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Noam Chomsky Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US-Politik (Europa Verlag, 2002) Kommen wir gleich zum Kern des Buchs: die Thesen von
Chomsky sind: 1. beide großen Israelischen Parteien, Arbeiterpartei
und Likud, folgen der zionistischen Ideologie, dass Erez Israel - und
Erez Israel ist für viele jüdische Fanatiker größer
als Israel, die Westbanks, Golan-Höhen und Gaza-Streifen (nämlich
noch Teile von Libanon, Syrien, Jordanien und Sinai), also ein ausgesprochen
kolonialistisches Konzept, gegen das der Bund der Vertriebenen, der
ja nur altes deutsches Hoheitsgebiet zurück haben will, sich richtig
harmlos ausmacht - unter israelische Herrschaft gehört und die
Palästinenser eigentlich abhauen sollen; 2. die amerikanische Regierung
unterstützt und finanziert Israels Okkupationspolitik und ist keineswegs
neutraler Friedensvermittler, aber trotzdem der Schlüssel zur Konfliktlösung;
und 3. die amerikanische Presse ist parteiisch zu Gunsten Israels und
unterdrückt und verdreht Fakten zu Lasten der Palästinenser.
Das sind erst mal Thesen, die im völligen Widerspruch zu der durchschnittlichen
Deutschen (und wohl auch sonst Europäischen) Sichtweise des Nahost-Konflikts
stehen, wiewohl hier der Blick auf die Tatsachen nie so parteiisch war
wie die Amerikanische Sichtweise. Lässt man sich auf die Thesen
erst mal ein - und das Buch präsentiert eine Fülle an Belegen,
dass die Thesen nicht aus der Luft gegriffen sind - erscheinen gerade
die aktuellen Berichte über die neue israelische Mauer um die Westbanks
herum in einem neuen Licht - und die vom Chomsky beschrieben Strategien
der israelischen und amerikanischen Regierung, die Palästinenser
hinzuhalten und möglichst wenig Abstriche am ursprünglichen
kolonialistischen Konzept zu machen, werden mit bloßen Auge wiedererkennbar.
Was nur den einen Schluss zulässt: die aktuelle Roadmap zum Frieden
ist wieder nur ein Trick, um die Palästinenser weiter zu verzweifeln
und zur Resignation und damit zur Auswanderung zu treiben. Denn eines
ist klar: die Israelis sind seit über 100 Jahren die Invasoren
im Nahen Osten und die Palästinenser haben jedes Recht, von Israel
eine Anerkennung ihrer Existenz und ihrer historischen Rechte zu fordern
(Zur Erinnerung eine sehr kurze Geschichte Israels: Einwanderung israelitischer
Stämme zwischen 1600 und 1300 v.Chr. in das von den Kanaanäern
bewohnte Palästina, 300 Jahre später der erste eigene Staat
(Könige David und Salomo), Tempelbau in Jerusalem, 926 v.Chr. Zerfall
in die Teilstaaten Juda (Hauptstadt Jerusalem) und Israel (Hauptstadt
Samaria), 722 v.Chr. wird Israel assyrische Provinz, 597 und 587 v.Chr.
wird Jerusalem von Nebukadnezar eingenommen und der größte
Teil der Bevölkerung nach Babylonien verschleppt; einige Deportierte
können zurückkehren und den Tempel wiederaufbauen, 322 v.Chr.
wird Judäa Teil des Reichs von Alexander dem Großen, später
unter römischen Einfluß und nach dem gescheiterten Aufstand
gegen Rom 70 n.Chr. - der Tempel wird erneut zerstört, die Bergfestung
Masada wird 73 eingenommen - römische Provinz; viele Juden fliehen
Richtung Babylon, es entstehen jüdische Gemeinden in Indien, China
und Japan; nach erneutem blutigem Aufstand werden ab 135 viele Juden
in die Kriegsgefangenschaft und Sklaverei verschleppt und verbreiten
sich so im gesamten römischen Reich und nach dessen Zerfall in
Rest Europas, Russland und Amerika; okay, es gibt historische Wurzeln
der jüdischen Volks in Israel, aber dort haben die meisten Juden
seit 1900 Jahren nicht gelebt - wo ist die historische Grenze, ab der
der ein "Volk" altes Siedlungsgebiet zurückverlangen
kann? Könnte nicht mit den gleichen "historischen" Argumenten
die BRD Norditalien, Ostfrankreich, die Schweiz und Benelux annektieren?)
(Vielleicht liegt auch darin - in der Vertreibung und Einwanderung der
Juden - ein Motiv, warum die USA, bzw. die herrschende weiße Klasse
so parteiisch zugunsten von Israel sind, weil ihr eigener Staat auf
einer Vertreibung aus Europa und der Invasion fremden bewohnten Bodens
basiert und die nordamerikanischen Ureineinwohner (oder auch Indianer)
fast vollständig ausgerottet wurden - der Vergleich zum Holocaust
erscheint mir nicht abwegig - okay, es gab keinen staatlichen Plan,
die nordamerikanischen Ureinwohner auszurotten, so wie es keinen Plan
Israels gibt, die arabische Bevölkerung auszulöschen, aber
der Spruch "Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer"
ging vielen Einwanderern locker von den Lippen und die Vertreibung in
Reservate mit geringer Nahrungsmittelversorgung, Zerstörung der
wirtschaftlichen Lebensgrundlagen (fast völlig Ausrottung der Bisons,
Parzellierung des Landes macht nomadisches Wandern unmöglich) ,
Bruch getroffener Verträge - "Bleichgesicht sprechen mit gespaltener
Zunge" - und die Missachtung der indianischen Kultur, der (kanadische)
Kinderraub (etwas, dass auch die Australischen Einwanderer an den Aboriginies
exekutierten und dem nationalsozialistischen Kinderraub im Polen exakt
entspricht), all das macht in den konkreten Folgen keinen entscheidenden
Unterschied für die Opfer - und deshalb hab ich immer Schwierigkeiten,
die Singularität des Holocausts zu behaupten.) |
Wolfgang Flür Kraftwerk. Ich war ein Roboter (Hannibal, 1999) Wolfgang Flür war ca. 15 Jahre lang "Schlagzeuger"
bei Kraftwerk. Musikalisch hat er eher wenig Spuren hinterlassen, aber
immerhin hatte er die Idee zu dem legendären Stehschlagzeug und
noch ein paar anderen technischen Apparaturen. Nach der letzten richtigen
LP "Electric Cafe" ist er dann wegen fehlender Perspektiven
aus der Band ausgestiegen. Sein Mitschlagzeuger Karl Bartos, der viele
Kraftwerkstücke mitkomponiert hat, hielt es noch bis zu den "Neuaufnahmen"
von "The Mix" aus, was auch schon über 10 Jahre her ist.
Seitdem ist die Gruppe - bis auf den EXPO2000-Auftrag - in eine Art
Totenstarre verfallen. Gerade wird eine neue Platte angekündigt,
aber auf die Gerüchte gebe ich nichts mehr. Flür erzählt
in seinem Buch von seiner Jugend in Deutschland, seinen Problemen mit
seinem Vater, sein Sexleben auf Kraftwerk-Tourneen und die Parties dazwischen,
das herablassende Verhalten von Hütter und Schneider ihm und Bartos
gegenüber und noch andere Anekdoten. Über den musikalischen
Werdegang von Kraftwerk und wie die Alben entstanden gibt es wenig zu
lesen. Was zu verschmerzen gewesen wäre, wenn das Buch nicht so
betulich, sich selbst abfeiernd geschrieben wäre. Nicht nur etwas
mehr Selbstkritik wäre hilfreich gewesen. Gegen Ende des Buches
gibt es 6 Seiten lang Pressezitate zu seinem Yamo-Projekt, dass hierzulande
völlig untergegangen ist. Ein paar Seiten vorher finden sich die
Sätze ".. obwohl ich nicht sicher war, meine Zukunft derselben
Company anzuvertrauen, die auch meine ex-Band im Katalog führte.
Mein sechster Sinn warnte mich, und das war, wie sich später herausstellte,
auch mehr als berechtigt." Tja, was dann die EMI mit ihm gemacht
hat verschweigt Flür. Vielleicht hätte er auch dieses Buch
besser nicht schreiben sollen - und ob an den Gerüchten etwas dran
ist, dass Hütter und Schneider rechtlich gegen das Buch vorgegangen
sind wage ich nach dem Inhalt ernsthaft zu bezweifeln. Hätte Bartos
seine Geschichte mit Kraftwerk geschrieben, wäre das zweifellos
interessanter, wie ich nach einer Veranstaltung mit seinem Anwalt erfahren
konnte. |
Marc Boettcher Alexandra. Ihr bewegtes Leben, ihre sehnsuchtsvollen Lieder, ihr tragischer Tod (Knaur 1998) Knaur ist nicht gerade der Taschenbuch-Verlag meines
Vertrauens. Aber Alexandra ist als Thema zu interessant, als dass ich
um dieses Buch einen Bogen könnte. Von Marc Boettcher gibt es auch
einen Fernsehfilm über Alexandra und eine von ihm zusammengestellte
Doppel-CD mit teilweise unveröffentlichten Aufnahmen (eine editorische
Sensation, verglichen mit den sonstigen Müll-CDs von Alexandra
und deutschen (Schlager-)Interpreten im allgemeinen: lieblose Zusammenstellungen
ohne Informationen oder Chronologie in Covern wie für Apotheken-Zeitungen)
und ihnen allen gemeinsam ist das Fehlen von kritischer Distanz und
einer gewissen Nüchternheit. Der Titel des Buchs spricht ja schon
Bände. Egal, erst mal gibt es hier eine Menge an Fakten, die ansonsten
dem kollektiven Vergessen anheim gefallen wären (okay, ich hätte
gerne mehr Aufnahme-Details gehabt), sehr viel Persönliches (ihre
Affären, ihre Stimmungsschwankungen, ihr Kummer mit Familie und
dem (Schlager-)Geschäft), dazwischen zahlreiche Texte und Fotos.
Zusammen ergibt sich das Bild einer Künstlerin, die ihr Werk weder
vollenden noch richtig zur Blüte bringen konnte (talk about Roy
Black), aber im Gegensatz zu anderen Stars der Zeit (talk about Roy
Black again) viel Energie in die Umsetzung ihrer Kreativität setzte.
Vielleicht war sie einfach zu erschöpft vom täglichen Kampf
um ihre Kunst, als sie am 31.7.1969 in Tellingstedt vergaß, in
die Bremsen zu treten. Zum Glück hält sich das Buch (im Gegensatz
zum Fernsehfilm) mit Spekulationen über ihren Tod zurück.
Es
gibt ja auch keine echten Anhaltspunkt für eine Verschwörung,
um sie zu ermorden, denn es gibt Niemanden, der davon profitiert hätte
(außer der Plattenfirma - die Platten verkauften sich danach besser
als zuvor, kennen wir ja von Elvis, John Lennon etc. - aber so weit
im Keller war die Karriere von Alexandra nicht, als dass die Phonogram
nicht noch Zukunftschancen mit einer lebenden Alexandra gesehen hätte),
und die Merkwürdigkeiten danach: nun, ich vermute, wenn ihre Schwestern
wussten, dass sie in Alexandras Testament leer ausgehen, da lag es nahe,
die Wohnung der Toten auszuräumen, um trotzdem noch einen Teil
des Kuchens zu bekommen. Ich denke, eine richtige Biografie über
Alexandra und ihre Zeit (wer waren ihren Zeitgenossen, wie lief das
Geschäft damals, wer war ihr Publikum, wie passte ihre Musik in
die Zeit - 1968! - dazu sagt Boettcher zuwenig) muss noch geschrieben
werden. Bis dahin ist dieses Buch (leider schon wieder vom Verlag gestrichen
- seit Mitte 2004 aber in einer irgendwie
überarbeiteten Neuauflage beim Parthas Verlag neu herausgekommen)
ein guter Anfang. |
T.M.McNally Diese Wut in uns (rororo 1996) Auch wenn auf dem Umschlag ein Bild aus einen Rock-Konzert
in typischer SubPop-Ästhetik zu sehen ist, spielt Musik keine Rolle
in diesem Buch. Es ist ein Buch in der Tradition von "Die Verwirrungen
des Zöglings Törless" (Musil) und "Der Fänger
im Roggen" (Salinger), also die Geschichte über die geistigen
Verwirrungrn junger Menschen an der Schwelle zum Erwachsenenleben. Allerdings
sind die Protagonisten des Buches nicht nur Highschool-Schüler,
sondern auch deren Eltern und Lehrer. Alle wissen (noch) nicht, wo denn
ihr Platz im Leben ist. Zwar beginnt das Buch mit einem Selbstmord (und
endet mit einem weiteren Verbrechen), aber die Motive dieser Täter
interessieren McNally eher weniger, als die der Menschen in ihrem Umfeld,
so der stupide Machismos der Männer und das Leiden der Opfer. Gut
zu lesen und insbesondere durch eine teilweise unchronologische Erzählweise
und abgebrochene Handlungsstränge interessant geschrieben/übersetzt. |
Lionel Honoré Die Ökonomie - eine Wissenschaft? (BLT Domino, 1999) Dieses Buch zerfällt in 2 Teile, eine Beschreibung
ökonomischer Theorien und Gedanken über die Zukunft der Wirtschaftwissenschaften.
Trotz Fachwörter ist das Buch verständlich geschrieben und
zeigt deutlich, dass die ursprüngliche Theorie über den Markt,
wonach jedes Individuum nach Bedürfnisbefriedigung strebe und dabei
rational, informiert und autonom handle und das freie Zusammenspiel
der Marktkräfte den Wohlstand der Nationen fördere, zwar ein
schönes Modell war, dieses aber angesichts neuerer wissenschaftlicher
Erkenntnisse nicht mehr haltbar ist: (1) da wäre zum einen die
Theorie der begrenzten kognitiven Fähigkeiten, wonach der Mensch
nicht unbegrenzt Informationen aufnehmen kann mit der Folge, dass er/sie
keine Sicherheit über die Folgen seines/ihres Handelns gewinnen
kann und somit nur suboptimale Lösungen zur Bedürfnisbefriedigung
erzielt; (2) dann dass das rationale Handeln durch Gewohnheiten und
unbewusste Reflexe beschränkt wird, (3) ebenso die Autonomie durch
Gesetze, Moral und gesellschaftliche Konventionen. (4) Und Honoré
weißt auf Keynes hin, nach dem sich die Marktteilnehmer oft langfristig,
z.B. durch Investitionen, binden und somit nicht in der Lage zu einer
schnellen Anpassung an das Marktgeschehen sind. Diese Unflexibilität
stellt die Fähigkeit des Marktes zum Ausgleich der Interessen seiner
Teilnehmer in Frage, weshalb staatliche Intervention zur Wiederherstellung
des Marktgefüges gerechtfertigt sei, was der klassische Wirtschaftliberale
mit dem Prinzip des laissez faire ja ablehnt. Nach Honoré sind
somit die Regeln des Marktgeschehens wesentlich komplexer als populistische
Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomen uns erzählen wollen
- gleichzeitig aber gelten auch für alle anderen menschlichen Handlungsweisen
und Entscheidungen die gleichen Prinzipen und Strategien wie sie im
Wirtschaftleben zu finden sind, weshalb sich die Frage stelle, ob es
statt den bisherigen Wirtschaftswissenschaften (und anderen Fächern,
bei denen es um die Steuerung menschlichen Handelns in anderen Gesellschaftsfeldern
geht) nicht eine neue fächerübergreifende Wissenschaft von
der Lenkung menschlicher Gesellschaften geben müsse. Ein ähnlicher
Gedanken ist mir auch beim Lesen des Buchs gekommen, ob nämlich
nicht die Wirtschaftswissenschaften, soweit sie das Handeln der Marktteilnehmer
beschreiben und erklären wollen, nicht einfach ein Teilbereich
der Soziologie sind, wo es ja auch um das Beobachten, Beschreiben und
Erklären menschlicher Verhaltensweisen geht. Vielleicht liegt der
Grund dafür, dass es die Wirtschaftswissenschaften gibt ja einfach
darin, dass sich die jeweiligen Interessengruppen (Kapitalisten versus
Salonbolschewisten) nicht gegenseitig ins Gehege kommen wollen und ihre
Konflikte dann einfach den Politikern aushalsen. Im Falle einer Formierung
einer neuen Lenkungswissenschaft müssten sie sich dann in unterschiedlichen
Schulen sammeln und ihre Konflikte selbst austragen, weil Politiker
ja dann gerne einen einheitlichen wissenschaftlichen Vorschlag für
ihr Handeln bekommen möchten. Weil Politiker ja zu faul sind, sich
selbst Gedanken zu machen, sollen sich doch die anderen den Kopf zerbrechen
- aber bloß nicht drüber reden. Reden tun immer noch die
Politiker. |
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