Drum leben wir heute so wie wir es wollen

Punks in Hannover
Von Pancho G.

"Punker sind: dumm, einfallslos, asozial, voller Komplexe, spätpubertär, intolerant" - das hat einer an die Kneipenwand des Fillmore List geschrieben, hinter jedem Wort ein Kringel, und darunter: "bitte ankreuzen".
Die Antwort haben die Punks, deren einziger möglicher Treff neben dem Anderen Ufer das Fillmore ist, selbst gegeben: langst sind alle Möglichkeiten angekreuzt, und einer hat darunter noch ergänzt: "Wir sind keine Neo-Nazis - wir sind Faschisten".
Die Bestätigung für diese Sprüche liefern die Punks, glaubt man der Presse, täglich:

Mit der Alarmmeldung "Blitzkrieg an der Leine" erschien am 28.8. die NHP: "Sonntag nachmittag auf dem Altstadtfest. Am Leineufer tummeln sich die Rockfans. Die Punkgruppe ‚Blitzkrieg' hat soeben ihren Auftritt begonnen. Der erste Song ‚Hau dir eine in die Fresse' gibt dann auch gleich Zündstoff. Als zwei Zuhörer einen der zahlreich versammelten Punker angreifen (Man achte auf die Formulierung: Wer sind die Schläger'?), entwickelte sich blitzschnell eine Schlägerei. In einem Lied, dessen Titel die Zuhörer mit "Auschwitz" verstanden, ertönt die Textstelle "Jude verpiß dich!" Die wenigen, denen es auffällt, sind fassungslos."
Punker = Neonazis, die bekannte, bequeme Kiste. Zwei Tage später kommt Wixer, Gitarrist bei Blitzkrieg, zu uns. "Ich find das völlig bekloppt, zu glauben, Punk und Nazis gehören zusammen"‚ sagt er. "Wir können die Neonazis nicht ab, aber die Presse kriegt das noch hin, daß die Neo-Nazis wirklich mal zu 'nem Konzert von uns kommen und uns den Saal zertrümmern." Ihr Auftritt auf dem Altstadtfest war schlimm. Schlechte Verstärkeranlage, fünfmal ist die Sicherung herausgeflogen, der Mixer hat sich um nichts gekümmert. Ergebnis: Keiner konnte den Text verstehen. Für alle die bringt er das "Auschwitz"-Lied mit:

Auschwitz

Auschwitz, Auschwitz,
hier seid ihr verbrannt,
Auschwitz, Auschwitz,
hier seid ihr verbannt,
Auschwitz, Auschwitz,
hier seid ihr vergast,
Auschwitz, Auschwitz,
getrieben ohne Rast.

Ihr Deutschen, ihr Deutschen,
ihr habt ja nichts gesehn,
ihr Deutschen, ihr Deutschen,
wie konnte das geschehn?

Auschwitz, Auschwitz,
habt nicht mal geschrien,
Auschwitz, Auschwitz,
eure Leichen sind geblieben,
Auschwitz, Auschwitz,
verfrachtet wie Vieh,
Auschwitz, Auschwitz,
getrieben in die Knie.

Ihr Deutschen...

Also das Gegenteil: Punker = Antifaschisten, die von der Presse grundlos verfolgt werden? Auch eine Kiste, die Pose des verständnisvollen Schulterklopfens. So leicht machen es einem die Punks nicht:
Wieder einige Tage später erscheint "Muzak", eins der vielen Fanzines in Hannover. Martin Fuchs, Herausgeber und Mitglied der Gruppe TBC, war beim Altstadtfest-Auftritt dabei: "Weißt du, Dussel (Dussel ist die Sängerin von Blitzkrieg) überhaupt, was du da singst? Anscheinend weißt du es nicht, wie sonst könntest du einen solch geisteskranken Spruch wie ‚Juden verpißt euch' von dir geben! Bist du bescheuert, merkst du denn nicht, daß wir im Jahre 1979 leben und nicht im Jahre 1939, oder hast du keinen Durchblick?"

v.l.n.r.: Asche (Kaltwetterfront), Bettina Schröder (Hans-A-Plast), Alice Dee (Rosa), E.A. Wehmer (Rotzkotz), Wille Bartz (Hans-A-Plast) v.l.n.r.: unbekannt, Michael Reimann (Cretins), Thomas Tier (Cretins), Frank Bekedorf (Cretins), Frank Schrader (Cretins), Fotze Flamenco (Kondensators), Bärbel (Blitzkrieg), Rosa (Rosa)
v.l.n.r. vordere Reihe: unbekannt, unbekannt (Montego Bay), unbekannt (Montego Bay), unbekannt (Montego Bay), unbekannt (Montego Bay), unbekannt (Montego Bay);
hintere Reihe: unbekannt, Renate Baumgart (Hans-A-Plast), Jens Meier (Hans-A-Plast), Micha Polten (Hans-A-Plast), Horst Illing (Rotzkotz), Claudius Hempelmann (39 Clocks), Wixer (Blitzkrieg), Micha von Eye (Kaltwetterfront)


Szenenwechsel.
Die NHP, gut für jede Sensation, geifert am 10.9.:

Punk-Rocker prügelten sich mit der Polizei!

"34 Punk-Rocker haben die hannoversche Polizei am Sonnabend stundenlang in Atem gehalten...Die jungen Leute, unter ihnen auch Mitglieder der hannoverschen Punkrock- Gruppe ‚Blitzkrieg', schlugen wüst aufeinander ein. Als die Beamten dazwischen gingen, bekamen auch sie Schläge ab. 40 Minuten später: Die Punkrocker hatten ihren Aggressionen Luft gemacht und eine Schaufensterscheibe beim Pelzhaus Stoll eingeworfen. Eine wilde Verfolgung durch Hannovers Innenstadt begann: von 12 Funkstreifenwagen verfolgt, rannten die Rocker weiter: warfen Verkehrsschilder um, traten gegen geparkte Autos. In der Andreaestraße konnten sie endlich überrumpelt werden - von 24 Polizisten. Festnahme. Gestern früh kamen sie wieder frei."

Eine weitere beliebte Schablone: Punker = Gewalttäter.

Die beteiligten Punks schilderten die Sache einhellig so: Nach einem Konzert der "Bombed Bodies" waren zwei Punks vor einer Kneipe angemacht worden, gingen wieder zurück, holten die anderen. Als die an der Kneipe ankamen, waren schon zwei Streifenwagen da. Keine Schlägerei, nichts. Ein paar redeten mit den Polizisten (die mit der chemischen Keule herumfuchtelten), gingen dann weiter in die Stadt. Dann, in der Innenstadt, tritt tatsächlich einer bei Pelz-Stoll die Scheibe ein. Ein umgeknicktes Verkehrsschild, das ihnen in der Presse auch angelastet wurde, war schon seit Tagen umgeknickt. Die Polizei kommt mit Mannschaftswagen. nimmt einen von ihnen, Face, fest, die anderen setzen sich vor das Auto, damit Face nicht weggebracht werden kann. Dann geht die Polizei mit Hunden und chemischer Keule auf die Punks los, verhaftet alle und sperrt sie für eine Nacht ein, einige werden in der Herschelstraße im Fahrstuhl zusammengeschlagen, Eltern werden nicht benachrichtigt, obwohl einige erst 16 sind.
Punker = unschuldig geschlagene, friedliche Lämmer? Auch das ganz bestimmt nicht. Als im Pavillon am 15.9. ein Punk-Festival stattfindet, ist am Ende die Behinderten-Toilette total zertrümmert.

Widersprüche und Ungereimtheiten in jeder Frage - das ist das erste Kennzeichen der hannoverschen Punk-Szene. Das macht die Schwierigkeiten aus, sie zu verstehen. und gleichzeitig die Leichtigkeit, für jedes Vorurteil die Bestätigung zu finden, die man braucht, um obige Liste abhaken zu können.

Wer nach Selbstzerstörung sucht: sie fressen Tabletten wie die Idioten, was ihnen in die Finger kommt in beliebigen Dosierungen und mit Vorliebe ihnen unbekannte. Aber: Viele lehnen Alkohol ab, LSD, fixen nicht. Besonders die, die zur Schule gehen oder Arbeit haben - weil das gefährlich ist!
Wer nach Intoleranz sucht, findet beliebig viele Sprüche gegen Hippies, Schwule, Neger usw. Nur: die vor allem mit Negern besetzte Reggae-Band "Montego-Bay" spielte beim Punk-Festival unter Beifall, die "Hippies" unter den Zuschauern werden nicht angemacht, sondern ignoriert, die Schwulen verteidigt - von einigen jedenfalls.
Wer nach Arbeitsscheu sucht, findet bei einigen Punks die entsprechende Ideologie - bei den gleichen, die hart an ihrer Musik arbeiten und sich oft für lächerliche Gagen verkaufen, um überhaupt mal einen Auftritt zu bekommen.
Wer nach Gewalttätigkeit sucht: siehe oben. Wer nach faschistischen Tendenzen sucht, findet auch dafür Anhaltpunkte genug.
Wer sich als Überdemokrat aufspielen und gleichzeitig unbequemen Jugendlichen eins auf den Deckel geben will, der kann auf die Punks einschlagen und sich dabei des Beifalls fast aller sicher sein. Wie die NHP mit ihren Artikeln. Nur: Verstanden hat der die Punks noch lange nicht.

Illustrierten-Klischees

Dussel und Face (Blitzkrieg), Altstadtfest Hannover 1979

Rund ein Dutzend Gruppen umfasst die hannoversche Punk-Szene, mit Blitzkrieg in der Mitte der "echten" Punks, den 39clocks, und dann Gruppen, die meist noch nie aufgetreten sind und oft gar keine Instrumente haben: Deutschland, Cretins, Fucks, Kondensators, Neon-Beat und die Kühlschränke, Phosphor, Rosa, TBC (und noch sicher einige mehr), sowie drei ältere Gruppen, die von den jüngeren als Punks nicht mehr akzeptiert werden und auch deren Ideologie nicht teilen: Hans-A-Plast, Kaltwetterfront und RotzKotz. In der Szene kursieren mindestens acht Minizeitungen. Abenteuerliche Gestalten findet man reichlich, vor allem unter den jüngeren Punks: Rattenfraßfrisur, Sicherheitsnadeln und grelle Schminke, Reißverschlüsse und Hundehalsbänder - wandelnde Provokationen, die auf der Straße wahre Spießrutenläufe zu überstehen haben.
Aber weiter geht das Illustrierten-Klischee nicht. Wohl selten ist eine Protestrichtung von der Musik- und Medienindustrie so gnadenlos vermarktet worden wie der Punk: Interessant waren durch die Backe gesteckte Sicherheitsnadeln, nicht die Musik, waren die Selbstzerfleischungsorgien der Sex Pistols (soweit es sich dabei nicht um gestellte Fotos handelte) und nicht die Beteiligung der englischen Punks an der Bewegung "Rock against Fascism".
Nicht die Auflehnung einer hoffnungslosen Generation mit ihren harten und oft treffenden Provokationen war gefragt, sondern der ins Perverse überzeichnete Bürgerschreck, der einem so richtig das Gruseln beibringen konnte. Patty Smith in New York mit einem Hitler-T-Shirt, Horror-Punk als Geschäft, das über Leichen geht - siehe Sid Vicious von den Sex Pistols, der diesem Auftrag gefolgt ist und unter Mordanklage gestellt wurde, bevor er selbst zugrundeging.

Atomkrieg - ja!?

Wixer (Blitzkrieg), Altstadtfest Hannover 1979

In Hannover ist Punk ein anderes Geschäft, ein hartes: Punk-Gruppen kriegen keine Übungsräume, haben mit dem Pavillon und den Jugendzentren Badenstedt (nicht mehr lange) und Kornstraße überhaupt nur drei Auftrittsmöglichkeiten, werden übers Ohr gehauen. Keine Horrorgestalten nach dem Illustrierten-Klischee, sondern mit Widersprüchen aufgeladene Punks die's schwer haben, es sich schwer machen - und den anderen. Immer wieder am gleichen Thema: Faschismus.

"Wir sind keine Neo-Nazis", sagt Andreas P., Bassist von Deutschland, und die Ironie ihres Spruches "Deutschland ist größer als die BRD" versteht man auch so. Aber bei "Deutschland - wir sind Heißmeiers Kinder" fällt schon die Klappe: Heißmeier war Kinderarzt, der im KZ Kinder mit TBC infiziert hat - wieso, ist die unschuldige Gegenfrage, wir sind die Kinder, die Heißmeier totgespritzt hat . Aber es geht weiter: Deutschland, fleißigste Gruppe im Sprüchemalen in Hannover ("Wo soll man sonst vor Deutschland-Sprüchen sicher sein, wenn nicht auf einem Polizeirevier" ist im Polizeirevier Herschelstraße zu lesen) verewigt sich im Fillmore: "Atomkrieg ja!" und im Pavillon: "Für Recht und Ordnung". Der bittere Sarkasmus dieser Parolen wird erst im Gespräch verständlich, offensichtlich aber nicht für die Fans ("Deutschland - denn 4 Fans können sich nicht irren"), die das ernst nehmen und dann auch schonmal am Flohmarkt ein Hakenkreuz neben Deutschland sprühen, was die Gruppe selber nicht tut.

"Baut weiter AKWs, rüstet weiter zum Krieg, diese Welt ist es nicht wert, daß es sie gibt", heißt es in einem Blitzkrieg-Lied, und folgerichtig trägt einer der Blitzkrieg-Leute eine Plakette "Atomkraft - okay!" Der gleiche Sarkasmus. Die Provokation sitzt - besonders in Richtung der lahmgewordenen Rebellen der Studentenbewegung. Und trotzdem haut die Provokation nicht hin. Oder sollte diesem Kid an einem Schulterklopfen von Herrn Schmidt, Albrecht oder deren Bewunderern gelegen sein?

Chaotic Chac (39 Clocks), Altstadtfest Hannover 1979

Ebensowenig können sich die Automats (heute: 39 clocks) für die Hakenkreuze auf ihren Boxen bei ihrem Auftritt im letzten Jahr im Pavillon damit herausreden, das Hakenkreuz habe "keine derartige Aussagekraft (Nämlich faschistoide Gruppen zu unterstützen), weil es im ursprünglichen Sinne die Sonne symbolisiert." Die "ursprüngliche Aussagekraft" des Hakenkreuzes interessiert überhaupt nicht, wenn im gleichen Pavillon Mitglieder der türkischen Faschistengruppe "Graue Wölfe" und penetrante Hakenkreuzschmierer eine Frau vergewaltigen. Da hilft einfach kein Drum-Rum-Gerede, kein Pochen auf Meinungsfreiheit, da ist ganz einfach die Frage, mit wem man sich durch sein Verhalten in Verbindung bringen läßt und mit wem nicht. Das muß sich auch Blitzkrieg fragen lassen, wenn sie sich beschweren, daß ihnen die Presse die Neo-Nazis in die Konzerte treibt: Verdammt nochmal, warum sucht Ihr Euch dann so einen bescheuerten Namen aus, von dem Ihr wissen solltet, daß die Neo-Nazis darauf abfahren?
"Keiner redet von Auschwitz - wir machen Lieder dazu, setzen uns damit auseinander", sagt Reinhold von Deutschland. Das ist verdammt gut und richtig - nur: eine etwas klarere Ausdrucksweise dürfte Euch nichts schaden. Zwischen dem selbstgefälligen "Antifaschismus" der NHP und "Deutschlands" zweideutigen Provokationen gibt's nämlich noch 'ne Menge Möglichkeiten - ohne, daß Ihr gleich in eine Schublade gesteckt werdet!

Solche Zweideutigkeiten sind nicht unumstritten bei den Punks: Es wird darüber diskutiert, mit dem Ergebnis, daß z.B. Deutschland den Heißmeier-Spruch nicht mehr benutzt, weil ihn keiner so recht witzig finden konnte. Mit dem Ergebnis, daß im "Anderen Ufer" Leute rausfliegen, die Hakenkreuze an die Wände malen.

"Wogegen rebelliert Ihr denn?"

Aber immer das Problem, sich abzugrenzen, mit seinen Problemen nicht mit anderen in einen Topf geschmissen zu werden, z.B. mit der letzten Protest-Generation, die in den Augen der Punks zu "Alternativen Müsli-Fressern" verkommen ist. Der Punk braucht seinen eigenen Ausdruck - wenn's sein muß, mit Krampf - nicht anders als die Hippies in den 60er Jahren, die wegen ihres Aussehens nicht weniger verständnislos angeglotzt wurden, auch nicht anders als die Rocker der 50er Jahre, denen es um Protest ging, um nichts anderes zunächst, um Auflehnung, egal wogegen. "Was haben sie denn so da?" fragt der Anführer einer Leder-Gang in dem Rocker-Film "Der Wilde" ein Mädchen zurück, das wissen will, wogegen sie denn eigentlich rebellieren. "Trau keinem über 30" war eine Parole der Studentenbewegung der 60er Jahre, die damals sehr ernst genommen wurde - daran sollten sich die heute 3ojährigen mal erinnern, bevor sie verständnislos den Kopf schütteln über die Widersprüchlichkeit der Punks. Die älteren Gruppen, die wie Hans-A-Plast und Kaltwetterfront politische Erfahrungen haben, gehen da bewußter ran. Im Gegensatz zu den Fucks mit ihrer blödsinnigen Parole "Krieg allen Jungfrauen" und Rotzkotz mit ihrer Barbusen-Tanzeinlage, die man besser CDU-Parteitagen vorbehalten sollte, singt Hans-Alast (mit Sängerin, Bassistin und Schlagzeugerin eine Rarität in der Rockszene):

Annette Benjamin (Hans-A-Plast), Raschplatz Pavillon Hannover 1979

Ich gehe durch die Straßen
und mir wird so waaarm
von den geilen Typen,
die ich hier so sehe.
Hey, Kleiner, zeig mal,
was du so hast.
Faß ich dir an den Arsch,
werd doch nicht gleich böse.
Die Nacht ist jung,
komm mit zu mir,
laß uns ne Nummerschieben.
Ich hab viel Zeit,
komm mit zu mir,
Ich bin dann auch
sehr nett zu dir.
Doch dann geht das Licht an:
Vor mir steht ein fetter
Kerl mit Pomade im Haar
und Selbstgefälligkeit im Blick!
Hau ab, du stinkst,
Hau ab, du stinkst,
sieh lieber zu, daß du's
bei deiner Alten bringst.

Der Unterschied zwischen den "alten" und jungen Punks: Dussels dusseliger Spruch auf dem Altstadtfest, der Kid, der über das Mikrophon im Pavillon flüstert: "Teddyboys und Schwule raus" und Annette (Hans-A-Plast) antwortet: "Nix da, Teddys bleiben hier, und Schwule erst recht!" Der Unterschied: spontane blinde Gewalt, die sich gegen die Punks selber richtet. Das zertrümmerte Behinderten-Klo im Pavillon, das der Durchführung von weiteren Punk-Festivals sicher nicht gerade förderlich ist, und die Auseinandersetzung mit der staatlichen Gewalt durch Kaltwetterfront:

Kaltwetterfront

Er ist Revolverheld, er tut alles für Geld
Schluß Schuß Schluß Schuß Schluß Schuß.

Er ist der Star vom BKA
und der Schuß dringt durch den Rücken,
der Finger sagt später,
er wollte nicht abdrücken.
Er ist Revolverheld ...

Der Strafanwalt sagt, es war völlig klar,
daß es mal wieder
aus Notwehr geschah.
Doch mir ist mal wieder gar nichts klar.
Er ist Revolverheld ...

Und ich glaub nicht mehr an die Tagesschau
ich sah zu viele hinter Gittern
und mir selbst kommt schon das große Zittern
Er ist Revolverheld ...

Wir lassen uns nicht vermarkten

E.A. Wehmer (Rotzkotz), Raschplatz Pavillon Hannover 1979

Darüberhinaus die bewußte Auseinandersetzung mit der eigenen Situation, der Konkurrenz unter den Gruppen, die jetzt auf Initiative der "Alten" mit drei Festivals erstmals aufgebrochen wurde, Festivals, auf denen Gruppen, die die Vorbereitung aktiv mitgetragen haben, gleichberechtigt auftreten, ohne Veranstalter, in ausgeloster Reihenfolge, für das gleiche Geld. Der Versuch, die Gleichberechtigung innerhalb der Gruppen zu erreichen. Hans-A-Plast hat es aus diesem Grund abgelehnt, daß Sängerin Annette auf das Titelbild dieses Schädelspalters kommt, weil sie niemand aus der Gruppe zum Star à la Nina Hagen und Band aufbauen lassen wollen. Weil sie gar nicht erst in die Situation kommen wollen, für eine Plattenfirma Abstriche machen zu müssen, hat Hans-A-Plast (ebenso wie Rotzkotz) ihre erste Platte bewußt allein produziert und vertreibt sie allein. Bestimmt liegt der Unterschied zwischen "alten" und jungen Punks nicht - wie oft als Schablone benutzt - darin, daß die einen Studenten sind und die anderen aus der Gosse kommen. Lehrlinge bei Deutschland, Schüler bei den Kondensators, ganze zwei Studenten bei Hans-A-Plast. Den Leuten von Kaltwetterfront geht's bezüglich Wohnung und Arbeit sicher nicht besser als denen von Blitzkrieg - nur: sie machen keine Ideologie daraus, wie Face, der sein Penner-Dasein herauskehrt, zu dessen Image es auch gehört, auch noch in den letzten Kneipen, wo Punks unbehelligt hingehen können, Hausverbot zu kriegen. Ihre Musik ist anders, keine Penner-Musik, die ist vital, strotzt von Leben und Lebenwollen:

Energie aus der Gosse

Nicht auf dem vorgeschriebenen Weg, in den ausgelatschten Musik-Klischees (freilich nicht ohne Gefahr, im ständigen Sich-Abgrenzen-Wollen ein neues Klischee zu produzieren). Provozierende Musik, herausgebrüllt wie vor 20 Jahren von Little Richard, und mit genau der gleichen Hochnäsigkeit und Verständnislosigkeit als "primitiv" abgekanzelt, wie man vor 10 oder 20 Jahren über den Rock und Jazz als "Negermusik" die Nase rümpfte.
Sie lassen sich nicht einsortieren, machen (mit Ausnahme von Kaltwetterfront) auch bei Rock gegen Rechts nicht mit, organisieren sich ihre Auftritte lieber selber. Suchen mit Aufruhr und Energie ihren eigenen Ausdruck und sind damit sicher unbequemer als die netten angepassten Jugendlichen, mit denen man so nett über alles diskutieren kann (ohne sie ernst zu nehmen). Vielleicht wird ihre Situation mit dem folgenden Lied von Blitzkrieg verständlicher, dem ich nur in einem Punkt widersprechen möchte: Der Aufruhr hat eine Zukunft.

Punk-Festival Raschplatz Pavillon Hannover 1979

Wir sind ohne Zukunft
Unsere Zukunft ist verbaut
Wir sind ohne Zukunft
unsere Träume sind versaut

Es gibt keine Zukunft
Was ihr macht, ist nicht fair
Die letzte Generation
Nach uns kommt nichts mehr.
Wir sind ohne Zukunft...

Parteien helfen auch nicht
Dumm quatschen könn' wir allein
Ihr verzapft nur Scheiße
An uns denkt kein Schwein
Wir sind ohne Zukunft...

Penne ist Scheiße
Kriegst den Kopf voller Mist
Dann haste keine Lehre
Auch Arbeit findste nicht.
Wir sind ohne Zukunft...

Baut weiter AKWs
Rüstet weiter zum Krieg
Diese Welt ist's nicht wert
Daß es sie weiter gibt.
Wir sind ohne Zukunft...

Für und gibt's kein Morgen
Und Gestern ist verschollen
Drum leben wir heute
So wie wir es wollen.

Fotos: Andreas Kühne

(Quelle: StadtMagazin Schädelspalter 10/79, Hannover)


Fresse / Information Overload