...gelesen... |
Bodo
Kirchhoff Schundroman (Frankfurter Verlagsanstalt 2002) Okay, ich kenne eigentlich nichts von Bodo Kirchhoff,
auch wenn sein Name häufiger auf Buchdeckeln zu finden ist, aber
mit irgendwas muss man mal anfangen. Vielleicht ist diese Buch eher
untypisch für ihn, hat er sich doch hier nach eigenen Angaben den
Wunsch erfüllt, mal eine Gangsterstory zu schreiben. Dann auch
noch die Reich-Ranicki-Debatte, weil nahezu zeitgleich mit Martin Walsers
"Tod eines Kritikers" erschienen und ebenfalls sich um den
Tod eines "Großkritiker" und das Literaturgeschäft
drehend. Kirchhoff selbst gibt sich auch eine kleine Rolle in seinem
Buch, nämlich die des Signore Franz, eines verbitterten Autor auf
klapprigem Kahn am Gardasee, was von Selbstironie zeugt. Aber allzu
böse ist das Buch nicht ausgefallen trotz der reichlichen Spitzen
gegen den Literaturbetrieb. Denn eigentlich ist der Roman eine kleine
Liebeserklärung an das Frankfurter Ostend, verpackt in eine Handlung,
die einem echten Schundroman alle Ehre machen würde (Gangster,
Privatdetektive, mehrere Mord, Sex, Liebe und Betrug), aber sehr gut
geschrieben ist, es macht Spaß das Buch zu lesen. Ob man alle
klingenden Namen sofort entschlüsselt bleibt dahin gestellt, natürlich
ist mit entsprechendem Hintergrundwissen sicher noch mehr Genuss aus
dem Buch zu holen, aber auch so ist es ein schönes und kurzweiliges
Lesevergnügen. |
Mark
Brend American Troubadours. Groundbreaking Singer Songwriters of the 60s (Backbeat Books 2001) Ein interessantes Buch, vereint es doch Biografien
von David Ackles, David Blue, Tim Buckley, Tim Hardin, Fred Neil, Phil
Ochs, Tom Rapp, Tim Rose und Tom Rush. Alle begannen ihre musikalische
Karriere in den 60er Jahren in der Folkszene, in New York oder Kalifornien,
waren meistens bei Elektra Records, und doch nahmen ihre Lebensläufe
sehr unterschiedliche Pfade. Talent ist eben nicht das einzige, was
man braucht zum Erfolg, sondern auch Glück und Marketing. Tom Rush
beauftragte ein Marktforschungsunternehmen, um rauszukriegen, wo sein
Publikum abgeblieben war. Die Antwort war: sie sind älter geworden
und zahlen gerne ein paar Dollar mehr, wenn sie denn nicht wieder in
den üblichen Rockclubs wie Ölsardinen eingequetscht werden,
sondern einen schönen Theatersessel unter den Arsch kriegen. Der
Witz ist: Rush tauschte tatsächlich Theater gegen Club, erhöhte
die Preise - und das Konzert war 10 Tage vorher ausverkauft. Merkt euch
das, ihr alt gewordenen Rocker, vielleicht könnt ihr euch erfolgreich
dagegen wehren erwachsen zu werden, aber eure Fans tun es nicht, sie
haben keinen Bock mehr auf schmutzige Clubs, sondern saubere Theatersitze.
Aber das sind Belanglosigkeiten dagegen, dass die Mehrzahl dieser Troubadoure
tot oder verschollen sind: David Ackles starb 1999 an Krebs, nachdem
1973 seine letzte Platte erschien, David Blue erlitt 1982 einen tödlichen
Herzinfarkt beim Joggen (Spätfolgen seiner Drogenkarriere?), Tim
Buckley und Tim Hardin starben starb 1975, bzw.1980 an Heroinüberdosen,
Fred Neil verschwand 1977 in der Anonymität, Phil Ochs beging 1976
nach langer Alkoholabhängigkeit und Depressionen Selbstmord, Tom
Rapp wurde 1976 Rechtsanwalt, nur Tim Rose und Tom Rush sind heute noch
irgendwie im Geschäft, doch auch ihre Zeit ist vorbei und Platten
erscheinen nur äußerst selten. Den großen Erfolg eines
Bob Dylan hatte keiner, auch wenn sie alle aus der gleichen Szene kamen.
Sie alle haben zu irgendeinem Zeitpunkt eine kreativen Höhepunkt,
aber waren nicht in der Lage (oder Willens), darauf aufzubauen. Sie
waren keine Randfiguren, aber auch nie Stars. Sie sind alle fast völlig
vergessen. Es gibt Hunderte von solchen Schicksalen in der Musikszene,
und trotzdem versuchen es immer wieder junge Menschen in der gleichen
unsinnigen Hoffnung wie jeden Samstag Millionen Deutsche Lotto spielen.
Dabei sind sie alle nur Frischblut für den Vampir Musikgeschäft.
Alle verdienen an ihnen Geld, nur die Musiker selbst nicht. Sie bleiben
meistens als Leichen oder Krüppel am Wegrand liegen, während
die Musikindustrie zur nächsten Party weiterzieht. Autoren wie
Mark Brend beweisen es, aber keiner will ihnen glauben. |
Jacob
Holdt Bilder aus Amerika (S.Fischer, 1978) / American Pictures - Bilder aus Amerika (S.Fischer, revidierte Neuauflage 1984) Es gab einmal eine Zeit, da sammelte ich aus dem Altpapier
am Straßenrand immer Magazine, insbesondere den Spiegel. Dabei
stieß ich auf eine Artikel-Serie mit Bildern vom unfreiwilligen
Bodensatz der nordamerikanischen Gesellschaft. Ein junger Däne
- Jacob Holdt - hatte sich Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts
per Anhalter auf die Reise durch die USA aufgemacht, bewaffnet nur mit
einer Pocketkamera. Er übernachtete bei reich und arm, in Villen
und Ghettos, und seine Bilder zeigen eine Armut, die wir heute eher
in Kabul, Bagdad oder den HIV-Katastrophengebieten Afrikas vermuten
würden. Das Buch ist geradezu von political correctness und Gutmenschentum
durchseucht, aber angesichts der von den Fotos dokumentierten Brutalität
entlarvt sich jede Kritik daran als reaktionäres Dumpfbackentum.
(Denn erst kommen die Fakten, dann die Moral. Eine Moral, die Fakten
ignoriert, das ist ideologische Verbohrtheit, religiöser Fundamentalismus,
die Geisel der Menschheit!) Zitate gefällig? "Linda wohnt
ganz in der Nähe der Disney World, aber darüber sprechen wir
nicht, denn sie hat niemals genügend Geld, um dorthin zu gehen.
Sie waren so arm, daß sie noch niemals Licht gehabt hatten, bevor
ich zu ihnen zog. Ich hatte einiges an Millionärsgeld bei mir und
konnte ihnen Petroleum für eine alte Lampe kaufen, die sie besaßen.
Für die Familie wurde es ein Freudentag. Lindas Vater arbeitete
vom frühen Morgen bis zum späten Abend und bewachte Kühe
eines weißen Gutsbesitzers. Jeden Abend kam er gegen zehn Uhr
die fünf Kilometer zu Fuß nach Hause gelaufen. An diesem
Abend wollten wir ihm mit einer Überraschung eine Freude machen,
und als wir ihn in der Dunkelheit herankommen sahen, lief Linda hinaus,
sprang ihm auf den Arm und rief: "Vater, Vater, wir haben ein Geschenk
bekommen... guck, guck. Licht... wir haben Licht bekommen." Und
danach tanzten Linda und ihr Bruder draußen im Schein der Lampe.
Es herrschte große Begeisterung über dieses Licht, und sie
wärmte mich unermeßlich, nachdem ich in einer Reihe kalter
Millionärsvillen gewohnt hatte. Sonst gab es nicht viel, worüber
man sich in ihrer Stille freuen konnte. Das Essen mußte immer
draußen vor der Tür über einem offenen Feuer zubereitet
werden, und die Mutter konnte kaum etwas anderes tun, als unbeweglich
zurückgelehnt in demselben Stuhl zu sitzen, da sie aufgrund einer
Krankheit unerträgliche Schmerzen hatte. Linda las im allgemeinen
vor Sonnenuntergang in ihren Schulbüchern, aber einige Male sah
ich sie auch im Mondschein lesen." (S.126, zufällig aufgeschlagen
- was aus Linda wohl geworden ist?) Zusammen
mit den Fotos (einige findet ihr auch im Internet unter http://www.american-pictures.com/gallery/index.html)
erschlägt einen dieses Buch. Es sind diese Fakten, die einen verstummen
lassen und man kann sich nur dazu beglückwünschen, nicht so
leben zu müssen. Und das sind die USA, das reichste Land der Welt,
nicht irgend eine Hungerkatastrophe am Ende der Zivilisation. Wahrscheinlich
sieht es heute noch genauso dort aus! |
Ulrike
Groos, Peter Gorschlüter, Jürgen Teipel Zurück zum Beton. Die Anfänge von Punk und New Wave in Deutschland 1977 - '82 (Kunsthalle Düsseldorf/Verlag der Buchhandlung Walter König, 2002) Dies ist der Ausstellungskatalog zur gleichnamigen
Ausstellung und er ist essentiell, weil er vieles von den Mängeln
der Ausstellung ausbügelt, aber nicht alle. Die ersten 100 Seiten
sind Abbildungen vieler Ausstellungsstücke, leider ohne zusätzliche
Beschreibungen. Nicht dass ich unbedingt meinen Namen auf Seite 46 lesen
müsste (er taucht irgendwie an anderer Stelle auf), aber die meisten
Bilder haben neben einer Beschreibung dessen, was sie darstellen, keine
weitern Informationen. So fehlt bei den meisten Fanzines jeglicher Hinweis,
wer die Autoren und/oder Herausgeber waren und wann und wo sie erschienen,
ebenso bei Cassetten und Schallplatten (und warum wird von Mortiz Rrrs
Bild "Punk-Hund" im Katalog eine andere Fassung abgebildet
als in der Ausstellung zu sehen war?). Das liegt wahrscheinlich am kurzen
Vorlauf (Unhöflich formuliert: Das Buch ist ein Erfolg? Lasst
uns schnell noch mit einer Ausstellung abkassieren!), der eine detaillierte
Recherche verhinderte, bleibt aber trotzdem ein dicker Fehler. Jeder
Geschichtsstudent würde für diese Schlamperei durchs Examen
rasseln, auch wenn das bei den Fanzines und Cassetten wohl 'ne echte
Detektivarbeit gewesen wäre - und bei den Badges wohl nahezu unmöglich.
Aber das ist eigentlich keine Entschuldigung, besonders dafür,
dass der Mangel überhaupt verschwiegen wird. Ebenso fehlt jeglicher
Hinweis darauf, nach welchen Kriterien Fanzines, Cassetten und Platten
überhaupt ausgewählt wurden. (Die
"Ausgewählte Discografie 1979-82" ist ebenso lückenhaft:
warum fehlen z.B. die erste Radierer-LP, P1/E, Vorgruppe, Razors, Tempo
oder irgendwas von Aggressive Rockproduktionen, wenn denn die Buttocks
und The 1980s Erwähnung finden? Auch das Film- und Literaturverzeichnis
ist unvollständig, wichtige Bücher wie z.B. "Punk
Rock oder: Der vermarktete Aufruhr" vom Verlag Freie Gesellschaft
von 1978(!), eine erste linke Auseinandersetzung mit Punk u.a. mit Interviews
mit The Clash und Johnny Rotten, "Der große Schwindel???
Punk - New Wave - Neue Welle"
von Jürgen Stark und Michael Kurzawa (Verlag Freie Gesellschaft,
1981, 288(!) Seiten) mit Interviews Hamburger und Berliner Punk-Aktivisten,
sowie einem Überblick über die Szene in vielen anderen deutschen
Städten, oder auch "Last Exit. Punk: Leben im toten Herz
der Städte" von Poris Penth und Günter Franzen (rororo
Panther, Januar 1982), einer frühren Darstellung des Lebensgefühls
in der Szene, u.a. mit Beiträgen über Hans-a-plast, Korpus
Kristi, Stromsperre und Betoncombo. Das lässt sich nur mit extrem
schlampiger Recherche erklären.) Es
sind nämlich durchaus auch Objekte außerhalb des Dreiecks
Düsseldorf/Berlin/Hamburg im Katalog zu finden, u.a. aus Hannover,
München, Frankfurt, Köln, Limburg und Mainleus. Andererseits
aber gehören die Cassetten ja eigentlich schon zu einer späteren
Epoche, nachdem die Trennung von Punkern und Wavern schon erfolgt war.
Der Eindruck, dass hier nur ungeordnete Jugenderinnerungen auf den Altar
gehoben wurden, ist daher kaum von der Hand zu weisen. |
Alistair
Taylor/Stafford Hildred A Secret History (John Blake Publishing, 2001) Ja, das ist schon scheiße, da arbeitet man 8
Jahre für die größte Band der Welt, ohne an sich zu
denken, und dann kriegt man einen Tritt, wird von einem ungehobelten
Yankee auf die Straße gesetzt und John, Paul, George und Ringe
sind zu feige, ans Telefon zu gehen. Danach geht es immer mehr bergab
bis man ein Fall für Arbeitsamt wird. Allerdings lies sich Taylor
32 Jahre Zeit, bis er dieses Buch schreiben hat lassen. Vielleicht war
er auch nur vergrätzt, dass sein Name im Rahmen des ganzen Anthology-Hypes
um die Beatles nicht genannt wurde. |
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