Nur eine Diskografie ohne begleitenden Text ins Netz zu stellen finde ich doof, daher ein paar einleitende Worte zu Stina Nordenstam - obwohl sie (die einleitenden Worte, nicht Stina) möglicherweise das Thema verfehlen. Anyway, ich mag Coverversionen. Nicht einfach nur Stücke nachgespielt, sondern interpretiert, um nicht zu sagen durch die Mangel gedreht. Der Klassiker in dieser Richtung ist immer noch "Satisfaction" von Devo, dass von den Rolling Stones so weit entfernt ist wie New Wave eben von den 60er Jahren entfernt sein kann (ähm, okay lassen wir mal Blondie außen vor). Das Stück ist fast nicht wiederzuerkennen und trotzdem ein Türöffner für die/den ZuhörerIn. Weil wer das Original kennt und dann die Devo-Version hört, aus den Unterschieden kennzeichnende Stilmerkmale und musikalische Prinzipien von Devo erschließen und dadurch einen besseren Zugang zu deren eigen Stücken finden kann (By the way: es gibt einen wundervollen Devo-Tribute-Sampler namens "Devotees", erschienen bereits 1979, mit lustigen Coverversionen von Devo-Stücken, aber auch Musik inspiriert von Devo, so die Bakersfield Boogie Boys mit "Okie From Muskogee" - und 1991 haben Claw Hammer komplett die erste Devo-LP "Q: Are We Not Men? A: We Are Devo!" gecovert und wunderbar punkrockig runtergeprügelt. Tja, Devo waren auf vielen Feldern die Ersten! Ich glaube, sie waren auch mit die erste New Wave-Band, von denen es Bootlegs gab...). Gleiches gilt auch für die Version von "Satisfaction" von den Residents, die zwar näher am Original bleibt, weil sie anders als Devo zumindest Teil der Original-Melodie übernimmt, den Song aber so brutal neu interpretiert, dass er ein Symbol für die Hassliebe der Residents zu den 60er Jahren wird. Ich bin mir im klaren darüber, das diese Gedanken für Jazz-Fans kalter Kaffee sind, aber hey, Rock'n'roll ist Musik der Arbeiterklasse und da dauert es eben ein bisschen länger, bis der Groschen fällt. Und manchmal fällt er auch gar nicht. Die Methode von Punk war es ja, alles waaahnsinnig schnell zu spielen, und so haben die Bands auch Coversongs mit 180 km/h durchgeprügelt. Das war am Anfang witzig, aber nach 25 Jahren ist das nur noch langweilig. Trotzdem wird es immer wieder gemacht und manche Bands bauen geradezu eine Karriere auf diesem faden Witz auf. Das gilt auch die techoisierten Coverversionen wie sie Scooter (aus Hannover - sorry, ich bitte um Vergebung, dass meine Heimatstadt neben den Scorpions noch so ein musikalisches Verbrechen auf die Welt losgelassen hat) serienweise fabrizieren. Den Song hochpitchen und einen Technobeat darrunterlegen - fantasieloser geht's nicht mehr. Ein Glück, dass die Komponisten als Schmerzensgeld wenigsten die GEMA-Gebühren kassieren dürfen. Andererseits, dass Jagger/Richards sich an "Satisfaction" von Devo wohl keine Goldene Nase, aber sich ein paar zusätzliche Versace-Anzüge verdient haben, finde ich irgendwie ungerecht, schließlich haben Devo den Song ja fast komplett abgerissen und neu aufgebaut. Genauso wie Stina Nordenstam mit "Sailing", dem alten Samenzieher von Rod Stewart (Gavin Sutherland hat schon genug Autos, was will er mit einem mehr?! Gleiches gilt für TAFKAP, die Doors und Boudleaux Bryant, falls der noch lebt. Tim Hardin ist schon tot (Drogen, 20 Jahre her), braucht also auch kein Geld mehr, Stephen Foster noch viel länger, Leonard Cohen lebt zwar noch, aber im Kloster und daher selbstgewählt notleidend.) umgeht. Oder mit "Purple Rain" von Prince. Und die anderen Songs von "People Are Strange", ihrer 4.CD, von 1998. Fast alles Cover-Versionen im Gegensatz zu ihren vorherigen 3 CDs und doch typische Stina Nordenstam-Songs, geradezu das Ergebnis einer logischen Entwicklung seit 1991. Okay, Zeit für eine kleine Biografie und etwas Promogesülze (Grüße an Tom in Leipzig an dieser Stelle ;-) ).Stina Nordenstam stammt aus Schweden. Geboren 1969 und in ihrer Jugend Mitglied der kommunistischen Jugend. Ihr Vater spielte Jazz und so begann sie, inspiriert von Glenn Gould und Artur Schnabel, Klavier und Violine zu lernen und eigene Stücke, sowie Interpretationen von Werken von Ravel, Satie und John Coltrane zu erarbeiten, später auch Werke zeitgenössischer Klassik zu singen. Mit 15 gründete sie ihre eigene Jazz-Kapelle, Stina & The Flippermen (mit Anders Persson, später Klavier auf "Memories Of A Color") und hatte ziemlichen Erfolg, so dass eine eigene Solokarriere nur natürlich erschien. Doch die war anders als erwartet. Mit iher ersten CD/LP erschuf Stina ein intimes, zerbrechliches Klangbild, das eine Zusammenarbeit mit dem englischen Label 4AD nahe gelegt hätte, welche aber for reasons unknown scheiterte. Ihre Stimme klingt kindlich, schwach (als Gegensatz zu kräftig wie z.B. - igitt - Alanis Morissette), aber doch präzise (also nicht dieses typisch englische Jungmädchen-Gehauche). Die Arbeit an ihrem Debüt "Memories Of A Color" von 1991 erschöpfte Stina emotional so sehr, dass erst 3 Jahre später das Nachfolgealbum "And She Closed Her Eyes" herauskam. Beide CDs sind Popmusik mit leichten Jazzeinflüssen, doch auf "And She Closed Her Eyes" finden sich eher düstere Texte (über Mord, Selbstmord, unglückliche Beziehungen), die so gar nicht zu der Musik passen wollen. Beide Platten verkauften sich gut, obwohl es keine Liveauftritte gab und auch kaum Interviews. Stina hat keine Interesse an Promotion und Verehrung. Ist ein Song aufgenommen, richtet sich ihr Blick sofort auf den nächsten. Stina schaut nicht zurück. Vergleiche mit Björk interessieren sie nicht. Hm, ich würde sie auch eher mit P.J. Harvey vergleichen wegen ihrem Ausbruch aus den Konventionen weiblicher Popmusikerinnen, oder vielleicht mit Nick Drakes "Pink Moon" in dem Kontrast von akustischer Gitarre und düsteren Texten. Im folgenden Jahr erhielt Stina das Angebot von Anton Fier, an der nächsten Veröffentlichung seines Projekts The Golden Palominos in New York mitzuarbeiten. Das Projekt scheiterte jedoch, sei es aus Fiers Unzufriedenheit mit dem Ergebnis, sei es aus künstlerischen oder persönlichen Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten, und so veröffentlichte Stina ihre Songs auf der eigenen EP "The Photographer's Wife" und nicht auf "Pure" der Golden Palominos.1996 erschien"Dynamite" und dokumentierte Stinas Hinwendung zu einem eher härteren, aber noch kargeren Indie-Sound (ein Song geht über die berüchtigte englische Kindsmörderin Mary Bell - "Mary Bell, child from hell", wie schon Throbbing Gristle sangen - ein anderer, "This Time, John", ist über einen 14jährigen Jungen, der von schwedischen Skinheads ertränkt wurde), fortgesetzt dann auf "People Are Strange", wo teilweise die Aufnahmen nicht im Studio, sondern in Wohnungen von Freunden entstehen. Ausgangspunkt war der Vorschlag eines Freundes, doch mal "Treat Me Nice" von Elvis zu singen, was Stina zuerst merkwürdig fand, weil sie Elvis garnicht interessierte. Doch die Idee lies sie nicht los - das Ergebnis ist auf einer limitierten CD in Japan erschienen - und so suchte sie sich weitere schlechte Hits, deren Texte unbewußt eine tiefere Wahrheit besitzen (das war vor Kevin Rowland und "My Beauty"). Stina findet, dass ihr die Arbeit mit fremden Songs größe Freiheiten gibt, was mich an ein Interview mit Björk erinnert, die sich ganz ähnlich über das Singen fremder Lieder äußert. Ich finde da ist viel Wahres dran, denn wenn ich ein fremdes Stück interpretiere, dann kennen es die ZuhörerInnen ja schon und ich bin nicht mehr im Zwang, der Melodie zu folgen, weil die denkt sich das Publikum ja mit. Im Prinzip hört das Publikum zwei Lieder gleichzeitig, das Original im Hinterkopf und gleichzeitig meine Interpretation - und die Differenz zwischen beiden Songs, das ist dann meine Botschaft. Aber wenn ich ein eigenes Stück spiele, dann kennen es die ZuhörerInnen ja noch nicht und so fehlt mir einfach die Möglichkeit, gleichzeitig mit zwei Interpretationen zu spielen (korrekt durchdacht muß ich allerdings hinzufügen, dass diese Methode nicht generell mit Coverversionen funktioniert, sondern eigentlich nur mit vorher dem Publikum bekannten Stücken, weshalb einE KünstlerIn das auch mit eigenen Hits machen kann, wobwi mir das als Beispiel nur ausgerechnet Bob Dylan einfällt, der auf der Doppel-LP "Live at Budokan" seine Hits in Reggae-Versionen anbietet, was damals für echte Straßenschlachten in der Musikpresse sorgte). Stina spielte auch mit der Idee, ein einziges Stück gleich in 12 verschiedenen Versionen aufzunehmen (sowas ähnliches hat mal die deutsche Punkband OH 87 in den 80ern auf einer EP gemacht, 1 Stück in 5 Versionen). Aber vielleicht ist "People Are Strange" eher eine Art Erholung von dem Kampf mit Stinas inneren Dämonen, den jeder eigene Song heraufbeschört. Deshalb die langen Pausen zwischen ihren Veröffentlichungen (Scott Walker, ick hör dir trapsen...)? Deshalb ihre Ausflüge in andere Ausdrucksmittel? 1997 veröffentlichte Stina 2 Bücher unter dem Titel "Dynamite": Band I: 'Explosives' und Band II: 'Desire'. Beide Bücher sind im Privatverlag erschienen und haben nur je eine Auflage von etwa 100 Exemplaren. 1998 veröffentlichte Stina Nordenstam im Expressen Dagbladet und in Dazed & Confused (Ausgabe 47, 11/98) jeweils impressionistische Photoserien, nachdem sie bereits im Jahr zuvor für die Band Koop das Cover der CD "Sons Of Koop" fotografiert hatte, sowie für den Song "Glömd" die Videoregie führte. Sie hat auch mit dem Fleshquartet, Yello und - schluck- Vangelis (er soll für Stina sogar seine Synthesizerarmee abgerüstet haben) zusammengearbeitet, sowie Text und Gesang zu dem Soundtrack des Films "Aberdeen" von Hans Petter Moland beigesteuert. Danach ist sie offenbar bei langen Spaziergängen an der Ostsee oder bei Entdeckungsreisen in Höhlen der Kindheit verloren gegangen, denn erst 2001 scheint eine neue CD. "This Is" entstand in Los Angeles (!), u.a. zusammen mit Marc Ribot, Tchad Blake und Brett Anderson von Suede und vereint die besten Elemente ihre bisherigen Veröffentlichungen. Stina tritt immer noch nicht live auf, aber sie macht eine Tournee durch englische Kinos, wo sie Videos zu jedem einzelnen Song zeigt. Und auf dem CD-Cover präsentiert sie sich mit Heiligenschein. Hmm...

Essay über Cover-Versionen und auch Stina Nordenstam... ... und ein Interview
Mehr über Stinas neuere... ... und ältere Platten

Stina Nordenstams eigene Site (die dritte Version; ihre erste Seite "A Walk In The Park" existiert nicht mehr, ihre zweite "StinaOnline" war bunter, aber genauso geizig mit den üblichen Promo-Infos (Diskografie? Fehlanzeige!), dafür mit merkwürdigen Geschichten über Einsamkeiten und Verlorengehen; was wieder die klassische Frage aufwirft: darf ich die Biografie der Akteure der Geschichten mit der Biografie der Autorin der Geschichten gleichsetzen? Egal, sie ist auch verschwunden, und die dritte Site ist auch am Verschwinden): Seek You Danger - weitere Fanseiten: stinanordenstam.net, Sometimes When It Rains (veraltet) und Stina Homepage (veraltet)
© 2000, 2004 by Martin Fuchs
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