Stanislaw Lem
Vom Nutzen des Drachen (Suhrkamp 1993)
Einfach für einen regnerischen Nachmittag ins
Bücherregal gegriffen, aber daneben. Es schien nette Unterhaltung
zu versprechen und wurde doch tiefphilosophisch. In "Die Wiederholung"
beauftragt König Hippolypp die beiden Konstrukteure Trurl und Klapauzius
mit der Erschaffung idealer Welten, die von den Beschränkungen
der eigenen Welt Hippolypps frei sein sollen, was aber alles erbärmlich
unter viel philosophischen Disput in die Hose geht. In "Ziffranios
Erziehung" taut Trurl 2 Wesen aus einem Kometenschweif auf und
hört die Geschichten ihres eigenen Strebens nach der vollkommenen
Welt, die natürlich auch wieder nur in Tragik endeten. Und in "Vom
Nutzen des Drachen" berichtet Ijon Tichy, noch so eine von Lems
ständig wiederkehrenden Figuren, von einer Reise zum Planeten Abrasien,
wo ein Drache ein bizarres Wirtschaftssystem am Laufen hält (er
konsumiert nur, produziert aber nichts). Erinnert mich irgendwie an
die Weltwirtschaft im Jahre 2003. Insgesamt zwar alles wie immer sehr
schön zum lesen (obwohl "Die Wiederholung" zuviel philosophische
Dialoge hat), aber leider alles mit depressiver Botschaft. Wie gesagt,
für einen regnerischen Nachmittag der Griff daneben.
(2003-03-09)
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Johnny
Green & Garry Barker. Illustrations by Ray Lowry
A Riot Of Our Own. Night And Day With The Clash (Indigo, 1997)
The Clash wird es nie mehr wieder geben, nachdem Joe
Strummer kurz vor Weihnachten 2002 von einem Herzinfarkt ins Jenseits
befördert wurde. Echt scheiße. The Clash waren 'ne große
Band, die Antipoden zu den Sex Pistols. Zum einen hielten sie länger
durch, zum anderen standen sie nicht für Chaos und Nihilismus,
sondern für Kritik an den Herrschenden und soziale Verantwortung.
Auch sie blickten weit über die musikalischen Scheuklappen ihrer
Epigonen hinaus (auch die Sex Pistols klangen wie keine anderen Punk-Band),
nahmen zudem schwarze Musik in allen Spielarten ernst (zumeist Reggaue
und Funk) und waren auch Mitschuld am Ska- und Rockabilly-Revival. Sangen
sie 1977 noch "I'm so bored with the U.S.A." und "No
Elvis, Beatles or Rolling Stones in 1977", schwärmten sie
doch schon 3 Jahre später vom "Brand New Cadillac" und
irritierten ihr Publikum mit Joe Ely und Sam & Dave im Vorprogramm.
Johnny Green hat diese Jahre als ihr Roadie und Mädchen für
alles miterlebt. Seine Erinnerungen an 3 wilde Jahre mit The Clash geben
faszinierende Einblicke in die innere Dynamik der Band, ohne aber allzu
viel aus dem Nähkästchen zu plaudern. Drogen kommen als Dope
und Koks vor, die Heroin-Sucht von Topper Headon aber nur am Rand. Sex?
Auch weitgehend Fehlanzeige. Der Konflikt mit Manager Bernie Rhodes
und mit CBS wird nicht tief analysiert, dafür aber gibt es ausführliche
Stories über Tourneen, Probesessions und die Studioaufnahmen zu
"London Calling". Green bringt nicht mehr als er selbst mitgekriegt
hat, was das Buch sehr sympathisch macht, aber als Geschichtsschreibung
über The Clash ist es somit ungeeignet. Johnny Green wirft ein
interessantes Schlaglicht auf diese Glanzzeit einer der größten
Punkbands, nicht mehr - aber auch nicht weniger.
(2003-02-18)
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Thomas
Groetz
Kunst <=> Musik. Deutscher Punk und New Wave in der Nachbarschaft
von Joseph Beuys (Martin Schmitz Verlag, 2002)
Als ich im Medium-Books-Katalog diesen Titel entdeckte
wusste ich sofort, dass ich dieses Buch lesen muss. Leider erfüllte
es nicht ganz die Erwartungen: zu wenig Abbildungen, zuviel über
Jürgen Kramer. Überhaupt Jürgen Kramer, ein Name, der
bei Jürgen Teipel nicht vorkommt (auch nicht in "Wir waren
Helden für einen Tag" von Ott/Skai), den jedoch Diedrich Diedrichsen
als "wichtige Figur der frühen New Wave" bezeichnet und
Frank Fenstermacher gar mit André Breton vergleicht. Kramer war
Schüler von Joseph Beuys, so wie Imi Knoebel, der das Cover der
2. SYPH-LP gestaltete und dessen Frau Carmen den Ratinger Hof betrieb,
so wie Gottfried Tollmann von der Fred Banana Combo, der dann auch 1982
Beuys für die SPEX interviewte. (Auch Milan Kunc, der mehrere Cover
für den Plan machte, wollte bei Beuys studieren, aber Beuys empfand
Ölbilder als von Gestern.) Kramer begann 1977 mit seinem Fanzine
"Die 80er Jahre", dessen dritte Ausgabe den Schriftzug "Neue
Welle" auf dem Titelblatt hatte und somit Alfred Hilsberg zu dem
Slogan "neue deutsche Welle" angeregt haben dürfte (das
Fanzine ist in SoundS 12/79 abgebildet). Anfänglich fanden sich
im Fanzine noch Berichte zu den Anfängen von "Punk" im
Ruhrgebiet, später wandelte sich der Inhalt jedoch mehr hin zum
Bereich Industrial und andere extreme Musik (Throbbing Gristle, Residents),
doch Musik wurde immer mehr an den Rand gedrängt, Texte und Abbildungen
zur Kunst wurden zum Hauptthema. Das ist alles sehr interessant, aber
nur, wenn mensch in der Lage ist über den Tellerrand von Punk zu
schauen. Kramer wurde 1977 von Punk dazu inspiriert, neue künstlerische
Wege zu beschreiten - sein Fanzine-Layout war definitiv Inspiration
für andere Fanzinemacher - und es gar mit Musik zu versuchen, aber
als Punk und New Wave sich (zu) bereitwillig den Rockkonventionen unterwarfen,
verwarf er diesen Weg und kehrt zurück zur Malerei (mit Themen,
mit denen heute wohl PCler so ihre Probleme hätten, aber die haben
ja auch generell Probleme mit Deutschland und seiner Geschichte - als
ob Karl Marx KEIN Deutscher gewesen wäre, auf den könnte man
doch STOLZ sein, oder? ;-) - aber ich komme von Thema ab...).
Leider kommen andere Personen aus dem Beuys-Umfeld, bzw. aus der frühren
Punk- und New Wave-Szene bei Thomas Groetz nur am Rand vor. Trotzdem,
was aus meiner Sicht das Interessante an dem Buch ist: hier wird mal
wieder der Beleg geführt, dass zum einen Punk in Deutschland nicht
nur eine Explosion musikalischer Kreativität hervorbrachte, sondern
auch der künstlerischen (Literatur und Film vermutlich auch, aber
da kenne ich mich nicht so aus), und in den kleinen Keimzellen im Ruhrgebiet
eben Künstler und Laien zusammentrafen und sich wechselseitig beeinflussten.
Das machte eben den gravierenden Unterschied zwischen Düsseldorf
und Hamburg/Berlin aus. (Und das Vorbild, dass der Plan für die
Spaßelemente der ndW war, darf auch nicht unterschätzt werden.)
Und es ist eine gerne verdrängte Tatsache - lässt es doch den
heutigen Punk im Vergleich dazu noch viel armseliger wirken. Und zum
anderen eben wäre Punk ohne diese über die Musikszene hinausgreifende,
gesamtkulturelle Unzufriedenheit eben hier in Deutschland gar nicht
erst explodiert. Und auch nicht so, denn der Punk in Deutschland ist
eben was völlig Eigenes gewesen. Aber ich wiederhole mich...
Nebenbei macht Groetz noch auf zwei Lücken der Pop-Geschichtsschreibung
aufmerksam: es gibt kein Buch über Andy Warhol und Popmusik (schließlich
hat der Mann mehr getan als nur Velvet Underground zu unterstützen,
er machte u.a. Plattencover für die Rolling Stones und drehte Videos
für die Cars und Curiosity Killed The Cat) - und es gibt noch keine
Gesamtschau von Punk/New Wave/neue deutsche Welle in Deutschland. Freiwillige
vor!
(2003-02-03)
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Mathias
Bröckers
Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des
11.9. (Zweitausendeins, 2002)
Es ist Mitte Januar 2003 und immer noch nicht ausgemacht,
ob AmeriKKKa den Iran zurück in die Steinzeit bomben darf oder
nicht (falls denn Bush II tatsächlich auf eine Erlaubnis des UN-Sicherheitsrats
warten sollte anstatt einfach nur auf eine günstige Gelegenheit,
bevor ihm der Rest der Welt seine schönen Öleroberungspläne
zunichte macht). Da tut es gut, daran zu erinnern, was eigentlich der
Auslöser für das alles war, nämlich der Terroranschlag
am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und der
anschließend von AmeriKKKa ausgerufene "war on terror"
namens "infinite justice", auf deutsch "unendliche Gerechtigkeit".
Klingt wie religiöser Wahnsinn vom Kaliber eines Ayatollah Khomeini,
oder? Dass der 11.9. ein Terrorakt bisher unbekannter Dimension war
ist kaum bestreitbar, unabhängig davon, wer ihn denn nun eigentlich
zu verantworten hat. Aber rechtfertigt er tatsächlich das derzeitige
Geschehen?! Zu viele Fragen im Zusammenhang mit dem 11.9. sind bisher
unbeantwortet, und - was noch viel erschreckender ist - keinen scheint
es wirklich zu interessieren! Was kümmern mich Beweise, ich will
biblische Rache, egal an wem! Das kommt einen als Deutschen doch sehr
bekannt vor, diese Weigerung sich mit Fakten und Fragen auseinander
zusetzen, weil die (auch persönlichen) Konsequenzen daraus einfach
das bisherige Leben und Denken als große Lüge entlarven könnten.
Wie sagte doch der Ex-Marinerichter Filbinger damals, als er als baden-württembergischer
Ministerpräsident ungläubig abtreten musste: "Was damals
Recht war kann doch heute nicht Unrecht sein?!". Sorry, ich bin
etwas vom Thema abgekommen.
Am 11.9.2001 war Mathias Bröckers dabei, ein Buch über Verschwörungen
und Verschwörungstheorien zu schreiben, was ihm einen sehr eigenen
Blickwinkel auf das Geschehen ermöglichte. Er konnte quasi live
das Entstehen einer neuen Verschwörungstheorie erleben und analysieren,
denn keiner der bisher vorgelegten Indizien beweist gerichtsfest die
Urheberschaft Usama Bin Ladens und kann somit den Angriff auf Afghanistan
rechtfertigen, vom Iran ganz zu schweigen. Viele bisher unbeantwortete
Fragen und das nachfolgende Verhalten der Bush II-Administration legen
dagegen die Interpretation nahe, dass diese mehr über den 11.9.
weiß als der Rest der Welt, es aber offenbar verheimlichen will.
Hieraus würden sich eigentlich weitere Fragen ergeben, aber scheinbar
wagt (fast) keiner sie zu stellen (jedenfalls keiner, den regierung
nicht einfach ignorieren könnte) - denn was wären die Konsequenzen,
wenn herauskäme, dass z.B. tatsächlich Mitarbeiter des pakistanischen
Geheimdienstes, mit dem der CIA zusammenarbeitet, Atta und Co. beauftragt
haben? Dann wäre der Krieg gegen Afghanistan und der Sturz der
Taliban, so verachtenswert ihre Politik auch gewesen sein mag, ein Angriffskrieg
und damit ein Kriegsverbrechen. Was, wenn herauskäme, dass der
CIA schon vorher von dem Anschlag auf das WTC wusste, ihn aber nicht
verhinderte? Dann wäre er mitschuldig an einen 3000-fachen Mord
und müsste als kriminelle Vereinigung weltweit zerschlagen werden.
Und was, wenn Bush II davon wusste und es billigte? Bloß nicht
daran denken, die Konsequenzen wären zu furchtbar - oder durchkreuzen
die Pläne der Mächtigen der Konzerne/anderer Nationen. Mathias
Bröckers behauptet NICHT, dass es so war (er behauptet keine neue
Verschwörungstheorie, entlarvt nur eine weitverbreitete), er stellt
FRAGEN, die bisher keiner beantwortet hat, und mit jedem Faktum, dass
er zusammenträgt, erscheinen die bisherigen Behauptungen der amerikanischen
Behörden über das Geschehen am 11.9. fragwürdiger denn
je. Das Ergebnis ist KEINE neue Wahrheit, sondern nur ein RIESIGES Fragezeichen,
ein LOCH in der Realität, auf dem NICHTS Halt finden kann. Ein
Loch, dass der menschliche (Klein-)Geist gerne mit Verschwörungstheorien
füllt, weil er sonst Angst hat irrsinnig zu werden (Losing my religion?!).
Lasst uns daher einen neuen Irrsinn schaffen, um unser Leben einfacher
zu gestalten. Glaubt an die Lüge, sie macht das Leben soviel einfacher.
Verabschiedet Euch vom Verstand. George Orwell hatte recht: Krieg ist
Frieden, Dummheit ist Stärke und Freiheit ist Sklaverei. So schrecklich
es ist, aber dies scheinen tatsächlich die Prämissen der heutigen
Politik zu sein und die Folgen des 11.9. ist der definitive Beweis dafür.
(2003-01-21)
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Thomas
Kapielski
Aqua Botulus (Zweitausendeins, 2000)
Ich weiß nicht viel über Kapielski, außer
dass er mal eine Ausstellung im Valentin-Musäim im Isartor in München
hatte, aber nach der Lektüre dieses Buchs vermute ich ihn mal im
weiteren Umfeld der Genialen Dilletanten. Da tauchen Namen auf wie Kippenberger
und Frieder Butzmann, da geht es um Kunstausstellungen, sinnlose Wohnobjekte,
die zu teuren Kunstwerken werden, merkwürdige Schilder, Sperma
und Spagetti, Performance-Kunst und immer wieder lange Kneipennächte,
das ganze in einem Schnodderton geschrieben ohne Punkt und Komma, wie
ein langer verschwurbelter Gedankengang, dass mensch gar nicht mehr
mit dem Lesen aufhören möchte, denn die nächste Pointe
kommt bestimmt gleich um die Ecke. Illustriert wird das Ganze mit einer
Sammlung von Fotografien merkwürdiger Gegenstände und Situationen,
gesteigert durch die Bildunterschriften wie z.B. "Häuser mit
Geschwüren" (S.142) oder "Bananensattel 2000" (S.90).
Ich beneide Kapielski um die Absurditäten einer solchen Künstlerexistenz
und befürchte, mir noch den Rest seiner Bücher zulegen zu
müssen.
(2003-01-08)
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