HARDCORE'82Ein Führer durch die deutsche Punk-Szene, fünf Jahre danachEngland: Bands der dritten bis fünften Generation halten eine Musikform am Leben, die sich als Genre etabliert hat. USA: nach dem Urknall scheint der Höhepunkt, besonders in den Metropolen Kaliforniens, noch lange nicht erreicht. Und hier: Hardcore als Stagnation, Revival oder auf dem Weg zum vielfach geforderten "neuen Punk"? Von Alf Burchardt Viele, die, infiziert vom Geschehen jenseits des Kanals,
hierzulande gegen Ende des letzten Jahrzehnts erstmalig ein Instrument
in die Hand nahmen, versuchten sich bald an komplexeren Musikformen. Die
Öffentlichkeit und die Medien zogen mit, und bundesdeutscher Punk
existierte weiter im Verborgenen. Man zog sich in seine Stadtviertel -
seltener: Dorfidyllen - zurück und musizierte im Familienkreise weiter.
Die deutsche Hardcorelandschaft präsentiert sich 1982 aufgesplittert
in Klein- und Kleinstszenen. Regionalliga WestHerbert Egoldt betrieb schon seinen Rock-O-Rama Plattenladen, als er das gleichnamige Label gründete. Erstes Produkt war eine EP der Vomit Visions, die mit ihrem Titel "Punks Are The Old Farts Of Today" das Thema für einen Besinnungsaufsatz liefern. Die 1979 erschienene LP der Hamburger Razors betrachtet Herbert als den eigentlichen Start seiner Plattenproduktion. 1980 folgte die LP HEIMATFRONT der Leverkusener Band Oberste Heeresleitung. Der Gruppenname und der Soldat auf dem Cover galten vielerorts als Beweis für die politische Rechtsorientierung der Musiker beziehungsweise des ganzen Labels, auch wenn die Texte dafür keine Anhaltspunkte liefern. Herbert sieht die Kampagne gegen OHL als Hexenjagd: "Das OHL-Cover ist gründlich mißverstanden worden. Die Gruppe hat viel Zeit investiert, um das Bild eines Soldaten zu finden, dessen Gesicht das Elend des Krieges widerspiegelt. Es ist auch unsinnig, einen aus dem Kaiserreich stammenden Begriff wie OHL mit neonazistischem Gedankengut zu kombinieren. Wenn die Band auf dem Sampler singt 'Wir brauchen eine Mauer, die uns vor dem Osten schützt', dann ist das ironisch gemeint, bloß wollen viele Leute das wohl nicht sehen." OHL hofft mit Stücken wie "Belsen, ein KZ" auf ihrer zweiten LP l000 KREUZE diese Diskussion beenden zu können. Auf dem Cover befindet sich konsequenterweise wieder ein Soldat. Nach
der ersten OHL veröffentlichte Rock-O-Rama eine verunglückte
Cotzbrocken-LP und den Köln/Leverkusen Sampler DIE DEUTSCHEN
KOMMEN. Titel und Coverboy - richtig, ein Soldat - lieferten den Kritikern
wieder neues Material. Dazu Herbert: "Das Bild schickte mir jemand
für das Cover der zweiten OHL-LP. Er hat die Sache wohl auch falsch
verstanden, denn der Soldat auf dem Sampler ist ganz anders als der auf
HElMATFRONT. Ich habe das Bild dann den beteiligten Bands gezeigt, und
die waren spontan begeistert. Nicht weil sie Nazis sind, sondern weil
für sie der Soldat als Symbol für die Aggressivität der
Musik steht. Ich persönlich dachte mir dann, daß ich den Kritikern
wieder so ein Cover hinknalle wenn sie es nicht anders haben wollen."
In diese Kategorie fällt auch "Geistig 7"
von Luzibär auf Ich-hab-nen-Platten. "Mettmanns beste
Gruppe" besteht u.a. aus ehemaligen Mitgliedern von V.D.,
bekannt durch "Akne" vom Schallmauer-Sampler. Die Band bezeichnet
sich als Undertones/Buzzcocks-beeinflußt und wandelt auf ihrer EP
erfolgreich auf dem Pfad zwischen Punk und Power Pop. Interessierte sollten
sich zum Erwerb entschließen, bevor es der auf der Platte als Arschloch
bezeichneten Person gelingt, sie verbieten zu lassen. Käuferunterstützen
den Etat von Luzibär, der demnächst eventuell durch ein zusätzlich
zu zahlendes Schmerzensgeld belastet wird. Regionalliga SüdFür viele Betrachter aus nördlicheren Gefilden
ist Punk im Süden der Republik ein Phänomen, das nicht mit sonst
geltenden Maßstäben gemessen werden kann. Es funktioniert nach
anderen Gesetzmäßigkeiten und führt daher zu anderen Ergebnissen.
In Berlin hinterläßt der Frontstadtcharakter seine Spuren in
der Musik, im Westen die urbane Ballung, im Norden die Kulturschiene London-Hamburg.
Im Süden scheint die Welt der Punks freundlicher zu sein. So nimmt
sich auch einmal eine Tageszeitung wohlwollend des Umfeldes an, das
"... den harten Beat eines Schlagzeuges, die Akkorde einer Bassgitarre
und die Melodiestimme, gespielt auf zwei Electric-Gitarren..."
hervorbringt (Süddeutsche Zeitung über Scum).
Auch wenn im letzten Jahr das Münchner Punkzentrum
Milb geschlossen wurde, scheinen die Auftrittsmöglichkeiten in München
und Umgebung überdurchschnittlich gut zu sein. Orte wie das Picnic
in Erding, die Post in Ampermoching oder die Alabamahalle in München
geben den Bands die Chance zu spielen. Bei Gigs in In-Discos kann es dagegen
schon mal zu Zwischenfällen, bedingt durch unterschiedliche Kulturverständnisse,
kommen. Das Fanzine "Positiv" berichtet, wie bei Scum im "Why
Not" Band und Vertreter der Schickeria - in diesem Fall die Filmgang
um Lemke, Dollar und Co. - aneinander gerieten. Scum aus Pasenbach und
Condom aus München haben nach langjährigem Bestehen in
diesem Jahr ihre ersten EPs herausgebracht. ZSD stieg mit zwanzig
Stücken auf der LP EHRE UND GERECHTIGKEIT ein. Das beiliegende Blatt
unterschlägt drei Texte, Selbstzensur oder höhere Gewalt? Ebenfalls
aus München stammt Tollwut, die sich eine Besprechung ihrer
EP im SOUNDS verbitten. Regionalliga BerlinIn Berlin war ein Jahr lang das KZ36 Zentrum der Punks. Zwei Sampler geben einen Überblick über das damalige Geschehen. Differenzen zwischen Bands und Machern über die Zusammenstellung der zweiten Platte und über das weitere Konzept führten schließlich zum Auseinanderbrechen der KZ-Initiative. Die Gruppen Stromsperre, Rucki-Zucki-Stimmungskapelle, Vitamin A und Ixtoc 1 schlossen sich zur Visa-Tonkooperative zusammen und brachten eine eigene Platte heraus. Im Gegensatz zu dieser rein idealistisch ausgerichteten Fraktion füllt die Beschäftigung mit der Musik beim ehemaligen KZ-Mitgestalter Karl-Ulrich Walterbach mehr als nur den Freizeitbereich aus. Er veranschlagt täglich sechs Stunden Arbeitsaufwand für sein Label Aggressive Rock Produktionen. Nebenbei gestaltet er das Programm im S0 36 mit. Seine über das KZ geknüpften Kontakte nutzte er für den ersten SOUNDTRACKS ZUM UNTERGANG-Sampler. Aus der Arbeit für die Platte ergab es sich, mehr mit Bands zu machen, denen in ihrer Stadt ein Ansprechpartner fehlte, wie zum Beispiel Slime in Hamburg. Im Herbst 81 fand eine Untergangstournee mit Aheads, Beton Combo, Middle Class Fantasies und Slime statt. 1982 folgte der zweite SOUNDTRACKS-Sampler. Das Ergebnis hätte nach Karls Meinung besser ausfallen können. Fest eingeplante Bands wie Artless oder Buttocks lösten sich kurz vor dem Studiotermin auf, und es mußten Kompromisse bei der Gruppenauswahl und bei der Tonqualität eingegangen werden. Die Sluts konnten wegen einer Verletzung ihres Schlagzeugers ihr Material nicht neu einspielen, und mit der Präsenz der Marionetz sind weder Karl noch Band zufrieden.
Von den SOUNDTRACKS blieb ein Kreis von rund zehn Bands
für die weitere Arbeit von AGR nach. Mit ihnen soll die Labelpolitik
von "Hardcore im engeren Sinne" weiterverfolgt werden. Sein
Punkideal sieht Karl derzeit in den USA verwirklicht. Unzufriedenheit
mit den oft klischeeverhafteten Texten läßt ihn Distanz zu
den eigenen Produktionen wahren. Auch im Erfolgsfalle gibt es für
die Musiker nicht nur Bestätigung: "Ich habe mit Slime häufig
darüber gesprochen, warum auf der ersten LP gleich drei Bullentexte
sein mußten. Während der Produktion von YANKEES RAUS gab es
dann viele Diskussionen über politische Perspektiven. Man kann die
ganzen Sachen nicht in Form von Parolen abhandeln. Ein Ergebnis war immerhin,
daß dieses Mal nur deutsch gesungen wurde." Eine Produktion
mit den FKK Strandwixern aus München lehnte Karl ab, weil
die Texte "so etwas von peinlich" waren. Im Oktober sollen LPs von den Braunschweiger Bands Sluts und Daily Terror und den Bielefeldern Notdurft erscheinen. Im Februar folgen Canalterror aus Bonn und Toxoplasma aus Neuwied. Toxoplasma konnten bei Auftritten im Kuckuck die kritischen Berliner Punks restlos überzeugen. Hohe Erwartungen scheinen berechtigt. Die AGR-Aktivitäten bleiben aber nicht auf die BRD beschränkt Ein DDR-Hardcore-Sampler ist für November vorgesehen. Als Gegenstück zu einer ROIR-Cassette mit deutschen Bands plant Karl ein deutsch-amerikanisches Projekt. Weiterhin hofft er im Vorprogramm von Tourneen ausländischer Bands, die ihm als SO-Mitgestalter angeboten werden, eigene Gruppen auftreten lassen zu können, um sie einem größeren Publikum vorzustellen. Regionalliga NordIm
ehemaligen Pogomekka Hamburg spielen die Punks musikalisch nur noch eine
Statistenrolle. Seit der Schließung des Krawalls ergeben sich nur
noch sporadisch Gelegenheiten für Auftritte. Bands der ersten Stunde
existieren kaum noch. Als eine der letzten Gruppen warfen die Buttocks
nach mehrjährigem Bestehen das Handtuch. Mitglieder der Coroners
konnten sich in Schickikreise verbessern. Stehvermögen bewiesen Slime
und die Razors. Slime gehört zu den Ausnahmebands, die bis
zur zweiten LP durchhielten. Auch die Razors veröffentlichen noch
Platten. Nach ihrem Abschied von Rock-O-Rama erschienen auf Konnekschen
eine Single und eine Maxi. Es läßt aber nicht gerade auf ein
Kreativitätshoch schließen, daß sich unter den fünf
Stücken beide Singletitel befinden. Die Razors singen natürlich
immer noch englisch wie auch Napalm auf ihrer Konnekschen-EP. Außerdem
auf dem Label: Grober Unfug. Das Hamburger "Funzine"
feiert sie als beste Band der Stadt und berichtet begeistert von ihren
Auftritten in Jugendkellern und Schulaulen. Ihre Single, die die Qualität
von Luzibär erreicht, läßt für die geplante LP einiges
erwarten. Illustrationen: U.N.G. Wollt (Quelle: SoundS 10/82) Leserbriefe1. Mich interessiert nicht, wer sich hinter dem Kid P.-Pseudonym versteckt
- dazu ist dieser Mensch zu lächerlich - hört das kolossale
"here today - gone tomorrow" der Ramones und ihr wißt,
was von dem blabla über Peinlichkeiten wie ABC, Haircut 100 etc.
zu halten ist (von wegen große Gefühle?!) . . . Ähnlich
D.D. - immerhin, in lichten Momenten scheinen Kontakte zur Realität
(?) zu existieren. Segeberg-Frontbericht in Spätsaison kam sehr gut
und die Tank-of-Danzig-Langrille wurde auch mit einigen wohlwollenden
Worten bedacht (schön, schön). Hiermit wünsche ich allen einen wundervollen guten Tag!!! Gleich
vorweg: Der "Hartcore '82"-Bericht war wohl nix, oder? Okay,
vor nem Jahr wär er toll gewesen, was neues, stimmt, aber jetzt,
November/Oktober 82?? Euer mit 100000 DM bezahlter Schreiber Alf (who
is that?) ist doch garantiert nur innen Plattenladen gerannt, hat sich
nen paar Platten angehört/gekauft (OHL-LP für 16 DM, macht doch
wenigstens aufm Foto den Preis ab!) und darüber wat geschrieben und
nen paar interviews gemacht (Naja...). Warum nur die Bands die ein oder
mehr Platten gemacht haben? Warum nur die Gruppen, die jeder Tankwart
(hä?) kennt? Den SOUNDTRACK ZUM UNTERGANG z.B. gibtz doch schon in
fast jedem 'Rock'-Plattenladen! Wo bleiben die kleinen Gruppen, die anders
als in eurem Bericht KEINE Labels, Platten, Geldgeber, Konzertmöglichkeiten
und Übungsräume haben??? Ich vermisse die beliebten ZZZ HACKER
aus Bielefeld! Aber das nur nebensächlich! Nu 'mal ernst: wann kommt
nen Bericht über lokale Bands, die kaum aus ihrem Ort rauskommen?
(wie gesagt, ZZZ HACKER...) Denn nicht jede Band hat das 'Glück'
ne Platte und nen Label zu bekommen! Macht mehr Tapes! (ZackZack) Dass
soweit zum BRD-bericht! Jetzt mal was anderes: Warum versteift ihr euch
so auf den CRASS-Bericht?? Wenn Ihr schon so 'nen Knaben für 200000
DM nach England schickt, dann kann er auch mal wat über EXPLOITED,
VICE SQUAD, DISCHARGE, INSANE undundund Berichten, oder? Soll er doch
lieber schnell 3 gute Pogo-Artikel als 1 Crass-Bericht 1000 mal rauszuschieben!
Stimmt doch! Hugh! Sowieso: Die USA-Hartcore Szene habt ihr total verpennt!
Jedes fanzine bringt super US Berichte/ Platten/Tapes, aber Ihr? Ihr zahlt
euren Knaben 500 000 DM damit er mal kurz nach US rüberdüst
und die 2000. Funkband, die wie immer die beste aller Funkbands ist, interviewt!
Ich hab nix gegen Funk, aber manchmal wär es besser wenn ihr das
"F" in ein "P" wexselt! Ansonsten macht weiter so,
auch wenn sich der brief Böse anhört, ok? Ich kauf SOUNDS trotzdem!!
So; Hacker mies, Exploited fooles! Es Verabschieden sich freundlichts
und mit besten grüßen: Die Musikzeitschrift SoundS aus Hamburg wurde mit der Ausgabe 1/83 eingestellt. Der Titel lebte eine Zeitlang auf dem Umschlag der Musikzeitschrift MusikExpress, ebenfalls aus Hamburg, fort. Einige Autoren von SoundS schrieben später für SPEX aus Köln. |
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Fresse / Information Overload |