die Aggressive Rockproduktionen Diskografie Teil 1Anfang bis Mitte der 80er Jahre gab es 3 große Punklabel in Deutschland: Weird System aus Hamburg, Mülleimer Records aus Stuttgart - und Aggressive Rockproduktionen aus Berlin. Da ich allerdings zu dieser Zeit ganz andere Musik gehört habe kann ich euch nicht viel Schnurren erzählen, doch habe ich viele der Platten regelmäßig in den Neuheitenfächern der Plattenläden gesehen. Label-Gründer Karl-Ulrich Walterbach begann im KZ36-Kollektiv, dass über den zweiten KZ36-Sampler zerbrach. Walterbach gehörte nicht zu den Idealisten (obwohl das Wort eigentlich zu positiv klingt, vielleicht ist es auch zur Hälfte Fundamentalismus gewesen) und machte Punk zu seinem Beruf. Aggressive Rockproduktionen startete 1980 mit einem Paukenschlag, dem ersten "Soundtracks zum Untergang"-Sampler, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen dem Slime-Song "Polizei-SA-SS" und "Helden" von Middle Class Fantasies ermittelte. Spätere Auflagen enthielten an den entsprechenden Stellen Pieptöne, die CD-Neuauflagen sollen aber wieder unzensiert sein. Slime waren die große Band auf AGR, doch auch cAnalterror und Toxoplasma werden heute kultisch verehrt. 1982 begann AGR amerikanischen Hardcore u.a. von SST zu lizenzieren und machte so Black Flag, Hüsker Dü und Misfits hier groß (merkwürdigerweise wurden die großen Minutemen nicht lizenziert, wahrscheinlich waren sie zu fortschrittlich). 1983 kam der sensationelle "DDR von unten"-Sampler mit Schleimkeim und dem Stasispitzel Sascha Arschloch und löste eine Reporterinvasion in Ost-Berlin aus, den die Stasi zu massiven Repressionen gegen die DDR-Punx nutze. 1984 waren Slime tot, Walterbach wandte sich dem Metal zu und gründete Noise International bzw. Modern Music, während AGR entschlummerte. Um 1990 gab es noch mal einige neue Platten und auch in den folgenden Jahre erschienen einzelne Gruppen auf AGR, doch zumeist verdiente Walterbach am damaligen Punkboom mit Neuauflagen alter Sachen. Seine Innovationskraft hatte das Label längst verloren - so gelang es z.B. nicht mit dem dritten "Soundtracks zum Untergang"-Sampler die Punk-Szene für HipHop zu interessieren; den Titel "Soundtracks zum Untergang" kauft später das Ramsch-Punk-Label Impact für einen (na was wohl?) Ramsch-Punk-Sampler - und Walterbach ist (zu Recht oder zu Unrecht - das ist eine Frage der Perspektive, s.o.) in der Punkszene als Abzocker verschrien. Interessante Informationen über Walterbach, der vor einiger Zeit seine ganzen Labels an eine international operierende Musikgruppe verkauft hat, finden sich bereits im Artikel "Hardcore'82" in Sounds 10/82. Sehr erhellend ist auch das Interview mit ihm im Beiheft zur "Berlin Punk Rock 1977-1989: Wenn Kaputt Dann Wir Spass"-DoLP/DoCD von Weird System. Dazu eine Anmerkungvon mir: AGR, ebenso wie Weird System, gehört zu den Kriegsgewinnlern von Punk in dem Sinne, dass die ganzen Innovatoren, denen in "Verschwende Deine Jugend" eine Art Denkmal gesetzt wurde, den Weg bereitet haben und AGR sich dann auf das inzwischen entstandene Medienimage warf und eine der dort entstandenen Marktnischen entsprechend bediente. Walterbach konnte ein fertiges Image benutzen, er musste es nicht erst erschaffen. Dass die AGR-Produkte ihre Qualitäten hatten und sie den weiteren Erfolg von Deutschpunk förderten ist unbestritten, es ist allerdings von Walterbach arrogant zu behaupten, seine Szene sei Alleinvertreter von Punk in Berlin gewesen und den Rest als Modepunks und Spießerkinder abzutun. (Es ist auch der große Irrtum vieler Linker damals gewesen, dass Punk irgendwie proletarisch war. Aber vielleicht war dieser Irrglaube ja notwendig, um Punk für die eigene Agitprop-Kultur benutzen zu können?) Das ist die Position von zur Selbstkritik unfähigen Politkommissaren (hallo Karl Nagel!), die sich die Wirklichkeit zurechtbiegen, damit sie in ihr Weltbild passt (was vielleicht auch erklärt, weshalb sich Slime und AGR später per Rechtsanwalt auseinandersetzen mussten; Walterbachs Vorwurf an WS, ihre Sammlerauflagen seien eigentlich nur Marketingtricks, um auf schwachen Märkten zu überleben, ist dagegen nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen - limitiertes farbiges Vinyl ist überflüssig wie ein Kropf). Im besten Falle entdeckten "Gossenkids" und "Künstlerpunks" gleichzeitig Punk, im schlechtesten Fall sind es die späteren Deutschpunker gewesen, die auf den schon rollenden Zug "Punk" aufsprangen - und ihm dadurch noch mal zusätzliche Schubkraft gaben - in eine Richtung, die die ursprünglichen Innovatoren aus der Szene ausschloss. (Hört sich das zu krass an? Okay, wahrscheinlich biegen wir uns alle bewusst und/oder unbewusst unsere Vergangenheit zurecht, um uns selbst im besseren Licht zu sehen, Karl Walterbach, ich, du, alle Menschen. Selbstkritik ist eben gar nicht so einfach...) Am
4.9.2010 erreichte mich folgender Offener Brief von Karl Walterbach:
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