde besser zu ihnen passen.
Die vier mit Kapitänsmützen uniformierten Jungs ?) erinnerten
mich an 'Mainz leibt Mainz' und das mag ich als 'sturer Hamburger' sowieso
nicht. Dank des Komikers am Drums' der wohl besser als Murmeltier zur
Welt gekommen wäre, als Wirbel zu versauen, waren die Jungs nicht
gerade die schnellste, Truppe. Oh, wie bin ich doch heute milde. Aber
starke deutsche Texte..." (Aus "Pretty Vacant" Nr.
5, hamburger Fanzine)
Gode spielt Gitarre bei der hamburger Pogo-Band Coroners, zu deutsch
Totengräber. Jörn singt. Er sagt: "Im ersten Moment machen
wir schon für uns Musik, aber auf jeden Fall für andere Leute
als diese Punk-Künstler aus'm Ruhrgebiet. Materialschlacht und so.
Die stellen sich hin und sagen: Guckt her, was machen wir doch für
abgehobene Sachen!" Gode: "Ja, die mit den Kapitänsmützen.
Die können sich was drauf einbilden, daß sie deutsche Texte
machen und modern sind - aber schwachsinnig! Solche Gruppen wie Ultravox
und Devo, das ist doch die Musik für moderne Rentner. Ich hab lieber
hundert ehrliche Punks als tausend unehrliche." Eugen ist/war Coroners-Fan
und manchmal deren Manager, gibt Pretty Vacant heraus, organisiert Konzerte
im Hamburger "Krawall 2000": "Den Hamburger Punk kann jeder
machen, das find ich gut daran. Das ist wirklich einmalig in Deutschland,
diese Szene, in der es ja eigentlich nur die harten Dinger gibt."
Die Geisterfahrer sind eine quasi synthetische Formation in Hamburg. Die
vier kamen zusammen, um den Auftritt beim "In die Zukunft"-Fest
im Juni in der Markthalle mitzumachen. Mathias arbeitet mit Synthi und
Bändern: "Der Grundgedanke war: simple Sachen, etwas Elektronik,
Geige, sphärische Sachen..." Michael singt, er sagt: "Was
ham wir schon fürn Konzept? Ich denk schon daß wir mit dem
Markthallen-Programm auch ungefähr ins Krawall könnten. Wenn
man davon ausgeht, daß nur diese Coroners-Typen ins Krawall kommen,
ist das natürlich so eine Sache."
Hans "Hauspunk" Keller, der - wie ihr alle wißt - bei
den Geisterfahrern mal dies, mal das macht: "Das Merkwürdige
war, ein Buttocks-Fan kam nach unserem Auftritt hinter die Bühne
und fand das toll. Besonders die Simpel-Sachen." Matthias: "Bei
mir ist die Zentralstelle. Aber wir arbeiten eigentlich nicht zu viert,
schon weil es zu eng ist im Zimmer. Aber auch, weil der eine mit dem anderen
besser zusammenpaßt. Also ist kein Stück 'unser' Stück.
Jeder gibt das rein, was er an Ideen hat. Das läuft dann zusammen.
Wenn du das in der Theorie hörst, dann wirkt das nicht. Vom Ergebnis
her schon. Es kann wohl keiner behaupten, das sei kalt oder sowas."
"Die Geisterfahrer kommen aus Hamburg und haben mich angekotzt
wie schon lange nichts mehr. Die ersten Stücke wieder mit Geige.
Rhythmus kam aus Synthesizer - kein Schlagzeug. Die Texte waren so ungefäihr
das saudümmste, seit Heintjes Heidschi Bum Beidschi. Zum Kotzen!
Höhepunkt des Auftritts: Alle Mitglieder der Gruppe wechselten sich
am Schlagzeug ab, jeder durfte einmal Originell, nicht? Da hätten
ruhig ein paar Bierdosen mehr fliegen können." (Aus HCL,
Fanzine aus Düseldorf)
Peter von Mittagspause: "Geisterfahrer? - Es gibt Schlimmeres..."
Mona Lisa heißt eigentlich Sylvia James, kam vor etlichen Jahren
aus England, war eine ganze Zeit politisch links organisiert, versucht
schon lange fortschrittliche Kulturarbeit zu machen, arbeitete an der
Zeitung "Einige Millionen" mit, gibt das "Magazin für
Verliebte" raus und arbeitet mit der Gruppe Materialschlacht. Sylvia:
"Ich könnte nicht behaupten, daß ich Musik für Massen
mache. Ich mache das in erster Linie für mich selbst. Ich versuche
schon, Vorstellung, die ich habe, zu vermitteln. Ob die Leute das verstehen,
das bleibt denen Überlassen. Aber ich denke schon, daß es Leute
gibt, die sich dabei was denken."
"Materialschlacht - Nicht erwähnenswert." (Aus Rock
Musik Nr.3, Hamburger Rock-Zeitschrift)
Marius ist Gitarrist bei der Berliner Gruppe Tempo, die bereits ihre zweite
Single herausbringen wollen: "Wir haben schon den Anspruch, Rock'n'Roll
zu machen. Tanzmusik. Auch wenn mit Tanzmusik von vielen immer noch mit
Tanzschule verbunden wird. Wir verstehen uns nicht als reinrassige New
Wave-Band. Eher schon als Band, die 60er Jahre Musik im Stil der 80er
Jahre spielt. Die deutsche Klamauk-Ecke ist ja mit Lindenberg abgedeckt.
Da könnte man ja eher noch Peter Kraus anführen. Der hat das
ja manchmal noch gut gepackt. Also ich fand in den 60er Jahren die deutschen
Bands am besten, die sich an die angloamerikanischen Traditionen angelehnt
haben. Was dann Ende der 60er als Krautrock rauskam, war ja furchtbar
dagegen. Jetzt gibts vielleicht was Neues, aber das entsteht eher im Ruhrgebiet
als hier. Aber das ist noch gar nicht überschaubar."
Gudrun war früher bei Din A 4 und Testbild. Jetzt möchte sie
mit anderen Frauen die berliner Gruppe Mania D bilden: "Was wir machen,
muß klar und deutlich werden, nun kenn ich die anderen erst seit
einer Woche. Das hat sich so spontan ergeben. Für unsere Richtung
gibt es keinen Namen. Es wird nichts sein, was von voriger Woche ist.
Wir werden in dem, was passiert, drin sein." Eva bläst, Saxofon:
"Ich bin so heiß auf Saxofon... aber die doofen Nachbarn."
Gudrun: "Bei Bettina von Testbild im Haus haben sich schon drei Leute
umgebracht, in der Zeit, wo sie da Saxofon gespielt hat. Dann hat sie
damit aufgehört."
Oben v.l.: Sxplfp? Zlmnxp! / Jacky / Monroe
von Mipau / Noch 'n Ted (you are welcome).
Unten v.l.: Mittagspause / Kids |
"Lieber Alfred! Beiliegend einige Songtexte von Materialschlacht.
Mehr konnte ich nicht finden bzw. auftreiben, da sie überall in der
Wohnung verstreut rum liegen. Nun ja, die Texte, die ich dir schicke,
sind auch Texte, die wir schon musikalisch verarbeitet haben. Unser Schlagzeuger
(Uwe Bauer) und ich schreiben die Texte, teils zusammen, teils getrennt.
Es ist verdammt schwer, sinnvolle deutsche Texte überhaupt zu schreiben.
Wir sind nicht unbedingt mit unseren Texten und ihren Aussagen zufrieden
- wir experimentieren ziemlich viel mit Text und Musik. Wir haben und
hatten viele Texte, die wir auch musikalisch nicht umsetzen können.
Wir wollen unbedingt nicht nur gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln
in den Texten, sondern in der Zukunft auch versuchen Visionen, Träume,
zerstörte Hoffnungen des Individuums zu vermitteln. Wir wollen auch
nicht, daß die Texte so vordergründig sind bzw. daß ein
Inhalt nur durch die Texte vermittelt wird. In der Kombination von Text
und Musik soll der Text die musikalische Idee und Aussage unterstützen.
Für eine neue, andersartige eigenständige Form von Musik braucht
man auch neue Formen bei den Texten, Auch neue Im halte, denn schlechte
Farm = schlechter Inhalt. Die praktische Umsetzung dieser theoretischen
Ideen ist wesentlich schwieriger als die Ideen, die unserer Arbeit zugrunde
liegen. Wir haben kein so klares Konzept dabei außer daß wir
eine experimentelle Gruppe bleiben wollen, versuchen wollen uns von der
Rockmusik und von Punkklischees zu befreien, versuchen die Grenzen der
konventionellen Rockmusik zu überwinden, zugunsten einer musikalischen
Form, die jeden von uns seinen eigenen individuellen Spiel- und Freiraum
gibt Von den gesellschaftlichen Verhältnissen ausgehend ein negatives
Lebensgefühl vermittelnd über die gesellschaftlichen Verhältnisse
hinaus gehend, Systeme ablehnend, das Individuum hochhaltend. Es ist vielleicht
sehr vage, aber wir möchten uns auch selbst keine Ketten anlegen.
So das wärs. Den Kommentar zum Punkfestival in Hamburg in der SOUNDS
fand ich ganz gut. Die heile Welt des Punks ist wirklich kaputt. Punk
und New Wave werden eines Tages sang- und klanglos untergehen (u.a. auch
aufgrund von Spalter- und Sektierertum). Es wird aber dann nicht eine
Frage des Weitermachens oder Aufhörens sein, sondern eine Frage des
Weiterverarbeitens, des Weiterdenkens, des Weiterkämpfens... blah
blah blah. I remain Mona Lisa."
nicht heiß/nicht kalt/-lauwarm-/nicht für/nicht gegen/-gleichgültig-/nicht
du/nicht ich/niemand/Du bist nicht radikal/Du bist nicht konform/Du hast
Angst/Du bewegst dich nicht/Du hast Angst/Du bewegst dich nicht/Du bist
nicht statisch/Du bist gelähmt/gleichgültig gleichgültig/
(Text von Mona Lisa)
Peter erzählt, wie das Stück "Testbild" von Mittagspause
entstanden ist: "Da kam der Monroe aus Dortmund zurück und hatte
schon "3 x Nordpol" geschrieben. Und dann haben wir bei mir
Bratkartoffeln gegessen. Es war mitten im Karneval. Und dann sagte er:
So, jetzt schreiben wir Texte. Dann hat er sieh das Testbild angesehen.
Aber es fiel ihm nichts weiter ein als diese Wochentage. Dabei haben wir
es bewenden lassen."
Jürgen spielt Gitarre bei der Düsseldorfer Gruppe Male, die
es nun seit fast drei Jahren gibt: "Der Song 'Risikofaktor' ist entstanden.
als wir im Kaufhaus eine Frau gesehen haben, die umgekippt ist und mit
den Haaren inner Rolltreppe hängenblieb."
Risikofaktor 1:x (Male) Rolltrepppe Rolltreppe/Eisen und Stahl
Rolltreppe Rolltreppe/sinnlos brutal Hochofen/Hochofen/Hitze und Glut
Hochofen Hochofen/Schweiß und Blut Risikofaktor 1:x Die Neue Zeit
kommt gewiß
Frank Fenstermacher von Plan sagt: "Ich habe früher
schon mal Texte gemacht allerdings literarische. Im Zusammenhang mit der
Musik ist das mehr konstruiert, aber ich habe trotzdem ein Anliegen. Es
ist schon eine Leistung, vom Versmaß, vom Reim her. Es ist wie ein
Schulaufsatz zu einem Thema, was dich nicht berührt. Aber ein guter
Aufsatz." Eva von Mania D. sagt: Ich hin Else Lasker-Schüler-Fan.
Ich. übersetze ihre Gedichte ins Englische, im Deutschen geht das
nicht. Wir machen englische und deutsche Sachen. Deutsch ist sehr schwierig.
Das ist erstmal Material" Beate: Die Sachen von Talking
Heads sind gut, da sind Parallelen in den Texten, das ist sehr offen.
Bei Wire imgrunde ähnlich, nur sind die verschlüsselt."
Gode von den Coroners sagt: "Englische Texte gehen einem leichter
von der Hand. das is auch ne geilere Sprache, wenn man so richtig aggresiv
sein will, kann man sich besser damit ausdrücken. Auf deutsch kannste
kaum einen Text zu dieser Musik machen. Die Texte versteht man live ja
kaum. das hat ja deshalb auch kaum Wirkung beim Publikum" Darauf
Mike von den Hamburger Buttocks: "Da bleiben schon Sachen hängen,
Schlagworte. Zum Beispiel beim Wort 'Anarchie' flippen die Leute aus."
"MolIis und Steine Gegen Spießer und Schweine "
(Text der berliner Frauenband Ätztussis)
Hans hat die Kreuzberger Gruppen Katapult, Auswurf und Ätztussis
besucht: "Katapult wohnen in der Kreuzberger Waldemarstraße,
einer jener letzten Parallel-Straßen vor der Abgrenzung nach 'drüben',
im dritten Hinterhof links lebt die Punk-Kommune sozusagen mit dem Rücken
zur Mauer. Katapult haben schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht,
sind mißtrauisch. Blitz von Auswurf: "In der 'tageszeitung'
brachten die mal 'n Bericht über uns mit dem Titel 'Sex & Drugs
& Rock'n'Roll', total bescheuert." Und von SOUNDS halten sie
wohl auch nicht allzuviel. An einem trüben Nachmittag sitzen so zehn
Leute von den Gruppen in einer Ecke des großen Wohnraumes. Locke,
Schlagzeuger von Katapult, hat sich die Haare auf einer Kopfseite rot
gefärbt. Zwei von Ätztussis sind da, sie betreiben um die Ecke
einen 'antifaschistischen Nähladen', außerdem Olaf, White Punk,
Reno Kid und Blitz von Auswurf. Katapult sind eine Kommune, wollen eine
Kommune sein, die Bezeichnung Wohngemeinschaft wird zurückgewiesen.
Katapult: "Uns gibt es seit etwa 77, da ham wa den ersten Text geschrieben.
'Alles Scheiße' heißt der, gegen die Kontrolleure, gegen Razzien
und so."
Schmeiß den Cocktail (Katapult)
Morgens früh um 7 mußt du wieder ausm Bett/Um etwas Kohle
zu haben latscht du zum Arbeitsamt/Du hast die Schnauze voll/Weil sie
dich wieder verarschen wollen /Aber diesmal läufts anders Seit einem
Jahr nun keinen Job/Wer arbeetet schon gerne Du machst es nur wegen dem
Geld/Damit du nicht verreckst Wie die tausend vor dir/Du machst nen schlechten/Der
Magen knurrt/Aber diesmal läuft: anders/Schmeiß den Cocktail
durch die Scheibe/ Tausend Splitter fliegen umher/Alles kreischt hysterisch
rum/Und du schnappst dir die Kasse/Endlich wieder Kohle/Damit du nicht
vereckst/Fressen Saufen Fressen Saufen/Diesmal wars anders
Der KFC und Fans in Hamburg, in der Mitte:
Eugen, eher besinnlich
|
Über einen Auftritt in dem Westberliner Trabantenviertel Gropiusstadt
berichten Katapult: "Das war wohl das härteste, was wir bisher
gemacht haben. Da waren Punks, aber auch so Bodybuilding-Discotypen. Leute,
die auf Schlägerei aus waren. Dann hat Katapult gespielt, aber fast
noch normal, ein paar Flaschen zu Bruch. Dann ham die als Pausenmusik
einen deutschen Schlager eingespielt, da sind diese Disco-Leute klar drauf
abgefahren - da war es gelaufen. Als Auswurf anfing, gingen die Rempeleien
richtig los. Die ham auch den Stecker rausgezogen und so. Die Sozialarbeiter
konnten da auch nicht mehr viel machen. Irgendwie spielte dann Auswurf
noch zu Ende. Als alles abgebaut war gings draußen weiter. Bis zu
U-Bahn ham se die Punks noch verfolgt. Die Punks da draußen kriegen
ja ständig eins auf die Schnauze.
Die Kreuzberger Punkgruppen scheinen eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen
Punk- und New Wave-Szenerie zu sein, von ihrer Praxis, von ihren Ansprüchen,
von ihrer Herkunft. Olaf von Katapult: "Ich komm' direkt hier ausm
Viertel, ausm Ghetto. Meine Eltern sind so Proleten, wa. Die wünschn
sich 'n Auto, aber ham keins. Eben normal. Kohleheizung un so. Die anderen
kommen zum Beispiel aus der Nähe von Gropiusstadt.
Neben dem Wohnraum von Katapult ist der mit Graffitti total vollgeschriebene
Übungsraum, recht gut ausgebaut. Probenraum-Probleme, wie sie für
die meisten Gruppen typisch sind, kennen Katapult nicht. Im gleichen Stockwerk
befindet sich eine Lederkleidungs-Werkstatt. Katapult ändern, machen
und reparieren Ledersachen, Motorradkleidung und Ähnliches. Davon
und von anderen Jobs hält sich die Kommune. Die Lederwerkstatt macht
einen professionellen Eindruck. Ist das alles 'alternativ'? Katapult:
"Für uns nicht, für uns ist nichts anderes denkbar und
machbar. Alles andere Leben ist keine Alternative."
In Hamburg, auch in Düsseldorf, wird von einer Mittelstands-Szene
gesprochen, wenn von Punk die Rede ist. Frank von Plan: "Sicher ist
in England der Punk zum Teil aus der Arbeitslosigkeit entstanden. Hier,
zum Beispiel bei Male, gibt es die Situation einer gelangweilten Mittelschicht,
die Revolte gegen das Elternhaus." Robbi ist Schlagzeuger bei Deutsch-Amerikanische
Freundschaft und Plan. Er sagt: "Ha! Ich komme von ganz unten, gar
nicht daher, wo die alle herkommen. Ich bin Original. Punk! Hahaha! Ja,
ja, ausm Knast, ausm Heim komm' ich. Da mußte dich durchsetzen,
da gibts die gleiche Konfrontation wie im Big Business. Vielleicht bin
ich deshalb auf diese Musik gekommen. Oder durch den
Chor? Freitags mußten wir immer singen, "Aus grauer Städte
Mauern", die Nationalhymne und so. Mit 15 habe ich beschlossen Musiker
zu werden, jetzt bin ich's. Dann bin ich erstmal den klassischen Weg gegangen,
dann auf die Jazzhochschule in Österreich. Aber ich wollte was eigenes
machen. 77 kam ich nach England. Das hat mich unheimlich beeindruckt,
das war alles neu für mich. Und da mußte ich mich fragen: Wo
biste eigentlich drauf? Jetzt, hier mit den Leuten von DAF, habe ich mich
erst entwickelt. Ich hab manchmal den Eindruck, daß ich erst jetzt
die Gefühle, die ich in London hatte, realisieren kann. Die eigene
Entwicklung und die Umwelt, das kommt zusammen."
Die meisten Düsseldorfer (Male, Zentralkomitee) und Hamburger (Coroners,
Razors, Buttocks, Copslayers und so weiter und so fort) Punks sind nicht
mal oder gerade 20, gehen zur Schule, manche sind in der Ausbildung. Fast
alle leben zu Hause. Andere studieren, arbeiten irgendwo halbtags, haben
was geerbt, machen Schulden, machen Musik in ihrer Freizeit. Peter von
Mittagspause arbeitet bei einer Computerfirma und wohnt zu Hause: "Ich
kann mir kaum vorstellen, das full time zu machen, jeden Gig zu jedem
Geld zu machen, weil du davon leben mußt. Da geht der ganze Spaß
weg."
Gudrun in Berlin hat mit Bettina von Testbild einen Laden aufgemacht.
"Eisengrau" heißt der und da werden Klamotten verkauft.
Gudrun: "Ich leb' schon etwas von den Tageseinnahmen des Ladens.
Jetzt will ich zur Kunsthochschule, Visuelle Kommunikation. Die andern
existieren ähnlich, sind Studentinnen, aber das bringt nix.
Niemand in der deutschen New Wave-/Punk-Szene kann von der Musik leben,
auch wenn er/sie es wollte.
Emirat 030 gehört zu den 'Geheimtips' in Westberlin. Sie haben, wie
üblich, keinen Übungsraum. Entsprechend ist ihre Spielpraxis.
Ein spontaner Gig für den Redakteur von SOUNDS. Hans: "Die Musik
wird durch Matsch's Baß etwa im Geiste von Public Image geprägt.
Blixer, der ungeheuer dünne Sänger, improvisiert seine deutschen
Texte. "Deutschland - Marschmusik...!" Es hinterläßt
Betroffenheit. Alles schwankt zwischen Wackligkeit und Intensität."
Matsch ist auf dem Interviewband' unschwer rauszuhören; er redet
meistens, handelt sich des öfteren den Unwillen der anwesenden Frauen
ein. Matsch, eine (typische) Berliner Geschichte:
"Als Kleinkind bin ich ans Radio gegangen und hab' furchtbar aufgedreht
- willste das hören? Ich bin 17, in Berlin geboren, komme aus Spandau,
aus der Szene da. Willste das höre? T. Rex, Sweet und so, war so'n
Powerkram. Dann die Hippiezeit. Da hab' ich ne Gitarre gekriegt, das einzige
waren Rückkopplungen, ich konnte ja nichts. 76 war ich in England,
bin mit meinem Onkel zum Pistols-Konzert. 100 Club. Hat mich nicht besonders
beeindruckt erst. Etwas später fing ich doch an, das cool zu finden.
Hab 'ne Band mit ein paar Typen aus der Schule aufgezogen. Da draußen
gibts das Ballhaus. In die Stadt sind wir nie gefahren. Da hat sich nichts
geändert. Ich wohne weiter zu Hause. Irgendwann lief das mit dem
Punk House an aufm Kudamm. Die Klamotten, der ganze Abklatsch. Gedanklich
war das schon das Gleiche. Und gings vielleicht nicht wie East End Kids,
aber es war schon tierische Langeweile da. Unsere Gruppe hieß Wall."
Die Wall spielten auch bei dem legendären Mauer-Festival im SO 36,
letztes Jahr zum 13. August. Wayne County fand die Jungs toll. Für
Zugereiste ist die Entwicklung der Gruppen kaum zu überblicken, die
Fluktuation hatte Hoch-Zeit. Matsch: "Den ersten Auftritt hatten
wir mit PVC und den Stuka Pilots bei 'ner Rockerfete. Die Stukas waren
ja komisch drauf, so Kids aus Kreuzberg mit Nazi-Abzeichen. Wir ham 'ne
reine Fun-Sache gemacht, so richtige klischeemäßig, wir war'n
ja alle noch Schüler. Im Punk-House für Drinks gespielt. Einige
sind sitzengeblieben und durften nicht mehr spielen. Nach dem SO-Festival
ist nichts mehr passiert. Der Gitarrist haute ab, weil er sich nur für
Mädchen interessierte. Wir haben eben was gemacht für Leute
in unserem Alter. Die mit den Sicherheitsnadeln kommen heute noch an und
sagen, hey Wall und so. War richtig zum Identifizieren, weil nichts richtig
klappte. Bei Ffurs bin ich rausgeflogen, weil ich nicht Baß spielen
konnte. Hab' dann zehn Stunden Unterricht genommen. Und dann kam andere
Musik, der Burkhard mit dem Zensor-Laden. Das war dann nicht mehr so kidmäßig."
Der Sänger der buttocks aus Hamburg
|
In Spandau ist es immer noch langweilig, sagt Matsch: "Da hängen
25 Mann mit drei Mädchen rum, die gehn zu Konzerten, saufen sich
voll, machen mal was. Ja, da gibts noch die Neon Babies. Und eine heißt
Pocketrausch. Das sind die ganz jungen Kids. Vor drei, vier Monaten haben
die gerade die Pistols entdeckt." Mark Brummer spielt die Gitarre
bei Din A Testbild: "Im Märkischen Viertel stehn sie auf AC/DC,
das ist ja alles Beton da, aber is' schon okay. Die kommen da nicht raus.
Aber die sind so stark die Typen."
Detroit fällt mir ein, die totale Autostadt in den USA. Die totale
Langeweile. Und dann die Stooges. Und MC 5. Krach - mitten rein in Beton
und Blech.
Die Linken hierzulande tun sich ganz schwer mit der neuen Musik. Wie mit
jeder Bewegung, die mehr mit Fantasie als mit Lehrbüchern zu tun
hat. Matsch von Emirat: 1 "Die pickten sich die Klischees raus, Nazi
und so. Dann kam plötzlich Rock Gegen Rechts da pickten sie sich
das raus. Tom Robinson, das war plötzlich in! Die checken doch gar
nicht mehr ab, was in der Realität läuft, auch die Alternativler
nicht. Die kommen mir manchmal vor wie Opas. Die kriegen nicht mit, daß
die Kids nicht mehr auf lange Haare stehen." Die Düsseldorfer
Male werden für eine politische Gruppe gehalten. Für manche
Punks auch wegen äußerer Parallelen zu den Clash. Jürgen
von Male: "Wir wissen schon, daß wir damit irgendwie verwechselt
werden. Wolln wir aber nicht. Deshalb werden wir vermeiden, mit diesen
Klamotten nochmal aufzutreten. Politisch sind wir schon, "nur nicht
parteipolitisch. Das finden wir doof!" Gode vom den Hamburger Coroners:
"Bei Politik fällt mir nur Strauß ein, Schmidt und Genscher,
also das is doch öde. Wenn, dann machen wir Anti-Politik... Anarcbie,
klar, is auch Politik. Aber bloß keine Partei! Wir wollen sagen,
was einen anödet, das kann Politik sein. Das kann 'n Typ sein. Aber
echt: Strauß müßte mal Kanzler werden, dann würden
einige Leute endlich mal ihren Haß loslassen!"
1. Mai (Auswurf)
Ich hoffe dieser/1. Mai wird der letzte sein/Den die alte Welt erlebt/Ich
hoffe dieser 1. Mai wird der letzte sein/Den diese Scheißwelt noch
erlebt/Schlagt die letzte Stunde/Schlagt die letzte Stunde/ - Vor Arbeit
und Langeweile/Schlagt sie tot Die nächste Sekunde! - Wird die letzte
sein
Jürgen von Testbild: "Nee, zu den Kreuzbergern haben wir keine
Kontakte. Hängt wahrscheinlich mit zeitlichen Problemen zusammen.
Sonst wäre ich öfter mal hier und da. Was den politischen Anspruch
angeht, naja... wenn der musikalische Anspruch nicht dahinter zurückbleibt..."
Frank von Plan: "Wenn ich in einer politischen Gruppe arbeite, ist
das halt beschränkt. Ich muß mir aber schon überlegen,
was heute zu tun ist. Punk war die erste Bewegung, die ich mitbekommen
habe." Olaf von Katapult: "Meist spielen wir gratis. Wenn für
Geld, dann machen wir Benefiz-Konzerte für Leute im Knast und so.
Am 1. Mai haben wir aufm Laster gespielt, weil wir da Bock drauf hatten.
Das ham wir aus eigener Tasche bezahlt. Den Generator haben wir von der
TU bekommen." Gode: "Die müssen's ja haben... Haben die
denn da Absperrungen gehabt? In Hamburg würde doch keiner irgendwie
Geld spenden, wenn da nicht ne Absperrung wäre. Die klauen ja dem
Klaus von Rip Off die Badges vor der Nase weg!" Pretty Vacant-Eugen:
"Die von Rock Gegen Rechts wollten mal Buttocks und Coroners haben."
Sänger Jörn: "Neeee nich mal für Geld!"
Eugen: "Wir brauchen RGR nicht, wir können das selbst machen."
Warum gibt es plötzlich so viele Punk-Scheiben zwischen Spree und Rhein? Wieso konnte niemand das SO 36 leiden? Ist Mona Lisa eine Intellektuelle, und was hat es mit dem POP CLUB auf sich? Warum geht der 'Hamburger Sound' nicht aus den Köpfen? Wie sieht die Freundin von Wichser aus? Mehr Tatsachen und Mutmaßungen über die Leute, die die neue Musik machen, und das Land, in dem diese Musik stattfindet, im nächsten SOUNDS!
Fotos: Sabine Schwabroh/Ulrich Maier
(Quelle: SoundS 10/79)