Punk-Schlacht an der MauerVon Alfred HilsbergMit "Mauer-Torte" und "Wall City Rock"
begingen Westberlins Punks den 17. Jahrestag des Mauerbaus: Unter dem
Beifall auch der Gäste aus Westdeutschland schnitt Knut von PVC,
den lokalen Punk-Matadoren die schwergewichtige Marzipantorte an. Diese
friedliche und wohl kaum als offene politische Willensbekundung zu wertende
Mauer-Bezwingung (keine Tortenschlacht, bitte) war Höhepunkt eines
zweitägigen "Anti-Mauer-Festivals", zu dem PVC und die
Organisatoren des "SO 36" eingeladen hatten.
(Quelle: SoundS 9/78) |
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Deutsch-Punk im Winter '78/'79Drei Tage Punk in Deutschland: Westberlin, Hamburg, Gelsenkirchen. Drei Tage voller Klischees, "Jugendliche und Rock-Musik auf dem Weg in die Irre". Viel eher drei Tage, die die Bedingungen zeigen, unter denen Punk hierzulande stattfindet. Die Punk-Schlacht, die am 13. August nicht recht zustandekam, (siehe SOUNDS 9/78), sie wurde Mitte November im Kreuzberger Punk-Schuppen "SO 36" nachgeholt. Allerdings mit anderen Hintergedanken und offenen Absichten. Was dort lief, las sich in Deutschlands meistgelesener Zeitung zwei Tage später so:
Von Alfred Hilsberg Augenzeugen allerdings erzählen, daß es sich
bei der Diskothek um das erwähnte "SO 36" handelt. Und
sie erinnern sich: "So um halb eins hören wir Lärm hinter
uns, ein Dutzend oder ein paar mehr Leute stürzen rein, mit Helmen
und Tüchern verkleidet. Und die schlagen kurz mal auf alles am Tresen
ein, auf Gläser und Flaschen." Verletzt wurde dabei angeblich
auch ein Mitarbeiter aus der "SO 36"-Gruppe. über das Verschwinden
von 4500 DM aus der Kasse gibt es verschiedene Gerüchte. Das "Kommando", zu denen auch einige ortsbekannte Linke zählen sollen, wollte einige Tage später den halben Mißerfolg ausbügeln und nochmals Druck auf die Preise machen. Aber das "SO 36" hatte vorgesorgt: Drinnen und draußen residierten angeheuerte Rocker, um die hohen Preise - von denen angeblich das Überleben des Zentrums abhängt - stabil zu halten. Wie das "Kommando" vor allem seine Vorstellung durchsetzen will, Gruppen für nur DM 2,50 Eintritt auftreten zu lassen, steht in den Sternen des Punk-Himmels. Die Berliner Bands können zwar weiterhin für 'n Appel und 'n Ei spielen; aber was hilft das ihnen, und wie sollen Auftritte ausländischer Gruppen ermöglicht werden, wie der von Wire an diesem Abend? Neuer Anlaufpunkt für die Berliner Szene ist inzwischen das von ehemaligen "Dschungel"- und "Anderes Ufer"-Mitarbeitern eröffnete "Gigolo" am Tauentzien. Nicht nur die dem "SO 36" verwandte Preisstruktur läßt hier auch die Schickeria einkehren. Nach den Evil Kids und Pink Wave spielen zu Weihnachten die PVC im "Gigolo". Die haben immer noch keinen Plattenvertrag in Sicht, aber sie arbeiten weiter. Derzeit versuchen sie, einen Synthesizer für neue Songs zu verwenden.
Die Galerie in dem martialischen Gebäude platzt schon bei 100 Besuchern aus allen Nähten. Einige Fans haben sich wild bemalt, andere sich mit Parka reingetraut. Eintritt frei. Ich kämpfe mich, immer dem Geruch nach, bis zum Klo durch. Der einzige ruhige Raum in diesem Chaos. Die Gruppe Mittagspause schafft es tatsächlich, sich auf die maximal dreieinhalb Quadratmeter "große" Bühne vorzuarbeiten. Aber von einem Soundcheck mit der von Male und Syph mitgebrachten Anlage kann unter diesen Bedingungen nicht die Rede sein. Das Klavier schwankt bedenklich unter der Last der Verstärker. Trotzdem: Mittagspause sind so gut wie selten (vor allem der Sänger, dessen Name mir leider gerade entfallen ist). Die Fans und Neugierigen kommen fast in Stimmung. Neu für das Mittagspause-Arrangement: ein umgebautes. Diktafon wird als Impulsgeber eingesetzt. Die Hälfte der Leute hat bereits das Weite gesucht, als nach einer halben Stunde Pause sich die Bands "einigen", wer den nächsten Set spielen kann: es ist der Kriminalitätsförderungsclub aus Düsseldorf, kurz: KFC. Erster öffentlicher Auftritt. Die Jungs des "Säufervereins" (Originalton eines Besuchers) lassen es krachen; dem Tonmann und den Veranstaltern wird's zuviel, dem Bassisten ist es zuwenig. Die Typen sehen zwar gut aus, aber der Sound wird immer unerträglicher. Plötzlich ist's dunkel: jemand hat die Sicherungen herausgedreht. Wütend stürzen KFC von der Bühne und drohen: "Wir kommen wieder!" Zunächst erscheinen zwei Grüne, von den Inhabern oder Managern geholt. Sie blicken verwirrt um sich, lassen sich aufklären und ziehen bei ihrem Abgang einen weiteren Teil des Publikums hinter sich her. Syph und Male können kaum noch einen Ton rausbringen, denn nun wird ihnen eindeutig signalisiert: "Ende!" Fazit: katastrophale Bedingungen wie schon bei ähnlichen Gelegenheiten. Keine Unkostenerstattung und erst recht keine Gage. Aber weiter Hoffnung auf den nächsten Auftritt. Die Galerie "Art Attack" in Wuppertal versucht, sich als Alternative zu entwickeln. Und schließlich: deutsche Songtexte, wie der von Mittagspause: "Wir sind die Türken von morgen." Last noch least: Punk an der Elbe, in der Markthalle. Die Ramblers sind in solcher Umgebung sicher nicht richtig plaziert. Und haben zwischen der neuen Hamburger Band Hinterbergers Wut und den Big Balls auch noch mit beiden zu kämpfen. Norbert Hinterberger & Co. versuchen zwar ihr Ding, aber wie die Ramblers scheitern auch sie am Big Balls-orientierten Publikum und daran, daß sie trotz aller Bemühungen keinen guten Sound hinkriegen. Die zweite LP der Big Balls scheint nichtmal all ihren lokalen Fans bekannt zu sein. Vielleicht sollte man die Platte allein wegen des von der Band nicht erwünschten Covers (das mit der Rasierklinge-zum Ausschneiden?-) in den Regalen verstauben lassen. Die "wahren" Big Balls sind das ohnehin nicht. Denn ihre Musik ist inzwischen so überraschend differenziert und rockig, daß selbst den Punks in der Markthalle Augen und Ohren übergehen und sie den Pogo fast vergessen. Die Ramblers haben eine erneute Chance in Hamburg verdient. Die Big Balls sollte man ruhig außerhalb öfter hören und sehen! Punk in Deutschland - leicht, seine Erscheinungsformen zum Klischee abzustempeln. Aber es gibt, sicher nicht nur in Hamburg, im Ruhrgebiet und in Westberlin, genügend Leute, die ihren Weg zu eigenen musikalischen Ausdrucksformen suchen. Who cares? (Quelle: Sounds 1/79) |
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Zweite Punknacht in Hamburg und wie das so ist bei sogenannten
Bewegungen (musikalisch und anderen): Spaltung und Sekten. Da waren einerseits
die Pogo-Liebhaber, die nach Feierabend oder ständig die Sau rauslassen
wollen, was dem Publikum am besten gefiel.
Für die experimentellen Bands hatte dagegen das Pogo-Publikum überhaupt keinen Nerv und griff zu Bierdosen und Flaschen. Materialschlacht, die zusammen mit DIN A TESTBILD musikalisch weiteste Band, hatte darunter zu leiden. Irgendwann - es war während des Auftritts der ultra-avantgardistischen und von Punkpuristen bereits als dekadent und intellektualistisch verdammten Geisterfahrer-Truppe - trat mir ein Mädchen mit voller Wucht ihre kleinen Stöckelschuhe auf meine Plastiksandalen und belehrte mich, als ich sie fragte, welche Absicht sie damit verfolge: "Du biss in 'nem Pankkonzert, Aller, da mußt dich an sowas gewöhnen!" Viele Bands, von denen man nach dem Konzert gehört hatte, daß sie toll gewesen sein sollen, konnte man sich nicht ansehen, weil es in der Markthalle kochend heiß, schweißig war. Zu viel und zu laut von 18.00 bis 3.00 Uhr. Die interessanteren neuen Bands gingen unter in dieser Veranstaltung, aber wahrscheinlich ist dies die einzige Form, solche Gruppen einem wirklich großen Publikum vorzustellen. (Quelle: Sounds 8/79) |
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Geräusche für die 80erVon Diedrich Diederichsen
Zum dritten und bislang größten Festival neuer
Musik in Deutschland hatten sich Musiker und Publikum aus allen Teilen
der BRD sowie aus England, der Schweiz und Österreich eingefunden
- die Markthalle war eine Stunde nach Eröffnung ausverkauft, hunderte
warteten im Vorraum, andre fälschten Stempel oder schlichen sich
durch Seiteneingänge - der Erfindungskraft waren keine Grenzen gesetzt.
Das Interesse des Publikums war eben so vital, wie bei keinem der ihren
Set aufführenden Gruppen, die sonst in der Markthalle spielen.
"Geräusche für die 80er" war trotzdem das beste Festival, das wir uns zur Zeit wünschen können, weil Widersprüche manifest und z.T. ausgetragen wurden, weil es gute neue Musik live zu hören gab, allein eine halbe Stunde Minus Delta T wären das Eintrittsgeld wert gewesen. P.S.: Versäumt habe ich die Salinos. Augenzeugen differieren zwischen "Offenbarung" und "Katastrophe". (Quelle: Sounds 2/80) |
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Fresse / Information Overload |