...gelesen...

Harald Martin
"Paul McCartney" (Deutscher Taschenbuch Verlag, 2006)

Wenn es nach der Zahl der Biographien geht, dann bestanden die Beatles zu 90% aus John Lennon, wohingegen George Harrison und Ringo Starr nie Mitglied der Band waren. Obwohl alle immer von dem Traumteam Lennon/McCartney sprechen wurde Paul McCartney lange Zeit biographisch nicht entsprechend gewürdigt, so dass er schließlich selbst eine Biographie von seinem Freund Miles schreiben lies. Das liegt vielleicht daran, dass sich Paulchen nach 1970 eher den Ruf eines Leichgewichts und Schnulzenheinis erworben hat - ob zu Rechts ist eine andere Frage. Harald Martin tritt nun nicht wirklich zur Ehrenrettung McCartneys an, vielmehr psychologisiert er kräftig und legt McCartneys Schattenseiten frei. Und besonders höflich sind seine Formulierungen auch nicht immer. Aber Martin geht systematisch vor und verzettelt sich nicht in einer langweiligen Chronik. Biographien, die sich an einer Zeitlinie entlang hangeln, bringen ja, wenn es nicht so richtig einschneidende Ereignisse im Leben des Portraitierten gibt oder dessen Lebensstil sich nicht wirklich vom Durchschnitt unterscheidet, kaum mehr als eine hübsche Anekdotensammlung zu Stande. Also setzt Martin thematische Schwerpunkte wie die verschiedenen Persönlichkeitsaspekte McCartneys (u.a. Drogen und Geiz), Weggefährten und musikalischer Schlingerkurs. Heraus kommt eine wilde Mischung aus Häme und Bewunderung, wie z.B. die häufig übersehene Bedeutung von McCartney als Innovator der Rolle des Bassisten in der Rockmusik. Dass McCartney immer einen starken musikalischen Widerpart braucht, um das Beste aus sich herauszuholen, ahnte man schon. Dass aber der Sunnyboy auch unter Leidensdruck richtig gut wird ist neu, wird aber von Martin glaubhaft belegt. Und zur Ehrenrettung teilt er uns mit, dass es nach den Beatles und ihren monumentalen Leistungen eigentlich nur bergab gehen konnte (was genauso auch für John, George und Ringo gilt) und sich McCartney dafür doch zeitweise ganz ordentlich geschlagen habe. Gerade die 2005er CD "Chaos and creation in the backyard" könne es mit "Band on the run" und den Beatles-Platten aufnehmen. Und überhaupt, wie könne jemand, der den Ruhm der Beatles durchlebt habe jemals wieder in die Realität zurückfinden?
(2008-08-08)

Alexander Osang
"Tamara Danz. Legenden" (Aufbau Taschenbuch Verlag, 2002)

Was sind Legenden? Laut Wikipedia sind es "Erzählungen über Begebenheiten, Leben und Tod von Personen, in erhöhender Weise". "Eine verbreitete Behauptung, Erzählung, die nicht belegt werden kann, oder grotesk übertrieben wirkt" ist meist eine "Urbane Legende". Irgendwie passt dieser Titel zu dem Buch, weil der Autor gar nicht vorgibt, Tamara Danz gut gekannt zu haben. Er beschreibt selbst seine Distanz zum künstlerischen Schaffen von Silly, der populären DDR-Rockband, deren Sängerin Danz war, und die eher geringen Kontakte. Kurz vor ihrem Tod im Sommer 2006 hat er ein mehrteiliges Telefoninterviews mit ihr geführt und später begonnen, mit Menschen aus ihrem Umfeld Gespräche über die Sängerin zu führen. Es ist also keine Biographie über Tamara Danz, sondern ein Buch darüber, wie sich andere Menschen an sie erinnern. Und diese Erinnerungen verraten vermutlich mehr über diese Menschen als über Tamara selbst. Alexander Osang ist von Haus aus Journalist und er ist ein sehr guter Beobachter, er beschreibt die Menschen und die Situationen, in denen er sie antrifft mit großer Aufrichtigkeit. Deshalb gleitet das Buch nie in die üblichen Schienen von Musikerbiografien ab. Es ist viel angenehmer zu lesen als wenn irgendein Fan oder Musikkritiker zur Feder gegriffen hätte. Und es tauchen Menschen darin auf, die wohl sonst übersehen worden wären wie z.B. die Ärztinnen, die Tamara an ihrem Lebensende begleitet haben. Dies sind sehr eindringliche Passagen, die weniger über Tamara Danz als mehr über den Umgang mit Krankheit und Tod im Allgemeinen aussagen. Markant ist auch das Gespräch mit Gregor Gisy, der bei der Beerdigung von Tamara die Rede gehalten hat. Osang beobachtet ihn und entdeckt, dass Gisy eigentlich nicht zuhört, sondern nur auf Stichworte wartet, an die er anknüpfen kann. Ob das der Charakter von Gisy ist oder ob dies seiner Tätigkeit als Politiker geschuldet ist sei dahin gestellt. Auch der damalige Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe, taucht auf, weil er zum Tod von Tamara eine Presseerklärung abgegeben hat, etwas, das bei Toten aus dem Kulturbereich ja eher selten ist - und das Gespräch mit ihm zeigt, wie der Politikbetrieb wirklich läuft, wie Politiker oft nur Sprachrohre der Notizen ihrer Referenten sind und deren Fassade zusammenfällt, wenn man dagegen klopft, die aber trotzdem unter dem Zwang leiden, ständig eine Fassade der allseitigen Kompetenz und Volkstümlichkeit aufrecht erhalten zu müssen. Auch die Gespräche mit dem Showmaster Wolfgang "Lippi" Lippert und dem ehemaligen AMIGA-Chefredakteur René Büttner sind solche Kunststücke der Beobachtung, die mehr über den Gesprächspartner als über Tamara erzählen. Die meisten Gespräche fanden aber mit Mitgliedern von Silly und engsten Freunden statt und zeigen, dass Tamara hinter der öffentlichen kühlen Fassade eine sehr facettenreiche Persönlichkeit war. Wie gesagt, ein wunderbares Buch zum lesen, auch wenn man mit der Musik von Silly nicht so viel anzufangen weiß.
(2008-07-17)

Anne Hahn/Frank Willmann
"Satan. Kannst du mir noch mal verzeihen. Otze Ehrlich, Schleimheim und der ganze Rest" (Ventil Verlag, 2008)

Dieter „Otze“ Ehrlich war Sänger, Schlagzeuger, Gitarrist, Texter und Komponist der DDR-Punk-Band Schleim-Keim, eigentlich war er Schleim-Keim. Und Schleim-Keim war die erste DDR-Punkband mit einer Schallplattenveröffentlichung, nämlich 7 Songs auf der „DDR von unten“-LP auf dem Westberliner Label Aggressive Rockproduktionen, erschienen 1983 unter dem Pseudonym Saukerle (die andere Hälfte der LP wurde von Zwitschermaschine bestritten, deren Mitglied der IM Sascha Anderson war, was erklärt, warum diese Band im Gegensatz zu Schleim-Keim nach Veröffentlichung der LP im Westen keine (bekannt gewordenen) Probleme mit der Stasi bekam). 1999 erschlug Otze seinen Vater und kam in die Psychiatrie, wo er 2005 im Alter von 42 Jahren starb. Also eine interessante Figur, über die es sich zu schreiben lohnt. Das Grundproblem des Buches ist allerdings – daran haben die Autoren aber keine Schuld - die fehlende Mitarbeit der Angehörigen Otzes (wieder ein Argument für die indische Tradition der Witwenverbrennung?). So erfährt man wenig über seinen familiären Hintergrund, über das Verhältnis zum Vater (hat er versucht Otze um sein Erbe zu bringen?), über den wirtschaftlichen Status der Familie in der DDR (eigner Bauernhof, der nicht Teil einer LPG war?), über die Lebenswege der Geschwister und das Verhältnis untereinander (mal haben die Verwandten ihn unterstützt, mal gab es Streit?). Das macht es schwierig, die Geschichten, die andere über Otze erzählen, zu einem schlüssigen Gesamtbild zu verdichten, eine Erklärung für seine Verhaltensweisen wie Arbeitsverweigerung, Drogenkonsum, ständiger Wechsel zwischen Exzess und Rückkehr zur Familie zu finden. Deswegen haben die Autoren auch gar nicht erst versucht, einen durchgehenden Text zu verfassen, sondern Originaltöne verschiedener Zeitzeugen wie Bandmitglieder, Kirchleute – die Kirchen in der DDR war der einzige Freiraum, wo Punkbands ohne staatliche Spielgenehmigung überhaupt auftreten konnten – und andere Punks aus Magdeburg, Gotha und Erfurt. Zeitzeugen aus anderen gesellschaftlichen Gruppen wie auch den IMs Sascha Anderson und Imad fehlen dagegen ganz, obwohl Otze oft Kontakt mit staatlichen Organen hatte und die Punkszene mit Spitzeln durchsetzt war. Die Leute aus der Psychiatrie hatten vermutlich keine Aussagegenehmigung, aber es gibt ja noch Protokolle von seinen Gesprächen mit der Stasi nebst Geldempfangsbescheinigung. Leider bleibt bei dieser Textform die Chronologie auf der Strecke, so dass eine Zeittafel hilfreich gewesen wäre – insbesondere die wiederholten Aufenthalte im Knast und Psychiatrie gehen da etwas unter. Auch die Diskografie ist ein bisschen dünn ausgefallen, kaum Angaben zu den Plattenfirmen und den Songs der einzelnen Platten. So ergibt sich die Geschichte eines Menschen, der trotz fehlender Ausbildung ein großes musikalisches, textliches und handwerkliches Talent besaß – selbst gebastelte Aufnahmegeräte! handgemachter Techno! – aber dessen unsteter Lebenswandel und Hang zu Exzessen ihn letztendlich zu Grunde richtete. Und man könnte auch sagen, er war ein Opfer der Wende, jemand der mit den plötzlichen Freiheiten des Westens nicht klar kam, der sich an den engen spießigen Mauern der DDR rieb - sich aber auch nicht zu schade war, mit der Staatssicherheit zu reden -, doch nach dem Verschwinden der Mauer deren Halt vermisste. Nicht umsonst heißt es an einer Stelle, dass Otze musikalisch in der 80er Jahren am produktivsten war, als sich seine Energien noch durch die Enge der DDR kanalisieren ließen.
(2008-03-25)

Peter Kemper/Thomas Landhoff/Ulrich Sonnenschein (Hrsg.)
"Alles so schön bunt hier. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute" (Reclam Leipzig, 2002)

Eigentlich ein hübscher Reader, der sich mit Popkultur von Rock’n’Roll bis Drum’n’Bass beschäftigt. Einige der Autoren dürften (von der SPEX her) bekannt sein wie Martin Büsser, Tom Holert, Gerald Hündgen, Lars Brinkmann, Klaus Walter oder Kerstin Grether. Der Stil wechselt dann auch immer wieder. Das Problem taucht erst auf, wenn man auf Kapitel zu Epochen stößt, in denen man sich selbst etwas auskennt. Nun ist es immer gut, wenn mal jemand den Stachel löckt und Gift verspritzt, um traditionelle Positionen in Frage zu stellen (ob das allerdings auch Intention der Herausgeber war wage ich zu bezweifeln), aber was sich hier im Kapitel über Punk findet ist leider nur eine Aneinanderreihung von Klischees und Missverständnissen. Der Beitrag über die neue deutsche Welle ist nicht viel besser und begeht zudem den Kardinalfehler, die Ereignisse von 1979 und 1982 durcheinander zu mischen, so dass jeglicher Blick auf Entwicklungen und wechselseitige Einflüsse verloren geht. 1979 gab es noch keine ndW, damals lief alles unter Punk, wie schräg es auch immer war, Zudem werden wieder mal die gesellschaftlichen Hintergründe (Deutscher Herbst, Nachrüstung) ausgespart. Das alles wirft auch ein schiefes Licht auf den Rest des Buches, man verliert das Vertrauen, dass die anderen Beiträge fundierter über ihre Themen berichten. Schade, sehr schade.
(2008-03-24)

Ian Halperin/Max Wallace
"Mordfall Kurt Cobain. Was bisher verschwiegen wurde" (Ullstein, 2004)

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle den Inhalt des Buches zu einer Art Chronologie des Lebens und des Todes von Kurt Cobain zusammenfallen, aber nach dem zweiten Kapitel verlor ich den Überblick – zu viele Details wie z.B. die zeitweilige Mitgliedschaft Kurts in einer christlichen Freikirche zusammen mit Krist. Die Autoren verfolgen alle Spuren von Kurts Leben und bewerten sie danach, was für und was gegen Selbstmord sprechen könnte, sie reden mit vielen „Zeugen“, die irgendwas gehört oder gesehen haben und irgendwelche Theorien von sich geben wie Courtney Loves Vater. Höhepunkt ist das Treffen mit Allen Wrench, der sich auf seiner Webseite mit einem Foto mit Schrotflinte vom April 1994 präsentiert, aber bestreitet, irgendwas mit dem Tod von Kurt oder auch Eldon Hoke – der Mann, der angeblich von Courtney angerufen wurde, um Kurt zu erschießen, der 1996 von einem Zug überrollt wurde, kurz nachdem er mit Wrench gebechert hatte – zu tun zu haben. Es ist so offensichtlich, dass dieser Mann die Gerüchte um Kurts und Hokes Tod nur zur Selbstdarstellung und Verkauf seiner eigenen Musik benutzt, dass es nicht lohnt weiter darauf einzugehen. Aber wie sympathisch oder unsympathisch hier jemand wirkt – und Courtney Love kommt hier gar nicht gut weg – Halparin und Wallace begehen den gleichen Fehler wie alle kriminalistischen Laien: sie stellen Fragen und erwecken Zweifel (Nach Angabe der Polizei gab es auf dem Gewehr, aus dem die Kugeln in Kurts Kopf stammen, keine auswertbaren Fingerabdrücke. Laut Tom Grant wurde das Gewehr aber erst 4 Wochen nach Kurts Tod auf Fingerabdrücke untersucht. Spuren könnten also in der Zwischenzeit durch unsachgemäße Aufbewahrung zerstört worden sein. Es lässt sich daher nicht beweisen, wer das Gewehr abgedrückt hat. Es könnte Kurt gewesen sein, aber auch jemand anderes. Der Coroner (Leichenbeschauer) Nikolas Hartshorne, der den Tod von Kurt untersucht hat, war ein alter Bekannter Courtneys aus der Musik-Szene Seattles war, er könnte aus Freundschaft etwas vertuscht haben, aber hat er es wirklich? Richtig ist, dass einer der ermittelnden Beamten, Sgt. Cameron, 1999 wegen Vortäuschen einer Straftat entlassen wurde, aber ist das ein Beweis dafür, dass er auch bei den Ermittlungen zum Tod von Kurt geschummelt hat? Sein Kollege Detective Antonio Terry wurde 1994 im Dienst erschossen und Courtney hat der Witwe Geld gegeben, aber das kann genauso bedeuten, dass Courtney doch (manchmal) ein gutes Herz hat.) - aber sie liefern keine in sich schlüssige Alternative zu der offiziellen Darstellung. Man mag – zu Recht – der Polizei von Seattle allerhand Versäumnisse bei den Ermittlungen vorwerfen, aber auch dass ersetzt eine eigene alternative Theorie nicht. Und die muss sich dann genau den gleichen harten Fragen stellen wie die offizielle Version:
1) Wie ist der Mörder ins Haus gekommen? Und wie wieder hinaus?
2) Woher wusste der Mörder überhaupt, dass Kurt im Haus war?
3) Wie kam der Mörder in den Besitz der Schrotflinte, die Dylan Carlson für Kurt vor dessen Abflug nach Los Angeles gekauft und die Kurt im Haus versteckt hatte?
4) Wie konnte der Mörder Kurt eine Schrotflinte in den Mund stecken ohne dass dieser sich wehrte?!
5) Wozu noch die tödliche Überdosis Heroin im Blut von Kurt, wenn Kurt schon tot war?
6) Oder anders herum: warum noch Kurt in den Kopf schießen, wenn er schon eine tödliche Überdosis Heroin im Blut hatte?
7) Wie konnte der Mörder Kurt eine tödliche Überdosis Heroin verpassen ohne dass dieser sich wehrte?
8) Oder wie konnte der Mörder vorher Kurt mit einem mit Rohypnol oder einer anderen Droge versetzten Rootbeer betäuben?
9) Wie kam der Mörder in den Besitz der Abschiedsbriefs und wann verfälschte er ihn?
Keiner hat bisher diese Fragen beantwortet und deshalb halte ich alle Mordtheorien in Bezug auf Kurt Cobain FÜR EINEN GROßEN HAUFEN SCHEIßE! Das liegt auch daran, dass alle sich auf Courtney Love als das böse Biest stürzen ohne andere Täter ins Auge zu fassen: denn sicher mag ein drohendes Scheidungsverfahren und damit finanzielle Motive Grund für einen Mord sein - aber Kurts Mitmusiker Krist Novoselic und Dave Grohl, sowie das Nirvana-Management hätten genauso gute Mord-Motive, denn mit Kurts Weigerung, an der Loolapalooza-Tour 1994 teilzunehmen, hatten sie ebenso enorme Einkommensverluste – ganz zu schweigen von den Streitigkeiten im Jahr zuvor, als Kurt das alleinige Urheberrecht an allen Songs von „Nevermind“ forderte, wo bisher zumindest die Musik der ganzen Band zugeschrieben wurde (einfach mal die verschiedenen Autorenangaben zu den Songs auf den verschiedenen Nirvana-Veröffentlichungen vergleichen) - und schließlich ist seit dem Tod von Elvis Presley, wie auch von John Lennon, bekannt, dass ein toter Rockstar eine lukrative Einnahmequelle ist - was sich ja auch nach dem Tod von Kurt gezeigt hat.

Genug gelabert, hier ist also meine alternative Theorie zum Tod von Kurt:
Wichtigstes Indiz für einen angeblichen Mord ist die hohe Morphine-Dosis von 1,52 Milligramm im Blut von Cobain, was der dreifachen tödlichen Dosis entspricht. Es erscheint logisch, dass sich jemand mit einer solchen Heroin-Überdosis nicht noch einen Kopfschuss versetzen kann, er fällt nämlich schon vorher tot um. Soweit ich weiß ist dieses Detail von der hohen Morphine-Konzentration im Blut von Cobain nie offiziell bestätigt worden. Aber gehen wir davon aus, dass es stimmt. Cobain hat sich also eine Überdosis gesetzt und ist tot. Er hätte sich gar nicht mehr in den Kopf schießen können. Der Schuss muß von jemand anderen auf die Leiche abgefeuert worden sein, aber einen Toten kann man nicht noch mal ermorden. Also war es kein Mord.
Die Reihenfolge von Schuß und Überdosis kann auch nicht umgekehrt gewesen sein. Mit dem tödlichen Schuß hören alle Stoffwechselprozesse im Körper auf - so hören ja auch Haare mit dem Tod auf zu wachsen, der gegenteilige Ausdruck entsteht nur dadurch, dass die Haut austrocknet und einfällt und daher die vorhandenen Haare stärker hervortreten - nachträglich gespritztes Heroin kann nicht mehr zu Morphine umgewandelt werden, die festgestellte Überdosis im Blut wäre nie entstanden. Also war nur das Heroin tödlich, der Schuß dagegen überflüssig.
Daraus ergeben sich zwei Fragen:
Erstens: wie kam es zu der Überdosis Heroin?
Zweitens: wer schoss Kurts Leiche in den Kopf?
Die Antwort auf die erste Frage ist relativ einfach: Kurt hat sie sich selbst gesetzt, entweder absichtlich oder versehentlich. Man könnte auch vermuten, dass Kurt die Überdosis von jemand anderem gesetzt wurde, aber wer lässt sich schon freiwillig eine Überdosis Heroin setzen? Junkies setzen sich allgemein die Nadel selbst. Einzig die Möglichkeit, dass Kurt vorher betäubt wurde und ihm dann die Spritze gesetzt wurde ist denkbar. Im Zimmer über der Garage wurde auch eine offene Dose Rootbeer gefunden, deren Inhalt nie untersucht wurde. Jemand könnte die Droge Rohypnol – Rohypnol war ja auch bei dem Zwischenfall in Rom im Spiel, wäre also für Courtney verfügbar gewesen, aber Courtney war die ganze Zeit in Los Angeles - in das Getränk getan haben, um so Kurt zu betäuben. Aber einem bewusstlosen Kurt hätte man auch sofort in den Kopf schießen können, davor noch eine Überdosis Heroin zu spritzen macht keinen Sinn. Anderseits war ja das Heroin selbst schon tödlich, ein nachfolgender Kopfschuss also überflüssig. Das spricht dafür, dass Kurt nicht betäubt wurde und er sich die Überdosis – bewusst oder unabsichtlich – selbst setzte.
Zur Antwort auf die zweite Frage: jemand hat die Leiche von Kurt entdeckt, vermutlich der Babysitter Michael „Cali“ DeWitt. Er rief Courtney an und die beschloss, dass der Tod durch eine Überdosis für die Öffentlichkeit nicht so interessant ist, ein Selbstmord mehr Publicity erzeugt. Deshalb hat sie DeWitt beauftragt, den Selbstmord durch Kopfschuss zu inszenieren. Ob DeWitt geschossen hat oder vielleicht auch Dylan Carlson, der ja das Gewehr für Kurt gekauft hatte, weiß ich nicht, ist aber auch egal. Genauso egal ist es daher auch, dass die aus dem Gewehr ausgeworfene Patrone auf der falschen Seite der Leiche gefunden wurde, weil ja Kurt schon tot war und in jedem Fall jemand anderes geschossen hat. Den Abschiedsbrief könnte Courtney möglicherweise selbst gefälscht haben indem sie einen gefundenen Text von Kurt durch die letzten Zeilen "Frances and Courtney, I'll be at your altar. Pleas keep going Courtney, for Frances. For her life, which will be so much happier without me. I LOVE YOU, I LOVE YOU!" ergänzt hat. Ein Blatt, wo jemand versucht hat die Schrift von Kurt nachzumachen ist ja bei ihr gesehen worden. Wahrscheinlicher ist aber, dass jemand anderes die Fälschung vorgenommen hat, denn Courtney war ja in Los Angeles und so lange lag die Leiche von Kurt ja auch noch nicht im Raum über das Garage als dass Zeit gewesen wäre, ein solches Schriftstück unbemerkt von Seattle nach Los Angeles und wieder zurück zu transportieren. Es könnte daher auch DeWitt gewesen sein, schließlich ist seine Schrift nicht allzu weit von der Schrift der letzten Zeilen des Abschiedsbriefs entfernt. Sollte sich Kurt die Überdosis allerdings absichtlich gesetzt haben könnte der Brief tatsächlich ein Abschiedsbrief sein, der dann nur von Courtney durch die Ergänzung dramatisiert wurde. Es ist bekannt, dass Kurt oft Entwürfe seiner Briefe geschrieben hat, es könnte also sein, dass ein solcher Entwurf eines Abschiedsbriefes aus dem Showgeschäft durch den letzten Satz zu einem angeblichen Abschiedsbrief aus dem Leben verfälscht wurde. Aber genauso gut könnte der Brief im Ganzen echt sein, was ja die Polizeiexperten sagen - laut Tom Grants Gutachter bestehen Zweifel - , und der Brief ist eben nur zu einem späteren Zeitpunkt in anderer Gemütsverfassung von Kurt beendet worden. Der Detektiv Tom Grant wurde vermutlich von Courtney aus echtem Interesse an Kurt engagiert, aber als sie erfuhr, dass Kurt tot sei, sagte sie es ihm nicht und versuchte ihn durch Anweisung vom Haus in Seattle fern zu halten, um von ihren Vorbereitungen für die Inszenierung des Selbstmordes abzulenken. Und der Coroner Nikolas Hartshorne hat ihr aus alter Verbundenheit nachher geholfen, den Tod durch Überdosis zu vertuschen. Die Polizei in Seattle war einfach nur faul und hat den inszenierten Selbstmord als solchen akzeptiert, weil das die Arbeit vereinfachte und Kurt ja auch eigentlich nur ein nichtsnutziger Junkie war und die sind besser tot als lebendig.
Ergebnis: Der „Selbstmord“ durch Kopfschuss war eine von Courtney Love veranlasste Inszenierung mit dem bereits toten Kurt Cobain. Es gab nie den Auftrag von Courtney oder jemand anderem, Kurt ermorden zu lassen.
(2008-03-23)


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