was ich von
can
alles weiß:
Eine kurze Geschichte von CAN
von Holger Czukay (Mai 1997)
Pascal Bussy, Andy Hall "The Can Book" (Tago Mago 1986)

CANs erste Aufnahme entstand im Juni 1968 während unseres ersten Konzerts für eine Ausstellung mit moderner Kunst im Schloss Nörvenich nahe Köln. Sie heißt PREHISTORIC FUTURE und erschien 1984 auf dem Tago Mago-Label in Paris als Mono-Cassette in begrenzter Auflage (2000 Stück). Für dieses erste Mal nahmen wir Ausschnitte von den Studentenunruhen in Paris 1968 auf und diese wurden ein wichtiger Teil des Konzerts. Danach wurde uns glücklicherweise erlaubt, im Schloss Nörvenich unser eigenes Studio einzurichten. Dieses Studio bestand aus 2 Stereo-Tonbandgeräten und ungefähr 4 Mikrophonen. Ein Instrumentenverstärker diente als unserer "Mischpult". Sofort begannen wir Filmmusik für einen jungen deutschen Film-Regisseur aufzunehmen und durch diese Erfahrung entschieden wir uns, eine rhythmisch orientierte Heavy-Band zu werden mit ethnologischen Einflüssen - zumindest manchmal. Und während wir versuchten "primitive Klänge" nachzuahmen kam CAN zu seiner Ethnological Forgery Serie und machte nicht mal davor halt, das japanische No-Spektakel zu imitieren. Tatsächlich haben wir diese Versuche mehr von der humoristischen Seite betrachtet denn als ernsthafte Aufführungen.

Die erste reguläre CAN-LP war MONSTER MOVIE und das erste Stück dass wir aufnahmen war "Father Cannot Yell". Wir hatten mehr ein einstürzendes Gebäude in Zeitlupe vor unseren Augen als die Absicht, unsere Instrumente zu beherrschen. Alles wurde beim ersten Anlauf als "Spontankompositionen" aufgenommen. "Yoo Doo Right" war zu jener Zeit ein ungewöhnlich langes Stück Musik mit einem Rhythmus, der nicht aus der Welt des Rock'n'Roll stammte. Es wirkte mehr so, als würde es von einem elektrischen Urwaldstamm mit den damals üblichen Instrumenten aufgenommen.

Die LP SOUNDTRACKS wurde mehr ein Zwischendurch-Projekt, weil CAN viel mehr Zeit brauchten um TAGO MAGO zu vollenden als wir angenommen hatten. Natürlich konnten wir nicht von unseren Konzerten und Plattenverkäufen leben, doch hatten CAN das Glück, mehrere Filmsoundtracks aufzunehmen. Die Titelstücke der Filme erschienen als Filmmusiken auf der SOUNDTRACKS-LP. "Don't Turn the Light on, Leave Me Alone" war das erste Stück, das Damo mit CAN aufnahm. Ich denke, es drückt Damos Stimmung zu jener Zeit aus, nachdem ich ihn laut singend bzw. "betend" auf der Straße in München entdeckt hatte. Jaki und ich saßen draußen in einem Cafe, als Damo vorbeikam. Ich sagte zu Jaki: "Das wird unser neuer Sänger." Jaki: "Wie kannst du so was sagen, du kennst ihn nicht mal." Ich stand auf, ging zu Damo und fragte ihn, ob er heute Abend frei sei. Wir seien eine experimentelle Rockband und würde heute Abend hier auftreten - vor ausverkauften Haus. Damo sagte er hätte nichts besonderes vor, also warum sollte er nicht singen. Die Konzerthalle an dem Abend war voll und Damo begann zu murmeln wie ein meditierender Mönch. Plötzlich verwandelte er sich in einen kämpfenden Samurai, das Publikum war schockiert und fast alle flüchteten aus der Halle. Ungefähr 30 Amerikaner blieben und waren total begeistert von dem was sie hörten. Unter ihnen war der Hollywood-Schauspieler David Niven, der möglicherweise dachte, er würde eine Art Albtraum-Happening besuchen.

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TAGO MAGO war offiziell CANs zweites Album und ein Versuch, eine geheimnisvolle musikalische Welt von Licht zu Dunkelheit und zurück zu erschaffen. Das Album bestand nicht nur aus normal aufgenommener Musik, sondern zum ersten Mal kombiniert mit "Pausen-Aufnahmen", dass bedeutet die Musiker wurden insgeheim aufgenommen in den Pausen, wenn ein neues Mikrophon und Aufnahmeregler eingerichtet wurden. In dieser Zeit spielte der Rest der Gruppe einfach Musik um sich die Zeit zu vertreiben anstatt zu warten, bis das technische Problem gelöst sein würde. Und es gab immer ein Mikrofon und ein Aufnahmegerät in Wartestellung für diese Fälle. Zusammen sicher eine psychedelische Erfahrung und selbst das Studio verwandelte sich in etwas Neues, z.B. durch dramatische Veränderung der gesamten Beleuchtung.

Ende 1971 zogen CAN mit ihrer Studioeinrichtung in eine andere Stadt, wo sie ein altes ehemaliges Kino mieteten. Die Wände wurde mit 1500 Militärmatratzen gedämmt und das Studio sah aus wie ein Elefant von innen. Wir konnten einen besonders trockenen und räumlichen Klang darin erzeugen und die Einrichtung schuf ein gemütliches Landschaftsgefühl mit allen Möglichkeiten spontaner Aufnahmen. EGE BAMYASI war die erste LP, die in dieser neuen Umgebung entstand und zeigte die Band in gelösterer Stimmung als in Schloss Nörvenich. "Vitamin C" wurde die Titelmusik des Hollywood-Films "Dead Pigeon" und "Spoon" war eine weitere Musik einer Fernsehkrimiserie. Jedes Mal, wenn um die 30 Millionen Menschen ihre Fernseher einschalteten, hörten sie es und so war es keine Überraschung, als "Spoon" ein Top Ten-Hit in Deutschland wurde. Und "Spoon" war eines der ersten auf Tonband gebannten Stücke mit der Kombination einer Rhythmusmaschine und einem Schlagzeuger, der selbst eine u n m e n s c h l i c h e Maschine war.

Da "Spoon" so erfolgreich war konnten CAN sich zum ersten Mal in ihrer kurzen Geschichte etwas Sommerurlaub leisten. Und als jeder ins Inner Space Studio zurückkehrte hatte auch die Musik dieses Sommergefühl. Viele Edits und Cuts wurden während dieser Produktion gemacht und zum ersten Mal konnte ich mich allein auf das Bassspielen konzentrieren und musste nicht gleichzeitig CANs Toningenieur sein. Dies wurde jetzt die Aufgabe unserer Roadies. Besonders "Bel Air" präsentierte CAN als elektrische Symphonie-Gruppe, die friedlich ein gelegentlich dramatisches Landschaftsbild aufführte.

Hildegard Schmidt, Wolf Kampmann "Can Box Item II: Book" (Medium Music Books 1998)

Und es war auch die Ruhe vor dem Sturm. Damo heiratete ein deutsches Mädchen von den Zeugen Jehovas und verlies CAN. Für den Rest der Gruppe war das wie ein erster kräftiger Schlag in den Magen. Wir probierten viele andere Sänger aus, aber keiner passte mehr zu uns. Also füllten der Gitarrist Michael Karoli und der Space-Organist Irmin Schmidt und manchmal ich die Lücke. SOON OVER BABALUMA war die letzte LP, die wir direkt in Stereo ohne Mehrspurmaschine aufnahmen. Eine Epoche ging zu Ende. Aber es war auch die Geburt von etwas Neuem. "Quantum Physics" wurde eines der ersten Stücke Ambient-Musik mit einer Art Techno-Charakter dank Jakis großartigem Maschinenschlagzeug und Irmins prähistorischen Synthesizer "alpha 77".

In all diesen Jahren von 1968 bis 1974 entstand eine Menge an nichtoffizieller Pausenmusik. Dies war irgendwie das andere Gesicht von CAN. Diese Aufnahmen wurden zuerst als eine LIMITED EDITION LP veröffentlich und später zu UNLIMITED EDITION erweitert. Diese Doppel-LP bezeugt die außergewöhnliche Stimmung des Inner Space Studios und nur an einem solchen Ort waren diese Aufnahmen möglich. Wir hatten andere professionelle Studios ausprobiert, aber keines kam unserem privaten Heimstudio gleich, dass die Musiker in solch einen besonderen Zustand der Kreativität versetzte.

1975 erstanden CAN ihre erste 16-Spur-Aufnahmemaschine und dies führte zu einer Menge Änderungen an den musikalischen Ergebnissen der Gruppe. LANDED wurde die erste CAN LP, die einen richtigen Mix erhielt - gemeint ist ein professioneller Mix. Der Ambient-Gesichtspunkt hatte seinen Nachfolger bei "Unfinished" und zum ersten Mal trat ein Gastmusiker auf einer CAN-Platte auf: Olaf Kübler von Amon Düül spielte Saxophone auf "Red Hot Indians".

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FLOW MOTION zeigte wie CAN vom Reggae beeinflusst wurde, obwohl kein Song auf dieser LP tatsächlich Reggaemusik ist. Aber ich erinnere mich zum ersten Mal ein Konzert von Bob Marley besucht zu haben und ich war wirklich beeindruckt vom Schlagzeug, vom Bass und der Reggae-spezifischen Gitarrenarbeit. Das sehr ominöse "Smoke" erinnerte mich an eine Rückkehr von CAN in die 60er Jahre und "I Want More" brachte CAN in die englische Hitparade und gab einen Eindruck von CANs tanzbarer Kraft. Eines meiner Lieblingsstücke wurde "Flow Motion" selbst und dieses Mal machte es nichts aus, dass keiner sang. Es war der Kern der Gruppe, der diese Musik spielte, so wie es seit Anbeginn ihrer Existenz war.

Die Zeiten änderten sich. Während einer Fernsehaufzeichnung in England trafen wir die Musiker von TRAFFIC und zwei von ihnen besuchten im Inner Space. Rebop und Rosko Gee mochten die Art, wie wir die Musik angingen, und so wurden sie als neue zeitweilige Mitglieder einbezogen, was besonders die Rhythmen zu einem flüssigen Beschuss verwandelte. Das war die Zeit, als ich ein neues musikalisches Szenario für mich erfand, dass CAN mit verschiedenen Medien zusammenbrachte wie eingefangenen Radiowellen, vorbereitetne Tonspuren aus anderen ethnischen Welten, elektronischen Bearbeitungen und eine verschiedene instrumentale Linie daraus. "Animal Waves" auf SAW DELIGHT wurde eine Reise in andere Länder und deren Musikkulturen. All dies wurde aufeinander abgestimmt durch einen aktivierten Morseschüssel. Ohne unsere neuen Mitglieder von TRAFFIC wäre dieser intensive musikalische Fluss nie zustande gekommen.

Und weil alles einmal zu Ende geht zeigte die LP CAN ein letztes Mal den Glanz eines verblassenden Sterns. "All Gates Open" ist gleichbedeutend für uns. Und wir konnten diesen Titel direkt verstehen. Alle Türen öffneten sich wirklich für jedes Mitglied der Band bei ihrem eigenen musikalischen Weg, von dem jeder geträumt hatte - bis 1987, als unser erster Sänger Malcolm Mooney uns aus den USA einen Brief schrieb mit der Frage, ob wir nicht wieder zusammen kommen könnten. Seit seinem Abschied von der Gruppe machte er sich einen Namen als Künstler ohne den Versuch zu machen sich wieder als Sänger zu betätigen. Er wollte wissen wie es sich anfühlt wieder mit einer Band hinter einem Mikrofon zu stehen, was ihn so krank gemacht hatte als er uns verlassen hatte. Wir kamen alle in der schönen Landschaft Südfrankreichs zusammen und ein neuer Geist entstand mit den ersten Aufnahmen. In der Zwischenzeit wurde die Gruppe langsam erwachsen, und blieb die ursprünglichen CAN aus alter Zeit mit einem musikalischen Ausstoß auf der Höhe der Zeit. RITE TIME wurde geboren und besonders "In the Distance lies the Future" wurde eines meiner liebsten CAN-Stücke aller Zeiten.

Pascal Bussy, Andy Hall "The Can Book" (Sonnentanz Verlag 1998, Neuauflage)

Bei einer solchen Menge an musikalischem Material aufgenommen über ungefähr 10 Jahre wurde es offensichtlich, dass neue Zusammenstellungen und gekürzte Versionen auf CANIBALISM I bis III zu finden sein würden. Der Hörer, der zum ersten Mal mit CANs Musik in Berührung kommt, bekommt einen konzentrierten Eindruck von bestimmten wesentlichen Aspekten. "Animal Waves" auf CANIBALISM II wurde nie so effektiv auf den Punkt editiert wie auf diesem Album. Und das ist nur ein Beispiel.

Eines sollte nicht vergessen werden: als unsere erste LP mit dem Titel PREPARED TO MEET THY PNOOM fertig war wollte keine Plattenfirma etwas mit dieser Art Musik zu tun haben. Also beschlossen wir mehr aufzunehmen und es noch mal zu versuchen. Dies führt zu MONSTER MOVIE und wir machten eine Privatpressung davon, bevor eine Plattenfirma uns unter Vertrag nehmen wollte. Diese allerersten Aufnahmen wurden später als DELAY 1968 veröffentlicht. Als ich Anfang der 80er Jahre die Aufnahmen masterte war der rätselhafte deutsche Produzent Conny Planck dabei und sagte voller Begeisterung: "Solange CAN "Soul" spielen sind sie unschlagbar." "Little Star of Bethlehem" ist eine der ersten Aufnahmen mit eingefügten Overdub-Aufnahmen der ganzen Band.

1997 wurde das Jahr wo andere Musiker den zeitlosen Charakter von CANs Musik in dem neuen Remix-Album SACRILEGE aufzeigten. Und dies ist der Klang von CAN in der 90er Jahren.

'eine kurze geschichte von can' erschien zuerst bei PERFECT SOUND FOREVER
Übersetzung von Holger Czukays Originaltext: Martin Fuchs 2004

Plattentest mit Holger Szukay (Bassist von The Can)

Mit dem Plattentest wollen wir eine neue, unregelmäßig erscheinende Serie beginnen, in der wir Musiker und andere Leute der Musikszene Platten vorstellen wollen, über die sie vor dem Anhören keinerlei Informationen erhalten. Die von SOUNDS im Plattentest befragten Leute sollen unvoreingenommen ihre Eindrücke über die gehörte Musik schildern. Da durch erhält der SOUNDS-Leser eine neue Art von Information über Geschmack, musikalische Einstellung und Urteilsvermögen der Befragten. Unser Plattentest ist kein Ratespiel, es ist also nicht wichtig, ob der Befragte erkennt, wer auf der Platte spielt, die wir ihm vorstellen.
Den Anfang macht HOLGER SZUKAY, der 33jährige Bassist und technische Perfektionist der Kölner Popgruppe The Can. Holger, der mit bürgerlichem Namen Schüring heißt, hat an verschiedenen Musikhochschulen und Konservatorien studiert, jedoch diese Laufbahn ohne Abschluß beendet, um auf eigene Faust drei Jahre lang bei den Komponisten Stockhausen, Pousseur, Brown und König zu studieren. Vorübergehend war er als Musiklehrer tätig und im Herbst 1968 kam er zu The Can. Nach eigenen Worten liebt er jede Musik, die nicht ständig von einer besseren Welt faselt, sondern sie tatsächlich verbessert.

1) "Church Of Anthrax" von JOHN CALE & TERRY RILEY aus der LP CHURCH OF ANTHRAX (CBS 30131) mit John Cale (Baß, Cembalo, Piano, Gitarre, Viola, Orgel) und Terry Riley (Sopransax, Orgel, Piano) und einem auf der Plattenhülle nicht namentlich genannten Schlagzeuger.

(Szukay): Die Aufnahme ist mir bekannt, es ist meine derzeitige Lieblingsplatte. Es ist eine Musik, die mehr aus sich selbst heraus geschieht und weniger "gemacht" wird. Ich finde, daß sie sehr ornamental ist, und darin sehe ich das Positive dieser Musik, denn aus dem Ornamentalen resultiert ihr Selbstverständnis. Der Schlagzeuger beispielsweise scheint nicht so sehr an Klischees (also vier Takte und dann ein "fill in") interessiert zu sein, er faßt vielmehr den Rhythmus als ein fließendes Ganzes auf, innerhalb dessen er sich rhythmisch akzentuiert bewegt. Er spielt mehr wie Pulsschlag des Menschen. Man kann natürlich aus dieser Art Musik viel mehr machen, man könnte sie virtuoser bringen, aber ich finde es hier gerade gut, daß die einzelnen Musiker nicht krampfhaft versuchen, über ihr musikalisches Potential hinauszugehen.
Es ist einfach Musik, die aus ihrem Selbstverständnis heraus geschieht. Sie keine musikalische Idee oder Konzeption verkünden.
(Blome): Stört Dich eigentlich, daß diese Aufnahme mittels Playback entstanden ist?
(Szukay): Überhaupt nicht. Ich finde Playbacks gehören einfach zur Ökonomie. Ein Musiker, der ins Studio geht, sollte auch alle Möglichkeiten, die ihm die Technik bietet, ausnutzen.
(Blome): Geht dabei denn nicht viel an Spontaneität verloren?
(Szukay); Entweder ein Musiker besitzt genügend Spontaneität - dann geht sie auch durch aufgesetzte Playbacks nicht verloren -‚ oder aber er hat sie nicht - dann kann ihm auch kein Playback darüber hinweghelfen.
(Blome): Wie gefiel Dir der Bassist bei dieser Aufnahme?
(Szukay): Er gefiel mir sehr gut. Der Bassist hat eine sehr gute Art von Unperfektioniertheit, er spielt sehr einfach und ist wirklich Grundlage des musikalischen Geschehens. Ich finde, daß ein Baßspieler sich bemühen sollte, das gesamte musikalische Geschehen auf sich zu tragen - wie Atlas, der die Welt mit seinen starken Armen trägt. Der Baß sollte immer Stützpfeiler der Musik sein.

2) "Black Juju" von ALICE COOPER aus der LP LOVE IT TO DEATH (EMI 39779).

(Szukay): Hier handelt es sich zunächst einmal um Musik mit einem Patentaufbau, also einer Lied- und Klangkonzeption, die totsicher Erfolg bringt. Das ist zunächst einmal kein Negativum, denn die gebotene Musik entspricht zumindest dem Text, der verwendet wird. Was mir nicht daran gefällt ist beispielsweise die Emotionalität des Sängers, die mir ein bißchen zu sehr nach Studionorm klingt. Ich habe den Eindruck, daß man in erster Linie eine perfekte Aufnahme machen wollte und so nebenbei auch ein wenig Emotion mitliefern wollte. Das Stück ist von vorne bis hinten durcharrangiert und läuft in Strophen ab. Im Mittelteil hat man sich Mühe gegeben, klangmäßig gegen das Klischee anzukämpfen, dem das Stück zugrunde liegt. Die falschen Töne, die gelegentlich durchklingen, sind eindeutig bewußt gemacht worden, um gegen das Klischee anzugehen. Die Musiker haben's sicher gut gemeint, aber es gefällt mir nicht sehr, was dabei herausgekommen ist. Das einzig Positive an der Musik ist, daß ihr eine gewiße Leichtigkeit nicht abzusprechen ist.

3) "Thursday Morning Sunrise" von ETCETERA aus dem Album ET-CETERA (Wolfgang Dauner Group mit Siegfried Schwab, Fred Braceful, Roland Wittich, Eberhard Weber), Global 6306901.

(Szukay): Diese Musik ist stark vom Individualismus der Einzelnen geprägt, es ist also keine Gruppenmusik. Jeder dieser Musiker spielt erst mal drauf los, ohne Rücksicht auf die Nebenleute. Da sind, glaube ich, einige Teile mit einer Geige und einige ohne Schlagzeug, Teile, die irgendwo schön dilettantisch sind. Sie haben so etwas "Comic-haftes" an sich. Das finde ich ganz gut. Wenn man diese Art von Musik mit elektronischem Aufwand macht, dann, so meine ich, haben Popmusiker durchaus eine Chance, Erfolg zu haben, Im Gegensatz zu einigen sogenannten Elektronikern, die alles zu ernst nehmen, ist diese Art "Comic-Pop" sehr erfrischend.
Mich erinnert das eben Gehörte, eben wegen dieser frischen "Comic-haftigkeit", auch an die Musik von Kraftwerk. Weniger erfrischend finde ich dagegen, daß man hier ohne rhythmisches Zentrum arbeitet, also in rhythmischer Konzeption mehr in Richtung Free Jazz hin tendiert. Es steckt mir zu viel gewollte Individualität darin. Man versucht, frei zu werden und steckt erst noch im Prozeß des Freiwerdens. Mich interessiert jedoch mehr die Freiheit selber als der Weg dorthin.
(Blome): Kannst Du heraushören, daß die hier beteiligten Musiker vom Jazz her kommen?
(Szukay): Ja, sicher. Man spürt das am starken Chorus-Denken der Musiker. Ich persönlich würde nie eine solche Musik machen wollen, eben weil zu sehr nach der Chorus-Schablone gearbeitet wird, was ja aus der Jazzwelt stammt. Mir liegt es nicht, vorher festgelegte Ideen auszuführen. Ich finde, daß die Musik von alleine, also organisch entstehen muß.

4) "Fun House" von THE STOOGES aus der LP FUN HOUSE (Elektra EKS 74071).

(Szukay): Alles in allem eine sehr schöne Musik. Das Produkt wäre wohl noch besser geworden, wenn man eine bessere Balance zwischen Saxofon, Gitarre und Sänger gefunden hätte. Ich finde, daß Saxofon und Gitarre sehr schön spielen, ich sehe aber nicht ein, daß (vor allem) das Saxofon so sehr in den Hintergrund gedrängt wurde.
(Blome): Dazu sollte man anmerken, daß der Saxofonist (Steven McKay) erst wenige Tage vor der Aufnahme zur Gruppe stieß.
(Szukay): Aha. Das spricht meiner Ansicht nach um so mehr für den Saxofonisten, denn was er hier spielt, paßt sehr gut zur Gruppe. Ich finde überhaupt, daß dies eine ausgesprochene Gruppenmusik ist. Und deshalb verstehe ich nicht, warum man den Sänger so sehr nach vorne genommen hat.
Ich finde das Rabaukenhafte an der Musik sehr schön - es ist Moped- und Motorradmusik.
Der Bassist hat mich ebenfalls beeindruckt, denn er ist nicht an Artistik interessiert, sondern spielt das ihm Mögliche innerhalb der Gruppenstruktur. Ich habe eigenartigerweise gar nicht so sehr auf den Bassisten geachtet, einfach, weil er sich zusammen mit dem Schlagzeuger dem rhythmischen Konzept der Gruppe untergeordnet hat. Es ist gottseidank nicht wie bei vielen ein Gegeneinander, sondern ein echtes Miteinander.
(Blome): Konntest Du raushören, ob es sich um eine englische oder eine amerikanische Gruppe gehandelt hat?
(Szukay): Ich bin fast sicher, daß es sich um eine amerikanische Gruppe handelt, denn das Stück besitzt nicht diese typisch englische Studiowärme, also den Röhrenverzerrer-Sound. Diese Gruppe denkt nicht in jenen ästhetischen Bereichen, die ein Großteil der englischen Popmusik auszeichnet.

5) "1983" von JIMI HENDRIX aus dem Doppelalbum ELECTRIC LADY LAND (Polydor 184 183/84) mit Jack Cassidy (Baß), Chris Wood (Flöte), Mitch Mitchell (Drums).

(Szukay): Also, hierzu wäre zunächst etwas über den Tontechniker zu sagen. Die Gruppe sollte beim nächsten Mal wirklich darauf achten, daß der Toningenieur die Finger vom Panoramaregler läßt. Damit hat er die Musik ganz schön abgefackt. Das ewige Hin und Her des Klangs, vom rechten auf den linken Kanal und umgekehrt, geht einem ganz schön auf die Nerven.
(Blome): Auch hierzu ist, so meine ich, eine Erklärung notwendig: Als diese Aufnahme gemacht wurde (1968), war der Panoramaregler etwas ganz Neues. Es mag sein, daß man den hier ein wenig zu häufig benutzt hat, aber sicher spielte auch der Reiz des Neuen, die Entdeckerfreude, eine Rolle.
(Szukay): Ansonsten gibt es hier verschiedene musikalische Strukturen zu hören. Einmal hatte ich den Eindruck, es könne eine Art von Raga-Rock sein, wobei man eine der indischen Musik ähnliche Skala als Grundmotiv nimmt und darum herum spielt. Aber mir schien, daß hier lediglich eine Stimmung gemacht wurde. Es ist ja ein Unterschied, ob man eine Stimmung macht oder ob man sie hat.
(Blome): Hattest Du den Eindruck, daß es sich hier um eine feste Gruppe oder um eine Jam-Session-Formation handelt?
(Szukay): Ja, das hörte sich sehr nach Jam-Session an. Wäre es eine feste Gruppe, so wäre die Musik nicht so kurzatmig: Am Anfang eine holprige Einleitung, dann Ragamusik, von der man nicht recht weiß, wohin sie führen soll, dann plötzlich wieder Rockmusik - d. h., daß mit Triolen gearbeitet wird. Kaum sind die Musiker da drin, wird wieder das Tempo verändert, so daß dem Ganzen die Ruhe fehlt. Deswegen nehme ich an, daß die Gruppe noch nicht sehr lange zusammen ist.
(Blome): Ragte der Bassist mit seinem Solo nicht etwas zu sehr heraus?
(Szukay): Richtig, als der Maestro erschien trat alles andere zurück. Sein Solo gefiel mir sehr gut.
(Blome). Welche der fünf Stücke, die wir in diesem Platten test gespielt haben, hat Dir am besten gefallen?
(Szukay): Ganz klar, zwei Sachen. Erstens das Stück von Terry Riley und John Cale, von deren Platte ich schon sagte, daß sie für mich zum Besten überhaupt gehört. Dann aber auch die Aufnahme von den Stooges. Komischerweise erinnere ich mich jetzt auch nur noch an diese beiden Aufnahmen.

zitiert aus SOUNDS. Die Zeitschrift für Popmusik Nr. 30 / Juni 1971, S.23-25

Can
"Item 1: Music"
(Spoon)

Nach Jahrhunderten langen Wartens ist endlich ein live-Dokument dieser größten deutschen (neben Kraftwerk) Rock-Legende erschienen. Punkt. Damit könnte alles gesagt sein, ist doch Bestandteil der Legend, daß Can live ganz anders als im Studio klangen, ihre Stücke ständig neu erfanden, oder sogar spontan auf der Bühne komponierten und dabei ein geradezu magisches Improvisationsgespür zeigten. All das kann jetzt auf dieser Doppel-CD nachgehört werden. 9 Stücke in 2 Stunden, davon 4 sogenannte Spontankompositionen. Der Schwerpunkt der Aufnahmen liegt in Jahr 1975, daneben gibt es noch ein völlig unkenntliches "Spoon" aus Köln von 1972 und aus dem gleichen Jahr das legendäre "Colchester Finale", eine 37 Minuten lange Improvisation. Die Klangqualität schwankt zwar von okay bis archäologisch, doch musikalisch gibt es hieran nichts auszusetzen. Auf die Gefahr hin zu wiederholen, was von Hunderten von anderen Journalisten schon gesagt wurde, diese Musik ist zeitlos, Genregrenzen sprengend und ein Maßstab für Musikalität, an den wenige andere Bands weltweit heranreichen.

Diese Doppel-CD war ursprünglich Bestandteil der "Can Box", zusammen mit einem Buch und einem Video, und vielleicht werden diese ja auch noch mal einzeln veröffentlicht. Das Video jedenfalls ist sehr gelungen und enthält den legendären Film vom Kölner Can-Free-Konzert von 1972, sowie eine Dokumentation aus dem Hause DoRo, die überrascht. Waren DoRo bisher dafür bekannt, hektisch geschnittene Hitparadenware abzuliefern, so läßt diese Produktion sich Zeit mit langen wortlosen Passagen. Die Bandgeschichte erzählt sich selbst und wird nicht durch reißerische Off-Kommentare gehetzt. Grandios die alten Fernsehausschnitte mit Moderatoren, die sich schon vorab bei den älteren Fernsehzuschauern dafür entschuldigen, daß der folgende Beitrag laut, jung und marxistisch wird. So war das vor einem Viertel-Jahrhundert in Deutschland!

Das Buch dagegen ist eher halbgar, das typische Produkt, wenn der Künstler distanzlos über sich selbst schreibt und an seinem eigenen Heiligenbild bastelt. Dazu ein langweiliges Layout und Bilder ohne Quellenangaben, insgesamt eher eine vertane Chance. Und warum wird die LP "Out Of Reach" von 1978 weiterhin totgeschwiegen? So schlecht wie "Rite Time" wird sie doch wohl nicht sein, oder?

© 10.03.2000 Martin Fuchs, zuerst veröffentlicht in LOUNGE #9 (Hannover), April 2000

CAN im Internet: Klaus Unland`s CAN Page | Udo Gerhards Prog-Reviews | Spoon-Records | Damo Suzuki | Holger Czukay | Thomas Westphals Can Discography | Thomas Westphals Can Gigography

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