Sehnsucht heißt ein altes Lied
Ihr Leben verlief dramatisch, ihr Tod war rätselhaft. Heute vor
30 Jahren starb die Sängerin ALEXANDRA bei einem Autounfall. Ihre
großen Erfolge wie "Zigeunerjunge", "Mein Freund,
der Baum" und "Sehnsucht" sind noch nicht vergessen. Sie
ist es auch nicht.
Manchmal, wenn man das Radio aufdreht, ist sie wieder
da, diese Stimme, tief, rauchig, unverwechselbar. "Mein bester Freund
ist mir verloren, der mit der Kindheit mich verband." Wehmut, Sehnsucht,
Melancholie - all die schweren, dunklen Gefühle schwingen da mit.
"Mein Freund, der Baum, ist tot, er fiel im frühen Morgenrot
Die Stimme ist einzigartig in der deutschen Musikbranche - bis heute.
Vor 30 Jahren, am 31. Juli 1969, kam Deutschlands große Chanson-Hoffnung
Alexandra, bürgerlich: Doris Nefedov, bei einem Autounfall ums Leben.
Sie war gerade 27, erst seit wenigen Jahren erfolgreich im Showgeschäft
und hatte die ganz große Karriere wahrscheinlich noch vor sich.
Drei Jahrzehnte später ist die Sängerin noch nicht vergessen,
die Verkaufszahlen ihrer Tonträger beweisen, daß die Sängerin
neue Fans hinzugewonnen hat. Daß sie eine junge Generation begeistert,
die erst nach ihrem Tode herangewachsen ist, ist ein merkwürdiges
Phänomen.
In ihrer kurzen Karriere gelang es Alexandra, sich ein musikalisches Denkmal
zu setzen, und das in einer Zeit, in der Studentenunruhen, die erste Mondlandung
und die Beatles für Schlagzeilen sorgten. Wahrscheinlich lag es an
dieser Stimme, die nach Sehnsucht klang und in einer Zeit des Aufbruchs
so etwas wie ein "Zurück!" transportierte: zurück
zum Gefühl, zurück auch zum Naturempfinden.
Alexandras Lebensweg war nicht grade beneidenswert. Vertreibung aus dem
Memelland, Trennung der Eltern, Grafik-Studium, Schauspiel- und Musicalausbildung,
die viel zu frühe Ehe mit einem 30 Jahre älteren Russen, die
schnelle Scheidung, Jobs als Zimmermädchen, Strumpf-Model und Sekretärin
- Alexandra hat viel erlebt, viel gelebt. Im Herbst 1966 bekam sie ihre
Chance. Sie lernte den Produzenten Fred Weyrich kennen. Er produzierte
mit ihr gleich eine Langspielplatte, ein Wagnis, das es bisher in der
deutschen Musikbranche nicht gegeben hat.
Mit ihrem
Lied "Zigeunerjunge" wurde Alexandra über Nacht ein Star,
die Medien feierten sie als "interessanteste Neuentdeckung 1967".
Von da an ging es Schlag auf Schlag: Tourneen, Fernsehshows, erfolgreicher
Start- in Frankreich, Plattenaufnahmen in Russisch, Englisch, Spanisch,
Französisch und Hebräisch, Teilnahme an internationalen Festivals,
erste Preisträgerin der "Goldenen Europa 1968". Hans R.
Beierlein, der schon Udo Jürgens zum internationalen Star aufgebaut
hatte, übernahm bald Alexandras Management, aus beiden wurde ein
Liebespaar.
Alexandra war mitten drin im Showgeschäft, aber sie hat sich auch
dagegen gewehrt. So schwor sie nach der Aufnahme von "Sehnsucht das
Lied der Taiga", diesen Titel nie wieder zu singen. Und sie hielt
sich daran. Sie blieb auch eisern, als dieses, wie sie es nannte, "schwülstige
Kinderlied" ihr größter kommerzieller Erfolg wurde und
die Hitparade stürmte.
Man kann sich nicht gegen das Geschäft stellen, ohne Schaden zu nehmen:
Als Alexandras Vater im Januar 1969 auf mysteriöse Weise in Kiel
ums Leben kam, brach sie zusammen. Alexandras Vertrag mit ihrer Plattenfirma
lief am 31. Juli 1969 aus, am Tage ihres Unfalls. In einem ihrer letzten
Interviews sprach sie von einem frühen Tod, der sie ganz unerwartet
treffen werde. Wenige Tage vor ihrem tödlichen Unfall schloß
sie eine zweite, hohe Lebensvesicherung ab, bezahlte das Schulgeld ihres
Sohnes im voraus und schrieb ihr Testament. Sie fühlte sich verfolgt
und bedroht.
Nach einer Fernsehaufzeichnung machte sich die 27jährige Sängerin
mit ihrer Mutter und ihrem Sohn auf den Weg nach Norddeutschland. Bis
Hamburg reisten sie mit dem Autozug. Bevor sie zu ihrem Ferienort auf
Sylt fuhr, suchte Alexandra ihre Plattenfirma auf. Sie machte einen nervösen
Eindruck. Weinend teilte Alexandra ihrem Direktor mit, daß sie Fehler
gemacht habe und daß sie wieder nach Hamburg ziehen wolle.
Kurz vor der holsteinischen Stadt Heide geschah es dann wenige Stunden
später: Mit hoher Geschwindigkeit stieß Alexandra mit ihrem
weißen Mercedes Coupé auf einen mit Betonplatten beladenen
Sattelschlepper. Sie starb eingeklemmt im Auto, ihre Mutter kurz darauf
im nahegelegenen Krankenhaus. Nur der kleine Alexander überlebte.
Unweit der Unfallstelle war Alexandra zu einer Tankstelle gefahren, weil
sie kurz zuvor Probleme am Wagen bemerkt hatte. Da jedoch Hochsaison war
und an der Tankstelle viel Betrieb herrschte, wechselte man nur auf die
Schnelle die Zündspule. Sie sollte den Mercedes noch einmal in Westerland
durchsehen lassen. Drei Kilometer später war Alexandra tot. Trotz
zweier Stoppschilder gab es keinerlei Anzeichen von Bremsspuren, als sie
von der Land- auf die Bundesstraße einbog und verunglückte.
Ob Alexandra unter Einfluß von Medikamenten stand und vielleicht
die Kontrolle über ihren Mercedes verlor, konnte nicht festgestellt
werden. Es fand keine Obduktion statt. Fiel Alexandra einem Mordkomplott
zum Opfer? Der Oberstaatsanwalt in Flensburg räumt Versäumnisse
bei der Untersuchung ein, die Polizei in Tellingstedt berichtete von Aktenfälschung
und einem Einbruch in die Leichenhalle. Die Münchener Wohnung wurde
von Unbekannten ausgeräumt. Wichtige Dokumente sind seitdem verschwunden.
Alexandra auf CD
Zur Zeit sind vier CDs mit Liedern von Alexandra lieferbar:
Mein Freund der Baum, Universal-Phonogram 824188-2
Meisterstücke, Karussel-Spectrum 550946-2
Stimme der Sehnsucht - Die Alexandra Story, Universal-Phonogram
512780-2
Zigeunerjunge, Karussel-Spectrum 551460-2.
Im September wird zur TV-Dokumentation eine neue CD mit bisher
unveröffentlichten Liedern Alexandras erscheinen: Alexandra,
die Legende einer Sängerin. |
Alexandras Leben und ihre Karriere geben genügend Stoff, um eine Legende
entstehen zu lassen. Sie ist ein exemplarisches Stück deutscher Zeit-
und Schlagergeschichte. Ihre Lieder haben bis heute ihren Platz in der Schlager-
und Chansonszene behaupten können.
MARC BOETTCHER
Der Verfasser ist Autor einer Alexandra-Biographie und der ARD-Dokumentation
"Alexandra - die Legende einer Sängerin", die im September
- der genaue Sendertermin steht noch nicht fest - ausgestrahlt wird.
HAZ, 31.7.99
|