Die algerischen Musikszene hat einen hohen Blutzoll zahlen müssen, wie auch
die Kulturszene insgesamt. Mehrere bekannte Stars wurden in dem jahrelangen Bürgerkrieg
in Algerien ermordet, wobei unklar ist, ob die Täter bei den islamistischen Terroristen
oder bei den staatlichen Mörderkommandos zu suchen sind. Beide Seiten hatten Interesse
an der Liquidierung von Künstlern und Journalisten, die ihnen in Quere kamen.
Bisher sind mir folgende ermordete Musiker bekannt: Rachid Baba-Ahmed, ein bekannter Produzent
und Komponist von Rai-Musik, wurde an 15.2.1995 im Fastenmonat Ramadan in Oran
in seinem Auto mit Schüssen aus einer Maschinenpistole ermordet. Rachid, der aussah
wie Fidel Castro, war der erste, der moderne Studiotechnologien in Algerien verwendete,
und machte möglicherweise auch unter dem Namen Rachid & Fethi (mit seinem Bruder?)
selbst Musik. Sein Tod war der Auslöser für die Gründung der Bewegung "L'Algerie,
la vie!" durch Kabyle Idir und Cheb Khaled, dem ersten Superstar des Rai. "Wir
kämpfen für ein Algerien", umreißt Idir die Ziele der Organisation, "in dem man
Muslim sein und ebenso sein Juden- und Christentum leben kann."
Über
Lila Amara weiß ich nur, daß die kabylische Sängerin in der Nacht vom 12. auf
den 13.8.1995 zusammen mit ihrem Ehemann Bachir erschossen wurde. Die Armee fand
die Leichen des Ehepaars am Stadtrand von Algier. Lila Amara war eine Interpretin
von "Chaabi", der Popmusik in Marokko und auch Algerien. Der typische 12/8 Rhythmus
kann Europäer bei den ersten Begegnungen massiv aus der westlichen Fassung bringen. Der
Frauenhaß der "Bärtigen", der Islamisten, trägt psychotische Züge, die bezeichnend
sind für den religiösen Fundamentalismus, der sich gegen die Modernisierung vieler
islamischer Staaten aufbäumt; nirgendwo ist das Streben nach sexueller Herrschaft
deutlicher als in Algerien. Den Frauen dort, seit der Unabhängigkeit 1961 relativ
emanzipiert, wird der Verhaltenskodex eines pervertierten Islam aufgezwungen.
Weichen sie davon ab, ist ihr Leben in Gefahr. Zur Zielscheibe werden Bräute,
deren Hochzeitsfeier zu ausgelassen war, und unverschleierte Schulmädchen. Vor
allem aber trifft es Frauen in öffentlichen Ämtern und kritische Intellektuelle.
Immer mehr Frauen, vom Regime kaum beschützt, sind es aber auch, die Zivilcourage
zeigen - und auf den Straßen westliche Kleidung und unverschleiertes Haar. Anderen
Frauen genügt das nicht. Sie wählen von zwei Übeln das kleinere, bewaffnen sich
und unterstützen den Gegenterror des Regimes. Cheb Aziz lebte bereits schon einige Zeit in London
im Exil wegen der Verfolgung algerischer Rai-Musiker durch die Islamisten. Doch
er kehrte nach Oran zurück, um an einer Hochzeit teilzunehmen. In der Nacht vom
18. auf den 19. September 1996 wurde er vermutlich durch eine bewaffnete islamische
Gruppe entführt. Am 20.9.1996 fand man in Constantine seine Leiche. Der 28jährige,
der mit bürgerlichen Namen Bechiri Boudjema hieß, hinterlies seine Frau, ebenfalls
Sängerin, und 2 Kinder. Seine Musik war eigentlich unpolitisch, doch seine
Lieder über Liebe und Alltag reichten der Islamischen Heilsfront (FIS) bereits,
ihn als "anrüchig" zu verteufeln - genauso, es wie die Einheitspartei FLN bereits
in den 80er Jahren in Algerien praktiziert hatte. weiteres
über Musik und Islam Quellen zu Cheb Hasni, Rachid Baba Ali Ahmed,
Lila Amara, Cheb Aziz und Matoub Lounès: BCFE
Newsletter Spring 1995, Chronique
de la violence politique en Algérie, Cheb
Hasni - Radio Casablanca, France-Mail-Forum
Nr. 5: Informations culturelles, MUSIC
FROM MATOUB, The
Amazigh Voice, June 1995 |