LABELSTORY: WHAT'S SO FUNNY ABOUT

Foto: Christian Bruch

URGESTEIN
Alfred Hilsberg ist ein Mann, dessen habituelle Zerknautschtheit als charmant bezeichnet werden kann. Der in Würde gealterte Indie-Nestor, Gründer und Leiter des Labels What's So Funny About, gehört zum Urgestein der Hamburger Szene.

SEINE Firma laviert er seit den späten siebziger Jahren unerschütterlich am Bankrott vorbei: Die Moden verschwinden, Hilsberg bleibt. Obwohl er Uneingeweihten gegenüber mit einer knarzigen Griesgrämigkeit zum Selbstschutz auftritt, ist er in Wahrheit ein hellwacher Idealist, der an der Avantgarde-Rockmusik überhaupt und an seinen Bands besonders hängt. Schwarze Jeans und schwarzes Jackett sind Berufskleidung und Erkennungszeichen zugleich - Hilsberg trägt niemals etwas anderes. Noch vor kurzem spöttelten Branchenkenner, der Label-Chef erledige seine Geschäfte vom heimischen Bett aus - doch neuerdings sei Hilsberg "sehr straight" geworden und schon mittags im Büro zu erreichen.

What's So Funny About residiert gemeinsam mit dem konzeptionell verwandten Label Strange Ways im höchsten Stockwerk eines Altbaus, nah beim Hamburger Rathaus. Im Parterre wird Tropenbekleidung verkauft und in den oberen Räumlichkeiten exotische Musik: "Mainstream" ist hier ein Begriff, dessen bloße Erwähnung Heiterkeit auslöst. Womöglich konnte Alfred Hilsberg im letzten Jahr seine Müdigkeit überwinden, als er mit den Alben "Ich-Maschine von BLUMFELD und "Reformhölle" von CPT. KIRK &. zwei Werke veröffentlichen konnte, die von der Kritik einhellig gefeiert wurden. Während "Reformhölle" allerdings nur bescheiden verkauft wurde, konnten von "Ich-Maschine mehr als 10 000 Exemplare abgesetzt werden - ein Triumph für die Label-Politik. Jochen Diestelmeyer, der furiose Feuerkopf und Lyriker von BLUMFELD, hält Hilsberg trotz lukrativer Industrie-Angebote die Treue - er will das System mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen. Jeder Bericht in der "Bravo" ist ein gewonnenes Gefecht gegen das Gesamtrocktrotteltum.

Gefragt nach den Anfängen seiner Arbeit, reagiert Hilsberg mit komischer Verzweiflung: "Oh, Gott!" stöhnt er fassungslos, denn er ist immer in Eile. Sein Mitarbeiter Thies Mynther, der mit der großartigen Band DIE ALLWISSENDE BILLARDKUGEL gerade sein glänzendes Debüt-Album " Polaroids aus Amnesia" bei What's So Funny About veröffentlicht hat, schneidet derweil Presse-Artikel aus und bedient geduldig das Telefon. Außerdem wird die neue GUN CLUB-CD erwartet. Hilsberg hebt nun schicksalsergeben an: "Das begann Ende der Siebziger, als sich in Deutschland eine Szene aufgrund der Punk-Geschichte entwickelte. Es gab zwar vor allem unsägliche Punk-Truppen, die englische Bands imitierten - daneben aber auch einige Gruppen, die den Punk als etwas Kreatives verstanden und dadurch zur eigenen Äußerung motiviert wurden. Das waren 16jährige Kids, die in Wohnzimmer oder Garage mit einfach strukturierter Musik experimentieren. Ich lernte ein paar dieser Leute kennen und schrieb damals im ‚Sounds' darüber, hatte aber noch nicht die Idee für ein Label. Dann begann es auch in Hamburg mit Band ABWÄRTS und GEISTERFAHRER - nur gab es kein Label dafür. Ich bot dem Label No Fun in Hannover an, eine Filiale zu gründen - und als das abgelehnt wurde, ergriff ich mit einem Freund die Initiative. Wir hatten keine Ahnung vom Geschäft." Hilsberg amüsiert sich über die Vorstellung. "Wir bekamen die Bänder von den Gruppen, gingen zu einer Firma und ließen Platten herstellen. Nach vier Wochen hatten wir die fertigen Produkte, und die verkauften wir dann. Sie fanden reißenden Absatz. Das hat uns auch überrascht. Nach einem halben Jahr waren wir dick im Geschäft. sozusagen. Das Medieninteresse war riesig: Die Leute kamen auf uns zu. Es gab eine lebendige Szene, die alles aufsog, was aus dem Untergrund kam."

Those were the days. Dann kam die Neue Deutsche Welle, und Hilsbergs Label, unvermutet im Trend, verlor einige Bands an die Industrie. "Aber die haben dort auch nicht mehr verkauft als bei uns", freut er sich. "Wir machten weiter nach dem Motto: Jeder kann eine Platte machen. Beinahe jede Woche erschien ein Album. Das böse Erwachen kam, als wir zu spät merkten, daß die Industrie auf einen Vermarktungszug aufgesprungen war und aus irgendwelchen Studios irgendwelche Fuzzis herausholte, die diese fröhliche Kommerzmucke machten. Irgendwann wollte keiner mehr deutsche Texte hören. Darunter litten auch wir mit unserem experimentellen Programm."

Die Krise begann: "Wir standen", so Hilsberg, "vor einem Scherbenhaufen und hatten nur Schulden. Die Vertriebsfirmen verspekulierten sich - und dann kam ich glücklicherweise zu EFA. Die haben mich bis heute gestützt, obwohl es wirtschaftlich alles andere als rosig war und ist. Dennoch: Ohne EFA wäre vieles nicht zustandegekommen." Schon früh veröffentlichte Hilsberg die Platten des späteren Kult-Labels SST, auf dem die Meisterwerke von HÜSKER DÜ und DINOSAUR JR erschienen. "1984 brachten wir zum Beispiel die erste LP von Henry Rollins heraus", erinnert sich Hilsberg. Wichtiger als die Spaßmusik sei ihm immer das gewesen. was als "politisch korrekt" gelten kann, wie er mit ordentlicher Ironie anmerkt.

Heute thront WHAT'S SO FUNNY ABOUT im Zentrum der produktiven Hamburger Szene. "Man könnte fragen: Warum gerade Hamburg? Hat es etwas mit der Stadt zu tun, mit den Leuten, den Lebensverhältnissen, einer intellektuellen Attitüde, mit Studium oder Politik? Ich weiß es nicht. Hamburg ist nicht gerade die Kulturstadt schlechthin." Auch BILLARDKUGEL-Sänger Mynther kann die Frage nicht beantworten: Es gebe keine homogene Szene, und mit BLUMFELD kommuniziere er eher beiläufig, weil man halt dieselben Kneipen besuche. Er sei, sagt Mynther scherzhaft, aus dem Ruhrgebiet zu Hilsberg "berufen" worden. Als Musiker in eigener Sache und Keyboarder bei der REGIERUNG könnte er nicht genug Geld verdienen - die Büroarbeit finanziert die Kunst.

"Die meisten Gruppen sind nicht so angelegt, daß sie damit Geld verdienen wollen oder müssen", erläutert Hilsberg. "Es sind eher Freizeitbands - was ja auch oft beklagt wird. Wenn es Sinn haben soll, dann müssen die Gruppen zu hundert Prozent dabei sein. Ich bin da sehr vorsichtig geworden: Wir müssen heute viel professioneller arbeiten als früher." Immerhin erfährt das Label wohlwollende Unterstützung von großen Teilen der Szene- und Musikpresse - bisweilen sei die Verbindung "inzestuös", so Hilsberg. Doch das Engagement für WHAT'S SO FUNNY ABOUT ist berechtigt, denn Hilsberg veröffentlicht niemals Schrott. Der böswilligen Unterstellung, er habe einen Hang zum Gruftrock, wirkte er mit der Verpflichtung von BLUMFELD, CPT. KIRK &. sowie der BILLARDKUGEL entgegen. Seit Jahren betreut er den GUN CLUB in Deutschland - "auch deshalb, weil ich mit Jeffrey Lee Pierce befreundet bin".

Nach der Trennung vom unüberschaubaren EFA-Vertrieb zu Beginn des Jahres geriet das Label neuerlich ins Chaos: Der löbliche Klein-Vertrieb Indiego, ansässig in Hamburg, kämpft erwartungsgemäß mit Startschwierigkeiten. Gleichwohl geht Hilsberg in die Offensive: Frühe Alben von CPT. KIRK &. und dem GUN CLUB werden wiederveröffentlicht, ein neues Werk von MUTTER - Lieblingsgruppe des Label-Vorstehers - ist vollendet. Und das nächste Album von BLUMFELD wird die Charts sprengen.

Arne Willander
aus INDIECATOR 4/93

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