...gelesen...

Stewart Home
"Blow Job" (Nautilus, 2001)

Wenn das Pulp-Fiction ist, dann gib mir mehr davon! Home hält sich nicht lange mit der Beschreibung von Menschen, Stimmungen und Gegenständen auf, sondern er produziert nur Handlung Handlung Handlung. Und was für welche: hier wird geblasen, zerstört, geprügelt und gemordet. Die Handlung spielt in einem England, wo Nazis und Linke an die Macht streben und dafür andere und auch sich gegenseitig umbringen, die Polizei foltert und mordet und die Armee vandalisierende Massen einfach mit Maschinengewehren niedermäht. Daneben geht Eigentum in Millionenwerten den Bach runter, ebenso sämtliche ideologische Glaubwürdigkeit der Protagonisten, was auch egal ist, weil fast keiner überlebt. Das ist auch dem Seelenheil des Lesers zuträglich, denn die nihilistischen Zerstörungsorgien der Figuren Homes lassen doch kleinbürgerliche Angstreflexe nach dem Motto "Das kann der doch nicht ernst meinen, oder?" aufkommen. Neben der teilweise zu buntscheckigen Handlung jagt Home zahlreiche theoretische Traktate zumeist linken Spinnertums durch den Fleischwolf und präsentiert ein ideologisches Panoptikum, dass an dem gesunden Menschenverstand der karikierten Figuren zweifeln lässt. Aber vielleicht gibt es solche Traktate wie "Nationalsozialismus ist jüdisch!" oder "Für ein paar Schekel mehr: Der Ku-Klux-Klan enthüllt!" ja tatsächlich? Und wenn nicht, sollte man sie vielleicht schreiben? Aber solche Gedanken müssen schnell verdrängt werden, wenn einen im nächsten Satz die Handlung wieder mit Blowjobs und Mord und Totschlag gefangen nimmt. Geil geil geil!
(2004-04-22)

Victor Bockris & John Cale
"What's Welch For Zen. The Autobiography Of John Cale" (Bloomsbury Publishing, 1999)

Jonathan Warum eine Biografie über John Cale lesen? Um schmutzige Wäsche gewaschen zu bekommen über Lou Reed. Die gibt es auch auf höherem intellektuellen Niveau, also nicht die letzten Details, aber genug, um Lou Reed als tatsächlich den kaputten Typen zu erkennen, als der er nicht erscheinen will, aber trotzdem immer schon wirkte, als Kontrollfreak, der nicht in der Lage ist, in anderen Menschen mehr zu sehen als Steigbügelhalter für seine Karriere(okay, das wussten wir ja alle auch schon seit der unautorisierten Biografie über Tante Lou von Victor Bockris, aber es ist interessant zu lesen, dass Lulu seine Teilnahme an der Velvet Underground Reunion-Tournee davon abhängig machte, dass John, Mo und Sterling nicht mit Bockris reden). Es gibt auch - ganz unerwartet - ein paar böse Sätze über Brian Eno. Dagegen lesen wir nur Gutes über Nico (die ihre Affäre mit Lou Reed mit dem brutalen Satz "I can't make love to jews anymore" beendete, woraufhin dieser gleich wieder eine Therapiestunde bei seinem Psychiater brauchte), Mo Tucker, Sterling Morrison, La Monte Young, Chris Spedding und Andy Warhol, nur leider zu wenig. Aber es ist ja auch (s)eine Autobiografie und deshalb schreibt Cale sehr viel über sich, seine Eltern, seine Kindheit in Wales, sein Musikstudium in London und Tanglewood, Avantgarde und Rock'n'Roll, New York von unten, seine drei gescheiterten Ehen, seine Musik, solo und in Zusammenarbeit mit anderen und über Drogen, ja massig Drogen. Man bekommt den Eindruck, dass Cale 25 Jahre lang immer bedröhnt oder besoffen war, und paranoid dazu oder zumindest eifriger Anhänger von Verschwörungstheorien. Der Mann geht sehr hart mit sich selbst ins Gericht und es ist erstaunlich, das er das durchgestanden hat und trotzdem nie wirklich musikalischen Mist abgeliefert hat, sondern zahlreiche Perlen der Rockmusik, obwohl er sich eigentlich als klassischen Komponisten versteht. Daneben - und das ist der große Pluspunkt - ist dieses Buch fantastisch layoutet, keine Bleiwüste, sondern experimentell in der Verwendung verschiedener Schrifttypen, Satzformen, bearbeiteter Fotos, Comics, Zeichnungen und Collagen, einfach ungewöhnlich für eine Musikerbiografie. Es ist deutlich von den Ideen David Carsons (lest dazu mal David Carson "The End Of Print", Bangert Verlag 1995) inspiriert, ohne dessen Radikalität zu übernehmen, also es geht nie so weit, dass die Schrift unleserlich und zum reinen Gestaltungselement wird, aber die Fotos werden schon durch die Mangel gedreht. Ein echter Augenschmaus. Das Lesen selbst ist ein bisschen anstrengend, denn Cale schreibt ist kein Mickey Mouse-Englisch für Dieter Bohlen-Arschkrampen.
(2004-04-18)

Tim Mitchell
"There's Something About Jonathan. Jonathan Richman and the Modern Lovers" (Peter Owen Publishers, 2000)

Jonathan Richman war um 1977 mit seinem ägyptischen Reggae sehr angesagt, von Punk und New Wave hochgespült, weil auch er so ganz anders klang als all der Pomp-Rock in den Jahren davor, dabei musikalisch so ziemlich die Anti-These zu Punk, obwohl er mit seiner ersten Formation der Modern Lovers so etwas wie ein Verläufer von Punk war, was die Sex Pistols mit ihrer Coverversion von "Roadrunner" dokumentierten. Doch rasch verschwand Richman wieder aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit und blieb danach nur noch ein Thema einer eingeschworenen Fangemeinde, darunter viele Musiker. Ende des letzten Jahrtausends nahm ihn sogar Neil Young für sein eigenes Label unter Vertrag. Da Richman ziemlich wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, ist ein Buch über ihn sicher interessant, aber soviel macht sein Leben leider auch nicht her. Okay, eine einsame Jugend, die Entwicklung einer sehr eigenen künstlerischen Vision, die auf absoluter Ehrlichkeit sich und seiner Umwelt gegenüber basiert, dazu jedoch eine Faszination an den Banalitäten des Alltags und der Wunsch, seinen Mitmenschen Freude zu bereiten, seine Auftritte in Kindergärten und Altenheimen, ein Abdriften in eine eigene Welt, all das hätte pointierter dargestellt werden können, doch dazu ist Tim Mitchell leider zu sehr Fan als distanzierter Journalist und listet lieber unveröffentlichte Aufnahmen und Begleitmusiker auf, anstatt zu psychologisieren und Leichen im Schrank aufzuspüren. Andererseits gibt Richmans Leben (bisher) auch nicht soviel her, dass es für eine dramatische Rockstar-Biografie reichen würde. Insgesamt ein Buch für den interessierten, aber nicht vollständig informierten Fan.
(2004-01-28)

Kathy Acker
"Meine Mutter: Dämonologie" (Maas, 1995)

Okay, über das grundlegende Problem mit Kathy Acker habe ich bereits anlässlich von "Pussy. König der Piraten" geschrieben. Dieses Buch ist 2 Jahre früher erschienen und etwas besser lesbar, allerdings hat es dafür weniger Handlungsfaden. Was das Buch mit Colette Peignot und Georges Bataille zu tun hat erschließt sich wohl nur denjenigen, die deren Biografie kennen. Was ich verstanden habe sind Erinnerungen an einen schwachen Vater und eine ablehnende Mutter, ein Mord in einem Schweizer Mädchen-Internat, ein Künstlervater, der sein Tochter anzünden möchte, um so Inspiration für große Kunst zu erlagen, und dabei von einem schwulen New Yorker Bürgermeister (Ed Koch?) unterstützt wird, eine wechselhafte Beziehung zwischen Heathcliff und Cathy (vermutlich basierend auf "Wuthering Heights"), die sich um die Frage der Anpassung an die Gesellschaft oder dem Ausleben der Wildheit dreht, George Bush senior auf dem Sterbebett, der seine Tochter fickt, dazwischen schon das Motiv der Piraten, als jüdisches Mädchen sich auf einer WASP-Mädchenschule zu behaupten, schließlich Erzählungen von einer Lesetournee durch Deutschland nach dem Mauerfall (taucht auch in "Pussy. König der Piraten" auf) mit Erinnerungen an Berlin zu Zeiten der Mauer, verknüpft mit früheren Beziehungen zu verschiedenen Männern, schließlich Briefe an einen Liebhaber. Wenn Schreiben dazu dient, seine Seele zu therapieren, dann könnte dieses Buch ein gutes Beispiel dafür sein, dann ist dies höchste Kunst, in der die Künstlerin ihr Innerstes ausdrückt - und die Fähigkeit zur Formgestaltung des Textmaterial lässt sich Kathy Acker auch nicht absprechen. Das erfordert allerdings vom Leser das Erlernen der Sprache dieser Autorin (hallo Jochen Diestelmeier!), etwas was bei moderner bildender Kunst schon akzeptiert ist, aber in der heutigen Literatur noch auf hartnäckigen Widerstand des Publikums zu stoßen scheint. Was fehlt sind also ein Picasso, ein Dali, ein Warhol der Literatur, um uns neue Schreibweisen und damit neue Lesemöglichkeiten nahe zu bringen. Solange es die aber nicht gibt (oder ich sie bisher überlesen habe), bereitet mir das Werk von Kathy Acker echte Schwierigkeiten. Ich respektiere es, aber ich verstehe es nicht. Vielleicht bin ich ein literarischer Reaktionär, der das gute Handwerk der hohen Kunst vorzieht?
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(2003-12-17)

Caroline Sullivan
"Bye Bye Baby. Meine tragische Liebesaffäre mit den Bay City Rollers" (Argon, 2001)

Übersetzt von Clara Drechsler kann dieses Buch gar nicht so schlecht sein. Ist es auch nicht, weil es gut erzählt und flott zu lesen die Geschichte einer Jugend in New York unter dem Einfluss der Bay City Rollers erzählt, jener schwindsüchtigen Magerquark-Teenie-Kapelle aus den 70er Jahren, die einem heute alle als Kult verkaufen wollen, aber seien wir ehrlich, es gab nur eine gute Single von ihnen, nämlich "Rock'n'Roll Loveletter", der Rest war schon damals unerträglich. Ich erinnere mich, mal in eine LP hineingehört zu haben und auf eine grauenhafte Version von "Rebel Rebel" gestoßen zu sein. Egal, BCR waren damals wirklich GROSS, und Caroline Sullivan war eines ihrer Opfer. Sie hat es überlebt und ein Buch geschrieben, dass uns sehr ehrlich etwas über den Abstieg der Kapelle von Superstars zu Witzfiguren erzählt (die Rollers kamen erst nach Amerika, als sie in England den Zenit ihres Erfolgs erreicht hatten) und dem Verlust ihrer Würde. Und sie erzählt von ihrem Fanatismus und dem ihrer Clique für die Band ohne etwas beschönigen oder rechtfertigen zu wollen. Daneben gibt es auch lustige Geschichten, wie sie auf einem Londonbesuch 1976 ein warmes Pub einem Konzert mit den Sex Pistols vorzog (Herzinfarkt!), und wie sie Sid Vicious einmal zur Party einladen wollte, aber an dessen Koma und dem Biest Nancy scheiterte (Kult!). Frauen könnten vielleicht noch mehr mit dem Buch anfangen, aber es ist auch für Frauenversteher geeignet. Wer "High Fidelity" von Nick Hornby oder "Lost in Music" von Giles Smith gemocht hat, wird auch hiermit viel Spaß haben.
(2003-11-27)


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