Legs
McNeil/Gillian McCain
Please Kill Me. The uncensored oral history of punk (Pinguin Book, 1996)
Okay, wer hier etwas über Musik erfahren will, der darf gleich
wieder abhauen. Und wer glaubt, Punk sei in London, England erfunden
worden, genauso. Dieses Buch fängt an bei Velvet Underground an,
den Stooges, MC5 und den New York Dolls, geht über Patti Smith,
Richard Hell, die Ramones und Dead Boys bis zur US-Tournee der Sex Pistols,
die aus amerikanischer Sicht angeblich der Todesstoß für
Punk war. Naja, als ob es Black Flag, Hüsker Dü und Nirvana
nie gegeben hätte. Zentrale Personen, die immer wieder auftauchen,
sind Iggy Pop und Johnny Thunders und das Geschehen dreht sich um Detroit
und New York. Wie gesagt, London taucht nur am Rande auf und die Kommentare
zu dem Geschehen in England sind nicht immer freundlich. Kernthema des
Buches sind aber Sex, Drogen und der Tod. Hier wird viel gestorben,
insbesondere ist hier Neues über das Ende von Johnny Thunders und
Nancy Spungen zu lesen (was dem WOM-Journal sogar eine eigene Story
wert war - damals, als noch die Münchner Punks in der Redaktion
was zu sagen hatten, he he). Es geht es um das Lebensgefühl damals
und man kriegt einen tiefen Einblick darüber, was diese Menschen
angetrieben hat, so zu leben und die Musik zu machen. Die amerikanische
Szene war definitiv anders gestrickt als die englische und ohne sie
wäre 1977 in London nie (so) explodiert, aber danach wurde sie
von den Engländern, den Medien und den Plattenfirmen verschlungen.
Dann ging das Sterben los. Aber eigentlich ist das alles Nebensache,
die vielen wunderbaren Geschichten über Sex, Drogen und andere
Exzesse sind allein schon das Lesen wert.
(15-07-2002)
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Gilbert
Furian/Nikolaus Becker
Auch im Osten trägt man Westen. Punks in der DDR - und was aus ihnen
geworden ist (Tilsner, 2000)
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die DDR-Punkszene
besser dokumentiert ist als die BRD-Punkszene, was vielleicht auch daran
liegt, dass im Gegensatz zu den Stasi-Akten die Verfassungsschutz- und
Polizeiakten aus dem Westen bisher verschlossen geblieben sind. Wahrscheinlicher
ist, dass den DDR-Punks durch die Wende viel klarer einen Bruch in ihrem
Lebensweg und durch die Konfrontation mit dem Wessi-Pöbel die Besonderheiten
ihrer eigenen Szene bewusster erlebt haben, was das historische Bewusstsein
schärft. Während die Wessi-Säue einfach so weitergemacht
haben wie bisher. Und heute werden die Ossis als interessante Exoten
angesehen, über die man gerne mal was liest wie Perry Rhodan-Hefte
oder so, hehe. Wie gesagt, ein ähnliches Machwerk über Wessi-Punx
wäre dringend nötig, das Buch von Jürgen Teipel ist hier
nur ein Anfang.
Trotzdem sind auch im Abgleich der Biografien hüben und drüben
interessante Erkenntnisse zu gewinnen. Der Gastbeitrag von Dr. Manfred
Stock beschreibt einen wesentlichen Unterschied der Jugendsubkulturen
Ost zu denen im Westen: das familiäre Netzwerk im Gegensatz zur
Vereinzelung im Westen. Interessant auch der Hinweis, dass die Übernahme
der westlichen Punkstils keine bloßes Nachäffen war, sondern
die Zeichen mit eigenen Inhalten gefüllt wurden, also nicht das
Leben in einer fremden Welt, sondern "die Zeichen mit Bedeutungen
aufzuladen, die sich aus der Auseinandersetzung der Jugendlichen mit
den Widersprüchen der eigenen Lebenssituation in der DDR ableiten"
(Seite 60).
Der Hauptteil des Buchs dokumentiert Fotos und Interviews von 1982,
die Folgen für die Beteiligten und ihren heutigen Platz im Leben.
Einiges davon lässt sich ohne weiteres verallgemeinern, wie z.B.
den Unterschied zwischen Straßenpunx und Musikern: "Freilich
unterscheide ich nach meinen bisherigen Erfahrungen zwei "Fraktionen":
die produktiven und die nichtproduktiven PUNKS: erstere machen Musik
und akzeptieren (als eine Art Produktionsbedingung) bestimmte Tabus,
realisieren ihren Unmut, ihre Verzweiflung, ihre Ohnmacht und ihre Sehnsüchte
in der Musik und weniger auf der Straße. Die letzteren entbehren
diese Möglichkeit und sind deshalb, um ihre Haltung verwirklichen
zu können, geradezu angewiesen auf die Ablehnung von Tabus, auf
bestimmte Formen von Märtyrertum, auf Bedenkenlosigkeit bis hin
zur selbst zerstörerischen Konsequenz" (Seite 7).
Die folgende Passage von Jeanny, die bereits wieder aus der Punkszene
ausgestiegen war, unter der Überschrift "Wunschlos unglücklich"
(Seite 24) lässt sich sogar prinzipiell auf das Verhältnis
Einzelner zur umgebenden Subkultur anwenden: "Man kommt also
zum Punk, weil man eben mal ausflippen will und so. Und denn paßt
man sich total der Masse an. Das müssen wirklich sehr willensstarke
Menschen sein, die dann überhaupt noch den Mut haben zu sagen:
Mensch, Leute, wolln wir nich mal in 'ne Ausstellung gehen? Ja, da halten
die einen sofort für'n Geisteskranken. Und icke zum Beispiel, ick
wollte immer mal singen oder Ballettunterricht machen, bloß da
konnte ick mit niemand drüber reden. Und nach und nach baun sich
diese Wünsche ab, da hat man überhaupt keine Wünsche
mehr, da zielt alles nur noch darauf: wie kann man die andern beeindrucken,
wie kann man zeigen: Mensch, ick gehör zu euch, und ick stell wat
dar! Bloß das is dann nich durch Leistung oder so, nee, jeder
bemüht sich immer, cooler zu sein als der andre, und det is absolut
anstrengend mit der Zeit, weil: da ist überhaupt keine Beziehung
mehr zwischen den Punks. Man kann sich zwar mit denen unterhalten und
so, aber irgendwie 'n richtigen Freund, 'ne richtige Freundin hat man
nich. Und das ist schlimm, find ick. Es gibt natürlich Punks, die
interessieren sich auch für sowat, die lesen und so, aber der Hauptteil
der Punks, die interessieren sich nich für sowas." Unter
diesem Blickwinkel gewinnt der berühmte Tocotronic-Slogan "Ich
möchte Teil einer Jugendbewegung sein" einen schalen Beigeschmack.
Es gibt auch einen interessanten Satz über die Stasi: "Man
muss das Ganze begreifen als ein System von Angestellten, die auf recht
bequeme Art und Weise - in der DDR gab's ja keine Arbeitslosigkeit -
ihr Lohngeld eingefahren haben" (Seite 72).
Und zum Schluss ein paar kluge Worte über NO FUTURE und PUNKS NOT
DEAD (Seite 73 ff.):
Ihr wart damals in fast allen Dingen einer Meinung. Es gab wen nur
einen Punkt, an dem ihr ein wenig auseinandergedriftet seid, und zwar
bei der Losung no future. Einer meinte, die Losung zu benutzen
sei unmöglich, weil sie etwas Resignatives hat, und du Bernd, fandest
sie gut, weil damit gesagt wird: Wir haben zwar keine Zukunft, aber
genau dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen - die Losung als Aufruf
gegen die Tatsache, daß wir verplant sind. Es gab da den schönen
Satz, in der DDR sei man kaum geboren, schon habe man die Planstelle
weg.
Bernd Lade: Das war Michas Satz. - Ich denke heute noch genauso.
Oder, Kaiser?
Daniel Kaiser: Ich glaube, daß wir uns sonst gar nicht
zu dem entwickelt hätten...
Bernd Lade: ...was wir heute machen.
Daniel Kaiser: Nicht nur das, sondern wären wir zum damaligen
Zeitpunkt resigniert gewesen, dann hätte ein Gespräch ein
gar nicht stattgefunden. Und selbst wenn, wäre es nicht so spielentscheidend
gewesen und nicht zu dem geworden, was es ist: Dokument einer Generation
in der DDR.
Bernd Lade: Es hätte vor allem nicht ausgereicht, dich,
Gilbert, in den Knast zu bringen.
Daniel Kaiser: Was uns seinerzeit zusammengehalten hat bezüglich
no future: da hat eine Auseinandersetzung mit dem Slogan stattgefunden.
Wir haben ihn eben nicht unreflektiert
weitergegeben und gesagt: no future ist no future im Sinne von no future.
Bernd Lade: Und wir kamen ja nicht aus London, wir hatten ja
andere soziale Verhältnisse hier.
Micha Kobs: Aber selbst die geistigen Väter dieses Satzes
aus London hatten mehr mit dem Osten zu tun als jeder dusslige West-Punk,
der jetzt am U-Bahnhof sitzt und eine Mark haben will. Wenn ich mich
recht entsinne, meinten die Pistols damals: Ihr habt keine Zukunft,
also macht was draus. Und wir haben nichts anderes getan, als das zu
versuchen. Wenn ich heute sehe, was so alles als Punk umherrennt mit
dem Slogan Punk's not dead ... Natürlich ist Punk dead.
Bernd Lade: Aber nicht immer, nicht richtig, was, Kaiser?
Micha Kobs: Die versuchen jetzt, in einer ehemaligen Kultur oder
Subkultur eine Rechtfertigung dafür zu finden, daß sie am
Bahnhof rumsitzen und andern auf den Sack gehen. Das ist so ärmlich.
Wenn sie wenigstens eine Trommel nehmen und trommeln würden. Irgendwas
tun. Man kann viel tun, wenn man will.
Daniel Kaiser: Ich habe aber was gegen diesen Spruch Jeder
ist seines Glückes Schmied.
Micha Kobs: Darum geht es ja nicht. Aber wenn jemand eine Rechtfertigung
dafür sucht, sich absolut hängenzulassen und allen anderen
die Schuld zu geben, dann geht es mir einfach nur noch auf den Keks.
Bernd Lade: Jedenfalls stimmt es nicht, daß wir drei gegenteilige
Meinungen hatten. Wir haben uns in diesen Dingen ergänzt.
Micha Kobs: Uns haben ja damals die Worte gefehlt, auszudrücken,
was wir meinen. Aber letztlich haben wir haargenau dasselbe gemeint.
Bernd Lade: Wir hatten mal eine Diskussion mit einem Jugendklubleiter.
"Was wollt ihr denn hier im Osten als Punks?" hat der gesagt,
"Im Westen, die haben Gründe!" Und einer von uns hat
geantwortet (um ein Beispiel zu geben, wie nach Ausdrucksformen gesucht
und sie auch gefunden haben): "Wenn Punks im Westen 100 Gründe
haben, dann haben wir davon auf jeden Fall 60."
Daniel Kaiser: Egal, was dein Gegenüber gesagt hat, du hast
gewußt, daß man zusammengehört. Jede Antwort ist so
wertvoll wie die andere - das ist Teil dieser Kultur und Sinn dieser
Kultur. Das ist, glaube ich, was uns von vielen damaligen DDR-Jugendlichen
unterschieden hat, wovor auch dieser Staat Angst hatte: Wir wollten
miteinander umgehen können, ohne gleich als Armee aufzutreten.
Gehen wir also davon aus, daß Punk, wie vorhin gesagt wurde,
heute tot ist.
Daniel Kaiser: Glaube ich nicht. Punk ist dead, aber im
Sinne des Slogans, den die wichtige Band CRASS geprägt hat.
Gut, aber gehen wir davon aus, daß das, was jetzt als Punk
in Erscheinung tritt, nicht mehr mit eurem damaligen Punk zu vergleichen
ist.
Bernd Lade: Wenn sich Bands wie Bad Religion oder Offspring,
die ja wissen, daß sie eine Schablone sind, nicht einen etwas
lockereren Stil aufdrücken würden, vor allem in den Texten,
dann wären sie nicht mehr zeitgemäß. Ich finde es immer
wieder total geil, Slime zu hören oder mich an solche Sachen
zu erinnern, wenn es auch auf keinen Fall mehr dasselbe auslöst
...
Daniel Kaiser: Aber Fakt ist doch, nenn es, wie du willst, gib
der Sache einen anderen Namen: Punk ist nicht tot.
Bernd Lade: Auf keinen Fall, auf keinen Fall. Ich glaube auch
nicht, daß Micha das so gemeint hat.
Micha Kobs: Ich kann es ja mal so formulieren: Es bedarf keines
Namens mehr, und es bedarf keines speziellen Aussehens mehr.
Daniel Kaiser: Man muß der Sache keine Überschrift
geben.
(30-06-2002)
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