...gelesen... |
Klaus
Dewes Punk. Was uns kaputtmacht, was uns anmacht (Heyne Scene, 1986) In der DDR ging man für amateursoziologische Befragungen von Punks
in den Knast (siehe Gilbert Furians Buch "Auch
im Osten trägt man Westen. Punks in der DDR - und was aus ihnen geworden
ist"), in der BRD darf man daraus ein "Scene"-Taschenbuch
beim Gurkenverlag Heyne machen. So war das damals. Aus heutiger Sicht
ist das Buch nett und hilflos, ein mitleidiger Blick auf arme Menschen
am Rand der Gesellschaft (alle irgendwie eine schlimme Kindheit gehabt,
und die Bullen lassen einen nicht in Ruhe in der Gosse den Rausch ausschlafen).
Obwohl: ich denke schon dass die gesammelten Aussagen für den befragten
Kreis (Punks von der Kölner Domplatte) Mitte der 80er Jahre einigermaßen
repräsentativ sind, aber auch das war damals wohl nur ein Teil der
Kölner, bzw. der deutschen Szene. Es gibt 3 interessante Stellen
in dem Buch: (1) "Hans", ein Psychobilly vergleicht die Szene
Hamburg 1977 mit der Szene auf der Kölner Domplatte, in der er rumhängt,
und stellt fest: "Was die Leute 1983 gemacht haben, war nicht mehr
das, was die Leute 1977 gemacht haben. Das war einfach ganz anders. (...)
Wahrscheinlicher war das damals ehrlicher. Das war ehrlicher und von innen
heraus. (...) Die Leute, die das damals gemacht haben, die sind nicht
weitergekommen, weil sie nicht weiterkommen wollten. (...) Und
die Leute, die das heute machen, die sind nicht weitergekommen, weil sie
nicht können." (Hervorhebungen im Original - mf.)
(2) In der Mitte des Buchs springt eine Frau aus dem 8. Stock. Die überlebenden
Punks stehen davor, den Sinn ihrer Existenz zu hinterfragen, doch der
Autor schweigt und vergeigt dieses Chance. (3) "Figen" findet
die Punks manchmal scheiße, weil: "die tun immer so, als wären
sie echte Punks. Dabei sind die genauso drauf, wie die anderen Leute auch.
(...) Die wollen sich nicht an den Rest der Leute anpassen, sind aber
total angepasst unter sich. Und das kapieren die nicht. (...) Ich will
so sein, wie ich bin. Ich mache, was ich will. Ich lasse mich nicht irgendwo
reindrücken. Deshalb bin ich wirklich Punk. (...) Ich mache, was
mir grad einfällt, und nicht das, was anderen einfällt. Das
ist der Unterschied, darauf kommt es an." Dem hab ich wirklich nichts
mehr hinzuzufügen. |
Umberto
Eco Sämtliche Glossen und Parodien 1993 - 2000 (Zweitausendeins, 2001) Kleinkrämer, der ich nun mal bin, muss ich darauf
hinweisen, dass der Titel des Buchs nicht stimmt. Es handelt sich "nur"
um eine Auswahl der zahllosen in Zeitungen und Zeitschriften publizierten
Texte Ecos, nämlich derjenigen, die es zu einer Zweitverwertung
in Büchern schafften und auch später nicht für Neuauflagen
anderen Texten weichen mussten. Die Hoffnung auf ein komplettes Oeuvre
ist also vergebens. Schwamm drüber, dieses Buch bietet hervorragenden
Lesestoff, satirisch, politisch, literarisch, feuilletonistisch und
journalistisch. Die Auswahl an Themen und Gedanken ist beinahe grenzenlos,
daher ganz spontan und völlig zusammenhanglos der Hinweis auf 2
Texte: "Von Patmos nach Salamanca" ist ein satirischer Text
über ein neues Berufsfeld für die Erfinder von Theorien, die
von der Realität widerlegt wurden. Die Opfer solcher gesellschaftlicher
Entwicklungen könnten zumindest noch als Schwarzmaler über
die Folgen dieser Neuerungen, die ihnen ihre berufliche Existenz nahmen,
weiterearbeiten, als sogenannte "Apokalypsenhändler".
Die Frage, ob es diese Apokalypsenhändler bereits gibt, mag jeder
für sich selbst beantworten. "Revision im Namen des Common
Sense: Der Prozeß Sofri muß neu aufgerollt werden"
ist dagegen eine kritische Auseinandersetzung mit dem Sinn und Unsinn
einerseits von Solidaritätserklärungen in politischen Prozessen,
andererseits eine Analyse von Argumentationsmustern von Menschen (Richtern
in politischen Verfahren, aber auch Holocaust-Leugnern), die gegen jede
"natürliche Vernunft" aus Tatsachen durch deren beliebige
Auswahl und Bewertung den Beweis für ihr (Vor-) Urteil herauslesen
wollen. Eine hervorragende Analyse, aber wie gesagt nur ein Bruchteil
des Reichtums dieses Buchs. |
Umberto
Eco Kunst und Schönheit im Mittelalter (dtv, 1993) Ein Fachbuch von Umberto Eco, aber gleichzeitig auch
ein Schlüssel zu seinen Romanen. Die mittelalterliche Gedankenwelt
ist eine ganz eigene, auch wenn Eco sie an einer Stelle als typisch
katholisch beschreibt: "Man weiß sehr wohl, was das Gute
ist, man spricht davon und empfiehlt es; und zugleich akzeptiert man,
dass das Leben anders ist, und hofft, Gott werde schließlich vergeben."
Eco sagt, dass sich letztendlich die mittelalterliche Theorie nie in
der Lage gesehen habe, den Widerspruch an sich zu rechtfertigen. Es
wurden schöne Theorien über die Harmonie aller Dinge und ihre
Herkunft von Gott entwickelt - und diese Theorien hatten prägenden
Einfluss auf Musik, Malerei, Architektur und so weiter - aber die Theorien
wurden nie einer Überprüfung durch die Realität unterzogen.
Die Realität hatte sich nach der Theorie zu richten, nicht umgekehrt. |
Carlo
Maria Martini/Umberto Eco "Woran glaubt, wer nicht glaubt?" (Paul Zsolnay Verlag 1998) Der Titel des Buches führt ein bisschen in die
Irre, weil es eigentlich um 4 Themenkreise geht, die jeweils aus einer
Frage (meist von Eco) und einer Antwort (von Martini) bestehen. Der
Ungläubige befragt den Kardinal z.B. zu der These "dass der
Gedanke an ein Ende der Zeiten heute typischer für die Welt der
Nichtgläubigen sei als für die der Christen". So ganz
nebenbei entwickelt Eco dabei den Gedanken, dass "das Christentum
(..) die Geschichte erfunden" habe, weil die christliche Idee der
Hoffnung die Menschen dazu bringe, ständig ihr Leben zu verändern,
um es im christlichen Sinne zu verbessern (während andere Kulturen
dann wohl eben wegen andere religiöser Vorstellungen keinen Drang
auf ständige Veränderung hatten, sondern Jahrhunderte lang
in den gleichen sozialen Bedingungen verharrten). Der zweite Dialog
über die Frage, wann menschliches Leben beginnt, ist ein bisschen
lahm. Doch es folgt der sehr schöne Angriff, warum Frauen von der
(katholischen) Kirche so gering geachtet werden, untermauert mit Bibelstellen
und wohlabgeschmeckter Textkritik an christlichen Autoren des Mittelaltern.
Hierauf fällt dem Kardinal letztendlich nur ein, dass die Apostel
alles Männer waren, der Rest seiner Antwort ist m.E. ziemlich hilflos. |
Pierre
Bourdieu "Gegenfeuer 2. Für eine europäische soziale Bewegung" (UVK Universitätsverlag Konstanz, 2001) Bei diesem Buch ist mir Bourdieus pathetischer und
unjournalistischer Stil doch zunehmend auf den Geist gegangen. Die Gedanken
sind bereits aus Gegenfeuer 1 bekannt, die Thesen bleiben ohne inhaltliche
Belege blutleer im Raum stehen, die Formulierungen wiederholen sich,
was auch kein Wunder ist, der Mann konnte ja nicht für jeden Vortrag
und jedes Grußwort seine vorherigen Manuskripte aus dem Gedächtnis
streichen. Zwei Texte sind interessant, nämlich "Kultur in
Gefahr", was aber allein an dem hier ausgebreiteten Gedanken liegt,
dass Protektionismus für die Kultur gut sei (ein Gedanke, der einem
Franzosen sicher näher liegt als einem Deutschen). Leider fehlt
es an jeglicher Unterfütterung der dort geschilderten Szenarien
mit realen Fakten (deshalb unjournalistisch), vielleicht deshalb, weil
der Text für ein Literaturforum in Südkorea geschrieben wurde.
Möglicherweise wussten die Kongressteilnehmer bereits, welche Beispiele
Bourdieu vor seinen Augen hatte - der unbedarfte Leser weiß es
nicht, und somit ist dieser Beitrag auchein Beispiel für das Versagen
des Lektorats. Der andere gute Text ist "Die Durchsetzung des amerikanischen
Modells und ihre Folgen", in dem Bourdieu darauf hinweist, dass
der Turbokapitalismus amerikanischer Prägung und die ihm zu Grunde
liegende Ideologie eine Produkt amerikanischer Verhältnisse sei,
die nicht 1:1 auf Europa übertragen werden könnten und somit
hier ganz andere Folgen haben wird, nämlich viel schwerwiegendere
gesellschaftliche Umwälzungen, mit denen die europäischen
Gesellschaften nicht so umgehen könnten als die amerikanische (netter
Gedanke, und was ist mit den Folgen des europäischen Kolonialismus
für den Rest der Welt?). Den Rest des Buchs braucht man m.E. nicht
zu lesen. |
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