Drum leben wir heute so wie wir es wollenPunks in Hannover
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v.l.n.r.: Asche (Kaltwetterfront), Bettina Schröder (Hans-A-Plast), Alice Dee (Rosa), E.A. Wehmer (Rotzkotz), Wille Bartz (Hans-A-Plast) | v.l.n.r.: unbekannt, Michael Reimann (Cretins), Thomas Tier (Cretins), Frank Bekedorf (Cretins), Frank Schrader (Cretins), Fotze Flamenco (Kondensators), Bärbel (Blitzkrieg), Rosa (Rosa) | |||||||||||||||
v.l.n.r. vordere Reihe: unbekannt, unbekannt
(Montego Bay), unbekannt (Montego Bay), unbekannt (Montego Bay), unbekannt
(Montego Bay), unbekannt (Montego Bay); hintere Reihe: unbekannt, Renate Baumgart (Hans-A-Plast), Jens Meier (Hans-A-Plast), Micha Polten (Hans-A-Plast), Horst Illing (Rotzkotz), Claudius Hempelmann (39 Clocks), Wixer (Blitzkrieg), Micha von Eye (Kaltwetterfront) |
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Punk-Rocker prügelten sich mit der Polizei!"34 Punk-Rocker haben die hannoversche Polizei am Sonnabend stundenlang in Atem gehalten...Die jungen Leute, unter ihnen auch Mitglieder der hannoverschen Punkrock- Gruppe Blitzkrieg', schlugen wüst aufeinander ein. Als die Beamten dazwischen gingen, bekamen auch sie Schläge ab. 40 Minuten später: Die Punkrocker hatten ihren Aggressionen Luft gemacht und eine Schaufensterscheibe beim Pelzhaus Stoll eingeworfen. Eine wilde Verfolgung durch Hannovers Innenstadt begann: von 12 Funkstreifenwagen verfolgt, rannten die Rocker weiter: warfen Verkehrsschilder um, traten gegen geparkte Autos. In der Andreaestraße konnten sie endlich überrumpelt werden - von 24 Polizisten. Festnahme. Gestern früh kamen sie wieder frei." Eine weitere beliebte Schablone: Punker = Gewalttäter. Die beteiligten Punks schilderten die Sache einhellig so: Nach einem
Konzert der "Bombed Bodies" waren zwei Punks vor einer Kneipe
angemacht worden, gingen wieder zurück, holten die anderen. Als die
an der Kneipe ankamen, waren schon zwei Streifenwagen da. Keine Schlägerei,
nichts. Ein paar redeten mit den Polizisten (die mit der chemischen Keule
herumfuchtelten), gingen dann weiter in die Stadt. Dann, in der Innenstadt,
tritt tatsächlich einer bei Pelz-Stoll die Scheibe ein. Ein umgeknicktes
Verkehrsschild, das ihnen in der Presse auch angelastet wurde, war schon
seit Tagen umgeknickt. Die Polizei kommt mit Mannschaftswagen. nimmt einen
von ihnen, Face, fest, die anderen setzen sich vor das Auto, damit Face
nicht weggebracht werden kann. Dann geht die Polizei mit Hunden und chemischer
Keule auf die Punks los, verhaftet alle und sperrt sie für eine Nacht
ein, einige werden in der Herschelstraße im Fahrstuhl zusammengeschlagen,
Eltern werden nicht benachrichtigt, obwohl einige erst 16 sind. Widersprüche und Ungereimtheiten in jeder Frage - das ist das erste Kennzeichen der hannoverschen Punk-Szene. Das macht die Schwierigkeiten aus, sie zu verstehen. und gleichzeitig die Leichtigkeit, für jedes Vorurteil die Bestätigung zu finden, die man braucht, um obige Liste abhaken zu können. Wer nach Selbstzerstörung sucht: sie fressen Tabletten wie die Idioten,
was ihnen in die Finger kommt in beliebigen Dosierungen und mit Vorliebe
ihnen unbekannte. Aber: Viele lehnen Alkohol ab, LSD, fixen nicht. Besonders
die, die zur Schule gehen oder Arbeit haben - weil das gefährlich
ist! Illustrierten-Klischees
Rund ein Dutzend Gruppen umfasst die hannoversche Punk-Szene, mit Blitzkrieg
in der Mitte der "echten" Punks, den 39clocks, und dann Gruppen,
die meist noch nie aufgetreten sind und oft gar keine Instrumente haben:
Deutschland, Cretins, Fucks, Kondensators, Neon-Beat und die Kühlschränke,
Phosphor, Rosa, TBC (und noch sicher einige mehr), sowie drei ältere
Gruppen, die von den jüngeren als Punks nicht mehr akzeptiert werden
und auch deren Ideologie nicht teilen: Hans-A-Plast, Kaltwetterfront und
RotzKotz. In der Szene kursieren mindestens acht Minizeitungen. Abenteuerliche
Gestalten findet man reichlich, vor allem unter den jüngeren Punks:
Rattenfraßfrisur, Sicherheitsnadeln und grelle Schminke, Reißverschlüsse
und Hundehalsbänder - wandelnde Provokationen, die auf der Straße
wahre Spießrutenläufe zu überstehen haben. Atomkrieg - ja!?
In Hannover ist Punk ein anderes Geschäft, ein hartes: Punk-Gruppen kriegen keine Übungsräume, haben mit dem Pavillon und den Jugendzentren Badenstedt (nicht mehr lange) und Kornstraße überhaupt nur drei Auftrittsmöglichkeiten, werden übers Ohr gehauen. Keine Horrorgestalten nach dem Illustrierten-Klischee, sondern mit Widersprüchen aufgeladene Punks die's schwer haben, es sich schwer machen - und den anderen. Immer wieder am gleichen Thema: Faschismus. "Wir sind keine Neo-Nazis", sagt Andreas P., Bassist von Deutschland, und die Ironie ihres Spruches "Deutschland ist größer als die BRD" versteht man auch so. Aber bei "Deutschland - wir sind Heißmeiers Kinder" fällt schon die Klappe: Heißmeier war Kinderarzt, der im KZ Kinder mit TBC infiziert hat - wieso, ist die unschuldige Gegenfrage, wir sind die Kinder, die Heißmeier totgespritzt hat . Aber es geht weiter: Deutschland, fleißigste Gruppe im Sprüchemalen in Hannover ("Wo soll man sonst vor Deutschland-Sprüchen sicher sein, wenn nicht auf einem Polizeirevier" ist im Polizeirevier Herschelstraße zu lesen) verewigt sich im Fillmore: "Atomkrieg ja!" und im Pavillon: "Für Recht und Ordnung". Der bittere Sarkasmus dieser Parolen wird erst im Gespräch verständlich, offensichtlich aber nicht für die Fans ("Deutschland - denn 4 Fans können sich nicht irren"), die das ernst nehmen und dann auch schonmal am Flohmarkt ein Hakenkreuz neben Deutschland sprühen, was die Gruppe selber nicht tut. "Baut weiter AKWs, rüstet weiter zum Krieg, diese Welt ist es nicht wert, daß es sie gibt", heißt es in einem Blitzkrieg-Lied, und folgerichtig trägt einer der Blitzkrieg-Leute eine Plakette "Atomkraft - okay!" Der gleiche Sarkasmus. Die Provokation sitzt - besonders in Richtung der lahmgewordenen Rebellen der Studentenbewegung. Und trotzdem haut die Provokation nicht hin. Oder sollte diesem Kid an einem Schulterklopfen von Herrn Schmidt, Albrecht oder deren Bewunderern gelegen sein?
Ebensowenig können sich die Automats (heute: 39 clocks) für
die Hakenkreuze auf ihren Boxen bei ihrem Auftritt im letzten Jahr im
Pavillon damit herausreden, das Hakenkreuz habe "keine derartige
Aussagekraft (Nämlich faschistoide Gruppen zu unterstützen),
weil es im ursprünglichen Sinne die Sonne symbolisiert." Die
"ursprüngliche Aussagekraft" des Hakenkreuzes interessiert
überhaupt nicht, wenn im gleichen Pavillon Mitglieder der türkischen
Faschistengruppe "Graue Wölfe" und penetrante Hakenkreuzschmierer
eine Frau vergewaltigen. Da hilft einfach kein Drum-Rum-Gerede, kein Pochen
auf Meinungsfreiheit, da ist ganz einfach die Frage, mit wem man sich
durch sein Verhalten in Verbindung bringen läßt und mit wem
nicht. Das muß sich auch Blitzkrieg fragen lassen, wenn sie sich
beschweren, daß ihnen die Presse die Neo-Nazis in die Konzerte treibt:
Verdammt nochmal, warum sucht Ihr Euch dann so einen bescheuerten Namen
aus, von dem Ihr wissen solltet, daß die Neo-Nazis darauf abfahren? Solche Zweideutigkeiten sind nicht unumstritten bei den Punks: Es wird darüber diskutiert, mit dem Ergebnis, daß z.B. Deutschland den Heißmeier-Spruch nicht mehr benutzt, weil ihn keiner so recht witzig finden konnte. Mit dem Ergebnis, daß im "Anderen Ufer" Leute rausfliegen, die Hakenkreuze an die Wände malen. "Wogegen rebelliert Ihr denn?"Aber immer das Problem, sich abzugrenzen, mit seinen Problemen nicht mit anderen in einen Topf geschmissen zu werden, z.B. mit der letzten Protest-Generation, die in den Augen der Punks zu "Alternativen Müsli-Fressern" verkommen ist. Der Punk braucht seinen eigenen Ausdruck - wenn's sein muß, mit Krampf - nicht anders als die Hippies in den 60er Jahren, die wegen ihres Aussehens nicht weniger verständnislos angeglotzt wurden, auch nicht anders als die Rocker der 50er Jahre, denen es um Protest ging, um nichts anderes zunächst, um Auflehnung, egal wogegen. "Was haben sie denn so da?" fragt der Anführer einer Leder-Gang in dem Rocker-Film "Der Wilde" ein Mädchen zurück, das wissen will, wogegen sie denn eigentlich rebellieren. "Trau keinem über 30" war eine Parole der Studentenbewegung der 60er Jahre, die damals sehr ernst genommen wurde - daran sollten sich die heute 3ojährigen mal erinnern, bevor sie verständnislos den Kopf schütteln über die Widersprüchlichkeit der Punks. Die älteren Gruppen, die wie Hans-A-Plast und Kaltwetterfront politische Erfahrungen haben, gehen da bewußter ran. Im Gegensatz zu den Fucks mit ihrer blödsinnigen Parole "Krieg allen Jungfrauen" und Rotzkotz mit ihrer Barbusen-Tanzeinlage, die man besser CDU-Parteitagen vorbehalten sollte, singt Hans-Alast (mit Sängerin, Bassistin und Schlagzeugerin eine Rarität in der Rockszene):
Ich gehe durch die Straßen Der Unterschied zwischen den "alten" und jungen Punks: Dussels dusseliger Spruch auf dem Altstadtfest, der Kid, der über das Mikrophon im Pavillon flüstert: "Teddyboys und Schwule raus" und Annette (Hans-A-Plast) antwortet: "Nix da, Teddys bleiben hier, und Schwule erst recht!" Der Unterschied: spontane blinde Gewalt, die sich gegen die Punks selber richtet. Das zertrümmerte Behinderten-Klo im Pavillon, das der Durchführung von weiteren Punk-Festivals sicher nicht gerade förderlich ist, und die Auseinandersetzung mit der staatlichen Gewalt durch Kaltwetterfront:
Er ist Revolverheld, er tut alles für Geld Er ist der Star vom BKA Der Strafanwalt sagt, es war völlig klar, Und ich glaub nicht mehr an die Tagesschau Wir lassen uns nicht vermarkten
Darüberhinaus die bewußte Auseinandersetzung mit der eigenen Situation, der Konkurrenz unter den Gruppen, die jetzt auf Initiative der "Alten" mit drei Festivals erstmals aufgebrochen wurde, Festivals, auf denen Gruppen, die die Vorbereitung aktiv mitgetragen haben, gleichberechtigt auftreten, ohne Veranstalter, in ausgeloster Reihenfolge, für das gleiche Geld. Der Versuch, die Gleichberechtigung innerhalb der Gruppen zu erreichen. Hans-A-Plast hat es aus diesem Grund abgelehnt, daß Sängerin Annette auf das Titelbild dieses Schädelspalters kommt, weil sie niemand aus der Gruppe zum Star à la Nina Hagen und Band aufbauen lassen wollen. Weil sie gar nicht erst in die Situation kommen wollen, für eine Plattenfirma Abstriche machen zu müssen, hat Hans-A-Plast (ebenso wie Rotzkotz) ihre erste Platte bewußt allein produziert und vertreibt sie allein. Bestimmt liegt der Unterschied zwischen "alten" und jungen Punks nicht - wie oft als Schablone benutzt - darin, daß die einen Studenten sind und die anderen aus der Gosse kommen. Lehrlinge bei Deutschland, Schüler bei den Kondensators, ganze zwei Studenten bei Hans-A-Plast. Den Leuten von Kaltwetterfront geht's bezüglich Wohnung und Arbeit sicher nicht besser als denen von Blitzkrieg - nur: sie machen keine Ideologie daraus, wie Face, der sein Penner-Dasein herauskehrt, zu dessen Image es auch gehört, auch noch in den letzten Kneipen, wo Punks unbehelligt hingehen können, Hausverbot zu kriegen. Ihre Musik ist anders, keine Penner-Musik, die ist vital, strotzt von Leben und Lebenwollen: Energie aus der GosseNicht auf dem vorgeschriebenen Weg, in den ausgelatschten Musik-Klischees
(freilich nicht ohne Gefahr, im ständigen Sich-Abgrenzen-Wollen ein
neues Klischee zu produzieren). Provozierende Musik, herausgebrüllt
wie vor 20 Jahren von Little Richard, und mit genau der gleichen Hochnäsigkeit
und Verständnislosigkeit als "primitiv" abgekanzelt, wie
man vor 10 oder 20 Jahren über den Rock und Jazz als "Negermusik"
die Nase rümpfte.
Wir sind ohne Zukunft Es gibt keine Zukunft Parteien helfen auch nicht Penne ist Scheiße Baut weiter AKWs Für und gibt's kein Morgen Fotos: Andreas Kühne (Quelle: StadtMagazin Schädelspalter 10/79, Hannover) |
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Fresse / Information Overload |