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 Stina 
Nordenstam  Get On WIth Your Life [17.09.04]  Stina Nordenstam 
hat seit Jahren keine Interviews gegeben. Sie wollte nicht über sich selbst 
reden, über ihre schwierige Kindheit in einem Stockholmer Vorort, über 
fehlenden Halt, Einsamkeit, unerwiderte Liebe. Auch nicht über ihre Musik, 
die all dies doch ausführlich erklärt, die eigentlich genügend 
Puzzleteile liefert. Wieso sollte sie sich mit fremden Menschen konfrontieren, 
sich bohrenden Fragen stellen, wenn sie in ihren Liedern doch schon alles erzählt 
hatte? Nun spricht sie doch. Unfassbar leise, mit langen Pausen. Sie nimmt sich 
Zeit, Gedanken zu fassen, sie auszuformulieren oder einfach ausfransen zu lassen. 
"Get On With Your Life" heißt die erste Single ihres sechsten 
Albums. Programmatisch? Ja, sicher. Weitermachen, immer weitermachen. Trotz fehlender 
Bindung zur Welt. "Ich habe das Gefühl, nirgendwo hinzugehören", 
stellt sie fest. "Ich lerne aber, das zu akzeptieren. Früher habe ich 
darunter mehr gelitten als heute." 13 Jahre sind seit ihrem Debüt "Memories 
Of A Color" vergangen, dessen Veröffentlichung als Gewinn bei einem 
kleinen Talentwettbewerb gewunken hatte. Es folgten vier weitere Alben. Im Detail 
sehr unterschiedlich, im Resultat immer typisch: wunderbarste Melodien in einem 
musikalischen Umfeld, das achtlos hingeworfenes Gitarrenspiel mit subtilen wie 
komplexen Arrangements, mit orchestralem Wahnsinn verbindet. Durch Stina Nordenstams 
Musik zieht sich  neben ihrer zerbrechlichen, kindlich-erwachsenen Stimme 
- ein stilbildender Faden: Sie fängt kleine Momente ein und macht sie zum 
Mittelpunkt der Welt, bläst kleine Instrumente auf und lässt sie raumfüllend 
erscheinen. "Es ist meine Art, Dinge zu betrachten", sagt sie. Nicht 
die Totale zählt, eher der Ausschnitt, die selbst verordnete Kurzsichtigkeit. Ich 
habe gelesen, dass du jede Platte als Reaktion auf die vorherige betrachtest? 
Worauf hast du mit "The World Is Saved" reagiert?  Das lässt 
sich schwer benennen, es ist keine bewusste Entscheidung. Vielleicht kann ich 
das in ein paar Jahren, wenn ich zurückschaue, genauer sagen... Es ist mir 
wichtig, neue Dinge auszuprobieren, mit neuen Leuten zu arbeiten. Was den Aufnahmeprozess 
angeht: Ich habe diesmal mit kleinem Budget in Schweden aufgenommen. Für 
die letzte Platte war ich mit großem Budget in Amerika. Was Veränderungen 
betrifft: Die Arrangements scheinen noch komplexer geworden zu sein, die Grundstimmung 
hat eine leicht positive Tendenz. Ich weiß, letzteres behaupten die Leute 
zu jeder deiner neuen Platten, aber dieses Mal scheint es wirklich zu stimmen...  
Es gibt auch Leute, die die Stimmung betreffend genau das Gegenteil behaupten. 
Bei den Arbeiten an "This is" hatte ich zwei meinungsstarke Co-Produzenten 
[Mitchell Froom und Tchad Blake], die genau wussten was sie wollten. Dieses Mal 
habe ich alles alleine gemacht. Das hört man den Arrangements wohl an. Sie 
sind komplexer, weniger offensichtlich. Als ich die Platte das erste 
Mal gehört habe, war ich ganz sicher, Mitchell Froom hätte sie wieder 
produziert.  Ja? Er hat ja auch die beiden aufregenden Suzanne 
Vega-Alben gemacht: "99.9 F°" und "Nine Objects Of Desire".  
Deshalb wollte ich mit ihm arbeiten. Fühlst du dich Suzanne Vega 
als Künstlerin verbunden?  Ja klar. Es gibt nicht so viele Solo-Künstlerinnen. 
Björk, Suzanne Vega... Weil Mitchell Froom ja mit ihr verheiratet war, und 
wir bei den Arbeiten am letzten Album "This Is" immer zusammen mit dem 
Auto zum Studio gefahren sind, weiß ich eine ganze Menge persönlicher 
Dinge über Suzanne Vega. Ist Mitchell denn eigentlich noch mit Vonda Shephard 
zusammen? Weiß ich leider nicht. Wie war es denn, diesmal alleine 
zu produzieren?  Es war... anders. Es ist einerseits sehr frustrierend, 
mit Leuten wie Mitchell Froom zu arbeiten. Er ist sich mit allem so sicher. Andererseits 
fordert es einen heraus. Man muss sich klarmachen, was man will. Alleine zu arbeiten 
ist... eben anders. Der Plattentitel "The World Is Saved" klingt 
hoffungsvoll. Wer hat die Welt gerettet?  Hm... das ist eine sehr philosophische 
Frage. [Stina nimmt sich ganz gemächlich ein bisschen Snus und stopft es 
sich zwischen Zähne und Oberlippe. Es folgt ein kleiner Exkurs über 
die Vorteile rauchfreien Nikotingenusses]. Willst du auch was? Nein, 
vielen Dank. Ich habe mich gefragt, ob Plattenaufnahmen für dich sehr schwieirg 
sind. Ein innerer Kampf, der ausgefochten werden muss?  Nein, überhaupt 
nicht. Es ist eher wie ein mathematisches Rätsel. Man fügt verschiedene 
Teile zu einem großen zusammen, denkt sich "Das passt hier nicht, aber 
vielleicht dort". Es ist eine Trial-And-Error-Reise. Natürlich sind 
in diesem Prozess sehr viele Emotionen involviert, aber eben auch dieses mathematisch-analytische 
Denken. Du hast die allgemeingültige Formel aber noch nicht gefunden?  
Ich arbeite daran. Es ist allerdings so, dass ich manchmal auf meine Platten zurückblicke 
und denke "Dieser Song ist fast perfekt". Welcher denn?  
Kann ich nicht sagen. Dieses Gefühl verschwindet glücklicherweise meistens 
sehr schnell. Was treibt dich an?  Eine alternative Sprache zu 
erschaffen. Auf vielen verschiedenen Ebenen. Was Sprache an sich angeht, ist es 
ja so: Du machst den Fernseher an, wirst bombardiert mit Sprache und entwickelst 
die gleichen Assoziationen wie alle anderen Zuschauer. Manchmal versteht man aber 
auch gar nichts... In der Musik funktioniert Verständigung auf anderen Ebenen. 
Diese anderen Ebenen sind mir wichtig. Ist Musik für dich ein Weg, 
mit der Welt zu kommunizieren, oder die Welt auszusperren?  Das Ziel kann 
nicht sein, die Welt auszusperren. Um etwas zu kreieren muss man an der Welt teilnehmen. Sind 
dir Reaktionen wichtig? Von bestimmten Menschen?  Nein, sie verwirren mich 
eher. Mit Menschen, die mir nahestehen, rede ich nicht über Musik. Ich habe 
vielleicht zwei Freunde, die sich dafür interessieren. Manchmal trifft man 
Leute, von denen man denkt, dass sie einem mit ihrer Meinung weiterhelfen könnten. 
Aber das passiert nur sehr selten. Ich wäre bestimmt eine ganz andere Künstlerin, 
wenn ich live spielen würde, wenn ich sicher gehen wollte, dass ich richtig 
verstanden werde. Warum gibst du keine Konzerte?  Ich sehe es 
nicht als Teil dessen, was ich tue. Ich kann Platten aufnehmen. Live zu spielen 
ist eine ganz andere Art, oder überhaupt eine Form von Entertainment. Meine 
Platten zu reproduzieren wäre auch sehr schwierig. Und langweilig, für 
mich. Ich hatte mal kurz eine Band. Das war nicht schlecht, aber irgendwie nicht 
genug... Ich habe einige Sachen über dich gelesen... dass du eine 
schwierige und lieblose Kindheit hattest, dass du nach deiner ersten Platte auf 
einer Insel gelebt hast, dass du den Kontakt zu deiner Familie abgebrochen hast...  
Kann ich was zu deinem Interview sagen? Ja, gerne.  Das waren 
sehr viele Fragen auf einmal [Snus, die zweite]. Das war eigentlich noch 
gar nicht die Frage.  Ach, nur Feststellungen. Genau. Die Frage 
kommt jetzt: Hast du ganz grundsätzlich das Gefühl, nirgendwo hinzugehören?  
Ja, ganz sicher. Ich lerne aber, das zu akzeptieren. Früher habe ich darunter 
mehr gelitten als heute. Wenn man z.B. schwierige Familienbeziehungen hat, neigt 
man dazu, diese zu reproduzieren. Das ist eben so. Warum gibst du wieder 
Interviews?  Ich hatte meine Entscheidung satt, keine zu geben. Aber 
es macht dir keinen Spaß, oder?  Nein. Ich präsentiere mich 
nicht gerne. Was ich charakteristisch finde an deinen Platten , abgesehen 
von deiner Stimmen, ist eine bestimmte Atmosphäre... kleine Momente, kleine 
Instrumente einzufangen und diese sehr groß und raumfüllend erscheinen 
zu lassen.  Ich bin sehr kurzsichtig. Es ist meine Art, Dinge zu betrachten. 
Wenn ich z. B. mit meinem Ex-Freund unterwegs war und wir beide fotografiert haben... 
Wir haben beide die gleichen Sachen abgebildet, er in einer Totalen und ich in 
einem kleinen Ausschnitt. Im allgemeinen finden Menschen deine Stimme 
sehr kindlich. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Ich finde sie klingt unheimlich 
erwachsen.  Ich kann beides verstehen. Es ändert auch nichts, ich 
kann nicht anders singen. Ich bin, was meine Stimme angeht, ehrlich gesagt sehr 
frustriert. "Das soll jetzt immer so bleiben?" frage ich mich manchmal. 
Ich bin so limitiert. Aber auf eine sehr angenehme Weise, finde ich. 
Außerdem ist der Wiedererkennungswert sehr hoch.  Ich weiß 
schon, dass es Vorteile hat, speziell zu klingen. Frustrierend ist es trotzdem. 
Ich kann nichts verändern. Was, wenn ich mich verändern wollte? Man 
hat das ja mit vielen Sachen und muss sich irgendwann sagen: "So bin ich 
eben. Ich bin klein und witziger werde ich auch nicht mehr". Seine 
eigenen Grenzen zu erkennen, kann ja auch sehr hilfreich sein.  Ja, aber 
es ist auch frustrierend.    |