Seit 20 Jahren widmet sich Manfred Schütz mit seinem vielköpfigen
SPV-Team um die Verbreitung des "guten Tons", als Vertrieb
gleichermaßen wie als Produzent eines eigenen Katalogs. Neun
Labels, u.a. SPVRecordings, Oblivion, Audiopharm und - in Sachen
Heavy Metal weltweit führend - Steamhammer gehören zum
Tonträgerunternehmen an der Brüsseler Straße. Hinzu
kommt eine 51prozentige Beteligung an Inside Out, dem wichtigsten
Progressive Rock-Label. Nahezu endlos ist die Reihe der Künstler,
die in den vergangenen 20 Jahren bei der hannoverschen Music Company
vor Anker gegangen ist. Gerade altgediente Rockrecken wie Peter
Frampton, Ronnie Wood oder Lynyrd Skynyrd haben bei SPV eine neue
Heimat gefunden.
Im
Gespräch mit uns zeigte Manfred Schütz keinerlei Ermüdungserscheinungen:
Mit ungebremster Begeisterung spricht er über sein Metier,
verfällt auch angesichts der Krise, in der sich die Musikbranche
bekanntermaßen befindet, nicht in Wehklagen. Der 53-jährige
kennt nicht nur die Höhen, sondern mit der Pleite des Boots-Plattenladens,
den der gebürtige Franke Mitte der 70er Jahre mit gegründet
hatte, auch die Tiefen des Geschäfts bestens.
Interview: Reinhard Stroetmann, Jens-C. Schulze
Das Interview wurde am 21.01. bei Manfred Schütz privat geführt.
magaScene: Manfred Schütz, RocknRoll-Macher
von Geburt an...
Schütz: Nicht ganz. Ich habe Anfang der 70er Jahre eine
Lehre zum Fotokaufmann gemacht. Diese Lehre habe ich zwar mit Auszeichnung
bestanden, aber nach Ende der Lehre wusste ich, dass Fotokaufmann
nicht meine Zukunft ist. Und seit meiner ersten Single, "Little
Red Rooster" von den Rolling Stones, die ich mir 1963 gekauft
habe, war mir klar, dass ich irgend etwas mit RocknRoll
und Musik zu tun haben möchte. Ich traf damals mit Wolfgang
Küster einen alten Bekannten aus Volksschulzeiten wieder, der
die gleiche Entscheidung wie ich getroffen hatte, nämlich nicht
im erlernten Beruf arbeiten zu wollen. Wolfgang und ich haben dann
im September 1974 den Plattenladen "Boots" eröffnet.
magaScene: Wo war der Laden?
Schütz:Zunächst im Keller des Romantauschladens
und Gebrauchteisenwarengeschäfts Hoppenstedt in der Vahrenwalder
Straße 115. Aber außer einigen Freunden, die zur Eröffnung
gekommen waren, verirrten sich eher selten Menschen in unseren Laden.
Wir merkten also irgendwann, dass das voll nach hinten los geht,
und sind in die Eckerstraße, Ecke Lister Meile gezogen. Am
8.1.1975 war dort Eröffnung.
magaScene: Der Boots-Plattenladen in der Eckerstraße
boomte dann ja ganz ordentlich...
Schütz: Der ging ab wie eine Rakete. Bis zu seinem Ende
1984 war der Laden eine Institution. Es gibt heute noch unzählige
Leute, die sich an Boots erinnern können. Vor kurzem beispielsweise
traf ich den ehemaligen Marketingleiter von Warner Europa und jetzigen
Manager von Simply Red. Nach zweieinhalbstündiger Geschäftsbesprechung
sagte er zum Abschied zu mir: "Ich habe früher nie Kohle
gehabt und du warst schuld - ich habe all mein Geld in der Eckerstraße
gelassen."
magaScene: War das Angebot so unwiderstehlich?
Schütz: Ich würde Boots umschreiben als Plattenladen,
in dem du nicht bzw. nicht nur das bekommen hast, weswegen du in
den Laden gegangen bist. Sondern auch das, von dem wir meinten,
das es gut ist. Das heißt, wir haben unsere Kunden beraten,
Tipps gegeben, unbekannte Bands vorgespielt.
magaScene: Es blieb nicht bei dem einen Geschäft
in Hannover...
Schütz: Ich habe mit Achim Flebbe einen Laden in Göttingen
aufgemacht, im August 1976 eröffnete das Musicland in der Nordmannpassage.
Später kam Express Musik in Hildesheim dazu. Weitere Geschäfte
folgten in Hameln, Münster, Braunschweig u.a. Schließlich
hatten wir neun oder zehn Läden, die alle sehr gut angenommen
wurden.
magaScene: Waren denn Mitbewerber am Markt?
Schütz: Hier in Hannover waren es Die Schallplatte und
vor allem Govi, die ähnlich arbeiteten wie wir und entsprechend
erfolgreich waren.
magaScene: Gab es ein bestimmtes Erfolgsrezept?
Schütz: Wenn du damals in der Karstadt-Schallplattenabteilung
nach Canned Heat gefragt hast, wurdest du in die Camping-Abteilung
geschickt. In unseren Läden und auch in Läden wie Govi
arbeiteten "Überzeugungstäter", Musikfreaks,
die Ahnung von dem hatten, was sie machten.
magaScene: Was heute eher selten der Fall ist.
Schütz: Leider! Ich vermisse das. Auch wenn es meine
Kunden sind, über die ich jetzt schlecht rede. Aber mit deren
Einzelhandelspolitik bin ich wahrlich nicht zufrieden. Mit den Einsparungen
im Personalbereich und der Konzentration auf Chart-Acts wird die
kulturelle Vielfalt von Musik tot gemacht.
magaScene: Gab es Musikrichtungen, die bei Boots besonders
gefragt waren?
Schütz: Mit Aufkommen der Punk- und New Wave-Welle in
London 1977 haben wir diese Sachen importiert und verkauft wie blöde.
Und ein Geschäftspartner in Münster, der immer Urlaub
auf Jamaika machte, importierte von dort haufenweise Reggae-Sachen,
zum Teil die obskursten Geschichten, die aber groovten wie Sau.
Auch das verkaufte sich ohne Ende.
magaScene: Wie bist Du zu Deiner jetzigen Firma SPV gekommen?
Schütz: Damals arbeitete bei mir ein Mann namens Ulli
Scheibner. Er spielte bei der hannoverschen Punk-Band Rotzkotz,
die eine Platte aufgenommen hatte mit dem schönen Titel "Much
Funny". Ulli fragte mich, ob ich ihm helfen könne, die
Cover der 300er Auflage zu beschriften, seine Bandkumples hätten
da keinen Bock drauf. Wir haben dann mangels Alternativen mit Kartoffeldruck
"Rotzkotz" auf die 300 Cover gebracht. Diese erste Auflage
ging größtenteils im Boots-Laden weg. Bei der nächsten
Auflage habe ich angefangen, mir bekannte Plattenläden anzurufen
und ein Vertriebsnetz für Rotzkotz aufzubauen.
Da habe ich dann Blut geleckt, und die folgenden drei, vier Jahre,
in denen ich nicht unerheblichen Anteil am Erfolg der Neuen Deutschen
Welle hatte, waren meine Lehrzeit. Ich hatte bis dahin weder vom
Produzieren noch vom Vertreiben Ahnung. Zu Beginn dieser Lehrzeit
bin ich durch Deutschland gereist, habe fürs Metier wichtige
Leute besucht, Kontakte geknüpft. Ich habe zum Beispiel Hollow
Skais No Fun-Label vertrieben und u.a. 100.000 LPs Hansaplast verkauft.
Auch übernahm ich den Vertrieb des Schweizer Labels Swiss Wave.
Dann kam Ideal mit dem Hit "Deine blauen Augen" und 700.000
verkauften Platten. Ich habe damals einfach unglaublich viel gemacht.
magaScene: Und diese Vertriebsaktivitäten liefen
noch parallel zu den Boots-Plattenläden?
Schütz: Ja, aber es wurde einfach zu viel. Als mir dann
alles überm Kopf zusammenzubrechen drohte, musste ich eine
Entscheidung treffen. Ich entschied mich, bei den Boots Plattenläden
auszusteigen. Für mich war einfach klar, in welche Richtung
ich marschieren möchte. So habe ich also am 1.1.1984 meine
eigene Produktions- und Vertriebsfirma gegründet. Das, womit
sich die Firma beschäftigt, trägt sie auch im Namen, nämlich
Schallplatten Produktion und Vertrieb, kurz SPV.
magaScene: War Dein Weggang der Grund dafür, warum
Boots kurze Zeit später pleite ging?
Schütz: Das ist für mich eine ganz schwierige Frage.
Mein Weggang hat natürlich meine Freundschaft zu Wolfgang etwas
zerrüttet. Ich weiß, dass mein Ausstieg von seiner Seite
aus als Fahnenflucht gewertet worden ist. Vielleicht war es das
auch, ich weiß es nicht. Fakt war jedenfalls, dass Boots schon
eine One-Man-Show gewesen war und dass ich dann natürlich gefehlt
habe. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass meine Nachfolger
der Verantwortung nicht gewachsen waren - weil ich sie gar nicht
habe wachsen lassen. Das war mein Fehler.
magaScene: Mit SPV ging es aber relativ schnell voran?
Schütz: Mein Glück war, dass ich durch meine Einzelhandelserfahrungen
Anfang der 80er Jahre erkannt hatte, dass da was Neues im Underground
aus England und Amerika kommt. Hardrock und Heavy Metal waren zwar
keine neuen musikalischen "Erfindungen". Aber die eigentliche
Metal-Bewegung mit all ihren Attitüden fing erst Anfang der
80er richtig an. Wir haben damals die erste Exciter und andere Alben
aus Amerika importiert.
Ich erfuhr dann, dass es da jemand gäbe, der ein neues Label
aufgemacht hat. Mit diesem Typen traf ich mich und wir machten einen
Deal per Handschlag, der zehn Jahre hielt. Unter den ersten sechs
Alben, die er mir gab, war eine Platte, auf deren Cover ein Hammer,
eine Glasplatte und ein kleiner roter Fleck zu sehen war. Das Werk
nannte sich "Kill em all" und stammte von einer
Band, die damals kein Mensch kannte: Metallica.
magaScene: Was sich aber relativ schnell geändert
hat....
Schütz: Das ging sehr schnell. Im Sommer 1984 haben
wir Metallica wie geschnitten Brot verkauft. Das zweite Album der
Band, das im Februar 1985 erschien, brauchte keine zwei Wochen,
um in die Charts zu gelangen. Damit und mit Signings von Bands wie
Slayer und Manowar hat sich auch das Metal-Image von SPV geprägt
und dauert bis heute an. Ich habe dieses Image auch stets gepflegt.
Es gab immer wieder Skeptiker, die mich fragten, wie lange denn
Metal noch laufen würde. Was für eine blöde Frage!
Metal wird nie sterben, genauso wenig wie Reggae oder Jazz. Mal
verkauft man mehr, mal weniger, aber Musikarten sterben nicht aus.
magaScene: Mittlerweile dürfte es doch keine Metal-Band
geben, die SPV nicht betreut hat?
Schütz: Ja, bis auf die Scorpions und Iron Maiden. Wir
hatten zum Beispiel die ganze deutsche Metal-Garde wie Helloween,
Running Wild und Sodom. Und auch diese Bands sind abgegangen wie
Schmidts Katze.
magaScene: Bei all diesen Erfolgen, gab es denn keine
Flops, keine Pannen?
Schütz: Doch, natürlich. Wir saßen damals
in der Osterstraße direkt neben Frank Bornemanns Horus Studio,
hatten 100 qm Büro, 100 qm Lager - real independent. Wir waren
wild und verrückt und haben unglaublich viele Fehler gemacht,
aber wir haben auch unglaublich viel bewegt.
magaScene: Trotz des Metal-Images hat sich SPV anderen
Sparten nie verschlossen.
Schütz: Richtig. Da waren zum Beispiel jene Leute aus
Belgien, die so Electro-Sachen machten, die bis dahin keiner richtig
kannte. Mit diesen Jungs habe ich einen Vertrag gemacht. Ein halbes
Jahr später hatte diese Band, mit Namen Front 242, wir über
100.000 Alben verkauft. Damit nahm die EBM-Bewegung ihren Anfang.
Apropos: Auch wenn es mir heute niemand mehr glaubt, aber der Begriff
EBM, also Electric Body Music, ist eine Wortschöpfung von mir...
magaScene: ...nein!
Schütz: (lacht) Doch, das ist so. Es war 1986, es ging
darum, all die belgischen Electro-Bands zu pushen. Meine Idee war
schließlich, einen Sampler zu machen, für wenig Geld,
mit viel Musik und mit fettem Booklet, für jede Band eine Seite.
Was noch fehlte, war ein Name für den Sampler. Electric Music
war es irgendwie nicht, dann fiel mir der Front 242-Song "Body
Music" ein und die Bezeichnung Electric Body Musicwar geboren.
Der Sampler hieß schließlich "This Is Electric
Body Music (EBM)". Ein anderes Metal-fremdes Thema, dem ich
mich widmete, war der Independent-Bereich. Auf dem Label Rebel Records,
das ich mit Dieter Hegemann machte, kamen Sachen raus wie die Serious
Drinkers. Hat sich zwar alles schwach verkauft, aber egal, es machte
Spaß.
Und dann gab es auch die ersten Ausflüge in die Popwelt. Ich
erhielt eine Single, auf der der deutsche Synchronsprecher des Muppet-Stars
Kermit erklärte, was das Schönste ist, was Füße
tun können, nämlich tanzen. Wir haben mit diesem Projekt
Platin-Status erreicht, also 500.000 Singles verkauft.
magaScene: SPV verkauft nicht nur in Deutschland, sondern
Ihr seid in ganz Europa gut im Geschäft.
Schütz: Im Grunde fingen die Europa-Aktivitäten
mit unserem Amerika-Engagement an, ein einschneidendes Erlebnis.
Ich habe 1988 in den USA eine Firma gegründet und wäre
damit fast pleite gegangen. Ich habe jeden Fehler gemacht, den ein
unwissender Hannoveraner, der Amerikanern erklären will, wie
man Platten verkauft, nur machen konnte.
Wir sagten uns dann: "Vergessen wir Amerika, konzentrieren
wir uns auf den größten Markt, Europa." So haben
wir Anfang der 90er begonnen, ein europäisches Netzwerk aufzubauen.
Dieses Netzwerk ist heute das bestfunktionierendste Independent-Netzwerk,
das es in Europa gibt. Wir haben mindestens einen festen Partner
in jedem europäischem Land, inklusive Littauen, Lettland, Estland
und Russland. Mithalten können da nur unsere Mitbewerber Nuclear
Blast und Sanctuary.
magaScene: Was unterscheidet Euch dabei von den Major
Companies?
Schütz: Der große Unterschied ist, dass die Major
Companies zwar weltweite Verträge mit ihren Künstlern
machen, diese dann aber am ausgestreckten Arm verhungern lassen,
indem sie nicht weltweit veröffentlichen. Ich hingegen habe
Partner, fast ausschließlich reine Vertriebsfirmen, die veröffentlichen
müssen, ansonsten bekommen sie Schwierigkeiten mit ihrem wichtigsten
Lieferant, nämlich SPV.
magaScene: Das SPV-Geschäftsprinzip fußt auf
eigenem Repertoire und auf den Vertrieb von Produkten anderer. Für
wie viele Labels seid ihr Vertriebspartner?
Schütz: Es sind ungefähr 30 Labels, wobei wir momentan
die Zahl verkleinern, weil wir die Verantwortung für sehr große
Kataloge übernommen haben. Zum einen Repertoire Records, einen
der größten und professionellsten Back-Kataloge, also
Oldies. Das sind ingesamt 700 Titel, um die wir uns kümmern
müssen, zum Beispiel die kompletten Werke von Procol Harum
und Alvin Lee. Zum anderen seit 1.1. diesen Jahres der Hörverlag
mit einem Katalog von 560 Hörbüchern, inklusive Harry
Potter und Herr der Ringe. Auch um diese 560 Titel müssen wir
uns kümmern.
magaScene: Wie beurteilst Du die aktuelle Entwicklung
bei den Major Companies? Bertelsmann und Sony wollen fusionieren,
berührt das Euer Geschäftsfeld?
Schütz: Wie andere Independent-Firmen auch, ist SPV
von der EU-Wettbewerbsbehörde angeschrieben worden, wie denn
unsere Meinung zu dieser Fusion sei. Einige Kollegen stehen dem
Zusammenschluss kritisch gegenüber. Sie befürchten, wenn
es nur noch vier Major Companies gibt, könnten die großen
Outlets wie Media Markt auf die Idee kommen, ihre Einkaufsabteilungen
einzusparen und sich nur noch von diesen vier Majors beliefern zu
lassen. Ich habe diese Befürchtungen nicht, denn die Marschrichtung
beispielsweise des Majors Universal sieht so aus: Alle nationalen
Künstler, die weniger als 50.000 Tonträger verkaufen,
werden fallen gelassen. Zudem werden die Etats nationaler Signings
um 66 Prozent zugunsten internationaler Top-Künstler gekürzt.
Und bei Sony oder Warner sieht es nicht anders aus. Diese Geschäftspolitik
ist übrigens der Grund, warum so arrivierte Leute wie Tim Renner
von Universal das Handtuch geworfen haben, und es ist auch einer
der Gründe, weshalb Thomas Stein die BMG verlässt.
Für uns unabhängige Firmen bedeutet das, vom reich gedeckten
Gabentisch der Majors fallen sehr viele Acts ab, die wir aufbauen
können. Das ist also nicht der Untergang, sondern die Lebensrettung
der Independent-Firmen.
magaScene: Ist das Geschäftsgebaren der großen
Firmen Ausdruck der Krise, in der sich die gesamte Branche befindet?
Schütz: Die Krise ist da, keine Frage, da kann man nichts
schön reden. Und die Lethargie der Major Companies, deren riesiger
Personalabbau in den letzten Jahren sind natürlich Folgen dieser
Krise.
magaScene: Die Krise wurde nicht zuletzt aufgrund von
massenhaften Raubkopien ausgelöst.
Schütz: Copy kills music, das steht außer Frage.
Aber wen interessierts? Man stelle sich vor, in der "Computer-Bild"
würde ein großer Artikel erscheinen "Wie knacke
ich die Wegfahrsperren von Mercedes Benz und BMW?". Dann würde
unser Bundeskanzler in den Abendnachrichten die Grundfeste unserer
demokratischen sozialmarktwirtschaftlichen Ordnung erschüttert
sehen. So ein Beitrag steht in der "Computer-Bild" nicht,
dafür aber ein 16-seitiger Artikel "Wie knacke ich den
Kopier-Schutz von CDs?". Das jedoch regt niemanden auf, wir
haben nicht einmal eine gesetzliche Handhabe dagegen.
magaScene: Hat sich mit dem Wandel bei den großen
Firmen auch das Vertriebsnetz geändert? Früher wirst Du
sicherlich mehr Ansprechpartner gehabt haben als heute.
Schütz: Früher waren es rund 3000, die sind fast
alle weg. Mit Media Markt/Saturn gibt es nur noch ein großes
dezentrales Outlet. Und die Qualität der Abteilungen zeigt,
dass das Konzept richtig ist. Ohne nun gegen meinen hoch geschätzten
Kunden Karstadt etwas Schlechtes sagen zu wollen, aber der Zustand
deren WOM-Filialen kann einem schon Sorge bereiten. Als Brinkmann
zentralisiert worden ist, durften wir sie nicht mehr beliefern.
Das Ergebnis hat man gesehen. Bis dahin waren einzelne Abteilungen
wie die in Bremen phantastisch sortiert. Der Einzelhandel ist so
gut wie tot. Zwischen Hamburg und Hannover zum Beispiel gibt es
nicht einen Plattenladen. Das sind aber 150 Kilometer, wo Menschen
leben...
magaScene: ...die dann via Internet kaufen?
Schütz: Sicher auch das, die Entwicklung jedenfalls
bei amazon.de ist Wahnsinn. Ein kleines Beispiel: Das Album "Reheatet"
von Canned Heat verkauft sich bundesweit bei rund 2000 Verkaufsstellen
32 Mal im Jahr. Bei amazon.de, einer Verkaufsstelle, gehen 300 Stück
jedes Jahr weg. Warum? Weil es das Album dort gibt, mit Empfehlungen
usw. Im Handel hast du das nicht, dort wird das Album überhaupt
nicht geführt; die 32 Stück sind lediglich Kundenbestellungen.
magaScene: WOMhatte anfangs eine wunderbare Auswahl. Es
hieß dann aber, das würde sich nicht rentieren, die Preise
wären nicht zu halten.
Schütz: Das sehe ich anders. Fakt ist, dass die Firma
Karstadt die Entscheidung getroffen hat, die WOM-Filialen zu zentralisieren.
Das heißt, die Leute in den einzelnen Läden durften nicht
mehr einkaufen. Für einen im Handel tätigen Musikfreak
ist aber der Einkauf die halbe Miete. Und wenn man ihm diese Freiheit
nimmt, verkauft er weit weniger engagiert. Das kann man in etwa
vergleichen mit radio ffn. Zunächst waren da noch Musikfreaks
am Werk, war das Programm sehr spannend. Dann hieß die Devise
"Formatradio", und die engagierten Leute sind gegangen.
Ich kenne heute keinen vernünftigen Menschen mehr, der auch
nur auf die Idee käme, radio ffn zu hören.
magaScene: SPV hat mit den radio ffn-Samplern aber gute
Geschäfte gemacht...
Schütz: Richtig, das war zu Zeiten, als man ffn noch
hören konnte, als es dort noch musikalische Vielfalt gab. Diese
Sampler - "Nightline", "Powerstation" und "Baseline"
- haben wir lediglich regional vertrieben und trotzdem bis zu 40.000
Stück pro Titel verkauft.
magaScene: Wäre so ein Sampler heute noch möglich?
Schütz: Schon aus Vertriebsgründen nicht. Wegen
des fehlenden Einzelhandels und wegen des zentralen Einkaufs der
meisten Ketten. Versuch mal, bei Karstadt Essen jemandem klar zu
machen, er solle ein regionales Produkt aus Niedersachsen einkaufen.
magaScene: Entsprechend schwer wird es dann auch sein,
noch unbekannte Bands zu vertreiben.
Schütz: Natürlich. Unter der niveaulosen Radiolandschaft
einerseits und der fehlenden Infrastruktur im Einzelhandel anderseits
leidet die Kulturvielfalt und auch die Aufbaumöglichkeit für
Nachwuchs-Bands. Ich kann keine regionale Aufbauarbeit mehr leisten.
Das ist ein sehr großes Problem.
magaScene: Diese Entwicklungen sind aber doch seit bestimmt
zehn Jahren vorhersehbar.
Schütz: Natürlich waren diese Entwicklungen absehbar.
Aber 80 Prozent des gesamten Tonträger-Umsatzes werden von
den Major Companies gemacht, die geführt werden von Eigentümern
in London und New York - auch die eigentlich deutsche Firma Bertelsmann.
Und die Interessenlage der Headquarters ist, den ehemals drittgrößten
Tonträgermarkt der Welt zu melken. Der Auftrag lautete, möglichst
dicke Umsätze zu machen. Und dicke Umsätze machst du,
wenn du bei großen Outlets zu günstigen Preisen die richtigen
Tonnen ablädst. Die Industrie hat also den Konzentrationsprozess
im Handel gefördert. Wir mittelständischen Independent-Anbieter
haben das kommen sehen, konnten da aber nicht gegensteuern, das
war vollkommen aussichtslos.
magaScene: Hat der rückläufige Tonträger-Verkauf,
abgesehen von den massenhaften nicht lizenzierten Kopien, auch damit
zu tun, dass Musik heute nicht mehr die Wichtigkeit hat wie früher?
Schütz: Musik wird nie sterben. Musik wird immer ein
wesentlicher Bestandteil der menschlichen Sozialisation bleiben.
Der Unterschied zu früher ist das heute viel größere
Unterhaltungsangebot. Als ich groß geworden bin, gab es die
Wahl zwischen RocknRoll und Fußballspielen. Wenn
ich heute sehe, was meine 16-jährige Tochter im Internet ausgibt,
wie hoch ihre Telefonrechnung ist, was sie für Marken-Klamotten
zahlt, was sie für Kinokarten hinblättern muss und wenn
ich dann noch mitbekomme, dass eine Karte für ein Deep Purple-Konzert
60 Euro kostet, muss ich mich nicht mehr wundern, dass der Tonträger-Verkauf
im Vergleich zu früher deutlich zurückgegangen ist. Das
Freizeitangebot ist größer geworden, der zu verteilende
Kuchen aber nicht.
magaScene: Es wird oft auch der zu hohe CD-Preis als Grund
für sinkende Absatzzahlen genannt und auch als Rechtfertigung
für illegales Kopieren genannt. Ist die Kritik berechtigt?
Schütz: Meine ersten Langspielplatten habe ich für
22 Mark pro Titel gekauft. Später war die gesetzliche Preisbindung
24 Mark, also in etwa 12 Euro. Heute kosten Neuerscheinungen zwischen
15 und 19 Euro - an dem Preis liegt es meiner Meinung nach nicht,
dass die Verkäufe rückläufig sind. Zudem gibt es
ja auch ein riesiges Angebot von CDs für 9,99 Euro. Die Preisdiskussion
ist überhaupt erst entstanden, als einige Leute in der Branche
meinten, die Kalkulation einer CD bis ins kleinste Detail in der
Öffentlichkeit breit treten zu müssen. Das muss niemand
wissen. Ich weiß ja auch nicht, was ein bestimmtes Möbelstück
in der Produktion kostet; wenn es mir gefällt und ich es mir
leisten kann, dann kaufe ich es.
magaScene: Was kostet denn eine CD in der Herstellung?
Schütz: Für einen professionellen Anbieter wie
SPV kostet die reine Herstellung einer CD inklusive Booklet 50 Cent.
Das ist natürlich wenig im Vergleich zu unserem Abgabepreis
an den Handel, im Schnitt 8,50 Euro. Aber in diesen 50 Cent sind
natürlich die Kosten für Tonstudios, Produzenten, Marketing,
Promotion, Künstlervorschüsse und - bezogen auf SPV -
die Gehälter von 110 Mitarbeitern nicht enthalten. Da kommt
einiges zusammen. Gerade in den letzten zehn Jahren haben bekannte
Künstler bzw. deren Anwälte die Preise zum Teil irrwitzig
in die Höhe getrieben - ohne nennenswerten Widerstand der Major
Companies.
magaScene: Abschlüsse über viele Millionen Dollar
Vorschuss gehören aber doch der Vergangenheit an.
Schütz: Das ist heute vorbei. Mittlerweile sind die
Vorstellungen auf Seiten der Künstler und deren Anwälten
wesentlich moderater. So gesehen hat die Krise, in der sich die
Branche befindet, auch Vorteile. Die Preise kommen wieder auf ein
reelles Niveau runter. Ein wesentlicher Kostenfaktor ist aber dennoch
der Künstlervorschuss, der sich widerum auf eine Verkaufshoffnung
stützt. Wenn es nun die Hoffnung gibt, 100.000 Exemplare eines
Albums zu verkaufen, es aber nur 20.000 werden, habe ich eine Belastung
von fünf Euro pro CD. Und wenn es gar nur 10.000 Exemplare
werden, habe ich eine Belastung von 10 Euro pro CD - für die
ich vom Handel aber nur 8,50 Euro bekommen habe. Diese ganze Preisdiskussion
ist vollkommen irrsinnig, weil einfach das Produkt nicht zu niedrigeren
Preisen herzustellen ist. SPV hat seit rund zwölf Jahren die
gleichen Händlerabgabepreise für Neuveröffentlichungen.
Von Preissteigerungen kann da also nicht die Rede sein.
magaScene: SPV hat viele alte Rockrecken wie Peter Frampton
unter Vertrag. Was macht SPV so attraktiv für diese Acts? Euer
europaweites Vertriebsnetz?
Schütz: Absolut! Das ist ein wesentlicher Grund. Ein
Peter Frampton findet bei einer Major Company heute einfach nicht
mehr statt, soll heißen, wenn Peter Frampton bei einem Major
in England einen Vertrag bekomme hätte, wäre er in Frankreich
nicht mehr veröffentlicht worden. Egal, wie gut seine Musik
ist.
magaScene: Kommen denn Bands wie Journey oder Blue Öyster
Cult auf Euch zu?
Schütz: Ja, in der Regel ist das so. Das ist eben das
Ergebnis von 20 Jahren engagierter Arbeit. Wir haben ein gutes Image
in der Szene. Da kommt beispielsweise eine Anfrage von Neil Young,
der seit 1965 bislang alle seine Platten bei Warner veröffentlicht
hat. Nun wird SPV als Alternative gesehen.
magaScene: In der Boom-Phase des Neuen Marktes war SPV
ein recht begehrter Partner.
Schütz: Da sind viele Firmen auf uns zu gekommen. Ich
habe mit Kinowelt, mit Edel, mit VCL und anderen verhandelt, die
Interesse hatten, mit SPV zusammenzugehen. Schließlich habe
ich für die Inmotion entschieden...
magaScene: ...die den Crash des Neuen Marktes nicht unbeschadet
überstanden hat.
Schütz: Der Neue Markt ist aus einer ganzen Reihe von
Gründen kaputt gegangen, wobei die Banken die Hauptverantwortung
tragen, dafür juristisch aber leider nicht belangt worden sind.
Dazu kamen arbeitsscheue Glücksritter, die den Neuen Markt
zuhauf bevölkert haben. Es gab 1998 einen Spiegelartikel mit
dem bezeichnenden Titel "2 Milliarden Börsenwert, 12,8
Millionen Jahresumsatz". Dabei ging es um die Firma EM.tv,
deren Chefs sich ja mittlerweile vor Gericht verantworten müssen.
Letztlich war auch ich Leidtragender. Inmotion hat ihre vertraglichen
Verpflichtungen nicht erfüllt. Deswegen sind deren Anteile
an SPV Anfang des Jahres zum größten Teil auch wieder
auf mich übergegangen.
magaScene: Hast Du bei dem Deal mit Inmotion eher verloren
oder eher gewonnen?
Schütz: Ich kann über die Inmotion nicht nur schlecht
sprechen. Durch sie haben wir Xavier Naidoo bekommen, einen der
qualitativ besten deutschen Künstler. Und Xavier ist der Künstler
in Deutschland, der nach Grönemeyer am meisten verkauft. Dieser
Deal kam einem Ritterschlag gleich. Wir konnten beweisen, dass wir
in der Lage sind, für einen hochkarätigen Künstler
einen professionellen Job zu leisten. Ohne die Inmotion hätte
ich diesen Deal finanziell allerdings nicht stemmen können.
Insofern hat mir die Inmotion-Geschichte auch Vorteile gebracht.
magaScene: Wie hast Du Fury In The Slaughterhouse zu SPV
zurückgeholt?
Schütz: Ich habe den Jungs gesagt: "Ich kann kein
Instrument spielen. Ich kann keine Noten lesen. Ich kann aber gut
Zahlen lesen. Und ich habe mir die Zahlen angeschaut, die wir mit
den sieben gemeinsamen Studioalben erzielt haben. Ich rate euch
sehr dazu, back to the roots zu gehen." Die Band ist dann ja
auch tatsächlich zurückgekommen. Darüber freue ich
mich sehr. Und das neue Album hört sich sehr gut an, wenn auch
sicherlich kein großer Single-Hit dabei ist. Macht aber nichts,
wir haben zwei Millionen Fury-Alben verkauft ohne einen echten Single-Hit,
auch wenn heute noch jede Radiostation Songs wie "Time To Wonder"
oder "Radio Orchid" spielt.
magaScene: Mit welchen Verkaufszahlen rechnest Du für
das neue Fury-Album?
Schütz: Die Zeiten, in denen wir wie bei Furys "Mono"
440.000 Exemplare verkaufen, sind vorbei. Mir scheint ein Verkauf
von 60.000 bis 120.000 Exemplaren realistisch.
magaScene: Deutschlandweit oder europaweit?
Schütz: Fury hat leider nur in Deutschland, Österreich
und Schweiz einen gewissen Stellenwert. Die Verantwort international
für Fury hatte die BMG - das Ergebnis sieht man.
magaScene: Was wurde da falsch gemacht?
Schütz: In erster Linie wurden von mir die internen
Strukturen der Majors falsch eingeschätzt. Man darf micht davon
ausgehen, dass beispielsweise BMG Frankreich auch wirklich einen
deutschen Künstler veröffentlicht, obwohl sie dazu eigentlich
aufgrund bestimmter Verträge verpflichtet sind.
magaScene: Auch das Abenteuer "Fury USA" ist
gescheitert...
Schütz: Nein, ist es nicht. "Mono", das erste
in den USA veröffentliche Fury-Album, hat dort 95.000 Exemplare
verkauft. Das ist für einen Newcomer, auch in Amerika, eine
enorme Zahl. Beim Nachfolge-Album "The Hearing And The Sense
Of Balance" hatte die Belegschaft der dortigen Plattenfirma
komplett gewechselt. Es gab plötzlich keinerlei Unterstützung
mehr, also ging das Album komplett unter.
magaScene: Dagegen ist ja kein Künstler gefeit.
Schütz: Das stimmt. Andererseits: Wer bei einem Major
unterschreibt, ist selbst schuld. Diese mangelnde Kontinuität
bei den Major Companies ist für die Künstler eine einzige
Katastrophe. Jetzt haben die Scorpions bei BMG unterschrieben, ein
persönliches Signing von Thomas Stein. Der ist plötzlich
aber nicht mehr da. Und ob sein Nachfolger mit besonderem Engagement
einen Deal seines Vorgängers angehen wird, wage ich zu bezweifeln.
magaScene: Begreifen die großen Firmen nicht, dass
ihnen diese Arbeitsweise eher schadet?
Schütz: Das weiß ich nicht, das müsst Ihr
die Majors fragen. Ich will mich ja auch nicht beschweren, die Fehler
der Majors sind die Überlebungschance der kleinen Firmen wie
SPV. Oder anders ausgedrückt: Ich kann zurzeit alle Künstler
bekommen. Die einzige Grenze, die mir da gesetzt ist, sind die finanziellen
Mittel.
magaScene: Von welchem Künstler träumst Du?
Wen möchtest Du gerne noch unter Vertrag nehmen?
Schütz: Ich möchte keine Namen nennen. Es ist auch
nicht so, dass SPV nun zwangsläufig alle Acts unter Vertrag
nimmt, die in den 60ern, 70ern oder 80ern erfolgreich waren. Wenn
ein Künstler wie Peter Frampton zu mir kommt, muss er mich
vor allem mit seinem aktuellen Album überzeugen, weniger mit
seiner Vita.
magaScene: Welche lokale Band würdest Du gerne fördern?
Schütz: Eine Band, die mir am Herzen liegt, ist Spice.
Sie haben jetzt ein sehr gutes Album abgeliefert, das bei SPV erscheinen
wird. Und obwohl die Band eigentlich aufgelöst ist, haben sie
noch vier neue Tracks abgeliefert, von denen einer richtig klasse
ist und zwei weitere sehr gut sind. Spice ist eine Band, für
die ich mich gerne auch noch mal persönlich einsetzen würde.
magaScene: Auf welches SPV-Produkt können wir uns
demnächst besonders freuen?
Schütz: Auf das neue Album von Mousse-T., der nun bei
uns unter Vertrag ist. Das ist ein sensationelles Werk! Die neue
Single, die am 16.2. erscheint, wird mit Sicherheit in die Top 3
gehen. Über diesen Deal bin ich wirklich sehr glücklich!
© Stroetmann Verlag, Februar 2004
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