...gelesen... |
Stewart Home "Blow Job" (Nautilus, 2001) Wenn das Pulp-Fiction ist, dann gib mir mehr davon!
Home hält sich nicht lange mit der Beschreibung von Menschen, Stimmungen
und Gegenständen auf, sondern er produziert nur Handlung Handlung
Handlung. Und was für welche: hier wird geblasen, zerstört,
geprügelt und gemordet. Die Handlung spielt in einem England, wo
Nazis und Linke an die Macht streben und dafür andere und auch
sich gegenseitig umbringen, die Polizei foltert und mordet und die Armee
vandalisierende Massen einfach mit Maschinengewehren niedermäht.
Daneben geht Eigentum in Millionenwerten den Bach runter, ebenso sämtliche
ideologische Glaubwürdigkeit der Protagonisten, was auch egal ist,
weil fast keiner überlebt. Das ist auch dem Seelenheil des Lesers
zuträglich, denn die nihilistischen Zerstörungsorgien der
Figuren Homes lassen doch kleinbürgerliche Angstreflexe nach dem
Motto "Das kann der doch nicht ernst meinen, oder?" aufkommen.
Neben der teilweise zu buntscheckigen Handlung jagt Home zahlreiche
theoretische Traktate zumeist linken Spinnertums durch den Fleischwolf
und präsentiert ein ideologisches Panoptikum, dass an dem gesunden
Menschenverstand der karikierten Figuren zweifeln lässt. Aber vielleicht
gibt es solche Traktate wie "Nationalsozialismus ist jüdisch!"
oder "Für ein paar Schekel mehr: Der Ku-Klux-Klan enthüllt!"
ja tatsächlich? Und wenn nicht, sollte man sie vielleicht schreiben?
Aber solche Gedanken müssen schnell verdrängt werden, wenn
einen im nächsten Satz die Handlung wieder mit Blowjobs und Mord
und Totschlag gefangen nimmt. Geil geil geil! |
Victor Bockris & John Cale "What's Welch For Zen. The Autobiography Of John Cale" (Bloomsbury Publishing, 1999) Jonathan Warum eine Biografie über John Cale lesen?
Um schmutzige Wäsche gewaschen zu bekommen über Lou Reed.
Die gibt es auch auf höherem intellektuellen Niveau, also nicht
die letzten Details, aber genug, um Lou Reed als tatsächlich den
kaputten Typen zu erkennen, als der er nicht erscheinen will, aber trotzdem
immer schon wirkte, als Kontrollfreak, der nicht in der Lage ist, in
anderen Menschen mehr zu sehen als Steigbügelhalter für seine
Karriere(okay, das wussten wir ja alle auch schon seit der unautorisierten
Biografie über Tante Lou von Victor Bockris, aber es ist interessant
zu lesen, dass Lulu seine Teilnahme an der Velvet Underground Reunion-Tournee
davon abhängig machte, dass John, Mo und Sterling nicht mit Bockris
reden). Es gibt auch - ganz unerwartet - ein paar böse Sätze
über Brian Eno. Dagegen lesen wir nur Gutes über Nico (die
ihre Affäre mit Lou Reed mit dem brutalen Satz "I can't make
love to jews anymore" beendete, woraufhin dieser gleich wieder
eine Therapiestunde bei seinem Psychiater brauchte), Mo Tucker, Sterling
Morrison, La Monte Young, Chris Spedding und Andy Warhol, nur leider
zu wenig. Aber es ist ja auch (s)eine Autobiografie und deshalb schreibt
Cale sehr viel über sich, seine Eltern, seine Kindheit in Wales,
sein Musikstudium in London und Tanglewood, Avantgarde und Rock'n'Roll,
New York von unten, seine drei gescheiterten Ehen, seine Musik, solo
und in Zusammenarbeit mit anderen und über Drogen, ja massig Drogen.
Man bekommt den Eindruck, dass Cale 25 Jahre lang immer bedröhnt
oder besoffen war, und paranoid dazu oder zumindest eifriger Anhänger
von Verschwörungstheorien. Der
Mann geht sehr hart mit sich selbst ins Gericht und es ist erstaunlich,
das er das durchgestanden hat und trotzdem nie wirklich musikalischen
Mist abgeliefert hat, sondern zahlreiche Perlen der Rockmusik, obwohl
er sich eigentlich als klassischen Komponisten versteht. Daneben - und
das ist der große Pluspunkt - ist dieses Buch fantastisch layoutet,
keine Bleiwüste, sondern experimentell in der Verwendung verschiedener
Schrifttypen, Satzformen, bearbeiteter Fotos, Comics, Zeichnungen und
Collagen, einfach ungewöhnlich für eine Musikerbiografie.
Es ist deutlich von den Ideen David Carsons (lest dazu mal David
Carson "The End Of Print", Bangert Verlag 1995) inspiriert,
ohne dessen Radikalität zu übernehmen, also es geht nie so
weit, dass die Schrift unleserlich und zum reinen Gestaltungselement
wird, aber die Fotos werden schon durch die Mangel gedreht. Ein echter
Augenschmaus. Das Lesen selbst ist ein bisschen anstrengend, denn Cale
schreibt ist kein Mickey Mouse-Englisch für Dieter Bohlen-Arschkrampen. |
Tim
Mitchell "There's Something About Jonathan. Jonathan Richman and the Modern Lovers" (Peter Owen Publishers, 2000) Jonathan Richman war um 1977 mit seinem ägyptischen
Reggae sehr angesagt, von Punk und New Wave hochgespült, weil auch
er so ganz anders klang als all der Pomp-Rock in den Jahren davor, dabei
musikalisch so ziemlich die Anti-These zu Punk, obwohl er mit seiner
ersten Formation der Modern Lovers so etwas wie ein Verläufer von
Punk war, was die Sex Pistols mit ihrer Coverversion von "Roadrunner"
dokumentierten. Doch rasch verschwand Richman wieder aus dem Bewusstsein
der Öffentlichkeit und blieb danach nur noch ein Thema einer eingeschworenen
Fangemeinde, darunter viele Musiker. Ende des letzten Jahrtausends nahm
ihn sogar Neil Young für sein eigenes Label unter Vertrag. Da Richman
ziemlich wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, ist ein
Buch über ihn sicher interessant, aber soviel macht sein Leben
leider auch nicht her. Okay, eine einsame Jugend, die Entwicklung einer
sehr eigenen künstlerischen Vision, die auf absoluter Ehrlichkeit
sich und seiner Umwelt gegenüber basiert, dazu jedoch eine Faszination
an den Banalitäten des Alltags und der Wunsch, seinen Mitmenschen
Freude zu bereiten, seine Auftritte in Kindergärten und Altenheimen,
ein Abdriften in eine eigene Welt, all das hätte pointierter dargestellt
werden können, doch dazu ist Tim Mitchell leider zu sehr Fan als
distanzierter Journalist und listet lieber unveröffentlichte Aufnahmen
und Begleitmusiker auf, anstatt zu psychologisieren und Leichen im Schrank
aufzuspüren. Andererseits gibt Richmans Leben (bisher) auch nicht
soviel her, dass es für eine dramatische Rockstar-Biografie reichen
würde. Insgesamt ein Buch für den interessierten, aber nicht
vollständig informierten Fan. |
Kathy
Acker "Meine Mutter: Dämonologie" (Maas, 1995) Okay, über das grundlegende Problem mit Kathy
Acker habe ich bereits anlässlich von "Pussy.
König der Piraten" geschrieben. Dieses Buch ist 2 Jahre
früher erschienen und etwas besser lesbar, allerdings hat es dafür
weniger Handlungsfaden. Was das Buch mit Colette Peignot und Georges
Bataille zu tun hat erschließt sich wohl nur denjenigen, die deren
Biografie kennen. Was ich verstanden habe sind Erinnerungen an einen
schwachen Vater und eine ablehnende Mutter, ein Mord in einem Schweizer
Mädchen-Internat, ein Künstlervater, der sein Tochter anzünden
möchte, um so Inspiration für große Kunst zu erlagen,
und dabei von einem schwulen New Yorker Bürgermeister (Ed Koch?)
unterstützt wird, eine wechselhafte Beziehung zwischen Heathcliff
und Cathy (vermutlich basierend auf "Wuthering Heights"),
die sich um die Frage der Anpassung an die Gesellschaft oder dem Ausleben
der Wildheit dreht, George Bush senior auf dem Sterbebett, der seine
Tochter fickt, dazwischen schon das Motiv der Piraten, als jüdisches
Mädchen sich auf einer WASP-Mädchenschule zu behaupten, schließlich
Erzählungen von einer Lesetournee durch Deutschland nach dem Mauerfall
(taucht auch in "Pussy. König der Piraten" auf) mit Erinnerungen
an Berlin zu Zeiten der Mauer, verknüpft mit früheren Beziehungen
zu verschiedenen Männern, schließlich Briefe an einen Liebhaber.
Wenn Schreiben dazu dient, seine Seele zu therapieren, dann könnte
dieses Buch ein gutes Beispiel dafür sein, dann ist dies höchste
Kunst, in der die Künstlerin ihr Innerstes ausdrückt - und
die Fähigkeit zur Formgestaltung des Textmaterial lässt sich
Kathy Acker auch nicht absprechen. Das erfordert allerdings vom Leser
das Erlernen der Sprache dieser Autorin (hallo Jochen Diestelmeier!),
etwas was bei moderner bildender Kunst schon akzeptiert ist, aber in
der heutigen Literatur noch auf hartnäckigen Widerstand des Publikums
zu stoßen scheint. Was fehlt sind also ein Picasso, ein Dali,
ein Warhol der Literatur, um uns neue Schreibweisen und damit neue Lesemöglichkeiten
nahe zu bringen. Solange es die aber nicht gibt (oder ich sie bisher
überlesen habe), bereitet mir das Werk von Kathy Acker echte Schwierigkeiten.
Ich respektiere es, aber ich verstehe es nicht. Vielleicht bin ich ein
literarischer Reaktionär, der das gute Handwerk der hohen Kunst
vorzieht? |
Caroline
Sullivan "Bye Bye Baby. Meine tragische Liebesaffäre mit den Bay City Rollers" (Argon, 2001) Übersetzt von Clara Drechsler kann dieses Buch
gar nicht so schlecht sein. Ist es auch nicht, weil es gut erzählt
und flott zu lesen die Geschichte einer Jugend in New York unter dem
Einfluss der Bay City Rollers erzählt, jener schwindsüchtigen
Magerquark-Teenie-Kapelle aus den 70er Jahren, die einem heute alle
als Kult verkaufen wollen, aber seien wir ehrlich, es gab nur eine gute
Single von ihnen, nämlich "Rock'n'Roll Loveletter", der
Rest war schon damals unerträglich. Ich erinnere mich, mal in eine
LP hineingehört zu haben und auf eine grauenhafte Version von "Rebel
Rebel" gestoßen zu sein. Egal, BCR waren damals wirklich
GROSS, und Caroline Sullivan war eines ihrer Opfer. Sie hat es überlebt
und ein Buch geschrieben, dass uns sehr ehrlich etwas über den
Abstieg der Kapelle von Superstars zu Witzfiguren erzählt (die
Rollers kamen erst nach Amerika, als sie in England den Zenit ihres
Erfolgs erreicht hatten) und dem Verlust ihrer Würde. Und sie erzählt
von ihrem Fanatismus und dem ihrer Clique für die Band ohne etwas
beschönigen oder rechtfertigen zu wollen. Daneben gibt es auch
lustige Geschichten, wie sie auf einem Londonbesuch 1976 ein warmes
Pub einem Konzert mit den Sex Pistols vorzog (Herzinfarkt!), und wie
sie Sid Vicious einmal zur Party einladen wollte, aber an dessen Koma
und dem Biest Nancy scheiterte (Kult!). Frauen könnten vielleicht
noch mehr mit dem Buch anfangen, aber es ist auch für Frauenversteher
geeignet. Wer "High Fidelity" von Nick Hornby oder "Lost
in Music" von Giles Smith gemocht hat, wird auch hiermit viel Spaß
haben. |
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