Macher?
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Burkhard der Zensor -
faustisch? |
Eine musikalische Städte-Geschichte wollte ich eigentlich
nicht schreiben (wie einige Leser irritiert kritisierten). Denn Einflüsse
hier ergeben Parallelen dort. Die eine Band aus Düsseldorf hat eine
andere Gruppe aus Berlin kennengelernt. In Hamburg. Und beide mögen
dieselben amerikanischen Platten. Mit den Bedingungen an der (politischen)
Landschaft hängt sicher vieles zusammen, mit der eigenen (musikalischen)
Vergangenheit, mit der Lebenssituation in der Stadt. Irgendwer, ich glaube
es war PVC, hat mal den Wall City Rock erfunden. Mit der 'besonderen Lage
Westberlins' hat sicher vieles in der 'Frontstadt' an Inhalten und Formen
zu tun. Mit der Situation des Ausländerghettos im Besonderen auch.
Dort befand sich einer der beliebtesten Wallfahrtsorte für Westdeutschen
Punk-Touristen und Westberliner New WaveSchickeria, das SO 36.
Andy und Kippi (ja, der auch schon von Hamburg her berüchtigte Selbstdarsteller
Kippenberger) machten bis zum Sommer '79 das SO 36. Zum Teil in Zusammenarbeit
mit dem Ratinger Hof in Düsseldorf traten dort englische und amerikanische
Bands auf, und auch einige einheimische. Nicht nur am mangelnden Lokal-Kolorit
schieden sich die Geister über das SO, auch die Getränke- und
Eintrittspreise gerade im Kreuzberger Ghetto waren zum Beispiel für
politische Gruppen wie Katapult/Auswurf geradezu eine Provokation. Was
an Auseinandersetzungen darum lief, SOUNDS hat es genügend berichtet.
Das SO 36 hätte eines der wichtigsten Zentren für die neue Welle
bleiben/werden können. Aber Kippi und Andy haben es schließlich
aufgegeben. Ihre New York-Orientiertheit erreichte am Abschlußabend
ihren Höhepunkt. Zum Knallen der Sektkorken spielten Teenage Jesus
und Lydia Lunch. Und der Eintritt betrug 40 (in Worten: vierzig) Mark.
Berliner Graffiti
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Da fallen die Feste, wenn der Zensor sie feiert, doch
etwas gemäßigter aus. Zur Eröffnung seines winzigen, im
Rock'n'Roller Shop Blue Moon eingezwängten Plattenlädchens in
Schöneberg, spielten einige Berliner Bands auf der Straße auf.
Bis die Polizei kam... Aber das war erst der Anfang. Burkhard Seiler's
Zensor-Hirn träumt nicht nur "von einer Nacht mit Brigitte Bardot
irgendwann in den 80er Jahren", er arbeitet auch noch an der Realisierung
von anderen tollen Ideen. Im Keller unter dem Laden können Bands
spielen, ein Fanzine hat er schon mal gemacht, er redet mit den bei ihm
einkehrenden Gruppen über deren Musik und Zukunftspläne, verschickt
Platten aus England und den Staaten, läßt sich auf zwei wodkahaltige
Nächte in Hamburg ein und lacht auch dann noch, wenn er am nächsten
Morgen den Zug zurück nach Berlin verpaßt: "Aber ich muß
doch den Laden aufmachen!"
Der Zensor ist ein Macher, wie er eigentlich in jeder Stadt gebraucht
wird (es kann/sollte auch Macherinnen geben). Zwar setzt er sich selbst
auch schon mal an die Trommel, bevor oder nachdem er Bach gehört
hat. Aber er versucht eben mehr durch Organisation das Ding, die neue
Welle, in Gang zu bringen. Und da er nicht davon leben kann, daß
in seinen Laden "auch sehr viele Mädchen reinkommen", betreibt
er jetzt auch einen Großhandel für deutsche New Wave-Platten
und für eine Vielzahl englischer kleiner Label wie Rough Trade und
Small Wonder. Aber alles was des Punks Herz und Kopf begehrt, hat er nicht
da. Denn schließlich will er sich in der Auswahl der Platten auch
selbst wiederfinden. Und das unterscheidet ihn zumindest von einem gewöhnlichen
Kleinkrämer oder Großhändler.
(An dieser Stelle von Berlin wollte ich noch einfügen, daß
der Achim Butzmann aus meinem letzten Artikel eine Fiktion ist und die
dieser Fiktion unterschobenen Äußerungen selbstverständlich
dem Frieder Butzmann zuzuschreiben sind. Okay, Frieder?)
Eva, die Saxofonistin, die aus Düsseldorf kommt, sagt: "Am Rhein
hat sich ja schon Ende '76 was entwickelt. Hier mußt du ja erstmal
zum Südpol fahren, um jemand zu treffen. Aber beim Burkhard geht's
jetzt los."
Probleme mit Übungsräumen sind dadurch nicht gelöst, und
mit dem besetzten UFA-Gelände ist wohl auch nicht viel für die
Neue Welle zu holen, weil da schon andere Gruppen seit zehn Jahren drauf
warten. Gutsortierte, aktuelle Importläden wie der Zensor haben vor
allem deshalb eine wichtige Funktion, weil sie als Kommunikationsort funktionieren.
Sowas läßt sich in Westdeutschland suchen und nur mit Mühe
finden.
Das Rock ON in Düsseldorf hat sicher die zehnfachen
Ausmaße des Zensor-Ladens. Und neben New Wave- und Reggae-Import-Scheiben
findet sich auch Rock-Vinyl. Denn anders, so versichert Rock ON-Inhaber
Udo, könne er gar nicht überleben. In Duisburg hat er nun seinen
zweiten Laden aufgemacht.
Carmen, die Macherin
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Jeden Freitagmorgen, wenn die neuen Importe da sind,
stehen die Düsseldorfer Bands Schlange, um sich von Udo mit den vom
NME angepriesenen neuen Trends unterm Arm wieder davon machen zu können.
Und Udo brachte auf eigenem Label auch die erste LP von Male heraus, sicher
eine der ersten selbst-produzierten Punkscheiben auf bundesdeutschen
Punkboden. Der wäre noch fruchtbarer als für 1000 Auflagen gewesen,
wenn sich Rock-Udo auf einen, wenn auch alternativ organisierten, Vertrieb
eingelassen hätte.
Male will jedenfalls die ZENSUR ZENSUR-Platte nicht nochmals auflegen,
schließlich hat die Band neue Aufnahmen gemacht die für die
Zukunft (noch) mehr versprechen. Erscheinen soll die neue Male-Platte,
ihre erste Single, auf dem Düsseldorfer Rondo-Label. Ein gewisser
Franz Bielmeier ist Initiator und Inhaber dieses Labels, das keinen Vergleich
in der BRD erlaubt.
"Höre-staune-gute Laune" heißt das Motto von Franz
und seiner Frau Heike mit ihrem aus einer Erbschaft selbstfinanzierten
Unternehmen. Der Franz hat lange gewartet, bis er mit seinem Geld ein
derart aufwendiges und zukunftsträchtiges Projekt startete. Bisher
war er "nur" Gitarrist und auch eine der Seelen von Mittagspause,
machte ganz früher das legendäre und wohl mit das erste westdeutsche
Fanzine "The Ostrich". Und er war immer gut für das Gerücht,
er würde bei Mittagspause aussteigen. Jetzt halten er und Heike die
Zeit für gekommen, ein eigenes Ding zu machen, das vielleicht vergleichbar
mit Stiff oder Chiswick in England - der neuen Welle hier einen wichtigen
'kick' verpassen könnte.
Rondo ist keine ähnlich-lautende Waschmaschinenfirma und kein Tanz
nach alter Welle sondern eine ambitionierte, ganz subjektiv arbeitende
'Firma', die nicht alles unter Vertrag nehmen wird, was schräg oder/und
rheinisch klingt. Die vier ersten Scheiben wurden von Monroe mit seiner
eigenen Band Mittagspause und mit Male, ZK und der Session-Band Aqua Velva
produziert. Ein aktueller Querschnitt durch die heutige Düsseldorfer
neue Welle. Und da Franz genügend finanziellen Background hat, dürfte
die Zukunft von Rondo recht rosig sein. Mit Anzeigen, Badges, T-Shirts
und einer Package-Tour will es auf sich. aufmerksam machen und beitragen,
die neuen Töne aus dem Rheinland über Insiderkreise hinaus zu
verbreiten.
Der Monroe und die Heike haben sich Informationen über das wer-wo-wann
und wie selbst angeeignet, denn Vorbilder für ein derartiges New
Wave-Label gibt es allenfalls in England. Rondo wird nicht alles veröffentlichen,
was an Bändern mit Sicherheit demnächst auf dem Schreibtisch
landen wird. Denn für die Rondo-Inhaber steht nicht so sehr die Altersversorgung
im Mittelpunkt sondern die Inhalte der Arbeit.
Ähnlich verfahren will auch die Berliner Band Tempo. Auf eigenem
Label haben sie bereits eine Single und eine EP veröffentlicht. Die
Band will anderen Berliner Bands ihre Erfahrungen weitergeben und ihnen
unter Umständen auch das Label zur Verfügung stellen. Tempo
und auch Din A Testbild machen gerade ihre ersten selbstorganisierten
Tourneen durch einige Städte Westdeutschlands - kein kommerziell
erfolgreiches Unternehmen, denn meist springen nicht mehr als ein paar
hundert Mark für die Unkosten heraus. Große Hallen haben an
der neuen Musik - noch - kein Interesse und dürften für manche
Bands auch nicht der richtige Ort sein, um in direkter Kommunikation mit
dem Publikum zu spielen. Also konzentriert man sich auf die wenigen Clubs
in Düsseldorf, Hamburg, Berim, Herne, Dortmund, Lübeck, Herford,
Dortmund, Gelsenkirchen, Köln, Kiel, Wuppertal. Da hört's auch
schon fast auf. Denn sowohl die Hannoverschen Bands wie auch die Bremer
Gruppen, um nur zwei Städte zu nennen, haben Schwierigkeiten, geeignete
Räumlichkeiten für Auftritte zu beschaffen. Mal haben die Inhaber,
oft ist es die Stadt, kein Interesse, mal wird das Entgegenkommen durch
Punk-Schläger kaputt gemacht.
Westliche Wandzeitung - Werbung für's
SO 36
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Pionierarbeit für die westdeutsche Punk/Neue Welle-Szene
haben teilweise sicher das SO in Berlin und der Ratinger Hof in Düsseldorf
geleistet. Ingrid und Carmen führten den Laden in der Altstadt mit
einem Publikum, das auf Roxy Music stand. "Bis eines Tages der Markus
von Mittagspause mit einem Stapel Singles auftauchte und auflegte"
erzählt Carmen. Sie merkte, daß da was in Gang kam, änderte
das Konzept der Kneipe, brachte viel Licht rein und den Schnickschnack
raus. Schnell wurde der Laden Treffpunkt der Leute zwischen Wuppertal
und Köln, die sich für neue Musik interessierten.
Bereits die ersten Gigs, - Suicide aus Köln waren auch da, dann auch
Din A Testbild, Wire und schließlich die Düsseldorfer Gruppen,
- wurden von Carmen fotografiert und die Dias im Hof gezeigt. Carmen:
"Das war unheimlich wichtig, solchen Konzerte in Düsseldorf
durchzusetzen, denn hier war sonst nix los." Ob nun Kommunikation
oder Konkurrenz - der Hof hatte für die Rhein-/Ruhr-Szene eine entscheidende
Bedeutung. Und umgekehrt lebte der Hof von den Gruppen. Janie-Peter von
Mittagspause sagt: "Die Carmen weiß, daß der Hof auch
uns viel verdankt. Sie findet uns einfach wahnsinnig toll und weil sie
findet, daß das für die Nachwelt erhalten bleiben muß,
hat sie die Doppel-EP mit uns gemacht. Wenn da Geld bei rauskommt, geben
wir das sicher nicht für Plektrons aus."
Der Ratinger Hof hat zwar nicht zu, aber unter anderer Regie laufen nur
noch selten Auftritte dort. Eine Übergangslösung für die
neuen Gruppen war/ist das Okie-Dokie in Neuß - bis Carmen ihren
neuen Laden in der Altstadt aufmacht. Wenn dort, wie zu hören ist,
zum Beispiel Milchmix-Getränke ausgeschenkt werden sollen, dann wird
das sicher was ganz Besonderes. Außer ihrem derzeitigen Kampf mit
den Behörden um Lizenzen hat Carmen auch noch mit dem Problem zu
kämpfen, wie sie zum Teil bewaffnete Gestalten erst gar nicht in
den neuen Laden reinzulassen braucht.
Von sich reden machte in letzter Zeit auch eine andere Initiative. Eine
ganze Reihe Düsseldorfer Punks haben sich zusammengetan und den "Pop
Club" gegründet. Der Club will als eingetragener Verein arbeiten,
hat auch schon etliche spendende Mitglieder und will Auftritte für
Gruppen aus Deutschland und sonstwoher organisieren. Vorläufig im
Okie-Dokie, später in einem eigenen Raum.
Krawall 2000 mit
Rundbögen |
Ähnlich will eine Hamburger Initiative vorgehen,
die sich aus den Erfahrungen des Krawall 2000 gebildet hat. Seit dem Frühjahr
laufen dort, in einer auch als Treffpunkt bestimmter linker Kreise geltenden
Kneipe, jeden zweiten Freitag Auftritte einheimischer und auswärtiger
Punkbands, Wie die Bands, so das Publikum. Und wenn der Hamburger / Braunschweiger!
Bremer Pogo-Sound ertönt, sind die 150 drinnen bald schweißgebadet
und wechseln sich dann mit den 150 draußen Wartenden ab. Für
drei Mark Eintritt der einzige Fun in der Woche, den viele haben. Andere
als Pogo-Truppen haben es schwer, ihren Auftritt zu überstehen. Hans-a-plast
aus Hannover mußte das erfahren, und selbst die Pop Rivets aus England
kamen nur mühsam bei den auf Krawall-Sound eingeschworenen Punks
an.
Damit's den Etablierten nicht schwarz vor Augen wird, hier ein Bericht
aus der Zeitung "Rock Musik" (Nr. 3): "Das Krawall ist
zu einem Treffpunkt für die (echten) Hamburger Funks geworden. Die
Atmosphäre ist fähig, man reagiert den Nervkram des Tages ab,
manchmal ein bischen ruppig und mit Bier, aber das ist alles völlig
harmlos und vor allem ehrlich. Wir finden, daß das Krawall das Beste
ist, was musikalisch in Hamburg überhaupt passieren konnte und wir
hoffen, daß der Laden wenn nicht am Fischmarkt - er wird auch langsam
zu klein - woanders weiterläuft."
Hamburgs neue Welle wird überwiegend bestimmt von Freizeit- und Anarcho-Punks,
die ihr Lebensgefühl 'kidgemäß' bestätigt sehen in
harten, schnellen Stücken, zu denen sich englisch klar besser singen
läßt als deutsch. Alles andere wird als "ätzend"
abgetan. Und wenn jemand erzählen will, daß er auch mal neue
Töne aus England hört, dann muß er das fast heimlich tun.
Diese neue Welle in Hamburg findet anders als in Berlin, Düsseldorf
oder Hannover fast unter Ausschluß von Intellektuellen bzw. künstlerischen
Kreisen statt. Selbst der seit Jahren in der Szene sich herumtreibende
Kiev Stingl hat es nur zu einer relativ kleinen Fan-Gemeinde gebracht.
Woran das liegt? Hans Punk von den Geisterfahrern sagt: "Vielleicht
ist das Krawall ja der richtige Ausdruck für diese Stadt. Hier ist
eben alles ein wenig heavier als woanders: der Kiez, die Trabantenstädte,
die Marktstraße, das Krawall. In Düsseldorf ist alles viel
schicker, da mußt du schon mit schrägen Sachen auffallen."
Aktiv sind nur wenige der Hamburger Punks. Etwa sechs bis acht Leute organisieren
die Auftritte so gut sie können neben Schule oder Beruf in ihrer
Freizeit. Sie haben schon lange gemerkt, daß das Krawall zu klein
ist und wollen einen neuen, eigenen Laden aufziehen. Dort sollen dann
auch endlich andere, neue Gruppen auftreten können, sollen Filme
gezeigt werden, kurz: ein täglicher Treffpunkt entstehen.
Krawall-Eugen und Rip Off-Klaus
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Eugen, gerade 20, und Klaus, Mitte 20, sind zwei der
Macher in der Hamburger Szene. Eugen macht neben dem Krawall das am weitesten
verbreitete Fanzine Westdeutschlands, Pretty Vacant. Und er hilft ab und
zu in Klaus' Rip Off-Laden aus. Anders als früher in der Alternativ-Szene
sah Klaus alias Max alias Ivan Rip Off im Punk einen neuen Ansatz von
Selbstverwirklichung. Sein Laden und der Vertrieb von selbstgemachten
und importierten Badges läuft einen schmalen Grat zwischen Kommerz
und Kommunikation. Noch überwiegen für Klaus die lebendigen
Seiten: "Selbst beim Versand kommst du mit Leuten in Korrespondenz,
und im Laden läuft das noch viel direkter.'' Der Laden hat sich zu
einem, in Westdeutschland wohl einmaligen, Punk-Kaufhaus entwickelt: von
amerikanischen New Wave-Zeitungen über T-Shirts und Importplatten
aus USA und England bis zu zwei Dutzend Fanzines gibt es dort fast alles,
was zum Outfit und zur Information gehört. "Ableger" von
Rip Off sind ein Plattenversand nur für "deutsche Wellenreiter",
wie das Motto heißt, und das Veranstalten von Konzerten, für
die das Krawall zu klein ist.
Wie für den Zensor mit seinen Platten, ist es für Klaus Rip
Off schwer, allein schon den Überblick über alle Fanzines zu
haben, die aus allen deutschen und schweizer Landen im Laden eintreffen.
Auch wenn in diesen, größtenteils in geringen Auflagen (zwischen
10 und 1500) und meist fotokopierten Zeitungen oft 'nur' die Vorliebe
für bestimmte englische Bands oder lokale Gruppen sich ausdrückt
- diese Fanzines sind eines der wichtigsten Kommunikationsmittel in der
bislang von den großen Medien verschonten Szene.
Punk Nachwuchs in Hannover
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Die oft beschworene Anti-Konsum- und Anti-Star-Haltung
der Punks ist allerdings nur in geringen Ansätzen durchbrochen. Was
für den Disco-Typen das Trinity am Samstagabend, ist für den
Punk das Krawall am Freitag. Die wenigen Macher (wo bleiben sie denn nur,
die Macherinnen) haben die Fäden m der Hand, oft auch die ideologischen.
Wenn sich zum Beispiel in Jürgen Kramers Zeitung "Die 80er Jahre"
avantgardistische Tendenzen artikulieren, da wendet sich der "echte"
Punk ab. Lager- und Cliquenverhalten bis hin zur Feindseligkeit wird bei
Auftritten gegen bestimmte Bands gerichtet oder in den Fanzines ausgespuckt.
In die Zukunft?
Also spricht/schreibt 360° Jürgen Kramer in einem Brief an Hannovers
Punk-Apostel Holger: "...danke für die berechtigte & schöne
Kritik der 80er Jahre. Elitär? Ja natürlich! Punk hat mich '77
aus den Klauen der roten Wichser gerissen. Ja natürlich. MUSIC FOR
PLEASURE von den Damned hat aus Marzxcks einen alten Furz gemacht. Punkseidank.
Endlich meldet das Individuum seine Ansprüche an. Aber die Sache
ist nicht stehengeblieben. Und 'Punk um des Punk willen' hat mich nie
niemals nie interessiert. Deshalb: keinerlei Klassendenken ("Gossenkinder"
gegen "Elitäre", s. No Fun), keinerlei Bequemlichkeit und
freiwillige Verblödung, kein Kindergarten wird mich davon abhalten,
die hohen Ansprüche und Vorstellungen zu realisieren, die ich mit
New Wave verbinde. Wer da lediglich (Anarcho-) Power musikalisch presentiert
erwartet, um den Tag am gesellschaftlichen und industriellen Fließband
besser durchstehen zu können, der sollte lieber einen Schuß
nehmen oder zu den Rollers laufen. Damit hat nun New Wave wirklich nichts
zu tun. Inzwischen bin ich zwei Jahre in der "Bewegung" alt
geworden. Und Punk ist ein einziges Scheitern geworden. Gut so! Das Scheitern
ist unsere Welt. Draußen entwickelt sich alles zum Schlimmeren.
Gut so. Wer verdient es nicht, sang- und klanglos unterzugehen."
Und nach einigen schönen Zitaten über Vernichtung und Hoffnung
schreibt Jürgen: "Denn die (gemeint sind Teenage Jesus &
The Jerks, Verf.) überzeugen da viel eher. Denn die haben für
ihre Inhalte die entsprechende Form entwickelt. Und das überzeugt
erstens und ist zweitens "Kunst". So, und wenn man jetzt mal
den Arsch hebt und folgert, dann muß man aus all dem zu dem Schluß
kommen, da wo das Individuum sich wirklich autonom formuliert in dieser
Katastrophe, gerät es unweigerlich in den künstlerischen (-musikalischen)
Bereich, macht es erstmal Kunst. Die Wahl sieht also nur so aus: entweder
die Sprache der Herrschaft und der Macht oder Kunst. Wer also gegen die
neue Kunst (neue Welle) polemisiert, macht sich unweigerlich zum Fürsprecher
der Macht und zum Mörder am Individuum, zum Selbstmörder So,
mit freundlicher Absicht sei dies den Hamburger Punks (nein, DU bist natürlich
ausgenommen!) ins Stammbuch geschrieben, wie so vielen Linken auch.
In Hannover treffen sich die Punks, die sich fur die
richtigen halten, im Punkcafe Anderes Ufer. Die aktiveren, mehr von der
Künstler-Szene beeinflußten Leute haben ihr Domizil im Fillmore.
Hollow Skai ist dort (fast) jeden Abend anzutreffen. Neulich haben sie
dort einen Punk-Sportverein gegründet. Und nur der Umstand, daß
sie dort in Jogger-Hosen und Trainingsanzügen herumsaßen, bewahrte
die Nordstadt-Niggers und andere Nordstadt-Fans vor einem etwas brutaleren
Zugriff einer angereisten Hamburger Rockergang.
Hannover sei Provinz, wie Holger-Hollow zugibt: "Hannover ist kulturelle
Provinz, und das ist das Gute an dieser Stadt, weil aus der Langeweile
eine neue Kreativität entsteht. Würde ich mich nicht langweilen,
könnte ich kein No Fun etc, machen, würde ich keine Erfahrungen
machen. Wenn wir uns der Monotonie des Alltags nicht aussetzen würden,
gäbe es nur die Alternative New York City oder Selbstmord. Aber erstere
wäre nur für eine bestimmte Zeit attraktiv, da sich der Reiz
solcher Städte aus der Nähe oft anders darstellt und letztere
wäre keine Lösung. Anyway, die Nordstadt ist in Hannover der
einzige Ort, wo ich noch leben kann, aber auch nur, weil wir von Zeit
zu Zeit in andere Metropolen reisen, Kontakte halten, für ekktion
sorgen. Wir nehmen den lokalen Aspekt, den die neue Welle hochspülte,
ernst."
Hollow Skai
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Performances, Workshops, Lesungen usw. sind in der ersten
November-Woche im Rahmen der "Get in the Peep Show" in Hannover
angesagt. Einen Zuschuß von der Stadt gab es nicht, und da müssen
sich auch Kid P. und Donald Fuck, die Guerilla-Filmer aus Hamburg, zweimal
überlegen, wie sie ihren Aufwand finanziert bekommen, mit ihren Filmen
nach Hannover zu reisen.
Egal ob eine Band eingeht und eine neue entsteht, der ein Club dicht macht
und ein neuer Laden geplant ist, ob die einen die neue Welle bereits zur
alten erklären Punk/New Wave haben auch in Westdeutschland für
einen Aufbruch gesorgt. Die Zukunft dieser Welle wird sicher nicht in
selbstgenügsamen Freitagnacht-Feten liegen sondern in alltäglicher
Aktion, in täglichen kleinen Revolutionen, wie es Kid P. mal unübertroffen
ausgedrückt hat.
Viele Aspekte sind in diesem Artikel noch nicht angesprochen worden, viele
informelle Details sind unter den SOUNDS-Tisch gefallen (ja, ja, die Seitenzahl).
Nicht erwähnt: daß es auch in Hamburg selbstproduzierte Platten
gibt, daß allerorten New Wave-Festivals stattfinden, und vor allem:
daß sich in der Provinz was tut.
In Beantwortung manchen Leserbriefes (und auch mancher Drohung) sei nochmals,
wie schon zu Beginn dieser Serie gesagt: nicht eine Chronik oder ein Lexikon
der westdeutschen Punk-Szene ist angesagt, sondern ein Einstieg für
viele, die außen stehen, und Diskussions-Material auch für
einige, die "drin" sind. Nicht so sehr meine Meinung wollte
ich verbreiten, sondern die vielen Meinungen aus der Szene. Für SOUNDS
wird dieser Bericht, hoffe ich jedenfalls, erst ein Anfang sein. Und deshalb
sei auch versprochen: das nächste Mal gibt's mehr über die Provinz,
über Bremen, Kiel, Stuttgart (hallo Germar!), über Rinteln (hallo
Bobbie!), wie man Platten macht, und Adressen undundund...
Letzte Meldungen: In Hamburg tut sich was. Im Rip Off-Laden spielten Holger
Hiller (Geige, Synthesizer) und Chris Lunch, Synthi-Spieler aus Kalifornien.
Und am 29. Dezember findet (wieder in der Markthalle) die dritte Hamburger
Punknacht statt. Und die 80er Jahre haben längst begonnen.
Sämtliche Fotos: Sabine Schwabroh
(Quelle: SoundS 12/79)
Ich
habe mich riesig über Eure neue Serie "die neue deutsche Welle"
gefreut. Endlich erfährt man mal was über die Punks außerhalb
Westfalens. Aber auch hier gibts Gruppen: "Roolators" in Minden,
"Joung Savage" in Damme, "Abschaum" in Dosten, "Schizophenia
Girls" (man achte auf die Schreibweise) aus Haltern und "V.I.P."
aus Lippramsdorf.
Die Gruppe mit der ältesten Tradition ist sicher Abschaum. Sie entstand
1977 aus Mitgliedern der Gruppen "Lipp-City-Fetzers" und "Nervenschock".
Nervenschock waren die erste Punk-Band in unserer Gegend. Schon 1976 machten
sie astreinen Punk, obwohl man damals diesen Ausdruck noch nicht kannte.
Die Gruppe vertonte z.B. "Die Kraniche des Ibikus", sie spielten
laut und waren wild und von musikalischem Können war nicht viel zu
sehen. Trotzdem hatte die Gruppe einige eingeschworene Fans, die von Nervenschock
sehr begeistert waren. Die Berichte von dem Anfängen der Sex-Pistols
oder Berichte von den alten Stooges und MC5 erinnern mich immer wieder
an die damaligen Auftritte der Nervenschock. Nach der Auflösung der
Gruppe gründeten der Baß- und Orgelspieler und der Drummer
eine neue Gruppe, die Triby. Sie widmeten sich von da an dem Klassik-Rock
a la Ekseption und E.L.P. und waren für den Punk verloren. Stefan
C. Maus, Gitarrist und Sänger der Gruppe, schloß sich dann
den Lipp-City-Fetzers an und nahm das Erbe der Gruppe Nervenschock mit.
Dadurch ist es auch zu erklären, daß sich die, nun in Abschaum
umbenannte Gruppe, mit nur zwei Auftritten 1978 einen Namen machen konnte.
Heute hat sich die Gruppe gefestigt und wird in Kürze wieder auftreten.
Nun - die wenigen Auftritte von Abschaum begeisterten einige Fans so sehr,
daß sie selbst eine Band zusammenstellten. Die "V.I.P.".
Gleich bei ihrem ersten Auftritt sorgten sie für einen Skandal, als
sie in Marl vor verblüfftem Publikum beinahe das "Vet-Rock-Vestival"
platzen ließen. Die V.I.P. haben keine eigene PA und sind so gezwungen,
auf Rock-Wettbewerben oder Festivals zu spielen, wo eine solche zur Verfügung
gestellt wird. Der Schock in Marl zog eine Kettenreaktion hinter sich
her. Einige weibliche Fans gründeten spontan eine eigene Band und
spielten nach nur 1 1/2wöchiger Probezeit, in der auch die Songs
geschrieben wurden, eine eigene Gruppe, die "Schizophenia Girls"
und spielten beim nächsten Festival in Haltern, wo auch die V.I.P.
wieder zuschlugen...
Peter Oeldemann,
4358 Haltern 6
(Leserbrief in SoundS 12/79)