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Christian v. Ditfurth
"Die Mauer steht am Rhein. Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus" (Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999)

Was wäre, wenn? Zum Beispiel, wenn Hitler den Krieg gewannen hätte? Robert Harris hat vor ein paar Jahren mit "Vaterland" ein schönes Buch über diese geschichtliche Fiktion geschrieben. Christian v. Ditfurth geht nicht ganz so weit in die Vergangenheit zurück. Er präsentiert uns eine deutsche Wiedervereinigung unter umgekehrten Vorzeichen: Nicht der Westen schluckt den Osten, sondern umgekehrt. Die Story selbst ist schnell erzählt: Ein Sportreporter fällt durch unachtsame Formulierungen bei den neuen Machthabern in Ungnade und flieht schließlich aus Deutschland. Im Exil spürt der Ich-Erzähler sodann den Ursachen seines Schicksals und dem seiner (unserer) Heimat nach. Spannend ist allerdings, wie v. Ditfurth anhand historischer Fakten und realer Personen das Szenario der Machtübernahme durch die SED entwickelt, wie z.B. die CSU und ihre Vorstellungen eines starken Staats plötzlich im Gleichklang mit der SED und ihrer Blockflöten schwingen, wie die SPD das Wissen um die Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der damaligen SBZ und deren brutale Folgen verdrängt, wie die SED die Grünen (die von Petra Kelly, nicht die von Josef Fischer) zu Staatsfeinden macht und die anderen westdeutschen Parteien wegschauen. Das alles ist durch die naiven Augen des Erzählers so liebevoll dargestellt, daß ich mich ständig dabei ertappt habe zu überlegen, wie ich selbst in einer solchen Situation gehandelt hätte. Kann mensch wirklich in einer sie/ihn mitreißenden gesellschaftlichen Umwälzung erkennen, wo diese enden wird, und was die Motive der Handelnden sind? Ist nicht vielmehr die Gefahr einer schleichenden Anpassung an die Unfreiheit allgegenwärtig? In diesem Buch ist für die/den LeserIn klar, wo das alles enden wird, und deshalb ist es für sie/ihn einfach, einen politischen Standpunkt zu finden und von diesem aus über die Personen im Buch den Stab zu brechen oder nicht. Doch in der Realität sieht das ganz anders aus: Niemand weiß, wohin eine politische Veränderung führen wird, und ob daher der eigene Standpunkt richtig ist und bleibt. Doch ohne einen Standpunkt fehlt uns jeglicher Maßstab zu entscheiden, ob eine politische Entwicklung eine Gefahr oder eine Chance bietet. Andererseits, ohne Veränderung droht der politische Tod. Heißt politisch denken also, zum Scheitern und Irren bereit zu sein? Ich liebe Bücher, die uns Fragen an unser eigenes Denken und Handeln stellen.
(Zuerst erschienen in LOUNGE Nummer 9, Hannover, April 2000)

Bret Easton Ellis
"Glamorama" (Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999)

Victor Ward ist der Boy der Stunde. Er kennt die Stars, ist selber fast einer, legt Wert auf sein Äußeres, geht täglich zum Work-Out und posiert für Calvin-Klein-Anzeigen. Er geht auf Parties, wo Menschen davon erzählen, daß sie auf für andere Teilnehmer tödlich endenden Himalaya-Expeditionen ihr Handy verloren haben. Alle finden sich super, und die MTV-Kamerateams interviewen jeden, der irgendwie wichtig aussieht. Jeder kennt jeden, doch keiner hat Freunde außer dem Spiegel (zum reinschauen oder zum Koks hacken). Victor Ward ist die hohlste aller hohlen Nüsse. Ohne Gewissen und fast planlos hintergeht er seine drei Freundinnen, sein Schwanz diktiert ihm, was er als nächstes tun sollte. Als seine Scheinwelt zusammenbricht, kapiert Victor einfach nicht, warum es geschieht. Alles was ihm einfällt ist die Floskel: "Erbarmen!". Viktor Ward ist dermaßen hip und hohl, daß es weh tut. Ab der Hälfte des Buches geht er einem dermaßen auf den Keks, daß man förmlich darum fleht, er möge so schnell wie möglich umgebracht werden, oder endlich aufwachen aus seiner geistigen Leere. Doch Bret Easton Ellis erfüllt uns diesen Wunsch nicht, vielmehr stürzt er seine Hauptfigur in ein blutiges Komplott aus Terrorismus und politischer Verschwörung. Wie schon bei "Americon Psycho" spart Ellis nicht an drastischen und detaillierten Szenen des Sterbens von Menschen, doch diese Elemente stehen etwas effektheischend im Raum, ohne die Story zwingend voranzutreiben. Anders als bei "American Psycho", wo die Gewalt, die Produktnamen, die Musik und der sinnentleerte Smalltalk zusammen perfekt die Hauptfigur charakterisierten und die eher nebensächliche Story mühelos vorantrieben, finden hier Story und Figur nicht recht zusammen. Da arbeitet Ellis gelegentlich mit der Brechstange, läßt Sterbende Zusammenhänge erklären und baut hollywoodreife Actionszenen ein, um bestimmte Ereignisse herbeizuzwingen. Victor Ward soll am Ende als geläuterter Mensch dastehen, doch logisch ist das nicht. Was jedoch "Glamorama" auf jeden Fall gelingt, ist wieder ein brillantes Portrait einer pseudo-kosmopolitischen Schicki-Micki- und Jet-Set-Society voller Drogen, Dummheit und Oberflächlichkeit. Ellis muß diese Menschen wirklich genau kennen und abgrundtief hassen.
(Zuerst erschienen in LOUNGE Nummer 9, Hannover, April 2000)

Dieter Gorny/Jürgen Stark (Hrsg)
"Jahrbuch Pop & Kommunikation 98/99" (Econ Vorlag, Düsseldorf 1998)

Angekündigt als das Standardwerk über und für die Musikbranche bietet dieses 350 Seiten dicke großformatige Buch mit CD-ROM interessante Einblicke in das deutsche Musikgeschäft. Zur Hälfte präsentieren sich hier Tonträgerfirmen, Preßwerke, Musik- und Printverlage, Agenturen, Videohersteller, Fernsehsender, Merchandiser, Promoter, Fotografen, Steuerberater, Versicherungen, Rechtsanwälte, Verbände, Consulter und Veranstalter jeder Art sowie die Volkswagen Sound Foundation mit ihren Produktpaletten und sonstigen Leistungen, in eigenen Artikeln; als ausgewählte Adressen im Buch oder im umfassenden Register auf CD-ROM (leider nur nach Namen und Branchen aufrufbar).
Interessanter ist jedoch der erste Teil des Buchs, dessen Zielrichtung Dieter Gorny (Geschäftsführer von VIVA und VIVA ZWEI sowie Erfinder der POP-KOMM) in seinem Vorwort wie folgt umschreibt: ein "pophistorisches Bewusstsein" sei erforderlich, denn Rock'n'Roll sei Profit und Pop, keine flüchtige Modeerscheinung von jugendlichen Randgruppen und kein Träger gesellschaftlicher Gegenentwürfe mehr sondern ein riesiger Wirtschaftszweig mit tausenden von Arbeitsplätzen. Diese Industrie versorge alle Altergruppen der Gesellschaft mit den Produkten der Popkultur, die bis in die Anfänge diese Jahrhunderts (Comedian Harmonists) zurückreichen will und Deutschland weltweit (Guildo Horn in Birmingham, Scorpions in Moskau und so weiter) repräsentiere - auch wenn diese Botschaft offenbar noch nicht bei allen Adressaten angekommen zu sein scheint (wie die Antworten zahlreicher Bundestagsabgeordneter auf eine entsprechende Anfrage im Vorfeld der Veröffentlichung dieses Buchs zeigen). Die (Selbst-)Darstellungen der Autoren geben aber nicht nur zwischen den Zeilen höchst interessante Einblicke in die Mechanismen dieser Branche, die von der Öffentlichkeit ernst genommen werden will (und von Musikern ernst genommen werden muß), so daß auch für Leser außerhalb der Zielgruppe (z.B. Musiker, die übrigens in diesem Buch selbst kaum zu Wort kommen, obwohl ohne sie doch die ganze Musikbranche arbeitslos wäre) ein Blick in diesen Werk trotz hohen Preisen lohnend sein könnte.
(Zuerst erschienen in ROCKNEWS Rockmagazin für Hannover und Niedersachsen Nummer 55, Hannover, März 1999)

Manfred Hilberger
"Das Rock- & Pop-Business. Stark erweiterte Neuauflage" (Bandstand-Music, Mühlheim 1997)

Kurz nach der Besprechung in der rocknews erscheint Manfred "Dr. Stage" Hilbergers Ratgeber "Das Rock- & Pop-Business" in einer starken "stark erweiterten Neuauflage" im handlichen DIN A5-Format, ohne aber grundsätzlich Neues zu bieten.
Von 180 Seiten neu sind nur ein Fünftel (über Gehörschutz, Homerecording, Radio, Förderungsmöglichkeiten und Ausbildung), sowie nochmal soviel Seiten Branchenadressen von Plattenlabels (gibt es in Hannover wirklich nur Wilhelm Reich Schallspeicher!?), Musikgeschäfte (hier fehlen Dete Klamann, 25music, Carmina Burana undundund), Stadtmagazine (Schädelspalter fehlt), Studios und Fachzeitschriften (hier fehlen rocknews und Zentralnerv - und wenn der Rolling Stone eine "Fachzeitschrift" ist, wo bleiben dann die Spex und hunderte Fanzines von Lounge bis Plastic Bomb?). An Musikerinitiativen taucht nur der DRMV auf, verschämt wird aber unter Frauenmusikinitiativen das "Frauenmusikmobil" aufgelistet. Das mag kleinlich klingen; doch es wirft ein bezeichnendes Licht auf das gesamte Buch.
Manfred Hillberger liefert keinen allgemeinen Überblick über das Musikgeschäft und stellt auch nicht die Frage, warum und wofür der/die LeserIn eigentlich Musik machen möchte, sondern überschüttet uns mit technischen Details und kleinen Tips von der Wiege bis zur Bahre, sprich von der Übungsraumisolierung bis zur Endorsementvertrag (Tips zum Songschreiben wie im DRMV-Handbuch fehlen glücklicherweise). Für Profis ist das zu dünn oder längst bekannt, für Amateure dagegen erstmal überflüssig (und wenn der nächste Schritt auf der Karriereleiter erklommen ist, möglicherweise schon überholt). Besser wäre es gewesen, das Buch auf eine spezielle Zielgruppe, wie z.B. Amateurmusiker auszurichten und für die restlichen Bereiche dann auf Fachliteratur zu verweisen. Das soll nicht heißen, daß das Buch nichts taugt, doch zu viel solltet Ihr auch nicht erwarten.
(Zuerst erschienen in ROCKNEWS Rockmagazin für Hannover und Niedersachsen Nummer 50, Hannover, April 1998)

Tom Clancy/Stete Pieczenik
"Tom Clancy's Op-Center: Games Of State" (Berkley Books New York 1996)

GAMES OF STATE ist ein Buch, daß anläßlich der ChaosTage-Hysterie 1996 in Hannover ziemliches Aufsehen erregt hat. Das Bild Hannovers in der Welt schien gravierenden Schaden zu nehmen durch die Chaostage, wo aus Sicht der Spießer und TV-Junkies als Punx verkleideten Terroristen, Kommunisten und anderes Untermenschengesindel grölend und lynchend, saufend und vergewaltigend durch Hannovers Straßen sich wälzte, um nichts als Schutt und Asche zurückzulassen, und GAMES OF STATE schien der Beweis dafür zu sein, daß wenn nicht jetzt gleich etwas geschieht Hannover ewig von dem Stigma Chaostage gezeichnet sein würde und so weiter und so fort.

Doch keine Suppe wird so heiß gegessen wie sie gekocht wird. Tatsächlich spielt Hannover nur eine Nebenrolle in dieser Hollywood-Drehbuchvorlage, denn dieser "Roman" schreit einfach nach einer 100 Millionen Dollar-Verfilmung mit Arnold Schwarzeneger oder Tom Cruise oder Barbiepuppe. Da ist nichts subtil, da sind Personen aus Holz gesäbelt, und immer gewinnt das Gute, denn die Zufälle sind nur auf seiner Seite, wie aus dem richtigen Leben gegriffen eben. Und überhaupt haben die Autoren - typisch Amerikaner möchte mensch meinen, wenn das nicht politisch unkorrekt wäre - alles irgendwie falsch verstanden. Die Chaostage sind im Buch ein Treffen von Neonazis, die ein amerikanisches Filmteam, daß vor den Toren Hannovers einen Film über das Nazi-Schlachtschiff Tirpitz dreht, überfallen, um an Nazi-Antiquitäten zu kommen. Schön blöd, die gibt es auf Hannovers Flohmarkt biliger und gefahrloser. Dabei wird eine junge Amerikanerin entführt, was einen der zufällig in Hamburg eingeflogene US-Agenten, der noch dazu im Rollstuhl sitzt, zu einer Rettungsmission einschließlich Verfolgungsjagd durch Hannover - wo aber Clancy und Pieczenik irgend wie die Karte falsch herum gehalten haben - starten läßt, die er mit Hilfe von Computer-Satelliten-Kommunikation und nach Liquidierung einer Neonazi-Führerin aus Ostdeutschland (!) erfolgreich beendet wird. Die anderen Agenten enträtseln derweil die Jugendsünden des deutschen Vizeaußenministers und fliegen mit ihm nach Toulouse, wo sie mit Hilfe der Jugendliebe des Chefagenten, die ihm in Hamburg zufällig(?!) über den Weg gelaufen ist und zudem noch für den selben faschistischen Industriemogul und französischen Welt-Nazi-Verschwörer arbeitet, der hinter allem steckt und dessen Festung sie dann mit Hilfe eines NATO-Kommandounternehmens erobern und den Bösen nach einem Hubschrauberluftkampf festnehmen. Hurra, sie Welt wurde gerettet, das Internet ist wieder sauber von schmutzigen Worten und Spielen und die amerikanische Senatorin weiß nun endlich, wer vor 25 Jahren in Paris ihre Tochter ermordet hat und aus Dankbarkeit kürzt sie nicht mehr den Etat vom Op-Center, sondern erhöht ihn. Was habt ihr eigentlich gegen Konsaliks Arzt von Stalingrad?
(Diese Buchbesprechung ist zuerst erschienen in der zweiten Nummer von I Hate Punk And Punk Hates Me im April 1998, das Buch selbst liegt inzwischen auch in deutscher Übersetzung vor.)


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